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Internationales Privatrecht
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cc) Verbreitet sind Sachnormverweisungen in völkervertraglichen Kollisionsnormen. Wird zwischen Vertragsstaaten eine Anknüpfung vereinbart, so bedeutet dies eine einverständliche Wertung, dass die dadurch gefundene Rechtsordnung dem Sachverhalt angemessen ist; diese gemeinsame Wertung soll nicht durch die – wieder divergierenden – nationalen Kollisionsnormen gestört werden.
Art. 1 Haager Testamentsformübereinkommen beruft das innerstaatliche Recht; ebenso Art. 4 Abs. 1 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1973; noch deutlicher Art. 12 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007: „Ausschluss der Rückverweisung“.
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dd) Als Sachnormverweisungen sind grundsätzlich auch die Kollisionsnormen des EuIPR konzipiert. Schon Art. 15 EVÜ schloss den renvoi aus, Art. 20 Rom I-VO folgt dem, ebenso Art. 24 Rom II-VO (Rn 373), Art. 11 Rom III-VO und Art. 32 EU-EheGüterVO und ELP-GüterVO. Hingegen folgt Art. 34 EU-ErbVO einem eingeschränkten renvoi: Führt die allgemeine gesetzliche Verweisung auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO) in einen Drittstaat, so ist dessen IPR anzuwenden, wenn es auf das Recht eines Mitgliedstaats verweist (was die Annahme dieser Quasi-Rückverweisung impliziert) oder auf das Recht eines weiteren Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. Dies ist ein nicht ganz gelungener Versuch, einen renvoi unter Ausschluss der zweiten Weiterverweisung anzuordnen: Spricht der erste Drittstaat eine Sachnormverweisung in den zweiten Drittstaat aus, so wäre es systematisch richtig, das IPR des Drittstaates nicht anzuwenden.
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c) Ob Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse Gesamtverweisungen oder Sachnormverweisungen aussprechen, war jedenfalls bis zur Kodifikation dieses Bereichs 1999 unklar. Der BGH hatte in seiner grundlegenden Entscheidung zur Auflockerung der Tatortregel im Deliktsstatut offen gelassen, ob die Tatortregel selbst eine Gesamtverweisung ausspricht.[67] Seit der Regelung des IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Art. 38 ff ohne einen ausdrücklichen Ausschluss der Gesamtverweisung (wie ihn für das vertragliche Schuldrecht Art. 35 aF vorsah) wird Art. 4 Abs. 1 auf die Grundsatzanknüpfungen im Bereicherungs-, GoA- und Deliktsstatut angewendet (Art. 38 Abs. 2, 3; Art. 39 Abs. 1; Art. 40 Abs. 1[68], 2).
Bedeutsam wurde das vor dem 11.9.2009 vor allem, wenn am Ort eines Straßenverkehrsunfalls das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht[69] galt, das primär an die Fahrzeugregistrierung anknüpft.
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Sachnormverweisungen sprechen hingegen die akzessorischen Anknüpfungen aus (Art. 38 Abs. 1; Art. 39 Abs. 2); eine nachträgliche Rechtswahl bestimmt ebenfalls die Sachnormen. Sachnormverweisungen ergeben sich auch, wenn nach Art. 41 wegen einer wesentlich engeren Verbindung von den Grundsatzanknüpfungen abgewichen wird.
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Art. 24 Rom II-VO behandelt hingegen alle Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse als Sachnormverweisungen.
