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Internationales Privatrecht
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Unerlaubte Handlungen werden zwar noch grundsätzlich nach dem Recht des Tatortes (lex loci delicti commissi, lat: Recht des Ortes des begangenen Delikts) beurteilt; ausgehend vom praktisch wohl häufigsten Bereich der Verkehrsunfälle kommen aber auch andere, sachnähere Anknüpfungen in Betracht (Art. 41; Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO).
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Die gewillkürte Stellvertretung (Vollmacht) wird an das Recht des Ortes angeknüpft, wo der Stellvertreter von der Vollmacht Gebrauch macht. Juristische Personen werden nach dem Recht ihres tatsächlichen Sitzes behandelt, was eine Anknüpfung an den Ort bedeutet, wo die Hauptverwaltung der Gesellschaft handelt. Im Verfahrensrecht bestimmt der Gerichtsort das anwendbare Verfahrensrecht (lex fori, lat.: Recht des Gerichts).
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Die Interessen, die zu einer Anknüpfung an Handlungsorte führen, sind unterschiedlich. Zum Teil geht es darum, die Beteiligten zu schützen, die am Ort des Geschehens Rechtsrat eingeholt haben und die kollisionsrechtliche Komponente des Falles nicht erkennen (typischerweise bei der Ortsform, welche die Wirksamkeit sicherstellen soll). Teils geht es um den Schutz des Vertrauens Dritter (zB Vollmachtsstatut und Gesellschaftsstatut). Eine echte Schwerpunktsuche führt dagegen beim Deliktsstatut zum Tatort und begründet andererseits in vielen Fällen die Abkehr von der Ortsanknüpfung: Die dort geltenden Sorgfaltsanforderungen kennzeichnen nur dann die engste Verbindung der Deliktsparteien, wenn sich diese dort zufällig deliktisch begegnen und keine andere wesentlich engere gemeinsame Bindung haben.
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c) Der Belegenheitsort (lex rei sitae, lat.: Recht der belegenen Sache, bzw lex situs, lat.: Recht der Belegenheit) von beweglichen und unbeweglichen Sachen ist maßgeblich für die daran bestehenden dinglichen Rechte im Sachenrecht.
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d) Die engste Verbindung nimmt unter den Anknüpfungskriterien eine Sonderstellung ein; sie ist kein determiniertes Anknüpfungskriterium, sondern erfordert eine generalklauselartige Gesamtschau von Einzelkriterien, die jeweils für sich genommen nicht gewichtig genug sind, um Anknüpfungskriterium zu sein. Zugleich steht die „engste Verbindung“ dem Savigny’schen Ansatz am nächsten, denn sie verlangt vom Richter im Einzelfall die Lokalisierung des Rechtsverhältnisses. Welche Einzelfaktoren in die Bewertung einfließen, hängt jeweils stark vom Gegenstand der Anknüpfung ab.
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Die engste Verbindung als subsidiäres Anknüpfungskriterium letzter Stufe im internationalen Eherecht (Art. 14 Abs. 1 Nr 3, sowie durch Verweisung aus Art. 15 Abs. 1) bezieht sich vor allem auf gemeinsame soziale Bindungen.
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Im internationalen Schuldvertragsrecht war die engste Verbindung des Vertrages bei Fehlen einer Rechtswahl nach dem EVÜ das theoretisch einheitliche objektive Anknüpfungskriterium, das jedoch durch Vermutungen konkretisiert wurde, die sich vorrangig an der räumlichen Lokalisierung der Leistungserbringung orientierten. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO nennt die engste Verbindung nur als subsidiäres Kriterium und stellt die bisherigen Vermutungen als objektive Kriterien voran (Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO), deren Indizfunktion aber widerlegbar bleibt (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO). Dieser Wandel im theoretischen Ansatz, der sich kaum praktisch auswirkt, zeigt augenfällig die der Anknüpfung eigene Spannung zwischen Objektivierung und Einzelfallangemessenheit.
III. Kombination von Anknüpfungskriterien
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Mehrfache Anknüpfung durch Kombinationen von Anknüpfungskriterien in der Anknüpfungsnorm für dasselbe Rechtsverhältnis kommen in unterschiedlichen Techniken vor und haben jeweils unterschiedliche Zielsetzungen.
