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Internationales Privatrecht
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Zweck der Kumulation von Anwendungsvoraussetzungen ist es, eine bestimmte Rechtsordnung nur dann anzuwenden, wenn mehrere Kriterien auf sie hindeuten, die jeweils isoliert betrachtet nicht stark genug wären, den Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses zu bestimmen.
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Kumulation von Anwendungsvoraussetzungen findet sich im deutschen IPR selten und nur in Kollisionsnormen, die dem Richter eine Abwägung erlauben.
Eine offensichtlich engere Verbindung iSd Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO (vgl Rn 341) zu einer anderen als der in Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO bestimmten Rechtsordnung besteht nur dann, wenn mehrere – nicht notwendig abschließend bestimmte – relevante Kriterien (zB Vertragssprache und –währung und Staatsangehörigkeit der Parteien) in Richtung einer Rechtsordnung weisen.
4. Ausweichklauseln
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a) Ausweichklauseln sind Anknüpfungsnormen, die alternativ neben die Grundsatzanknüpfung treten, jedoch im Gegensatz zu alternativen Anknüpfungen die Anwendung einer anderen als der grundsätzlich verwiesenen Rechtsordnung nur für Ausnahmefälle erlauben. Solche Kollisionsnormen sind rechtspolitisch umstritten. Sie ermöglichen es zwar dem Gericht, in besonderen Fällen ein kollisionsrechtlich gerechteres (oder gerechter scheinendes) Ergebnis zu erzielen; andererseits werden die Autorität und die Verlässlichkeit der vom Gesetzgeber normierten Kollisionsnorm untergraben. Dies stört empfindlich die Rechtssicherheit.
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b) Im geltenden deutschen IPR finden sich dennoch einige Ausweichklauseln.
– Art. 23 S. 2 erlaubt, statt der Zustimmungserfordernisse nach dem Heimatrecht des Kindes jene nach deutschem Recht anzuwenden, soweit es zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Die Bestimmung soll Adoptionen und Abstammungsfeststellungen beschleunigen, die sich durch die Feststellung des Heimatrechts des Kindes verzögern würden; die Voraussetzung der Erforderlichkeit zum Wohl des Kindes ist jedoch eng auszulegen, um ein willkürliches Abgehen vom eigentlich anwendbaren Recht zu vermeiden.341
– Nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO gelten die objektiven Kriterien gemäß Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO nicht, wenn der Vertrag eine engere Verbindung mit einem anderen Staat aufweist. Diese Regelung macht deutlich, dass die objektiv formulierten Anknüpfungskriterien eher weiterhin widerlegbare Indizien in einer Schwerpunktbestimmung (vgl Rn 309) darstellen. Die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts ist hier schon durch die atypische Gewichtung der dem Vertrag anhaftenden Umstände, nicht aber durch zu weites richterliches Ermessen in Frage gestellt.
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– Erst recht spricht Vorhersehbarkeit nicht gegen die Ausweichklausel im außervertraglichen Schuldrecht (Art. 41 Abs. 1 bzw Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO), weil dort schon das Ereignis selbst meist unvorhersehbar ist und in Fällen der Vorhersehbarkeit (zB Delikt innerhalb einer Rechtsbeziehung) erst die Ausweichklausel die Anwendung des von den Parteien erwarteten Rechts erlaubt (Art. 41 Abs. 2 Nr 1 bzw Art. 4 Abs. 3 S. 2, Art. 5 Abs. 2 S. 2 Rom II-VO).