1. Gespaltene Rück- oder Weiterverweisung
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a) Das deutsche IPR knüpft überwiegend Lebenssachverhalte einheitlich an, auch wenn sie Gegenstände berühren, die unterschiedlicher Natur oder Belegenheit sind. ZB berühren das Erbrecht und das Ehegüterrecht bewegliche Sachen, Immobilien, Forderungen und sonstige Rechte. Art. 15 Abs. 1 bestimmt das Ehegüterstatut unabhängig von der Belegenheit, ebenso Art. 25 Abs. 1 aF das Erbstatut (mit Ausnahme des Art. 25 Abs. 2 aF, unten Rn 377). Auch das EuIPR folgt diesem Grundsatz (implizit Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: „die gesamte Rechtsnachfolge“, ausdrücklich als Prinzip normiert in Art. 21 EU-EheGüterVO/EU-ELPGüterVO), was in Relation zum Common law-Prinzip der Behandlung unbeweglichen Vermögens nach Belegenheit (Rn 376) eine Prinzipienentscheidung bedeutete. Außerdem knüpft das deutsche IPR Sachverhalte, die das Vermögen einer oder mehrerer Personen betreffen, überwiegend unwandelbar an, dh das Statut wird nach den Anknüpfungskriterien in einem definierten Einsatzzeitpunkt bestimmt und kann sich durch Änderung der Anknüpfungsmerkmale nicht wandeln. ZB wird das Ehegüterstatut (Art. 15 Abs. 1) nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Eheschließung, das Erbstatut nach den Verhältnissen bei Eintritt des Erbfalls (Art. 25 Abs. 1 aF) bestimmt. Ebenso entscheiden Art. 21 EU-ErbVO und Art. 26 EU-EheGüterVO/EU-ELPGüterVO.
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Für andere Lebenssachverhalte kennt auch das deutsche IPR wandelbare Anknüpfungen, zB in Art. 14 Abs. 1 für das Statut der persönlichen Ehewirkungen, das freilich auch mittelbar das Vermögen berühren kann (zB Hausratsteilung bei Getrenntleben).
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Zahlreiche andere Rechtsordnungen sehen innerhalb desselben Lebenssachverhaltes (Beerbung einer Person; Güterstand einer Ehe) unterschiedliche Kollisionsnormen vor. Häufig führt dies bei Statuten, die ein Vermögen betreffen, zu verschiedenen Anknüpfungen je nach der Natur und der Belegenheit des betroffenen Vermögenswertes (gespaltene Anknüpfung). Zudem knüpfen zahlreiche Rechtsordnungen die vermögensrechtlichen Wirkungen von Dauerrechtsverhältnissen wandelbar an.
In den Kollisionsrechten der US-Bundesstaaten wird allgemein im Erbstatut unterschieden zwischen personal property und real property. Ersteres, die Mobilien im Nachlass, wird nach dem Recht des letzten domicile des Erblassers vererbt. Maßgeblich ist – unwandelbar – das domicile im Zeitpunkt des Todes. Real property, im Wesentlichen Immobilien und bestimmte Rechte an ihnen, wird nach Belegenheitsrecht (lex situs, lat.: Recht der Belegenheit) vererbt. Das Ehegüterstatut wird für personal property nach dem jeweiligen domicile (wandelbar!) bestimmt; für real property folgt es der lex situs. Auch das französische IPR unterstellte vor Inkrafttreten der EU-ErbVO die Beerbung in Ansehung von Immobilien dem Belegenheitsrecht.
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Ausnahmsweise erlaubt auch das deutsche IPR eine gespaltene oder wandelbare Anknüpfung aufgrund von Rechtswahl.
Art. 25 Abs. 2 aF ließ den Erblasser für inländische Immobilien deutsches Recht als Erbstatut wählen. Art. 15 Abs. 2 sagt nichts über den Einsatzzeitpunkt einer Rechtswahl des Güterstatuts, erlaubt aber eine Rechtswahl, die ex nunc wirkt, also das Güterstatut wandelt, oder auch ex tunc. Ohne Rechtswahl kommt Wandelbarkeit des Güterstatuts nur bei Rechtsänderungen vor, insbesondere anlässlich der Änderung von Kollisionsnormen (IPR-Neuregelung 1986: vgl Art. 220 Abs. 3) oder bei Änderung der gesamten Rechtsordnung (Beitritt der DDR: vgl Art. 234 § 4).
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b) Verweist deutsches Recht im Wege der Gesamtverweisung in eine fremde Rechtsordnung, die gespalten anknüpft, so ist bei der Prüfung des renvoi auch einer gespaltenen Verweisung zu folgen.
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aa) Die Kriterien der Spaltung bestimmt grundsätzlich das fremde IPR; wenn zB das verwiesene IPR bewegliches und unbewegliches Vermögen in unterschiedlicher Weise anknüpft, so überlassen wir dem fremden IPR auch die Entscheidung, welche Gegenstände „beweglich“ und welche „unbeweglich“ sind. Für diese Unterscheidung kann es aber auch zur Rück- oder Weiterverweisung kommen, wenn das fremde IPR die Qualifikation als beweglich oder unbeweglich der lex situs überlässt (sog Qualifikationsverweisung).