1. Subsidiäre Anknüpfung, Anknüpfungsleitern oder -kaskaden
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a) Subsidiäre Anknüpfung bedeutet die Reihung mehrerer Anknüpfungskriterien (die zu verschiedenen Rechtsordnungen führen können) in der Weise, dass das jeweils nächstfolgende Kriterium nur maßgeblich wird, wenn die Voraussetzungen des vorangehenden Kriteriums nicht erfüllt sind. Sie wird dann erforderlich, wenn der Gesetzgeber in erster Stufe ein Anknüpfungskriterium wählt, das nicht in allen in Betracht kommenden Fallgestaltungen vorliegen muss. Hierdurch entstehen Anknüpfungsleitern, die Stufe um Stufe von einem Hauptanknüpfungskriterium zu hilfsweisen und äußerst hilfsweisen Kriterien führen.
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b) Der im deutschen IPR wichtigste Fall, die eherechtliche Anknüpfungsleiter, ist im Zuge der Berücksichtigung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im IPR entstanden. Das vor dem 1.9.1986 geltende EGBGB stellte (verfassungswidrig) auf die Staatsangehörigkeit des Mannes ab; damit stellten sich keine anderen Anknüpfungsprobleme als im Personalstatut eines einzelnen Anknüpfungssubjekts, wo nur bei Staatenlosen eine Hilfsanknüpfung erforderlich ist (vgl Rn 236 ff). Auch die objektive Anknüpfung der Rom III-VO sieht für das Scheidungsstatut eine Anknüpfungsleiter vor, die jedoch von der des Art. 17 Abs. 1 S. 1 aF iVm Art. 14 deutlich abweicht.
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aa) Mit dem Wechsel zur gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten als Hauptanknüpfungskriterium (Art. 14 Abs. 1 Nr 1 mit Verweisungen aus Art. 15 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 19 Abs. 1 S. 2 und Art. 22 Abs. 1 S. 2) entstanden zahlreiche Fälle, in denen das Kriterium versagte, weil die Ehegatten Angehörige verschiedener Staaten waren. Eine Kumulierung der beiden Heimatrechtsordnungen schied aus, da aus unterschiedlichen oder widersprechenden familienrechtlichen Regelungen (zB Gütergemeinschaft und Gütertrennung) auch im Weg der Kumulierung (Rn 330 ff) kein „gemeinsames“ Recht geschaffen werden kann.
Die vier abgestuften subsidiären Anknüpfungen (aktuelle/letzte gemeinsame Staatsangehörigkeit, derzeitiger/letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt/gemeinsame engste Verbindung) führen wieder formal zu einer alle Fälle erfassenden[59] Anknüpfungsleiter („Kegelʼsche Leiter“). Allerdings verursacht die Bestimmung einer engsten Verbindung große Probleme, weil diese Stufe der Leiter erst erreicht wird, wenn die Ehegatten immer verschiedenen Staaten angehörten und noch nie einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.
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bb) Diese Leiter wird in einzelnen Bereichen des internationalen Familienrechts durch die Zulassung einer Rechtswahl überlagert. Je nachdem, ob die Rechtswahl immer zulässig ist oder ob sie auf bestimmte Fallsituationen (nicht wählbare Rechtsordnungen, vgl Rn 293 ff) beschränkt wird, wird sie entweder zur obersten Stufe der Anknüpfungsleiter oder zu einer Zwischenstufe.
Im Ehegüterstatut geht die von Art. 15 Abs. 2 zugelassene Rechtswahl – zugunsten eines nicht effektiven Heimatrechts oder eines Aufenthaltsrechts – sogar einer aktuell bestehenden gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr 1) vor, ist also oberste Stufe einer erweiterten Leiter. Im Ehewirkungsstatut tritt die von Art. 14 Abs. 2 zugelassene Rechtswahl hinter die gemeinsame Staatsangehörigkeit, weil die Wahl eines nicht den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 entsprechenden gemeinsamen Heimatrechts nur erlaubt ist, wenn die Ehegatten keine gemeinsame, Art. 5 Abs. 1 genügende Staatsangehörigkeit haben.