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– Rechtspolitisch höchst umstritten war eine Ausweichklausel zur Durchsetzung von Eingriffsnormen eines Staates, dessen Rechtsordnung zu einem Vertrag Bezug hat, jedoch weder das Vertragsstatut stellt, noch die lex fori des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts. Art. 7 Abs. 1 EVÜ erlaubte, den Eingriffsnormen des Rechts eines solchen anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung zu verleihen. Diese Regelung wollte dem Gericht im Einzelfall die Durchsetzung einer fallnahen Eingriffsnorm erlauben; Deutschland hatte hiergegen wegen der durch Art. 7 Abs. 1 des Übk. ausgelösten Ungebundenheit des richterlichen Ermessens einen – zugelassenen – Vorbehalt (Art. 22 Abs. 1 lit. a des Übereinkommens) erklärt und nur Art. 7 Abs. 2 EVÜ (Durchsetzung von Eingriffsnormen der lex fori) in Art. 34 aF umgesetzt. Ein inhaltlicher Kompromiss musste hingegen in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gefunden werden, da der taktische Kompromiss eines Vorbehalts für eine unmittelbar geltende EU-Rechtsnorm nicht in Betracht kam: Einerseits blieb es bei der Ausweichklausel zugunsten von Eingriffsnormen, andererseits wurden die Voraussetzungen der Ausweichklausel stärker konkretisiert.Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 3 Verweisung › B. Renvoi (Rück- und Weiterverweisung)
1. Grundsatz Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 1
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a) Eine Verweisung auf das Recht eines anderen Staates führt nach dem Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 S. 1 nicht unmittelbar in das materielle Recht, sondern auch auf das IPR dieses Staates; deutsche Kollisionsnormen verweisen also normalerweise auf das gesamte Recht eines anderen Staates (Gesamtverweisung). Es ist also zunächst das IPR des verwiesenen Rechts anzuwenden; maßgeblich ist immer das gegenwärtig geltende IPR; ob intertemporal früheres IPR anzuwenden ist, entscheidet die Rechtsordnung des verwiesenen Staates, nicht der deutsche Anknüpfungszeitpunkt.[60]
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b) Diese schon vor dem 1.9.1986 bestehende Regel verfolgt den Zweck, internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen. Auch ein Gericht des Staates, in den unsere Kollisionsnorm verweist, würde ja zunächst das eigene IPR anwenden. Sie erreicht diesen Zweck allerdings nicht vollständig: Folgen beide Staaten dem Grundsatz der Gesamtverweisung und erklären die beiden Kollisionsrechte das Recht des jeweils anderen Staates für anwendbar, so muss dieses Hin und Her der Verweisung irgendwo beendet werden, was letztlich zur Bevorzugung des eigenen Rechts führt.
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c) Der Gegenbegriff zur Gesamtverweisung ist die Sachnormverweisung. Spricht eine deutsche Kollisionsnorm – ausnahmsweise – eine Verweisung auf „Sachvorschriften“ aus, so bezieht sie sich auf die (materiellen) Rechtsnormen der maßgebenden Rechtsordnung unter Ausschluss des IPR (Art. 3a Abs. 1).
2. Annahme der Verweisung und Renvoi
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a) Die Anwendung ausländischen Kollisionsrechts im Rahmen einer Gesamtverweisung kann zu drei unterschiedlichen Ergebnissen führen:
Entweder entscheidet das fremde Kollisionsrecht ebenso wie das deutsche IPR, erklärt also die eigene Rechtsordnung für anwendbar, es nimmt die Verweisung an. Damit ist auch aus deutscher Sicht die kollisionsrechtliche Prüfung beendet; es kommen die Sachvorschriften des fremden Staates zur Anwendung. Dabei sind die fremden Kollisionsnormen so anzuwenden, wie sie in der Rechtspraxis des fremden Staates Anwendung finden. Auch Tatbestandsmerkmale und Anknüpfungskriterien sind im Sinn des verwiesenen IPR zu verstehen. Es ist jedoch auch das fremde IPR am deutschen ordre public zu messen und kann wegen Verstoß gegen diesen unanwendbar sein (im Einzelnen Rn 581 ff).
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b) Erklärt das fremde IPR das deutsche Recht für anwendbar, so spricht man von Rückverweisung.
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aa) Art. 4 Abs. 1 S. 2 beendet in diesem Fall die Verweisungskette; es kommt zur Anwendung der deutschen Sachvorschriften. Das deutsche IPR nimmt eine Rückverweisung immer an. Dabei ist es unerheblich, ob die vom fremden IPR ausgesprochene Verweisung selbst eine Gesamtverweisung oder eine Sachnormverweisung ist. Wir verfahren also anders als das fremde Gericht mit der Verweisung des fremden Rechts auf deutsches Recht: Es würde eine Sachnormverweisung auf deutsches Recht im materiellen deutschen Recht enden lassen, eine Gesamtverweisung jedoch auf die deutsche Kollisionsnorm richten und dadurch zurückverwiesen werden.