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In Fällen der gespaltenen Anknüpfung von Immobilien nach der lex situs ist die Qualifikationsverweisung häufig; sie entspricht der Grundidee solcher gespaltenen Verweisungen, es dem Recht der Belegenheit einer Immobilie zu überlassen, wie diese in allen Rechtsverhältnissen (also nicht nur sachenrechtlich, sondern auch erb- und ehegüterrechtlich) behandelt wird; denn der Belegenheitsstaat kann als einziger auf die Immobilie hoheitlichen Einfluss nehmen. Dann aber ist es konsequent, das Belegenheitsrecht auch darüber entscheiden zu lassen, welche Gegenstände es als unbeweglich ansieht und daher eventuell hoheitlich beansprucht.[70]
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bb) Gespaltene Rück- oder Weiterverweisung führt im Ergebnis zu einer gespaltenen Rechtsanwendung; ausgehend von dem gespaltenen IPR wird jede Verweisung eigenständig behandelt und als Rückverweisung angenommen, als Weiterverweisung abgebrochen usw.
Ein US-Staatsangehöriger verstirbt 2014 mit letztem domicile in New York und hinterlässt beweglichen Nachlass sowie Grundstücke in Italien und Deutschland. Das IPR von New York (zur Unteranknüpfung unten Rn 391 ff) nimmt die Verweisung hinsichtlich des personal property an. Es verweist hinsichtlich des deutschen Grundstücks auf deutsches Recht zurück, so dass nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 deutsches Erbrecht anzuwenden ist. Die Weiterverweisung in italienisches Recht ist – aus Sicht des IPR von New York, das insoweit wohl nicht der foreign court theory folgt (Rn 357) – Sachnormverweisung in das materielle italienische Erbrecht. Da die USA ein Drittstaat sind und Italien sowie Deutschland Mitgliedstaaten, ändert sich hieran nichts unter Geltung der EU-ErbVO: Die Verweisung führt nach Art. 21 Abs. 1 unmittelbar (Art. 36 Abs. 2 lit. a EU-ErbVO) in das Recht von New York. Nach Art. 34 Abs. 1 lit. a ist die Rückverweisung auf italienisches und deutsches Recht beachtlich und auch im italienischen Recht endend, nun ungeachtet der Frage, ob die Verweisung des Rechts von New Yok Gesamtverweisung oder Sachnormverweisung ist.
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c) Verweist das deutsche IPR mittels Gesamtverweisung mit einer unwandelbaren Anknüpfung auf eine Rechtsordnung, die den Gegenstand wandelbar anknüpft, so wird auch die wandelbare Anknüpfung des fremden Kollisionsrechts in die Bestimmung des anzuwendenden Rechts einbezogen.[71] Es wird auch dem fremden Kollisionsrecht überlassen, in welcher Weise intertemporal verschiedene Rechtsordnungen aufeinanderfolgen und wie sie abgegrenzt werden.[72] Die Verweisung führt also in das fremde Recht im gegenwärtigen Zustand und dieses entscheidet, ob es auf einen früheren Anknüpfungszeitpunkt abstellt.
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Ehegatten, von denen einer deutscher, der andere schweizerischer Staatsangehöriger ist, leben bei Eheschließung in der Schweiz. 5 Jahre später, am 1.1.1997, verlegen sie gemeinsam ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland. Für die Bestimmung des Ehegüterstatuts verweist Art. 15 Abs. 1 iVm Art. 14 Abs. 1 unwandelbar in das schweizerische Recht (Gesamtverweisung); das schweizerische IPR knüpft – abgesehen von Klagen schweizerischer Staatsangehöriger in der Schweiz – das Güterstatut an den jeweiligen gemeinsamen Wohnsitz an. Bis zum 31.12.1996 nimmt das schweizerische Recht daher die Verweisung an; ab dem 1.1.1997 verweist es zurück auf deutsches Recht. Da gesetzlicher Güterstand im schweizerischen ZGB die Gütertrennung ist, muss die – wirtschaftlich sehr bedeutsame – Frage geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt die Zugewinngemeinschaft des BGB einsetzt. Das hängt davon ab, ob das schweizerische IPR, das für die intertemporale Spaltung des Güterstandes verantwortlich ist, den Statutenwechsel mit Rückwirkung eintreten lässt oder ex nunc.