Weiter geht die Zulassung der Rechtswahl in der Rom III-VO. Dass sie dort formal auf erster Stufe der Anknüpfung erscheint (Art. 5 Rom III-VO), hat allerdings nur rechtspolitische Bedeutung, denn Rechtswahl, soweit sie zugelassen ist, verdrängt immer die objektive Anknüpfung, auch wenn sie systematisch an zweiter Stelle steht. Das gilt auch für Art. 22 EU-EheGüterVO, dessen Reichweite der des Art. 15 Abs. 2 ähnlich ist, der aber formal vor der objektiven Anknüpfung (Art. 26) rangiert.
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cc) Zweck einer Anknüpfungsleiter ist es, subsidiäre Anknüpfungskriterien zur Verfügung zu stellen für Fälle, in denen die Hauptanknüpfung versagen würde. Jede einzelne Stufe einer Anknüpfungsleiter bringt aber wiederum Interessenabwägungen und Gerechtigkeitsvorstellungen zum Ausdruck; es geht nicht darum, irgendeine nächste Stufe, sondern die geeignetste nächste Stufe zu bestimmen. Die Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 1 macht insbesondere deutlich, dass auch das IPR-Neuregelungsgesetz des Jahres 1986 der Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium besonderes Gewicht beimisst.
Das kommt nicht nur in der Einordnung einer früheren gemeinsamen Staatsangehörigkeit als über dem gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt stehend zum Ausdruck; Art. 14 Abs. 3 sichert sogar durch Zulassung einer – im Ehewirkungsrecht als problematisch empfundenen und rechtsvergleichend kaum bekannten – Rechtswahl in besonderen Fällen das Staatsangehörigkeitsprinzip als vorrangiges Anknüpfungsmoment, wenn der gewöhnliche Aufenthalt ungeeignet oder eher zufällig erscheint.
2. Alternative Anknüpfung
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a) Alternative Anknüpfung bedeutet die Bereitstellung mehrerer auf gleicher Stufe stehender Anknüpfungskriterien, unter denen das Gesetz keinen Vorrang bestimmt. Die berufenen Rechtsordnungen kommen wahlweise zur Anwendung, auch wenn die Anknüpfungskriterien für mehrere Alternativen erfüllt sind.
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aa) Diese Regelungsmethode wird eingesetzt, um ein materielles Ergebnis zu begünstigen, das abstrakt wünschenswert erscheint. Damit nehmen Wertungen des materiellen Rechts Einfluss auf das IPR. Die Kollisionsnorm schafft aber nicht das erwünschte Ergebnis; sie erleichtert nur sein Zustandekommen, indem sie unterschiedliche Rechtsordnungen zur Verfügung stellt. Genügt der Tatbestand auch nur den Voraussetzungen einer dieser Rechtsordnungen, so soll das Rechtsverhältnis wirksam sein.
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bb) Alternative Anknüpfungen enthalten
– Art. 11 Abs. 1; Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO: Die Formwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts wird begünstigt durch wahlweise Anknüpfung an das Recht des Abschlussortes oder das Recht des Geschäftsinhalts.319
– Art. 1 Haager Testamentsformübereinkommen: Die Formwirksamkeit eines Testaments wird durch zahlreiche alternative Anknüpfungen begünstigt.
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– im internationalen Deliktsrecht wird bei sog „Distanzdelikten“ (Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort) der Geschädigte im Anwendungsbereich von Art. 40 begünstigt durch ein Bestimmungsrecht; er kann statt der Anknüpfung an das Recht am Ort der schädigenden Handlung das Recht am Ort des Eintritts des schädigenden Erfolgs zur Anwendung bringen (Art. 40 Abs. 1 S. 2, 3); vor 1999 handelte es sich um eine von Amts wegen auszuwählende alternative Anknüpfung. In Art. 4 Rom II-VO, der an den Erfolgsort anknüpft, ist ein Günstigkeitsprinzip nach Wahl des Geschädigten oder des Gerichts hingegen nicht mehr vorgesehen.321
b) Ein Sonderfall ist die alternative Zusatzanknüpfung.