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bb) In diesem Fall wird also der internationale Entscheidungseinklang nicht erreicht, sofern auch das fremde Recht der Theorie des renvoi folgt und ebenfalls die Rückverweisung annimmt. Verweist A auf B und B auf A, so wenden schließlich beide Staaten ihr eigenes Recht an. Dieser Folge des renvoi lassen sich jedoch andere Vorteile abgewinnen: Die Anwendung des eigenen Rechts ist praktikabel; das Gericht ist mit dem eigenen Recht vertraut, es muss nicht mit Mühe und Kosten den Inhalt des fremden Rechts ermitteln, die Rechtssache wird zügig entschieden. Historisch wurde dieses „Heimwärtsstreben“ sogar dem renvoi als Zweck unterstellt: Dem eigenen Recht – und damit den eigenen Gerechtigkeitswertungen – werde zur Durchsetzung verholfen. Dieses Argument ist vom Standpunkt des IPR abzulehnen: Sucht man mit der Kollisionsnorm den Sitz des Rechtsverhältnisses, so kann man nicht andererseits das eigene Recht für jedenfalls gerechter halten; dann wäre immer die lex fori anzuwenden.
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cc) Ursache der Rückverweisung ist immer eine abweichende Anknüpfung im IPR des verwiesenen Staates. Diese kann auf einem anderen Anknüpfungskriterium beruhen oder auf einem anderen Anknüpfungssubjekt.
Ein Däne und eine Deutsche, die in Deutschland leben, heiraten vor einem deutschen Standesamt. Die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung beurteilen sich für die Deutsche nach ihrem deutschen Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1, keine Verweisung), für den Dänen nach seinem dänischen Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1, Gesamtverweisung nach Art. 4 Abs. 1). Nach dänischem IPR bestimmen sich die Voraussetzungen der Eheschließung nach dem Recht des Domizils; es kommt also wegen eines abweichenden Anknüpfungskriteriums zur Rückverweisung auf deutsches Recht.
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Ursache der abweichenden Anknüpfung kann auch eine abweichende kollisionsrechtliche Einordnung des Sachverhalts (Qualifikation) sein.
Hat ein 2014 verstorbener österreichischer Erblasser ein in Deutschland belegenes Grundstück hinterlassen, so bestimmt sich (aus deutscher Sicht) das Erbstatut nach Art. 25 Abs. 1 aF im Wege der Gesamtverweisung in das österreichische letzte Heimatrecht des Erblassers. Die dortige Kollisionsnorm, § 28 Abs. 1 aF östIPRG[61], nimmt zwar die Verweisung für das Erbstatut an. Fragen, die den sachenrechtlichen Erwerb des Grundstücks betreffen (Universalsukzession, Anfall, Annahme, Ausschlagung, Nachlassverwaltung), werden jedoch auch dann der lex rei sitae als Sachenrechtsstatut unterstellt, wenn der Erwerb von Todes wegen eintritt (§§ 32, 31 Abs. 1 östIPRG). Das österreichische Erbstatut qualifiziert also den „Erbserwerb“ nicht erbrechtlich. Ist dagegen der Erbfall seit dem 17.8.2015 eingetreten und österreichisches Recht nach der EU-ErbVO anwendbar (zB bei Rechtswahl des Heimatrechts, Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO), so handelt es sich nicht um eine Gesamtverweisung, da Verweisungen in das Recht eines Mitgliedstaats im Umkehrschluss aus Art. 34 EU-ErbVO Sachnormverweisungen sind.
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c) Erklärt das fremde IPR eine weitere Rechtsordnung für anwendbar, so spricht man von Weiterverweisung.[62] Nicht alle Rechtsordnungen, die bereit sind, eine Rückverweisung ersten Grades anzunehmen, folgen auch einer Weiterverweisung (zB Art. 13 Abs. 1 italienisches IPRG).
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aa) Ausgehend vom deutschen IPR ist jedoch auch der Weiterverweisung zu folgen. Da eine Art. 4 Abs. 1 S. 2 entsprechende Regel (Annahme der Rückverweisung) nicht existiert und für das Abbrechen der Verweisung bei dem zweiten ausländischen Staat auch keine dem Heimwärtsstreben vergleichbaren Interessen feststellbar sind, führt die Weiterverweisung nicht ohne weiteres in das materielle Recht. In welcher Weise der Weiterverweisung gefolgt wird, hängt von dem weiterverweisenden Recht – nicht vom deutschen Gesamtverweisungsprinzip – ab.