Ehegatten haben 1979 in der damaligen russischen Sowjetrepublik als Staatsbürger der UdSSR die Ehe geschlossen und sind 1994 als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, wo sie 1996 eingebürgert wurden. Stirbt der Ehemann, so muss bei gesetzlicher Erbfolge wegen § 1371 Abs. 1 BGB das Ehegüterstatut bestimmt werden (dazu Rn 485). Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr 1 verweist auf die gemeinsame sowjetische Staatsangehörigkeit bei Eheschließung. Russisches IPR (als hier relevanter Nachfolgestaat der UdSSR) knüpft das Ehegüterstatut wandelbar an den Wohnsitz an, so dass es zur Rückverweisung auf deutsches Recht (Rn 348) als Wohnsitzrecht bei Tod des Ehemannes kommt.[73]
2. Versteckte Rückverweisung
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a) Die Lehre von der Gesamtverweisung geht davon aus, dass jeder Staat ein IPR hat, auch wenn dieses IPR nicht kodifiziert sein muss. Diese Annahme ist nur insoweit richtig, als sich in jeder Rechtsordnung – aus Sicht des deutschen Verständnisses von IPR – abstrakt die Frage stellen lässt, welches Recht auf einen bestimmten Sachverhalt mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Soweit solche Fälle entschieden werden, wendet das ausländische Gericht aus deutscher Sicht „Kollisionsnormen“ an. Dabei braucht sich das fremde Gericht allerdings nicht bewusst zu sein, dass es „IPR“ anwendet. Zahlreiche Staaten wenden in bestimmten Sachverhalten immer das eigene materielle Recht an, ohne dass dies auf einem kollisionsrechtlichen Prüfungsschritt beruht. Das eigene Recht wird vielmehr als das am Gerichtsort geltende Recht (lex fori) angewendet; entscheidend ist damit die Zuständigkeit des Gerichts.
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Verweist das deutsche IPR im Wege der Gesamtverweisung auf eine solche Rechtsordnung, so muss ein solches nicht bewusst kollisionsrechtliches Verhalten als Kollisionsnorm interpretiert werden. Die heute herrschende Theorie der versteckten Rückverweisung argumentiert ausgehend von einer Hypothese: Hält die verwiesene Rechtsordnung die Anwendung der lex fori für angemessen, so würde sie auch die Anwendung der lex fori durch deutsche Gerichte oder die Gerichte eines dritten Staates für angemessen halten, wenn diese Gerichte zuständig sind. Als Kollisionsnorm interpretiert bedeutet das: Diese Rechtsordnung verweist auf das Recht des Staates, der nach ihren Vorstellungen zuständig ist. Die Kollisionsnorm versteckt sich also in der Zuständigkeitsnorm des verwiesenen Rechts. Versteckte Rückverweisung liegt vor, wenn es aufgrund einer solchen versteckten Kollisionsnorm zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht kommt.
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Häufigster Anwendungsfall war vor Inkrafttreten der Rom III-VO die Verweisung in das Recht eines US-Bundestaats für das Scheidungsstatut: US-amerikanische Gerichte wenden in Scheidungssachen immer die lex fori an. Im Prinzip besteht eine Zuständigkeit (jurisdiction) aus US-amerikanischer Sicht in dem Staat, wo die Ehegatten ihr domicile haben, wobei der Begriff des domicile für diesen Zweck zunehmend auf einen von Staat zu Staat unterschiedlich langen (häufig 6 Monate), nicht der Zuständigkeitserschleichung dienenden Aufenthalt (bona fide residence) reduziert wird. Hatte ein deutsches Gericht in einem vor dem 21.6.2012 eingeleiteten Verfahren über die Scheidung der Ehe zweier US-Staatsangehöriger zu entscheiden, die sich in Deutschland dauerhaft niedergelassen haben, so verwies Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 1 in das gemeinsame Heimatrecht. Wendet man die jurisdiktionelle Regel an, so sind zur Entscheidung des Falles aus Sicht amerikanischer Gerichte die deutschen Gerichte zuständig, denn hier haben die Ehegatten ihr domicile. Die Theorie der versteckten Rückverweisung interpretiert das als Verweisung auf deutsches Recht. Zu beachten ist aber: Deutsche Gerichte bestimmen natürlich ihre internationale Zuständigkeit nicht nach den jurisdiktionellen Normen des US-Rechts, sondern nach eigenem Recht (Brüssel IIa-VO bzw § 98 FamFG). Sie müssen aber die Feststellung einer versteckten Rückverweisung am amerikanischen – und nicht am deutschen – Zuständigkeitsrecht orientieren. Unter Geltung von Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO spielt die versteckte Rückverweisung keine Rolle mehr, weil diese Kollisionsnormen keine Gesamtverweisung aussprechen.