aa) Tritt die gewünschte Rechtsfolge nicht nach dem primär anwendbaren Recht ein, so ist eine weitere Rechtsordnung berufen, die zur Wirksamkeit führen kann. Im Gegensatz zur alternativen Anknüpfung ist hier fraglich, ob die Anknüpfung erster Stufe erfolglos geprüft werden muss, um das in zweiter Stufe berufene Recht anwenden zu können. Häufig kann dies verneint werden: Wenn die Kollisionsnorm ein rechtliches Ergebnis anstrebt, kann dieses Ergebnis auch nach einer nur subsidiär-alternativ formulierten Zusatzanknüpfung festgestellt werden. Das gilt nicht, wenn das IPR an die Feststellung bzw Gestaltung eines Rechtsverhältnisses nach einer Rechtsordnung auch weitere Rechtsfolgen nach dieser Rechtsordnung knüpft (zB Art. 17 Abs. 1 S. 1 und S. 2 aF: der Scheidungsausspruch nach einem Recht bestimmt auch Scheidungsfolgen nach diesem Recht, so dass die vorgegebene Reihenfolge gewahrt werden muss).
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Von der subsidiären Anknüpfung (Rn 311 ff) unterscheidet sich diese Technik dadurch, dass die Subsidiarität nicht auf der Tatbestandsseite, sondern auf der Rechtsfolgenseite der Kollisionsnorm besteht: Subsidiäre Anknüpfungen greifen ein, wenn ein Anknüpfungsmerkmal nicht gegeben ist; alternative Zusatzanknüpfungen greifen ein, wenn ein berufenes Recht nicht zu dem gewünschten Erfolg führt.
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bb) Alternative Zusatzanknüpfungen finden sich vor allem im Kindschaftsrecht:
– Art. 19 Abs. 1 S. 1 unterstellt die Abstammung eines Kindes primär dem Recht an dessen gewöhnlichem Aufenthalt; Art. 19 Abs. 1 S. 2 erlaubt auch die Bestimmung nach dem Heimatrecht des jeweiligen Elternteils, Art. 19 Abs. 1 S. 3 nach dem Ehewirkungsstatut der Mutter, wenn diese verheiratet ist (vgl dazu auch Rn 326 ff: bedingte alternative Anknüpfung). Begünstigt wird die Feststellung der Eltern-Kind-Beziehung als solche, dh das Ergebnis ist die Abstammung oder die Nicht-Abstammung. Die Rechtsfolgen aus dieser Beziehung sind unabhängig (Art. 21: immer nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt) von der Rechtsordnung, nach der die Beziehung begründet wurde. Deshalb kann, wie schon unter dem bis 30.6.1998 geltenden Recht, die Zusatzanknüpfung sogleich geprüft werden, ohne dass die Primäranknüpfung versagt hat.324
– Art. 20 S. 1 unterstellt die Anfechtung der Abstammung primär dem Recht, nach dem die Abstammung besteht; mit der alternativen Zusatzanknüpfung an das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 20 S. 2) wird die Abstammungswahrheit begünstigt. Man könnte nun denken, dass wegen der Primäranknüpfung an das Feststellungsstatut die Reihenfolge der in Art. 19 Abs. 1 berufenen Rechte doch eine Bedeutung erlangt; das trifft aber nicht zu, weil Art. 20 seinerseits keine Reihung vorsieht, sondern eine Anfechtung der Abstammung „in jedem Fall“ nach dem Recht des Aufenthaltsstaates erlaubt, also auch dann, wenn bei der Feststellung der Abstammung diese Anknüpfung „übergangen“ wurde.325
– Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 4 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007 berufen zum Zweck der Begünstigung bestimmter Unterhaltsbedürftiger (Art. 4 Abs. 1 HUntStProt 2007) nacheinander das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsgläubigers, die lex fori und das gemeinsame Heimatrecht. Diese alternativen Zusatzanknüpfungen stehen aber in einem echten Subsidiaritätsverhältnis; mit der Auswahl des Unterhaltsstatuts sind nämlich immer weitere Rechtsfolgen, insbesondere die Bemessung des Unterhalts, verbunden.326
c) Alternative Anknüpfungen können auch mit Bedingungen versehen sein. In diesem Fall kann die angestrebte Begünstigung durch alternative Anwendung einer weiteren Rechtsordnung nur dann eintreten, wenn das Rechtsverhältnis einen besonderen Bezug zu dieser weiteren Rechtsordnung hat.