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bb) Versteht das erstverwiesene IPR seine eigene Verweisung auf das Recht eines dritten Staates als Sachnormverweisung, so bleibt es bei der Anwendung der Sachnormen dieses dritten Staates. In diesem Fall wird der internationale Entscheidungseinklang erreicht und ein sinnvolles Ende der Verweisungskette gefunden.
Der brasilianische Staatsangehörige E verstirbt 2014 mit letztem Wohnsitz in Italien. Es wird ein gegenständlich beschränkter Erbschein in Deutschland beantragt, weil E ein Grundstück in Frankfurt hinterlassen hat. Deutsches IPR (Art. 25 Abs. 1 aF) verweist als Gesamtverweisung in brasilianisches IPR. Das IPR von Brasilien (Art. 10 Lei de Introdução às normas do Direito Brasileiro – LIDB[63]) verweist auf das Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers. Die Verweisung ist Sachnormverweisung (Art. 16 LIDB); es ist italienisches materielles Erbrecht anzuwenden.
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cc) Behandelt dagegen das erstverwiesene IPR seine Verweisung als Gesamtverweisung, so ist die Weiterverweisung aus deutscher Sicht ebenfalls auf das IPR des dritten Staates gerichtet. Das entspricht dem Prinzip, dem verwiesenen IPR in seiner Behandlung des Falles zu folgen. Nimmt an irgendeiner Stelle der dadurch ausgelösten Verweisungskette eine Rechtsordnung die Verweisung an, so kommen die Sachnormen dieses Rechts zur Anwendung. Führt die Verweisungskette zurück in deutsches Recht, so ist Art. 4 Abs. 1 S. 2 anzuwenden: Die Verweisung wird im deutschen Recht abgebrochen.
Der Erblasser (im Beispiel Rn 355) ist Schweizer mit letztem Wohnsitz in London. Das zunächst verwiesene schweizerische IPR verweist im Wege der Gesamtverweisung weiter auf das letzte Wohnsitzrecht des Erblassers (Art. 91 Abs. 1 schweizIPRG). Das englische IPR knüpft die Beerbung in Immobilien an die lex rei sitae, verweist also auf deutsches Recht.
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dd) In seltenen, nicht mit zwingender kollisionsrechtlicher Logik lösbaren Fällen bleibt die Verweisungskette zwischen dem zweiten und dritten Staat oder auf einer späteren Stufe hängen; es kommt zu einer Rückverweisung auf eine in der Kette vorangehende (nicht die deutsche) Rechtsordnung. Unstreitig kann auch in diesem Fall das damit programmierte Hin- und Her-Verweisen oder der Verweisungszirkel nicht endlos weiterlaufen; strittig ist die Frage, wo abzubrechen ist. Die hM bricht zutreffend eine solche Kette von Gesamtverweisungen dort ab, wo eine Rechtsordnung erstmals erneut in der Verweisungskette erscheint (ausdrücklich bestimmt § 5 Abs. 2 Hs. 2 östIPRG diese Technik). Hierfür spricht eine gewisse Ähnlichkeit der Situation zum Fall der Rückverweisung auf deutsches Recht, wobei nicht zu verkennen ist, dass es für eine Analogie zu Art. 4 Abs. 1 S. 2 an der Identität der Interessenlage (Anwendung des eigenen Rechts) fehlt.
Der 2014 verstorbene Erblasser (im Beispiel oben Rn 355) ist Schweizer mit letztem Wohnsitz in Italien. Das erstverwiesene schweizerische IPR verweist auf das letzte Wohnsitzrecht, also italienisches IPR. Dieses verweist auf das letzte Heimatrecht des Erblassers (Art. 46 Abs. 1 italIPRG), also auf schweizerisches Recht. Die Verweisung des italienischen Rechts ist partiell Gesamtverweisung; das italienische Recht ist bereit, eine Rückverweisung anzunehmen (Art. 13 Abs. 1 lit. b italIPRG), die das schweizerische Recht hier ausspräche. Dennoch brechen wir die Verweisungskette aus deutscher Sicht im schweizerischen Recht ab, weil sich hier die Kette erstmals schließt.