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b) Weniger überzeugend und daher strittig wird die versteckte Rückverweisung, wenn deutsche Gerichte aus der Sicht des fremden Staates nicht ausschließlich zuständig sind. Die der versteckten Kollisionsnorm zugrunde liegende Hypothese stößt hier an eine verfahrensrechtlich bedingte Grenze: Zwar wird das fremde Recht es auch akzeptieren, wenn zwei andere Staaten zuständig sind und, falls die Sache dort anhängig wird, jeweils ihr Recht anwenden würden. Das führt aber aus Sicht des deutschen Gerichts nicht mehr zwingend zu einer versteckten Kollisionsnorm, die eindeutig eine Rechtsordnung bezeichnen müsste. Zuständigkeit – aus Sicht des fremden Rechts – kann bei mehreren Gerichten bestehen. Anwendbares Recht kann vor dem aus seiner Sicht zuständigen deutschen Gericht immer eine und nur eine Rechtsordnung sein. Die hM nimmt eine versteckte Rückverweisung auch in diesem Fall an, wenn das fremde Recht deutsche Gerichte auch nur für konkurrierend zuständig hält, selbst dann, wenn das verwiesene Recht die eigenen Gerichte neben den deutschen Gerichten für zuständig hielte.[74] Die Gegenansicht[75] nimmt ein Scheitern der Gesamtverweisung mangels Ermittelbarkeit einer eindeutigen Kollisionsnorm aus mehreren Zuständigkeiten an und behandelt in diesem Fall die deutsche Verweisung als Sachnormverweisung. Für die hM spricht, dass der Verweisungsgehalt der Zuständigkeitsnorm auf die Regel konzentriert werden kann: „Ein zuständiges Gericht wendet in solchen Fällen sein eigenes Recht an, wenn der Fall dort anhängig wird.“ Das kann man als eine bedingt alternative Verweisung verstehen, die daraus entsteht, dass die nach einer Rückverweisung gefragte Rechtsordnung es toleriert, wenn das deutsche Gericht deutsches Recht anwendet. Bedingung der Verweisung ist die Anhängigkeit, verwiesen wird auf die jeweils durch Anhängigkeit aktualisierte lex fori.
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Seit den 1960er Jahren haben US-amerikanische Bundesstaaten zunehmend die Zuständigkeitsregeln für Scheidungsverfahren gelockert; häufig genügt eine bona fide residence über einen bestimmten Zeitraum. Vor allem aber teilt nicht mehr wie nach ursprünglichem Common Law die Ehefrau das domicile des Ehemannes als matrimonial domicile. Daher können getrennt lebende Ehegatte verschiedene Domizile haben.
Eine Deutsche stellte vor dem 21.6.2012[76] vor deutschen Gerichten Scheidungsantrag gegen ihren Ehemann, der US-Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Texas ist, wo die Ehegatten bis zur Trennung gelebt haben. Die Antragstellerin ist vor einem Jahr nach Deutschland zurückgekehrt, um hier zu bleiben. Art. 17 Abs. 1 aF iVm Art. 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 2 verweist auf das Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes, also auf texanisches Recht. Das texanische Familienverfahrensrecht macht die Zuständigkeit von einem sechsmonatigen domicile einer Partei abhängig; es wären also aus texanischer Sicht texanische Gerichte zuständig, aber auch deutsche Gerichte. Die hM nimmt auch hier eine Rückverweisung auf deutsches Recht an.