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– Art. 13 Abs. 1 unterstellt die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung dem Heimatrecht jedes der Verlobten; Art. 13 Abs. 2 begünstigt die Eheschließungsfreiheit durch eine alternative Anknüpfung an deutsches Recht, falls eine Voraussetzung nach einem Heimatrecht fehlt. Diese alternative Anknüpfung greift aber nur unter den drei in Abs. 2 genannten Bedingungen.328
– Art. 10 Rom III-VO begünstigt die Ehescheidungsfreiheit und die Gleichberechtigung im Zugang zur Ehescheidung durch Anwendung der lex fori, falls das reguläre Scheidungsstatut der Art. 5 und 8 Rom III-VO die Scheidung nicht vorsieht oder einem der Ehegatten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung gewährt. Da sich einzelne Scheidungsfolgen (Unterhalt eingeschränkt nach Art. 5, 8 Abs. 1 lit. d HUntStProt 2007; Versorgungsausgleich nach Art. 17 Abs. 3 S. 1) nach dem Scheidungsstatut bestimmen, ist diese bedingte alternative Anknüpfung subsidiär zu handhaben; es kann also nicht dahinstehen, nach welchem Recht eine Ehe geschieden wird.329
Davon zu unterscheiden sind reine Rechtsbedingungen.
– zB Art. 19 Abs. 1 S. 3, Rn 323: an ein Ehewirkungsstatut der Mutter kann nur angeknüpft werden, wenn die Mutter verheiratet ist.3. Kumulative Anknüpfung
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a) Kumulative Anknüpfung bedeutet Häufung von Anknüpfungskriterien.
aa) Dies kann in der Weise erfolgen, dass jedes Anknüpfungskriterium zu einer Rechtsordnung weist, was zur Anwendung mehrerer Rechtsordnungen zugleich im selben Fall führt (Kumulation von anwendbaren Rechten).
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bb) Zweck der Kumulation von Rechten ist es, für das Zustandekommen eines Rechtsverhältnisses die Voraussetzungen jeder der beteiligten Rechtsordnungen zu wahren. Dieser Anknüpfungstypus verfolgt also einen zur alternativen Anknüpfung gegenläufigen Zweck: Es soll nicht das Zustandekommen möglichst begünstigt werden; das Rechtsverhältnis soll vielmehr aus der Sicht aller beteiligten Rechtsordnungen wirksam sein oder sonst besser nicht zustande kommen. Kumulative Anknüpfung beugt – in der Entstehung angewendet – „hinkenden Rechtsverhältnissen“ (hier wirksam, dort unwirksam) vor, führt dadurch aber auch zur Versagung von Ansprüchen oder zur Unwirksamkeit von Rechtsverhältnissen, wo solche nach einem der betroffenen Rechte durchaus bestehen würden. Teilweise wird eine Kumulation auch eingesetzt, um schutzwürdigen Beteiligten die Berufung auf ein ihnen nahestehendes Recht zu ermöglichen.
Die kumulative Anwendung der beiden Heimatrechte der Nupturienten auf die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung (Art. 13 Abs. 1) verhindert eine Eheschließung in Deutschland, wenn auch nur nach einem Heimatrecht eine Eheschließungsvoraussetzung fehlt. Wurde die Ehe im Ausland geschlossen, so schließt sich eine kumulative Anknüpfung der Heimatrechtsordnung an, welche die Ehe als mangelhaft ansieht; nachträglich kann ein „Hinken“ nicht vermieden werden, es muss aus Sicht des deutschen IPR entschieden werden, welcher Beurteilung man sich anschließt.