Die Regel, die Verweisung bei der Rechtsordnung abzubrechen, die als erste erneut in der Verweisungskette erscheint, führt zu Komplikationen, wenn dieser Staat weder eine Sachnorm-, noch eine Gesamtverweisung ausspricht, sondern der foreign court theory folgt, die häufig in England und den USA angewendet wird: Danach ist zB durch ein mit einer Erbsache befasstes englisches Gericht ein renvoi nach Ermessen anzunehmen, wenn ein Gericht des aus englischer Sicht verwiesenen Staates („Staat C“) englisches Recht anwenden würde. Die Entscheidung hängt somit davon ab, ob Staat C seine Verweisung in englisches Recht als Sachnormverweisung behandelt (dann nimmt das englische Gericht den renvoi an) oder als Gesamtverweisung – mit der Folge der Anwendung eigenen Rechts kraft Rückverweisung (dann behandelt das englische Gericht seine Verweisung als Sachnormverweisung). In dieser Konstellation ist fraglich, ob man aus deutscher Sicht die Verweisung in Staat C abbricht, weil die foreign court theory keine bedingungslose Gesamtverweisung ausspricht, oder man das Ergebnis der foreign court theory entscheiden lässt, was aber letztlich die spiegelverkehrte Anwendung des IPR von Staat C bedeutet.[64] Praktikabel dürfte es sein, die englische Verweisung, die nur fallweise bereit ist, einen renvoi anzunehmen, als Sachnormverweisung zu behandeln, auch wenn dies nicht in allen Fällen zur Entscheidungsharmonie führt.
3. Sachnormverweisung als Ausnahme
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a) Art. 4 behandelt die Sachnormverweisung als Ausnahme; es ergeben sich mehrere Fallgruppen, die insgesamt einen bedeutenden Anwendungsbereich haben.
Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 lässt den Grundsatz der Gesamtverweisung nur gelten, sofern dies dem Sinn der Verweisung nicht widerspricht. Diese Ausnahme wird eng ausgelegt; mit dem „Sinn der Verweisung“ ist nicht gemeint, dass immer schon dann eine Sachnormverweisung vorliegt, wenn die deutsche Kollisionsnorm irgendeinen Sinn hat, also bestimmte Interessen verfolgt. Das wäre immer der Fall, weil jede Anknüpfung einen Schwerpunkt bestimmen soll. Vielmehr muss ein qualifizierter Sinn der deutschen Kollisionsnorm gegen eine Gesamtverweisung sprechen.
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aa) Eindeutig ist dies der Fall, wenn ausdrücklich die Sachvorschriften einer verwiesenen Rechtsordnung für anwendbar erklärt werden (Rn 366).
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bb) Dem Sinn der Verweisung widerspricht es aber auch, wenn bei einer alternativen Anknüpfung der Begünstigungszweck (qualifizierter Sinn) vereitelt würde. Dabei ist nach zutreffender Ansicht nicht allein auf den kollisionsrechtlichen Zweck abzustellen, mehrere Rechtsordnungen berührter Staaten bereitzustellen. Der materielle Zweck, einem bestimmten Rechtsverhältnis zur Wirksamkeit zu verhelfen, wird nur durch die vordringende Ansicht[65] verwirklicht, die eine alternative Verweisung zwar auch als Sachnormverweisung wertet, jedoch einer Weiterverweisung oder Rückverweisung folgt, soweit sich dadurch der Kreis alternativ anwendbarer Rechtsordnungen erweitert. Hingegen darf der renvoi das Spektrum anwendbarer Rechtsordnungen nicht verengen.
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Ausweichklauseln sind hingegen immer Sachnormverweisungen. Wo die Kollisionsnorm zur Erreichung von Einzelfallgerechtigkeit die Abweichung von der typisierten primären Anknüpfung erlaubt, geschieht dies, um eine andere – im Einzelfall angemessenere – materielle Rechtsordnung einzubringen, nicht aber, um dem fremden IPR die Verweisung zu überlassen.