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c) Eine versteckte Weiterverweisung kommt dagegen nicht in Betracht: Hält das verwiesene Recht deutsche Gerichte überhaupt nicht für zuständig, so kann die als Kollisionsnorm interpretierte Regel, dass ein zuständiges Gericht sein Recht anwendet, nicht helfen. In diesem Fall muss die deutsche Verweisung als Sachnormverweisung verstanden werden.
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Wie im Fall Rn 388, die Ehefrau hat sich mehr als 3 Monate vor Antragstellung in Österreich niedergelassen. Da alleine die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau nach § 98 Abs. 1 Nr 1 FamFG die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet (die Brüssel IIa-VO begründet keine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat, so dass nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIa-VO auf deutsches Recht zurückgegriffen werden darf), kommt auch hier ein Scheidungsantrag vor deutschen Gerichten in Betracht. Wieder verweist Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 2 in das texanische Recht. Aus texanischer Sicht sind aber nur texanische oder österreichische Gerichte zuständig. Dies kann nicht als Verweisung interpretiert werden. Es ist daher texanisches Scheidungsrecht anzuwenden, die Verweisung ist wegen Scheiterns der Gesamtverweisung als Sachnormverweisung zu verstehen.
Literatur:
Staudinger/Hausmann (2013) Art. 4 EGBGB Rn 87-117.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 3 Verweisung › C. Unteranknüpfung bei Mehrrechtssystemen
I. Gesamtverweisung auf Mehrrechtsstaat
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Zahlreiche Staaten haben kein einheitliches, sondern ein gespaltenes Rechtssystem. Häufigste Typen sind die territoriale (Rn 9 ff) und die personale (nach Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, Rn 14 ff) Rechtsspaltung. Diese Spaltung kann entweder nur im Privatrecht oder in Teilen des Privatrechts (zB Familien- und Erbrecht) bestehen; sie kann sich aber auch auf das IPR erstrecken. Daher sind verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden, je nachdem, ob der ausländische Staat ein einheitliches internationales und/oder internes Kollisionsrecht besitzt. Hinzu kommen Sonderfälle, in denen das deutsche IPR am fremden Kollisionsrecht vorbei die Teilrechtsordnung selbst aussucht.
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Für alle Gestaltungen gilt der Grundsatz, dass eine Unteranknüpfung immer nur eine Teilrechtsordnung innerhalb des Mehrrechtsstaates auswählen kann; aus diesem Staat heraus führt nur eine Rück- oder Weiterverweisung durch dessen IPR.
1. Einheitliches IPR und einheitliches internes Kollisionsrecht
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a) Ist nur das materielle Recht gespalten, so führt die Gesamtverweisung in ein nicht gespaltenes IPR. Nimmt dieses die Gesamtverweisung an, so muss eine Auswahl unter den verschiedenen in diesem Staat bestehenden materiellen Rechtsordnungen getroffen werden.
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b) Art. 4 Abs. 3 S. 1 überlässt diese Auswahl dem internen Kollisionsrecht (interlokal oder interpersonal) jenes Staates. Gibt es ein solches internes Kollisionsrecht – das nicht kodifiziert zu sein braucht, aber als Recht des Gesamtstaates bestehen muss und nicht nur als in allen Teilstaaten ähnliches Recht –, so folgt das deutsche Recht dessen Unteranknüpfung. Das ist sinnvoll, da die Gesamtverweisung die Frage bereits an das fremde Kollisionsrecht abgegeben hat.
In Bosnien und Herzegowina gilt derzeit noch (Rn 39) das IPRG sowie das ILRG der SFR Jugoslawien fort. Verstarb ein Bosnien-Herzegowiner 2014 und soll ein deutsches Nachlassgericht einen Erbschein erteilen, so verweist Art. 25 Abs. 1 aF als Gesamtverweisung auf bosnisch-herzegowinisches Recht. Art. 30 Abs. 1 IPRG (als BuH-Recht) knüpft ebenso an, nimmt also die Verweisung an. Art. 3, 34 ILRG verweisen – mangels eines Wohnsitzes in Bosnien und Herzegowina – auf das Recht des Teilstaates, dem der Erblasser angehörte. In Betracht kommen die drei im Zuge des Friedensabkommens von Dayton entstandenen Teilrechtsordnungen: Föderation Bosnien und Herzegowina, Republika Srpska, Distrikt Brèko.[77]
2. Gespaltenes IPR und gespaltenes internes Kollisionsrecht