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Wenn eine kumulativ berufene Rechtsordnung Voraussetzungen für ein Rechtsverhältnis normiert, bestimmt sie auch über die Folgen des Fehlens von Voraussetzungen. Leidet das Rechtsverhältnis in mehreren beteiligten Rechtsordnungen an demselben Mangel, so können dennoch unterschiedliche Mangelfolgen angeordnet sein. Widersprechen sich diese Mangelfolgen, so können sie nicht zugleich eingreifen. Es ist dann zu entscheiden, ob die dem Rechtsgeschäft am stärksten entgegenstehende Mangelfolge Anwendung findet (Anwendung des ärgeren Rechts) oder die dem Rechtsgeschäft am wenigsten schädliche (Anwendung des milderen Rechts). Da grundsätzlich die Kumulation von Rechten die Wirksamkeit in allen beteiligten Rechtsordnungen anstrebt und die Wirksamkeit versagt, wenn auch nur eine der Rechtsordnungen dies tut, kommt es regelmäßig zur Anwendung des „ärgeren“ Rechts, das die härteste Mangelfolge vorsieht.
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cc) Kumulation von Rechten findet sich im deutschen IPR:
– in Art. 13 Abs. 1: Eine Ehe kann nur geschlossen werden bzw eine geschlossene Ehe ist nur wirksam, wenn die materiellen Voraussetzungen nach dem Heimatrecht des Mannes und der Frau erfüllt sind. Art. 13 Abs. 1 ist auch ein klassisches Beispiel für die Anwendung des ärgeren Rechts: Leidet die Ehe aus Sicht der beiden kumulierten Rechtsordnungen unter demselben Mangel, so bestimmt das ärgere Recht die Mangelfolge, zB Heirat einer bereits verheirateten muslimischen Iranerin mit einem Deutschen; nach islamischem Recht (Heimatrecht der Frau) ist die zweite Ehe einer Frau zu Lebzeiten des ersten Mannes von Anfang an nichtig; nach deutschem Recht (Heimatrecht des Mannes) ist die Ehe mit einem bereits verheirateten Ehegatten nur auf Antrag durch das Familiengericht aufhebbar (§ 1314 Abs. 1 BGB). Das iranisch-muslimische Recht bestimmt in diesem Fall als das „ärgere“ Recht die Rechtsfolge: Nichtigkeit.334
– Art. 23 verlangt für eine Abstammungserklärung, Adoption oder Namenserteilung zusätzlich zu den nach dem jeweiligen Statut (Art. 10, 19, 22) erforderlichen Zustimmungen die Zustimmung der nach dem Heimatrecht des Kindes Zustimmungsberechtigten. Für jede Zustimmung beurteilt sich die Folge ihres Fehlens nach dem Recht, das die Zustimmung erforderlich macht, ggf nach dem ärgsten Recht.
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Nur für Einzelfragen des jeweiligen Statuts sehen einige Kollisionsnormen kumulative Anknüpfungen vor:
– Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO erlaubt einem Vertragspartner die Abwehr der Interpretation seines Verhaltens als Zustimmung durch Berufung auf das Aufenthaltsrecht. – Art. 17 Abs. 3 S. 1 bestimmt eine Durchführung des Versorgungsausgleichs von Amts wegen (nur) bei deutschem Scheidungsstatut; S. 1 Hs. 2 lässt ihn aber nur stattfinden, wenn zusätzlich (insoweit kumulativ) das Heimatrecht eines der Ehegatten (insoweit alternativ) ihn kennt. – Art. 6 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007 erlaubt dem Unterhaltsverpflichteten ua in der Seitenlinie den Einwand, dass nach dem gemeinsamen Heimatrecht und nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verpflichteten eine solche Pflicht nicht besteht; es muss also sowohl nach dem Unterhaltsstatut als auch nach einer der in Art. 6 HUntStProt 2007 genannten Rechtsordnungen Unterhalt geschuldet sein.336
b) Ein zweiter Typus der Häufung führt nur zur Anwendung einer Rechtsordnung, setzt aber voraus, dass alle kumulierten Kriterien zu derselben Rechtsordnung weisen. Ist dies nicht der Fall, so versagt das Anknüpfungskriterium, und es greift ein subsidiäres Anknüpfungskriterium (soeben Rn 330 ff) ein (Kumulation von Anwendungsvoraussetzungen).