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cc) Wird ein Rechtsverhältnis im deutschen IPR akzessorisch an ein anderes angeknüpft (zB die Leistungskondiktion im internationalen Bereicherungsrecht an das Statut der Leistungsbeziehung, Art. 38 Abs. 1; Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO), so wird damit der Zweck verfolgt, den einheitlichen Lebenssachverhalt auch rechtlich einheitlich abzuwickeln. Diesem wiederum qualifizierten Sinn widerspräche es, durch einen renvoi die akzessorisch verbundenen Teile zu zerreißen; es findet also für das Hauptstatut zwar durchaus eine Gesamtverweisung statt, soweit sie dort vorgesehen ist (also nicht beim Vertragsstatut). Die Sachnormen des Hauptstatuts gelten aber auch für die akzessorisch angeknüpfte Thematik.
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Das gilt nicht, wenn nur eine technische Akzessorietät der Anknüpfungsregeln vorliegt, so vor allem im Internationalen Familienrecht, wo Art. 14 Abs. 1 die Musterverweisung für andere familienrechtliche Statuten bedeutet. Hier geht es nur um dieselben Kriterien der Anknüpfungsleiter, nicht aber um eine volle Harmonisierung des im Ergebnis anzuwendenden Rechts; das zeigt sich schon daran, dass der Gesetzgeber in Art. 14 und 15 (vgl auch Art. 17 Abs. 1 aF) unterschiedliche Einsatzzeitpunkte verwendet.
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dd) Grundsätzlich widerspricht es auch bei einer Anknüpfung an die engste Verbindung dem Sinn der Verweisung, wenn man diese als Gesamtverweisung verstehen wollte. Wenn das deutsche Recht sich darum bemüht, durch eine Abwägung von Einzelumständen das sachnächste Recht zu ermitteln, kann es sich das Ergebnis nicht durch eine (womöglich technische) Anknüpfung des fremden IPR aus der Hand nehmen lassen.
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Das setzt aber voraus, dass die Anknüpfung an die engste Verbindung die primäre Anknüpfung des Gegenstandes im deutschen IPR ist. Handelt es sich hingegen um eine subsidiäre Anknüpfung einer unteren Stufe, so gibt das deutsche IPR damit zu erkennen, dass die Suche nach der hilfsweise engsten Verbindung nur eine Notlösung ist, die nicht beanspruchen kann, einen besonderen qualifizierten Sinn zu verwirklichen.
Art. 14 Abs. 1 Nr 3 knüpft auf fünfter Stufe an die gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten an. Alle vorangehenden Stufen werden von abstrakten Anknüpfungskriterien bestimmt und sprechen unstreitig Gesamtverweisungen aus; Art. 14 Abs. 1 Nr 3 ist daher nicht eine von besonderem Sinn geprägte Sachnormverweisung, sondern eine äußerst hilfsweise Lösung, die erst recht Gesamtverweisung ist.[66]
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b) Schreibt die Verweisungsnorm ausdrücklich die Anwendung von Sachvorschriften vor, so ist ein renvoi ausgeschlossen. Dies kommt in drei Fallgruppen vor:
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aa) Können die Parteien das anwendbare Recht wählen (Rechtswahl), so erlaubt dies nur eine Wahl von Sachvorschriften, nicht aber eine Verweisung auf Kollisionsnormen (Art. 4 Abs. 2). Diese Einschränkung wäre nicht zwingend geboten; Rechtswahl soll vor allem Anpassung an die Rechtsverhältnisse bestimmter Rechtsordnungen erlauben; in der jeweils gewählten Rechtsordnung würde ein Gericht jedoch zuerst immer sein IPR und nicht seine eigenen Sachvorschriften auf den Fall anwenden.
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bb) Manche Kollisionsnormen sind ausdrücklich einzeln als Sachnormverweisungen bezeichnet.
Art. 12 verweist für den Schutz des anderen Vertragsteils gegen Beschränkungen der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auf die Sachvorschriften, Art. 11 Abs. 1 spricht von Formvorschriften im Recht eines Staates – was nur Sachvorschriften sein können. Art. 23 unterstellt Zustimmungserfordernisse dem Recht des Staates, dem das Kind angehört, was im Sinne einer Verweisung auf Sachvorschriften auszulegen ist.