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Die Sklavenkarawane
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Die Sklavenkarawane

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»O, das ist seine volle und richtige Stimme noch nicht,« meinte der Slowak. »Er versucht sie erst. Er hat Hunger und ist mißmutig; er knurrt einstweilen.«

»Hast du ihn auch schon gehört?«

Er bediente sich, dem arabischen Sprachgebrauche angemessen, wieder des Du.

»Gehört und auch gesehen, und zwar sehr oft.«

»Ohne von ihm angefallen zu werden?«

»Er hat mir nie etwas gethan. Es gibt viel feige und wenig wirklich stolze und kühne Löwen. Die feigen kommen heimlich geschlichen und führen den Raub so leise aus, daß man erst am Morgen den Tod oder das Fehlen seines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber tritt gleich laut aus seinem Lager. Er sagt es aufrichtig, daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. Er nähert sich dem Orte, dem er seinen Besuch zugedacht hat, nur langsam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, damit man sich genau berechnen könne, wann er erscheinen wird. Einen Löwen, der das thut, hält keine Gefahr ab, den Überfall auszuführen.«

»Wir haben es höchst wahrscheinlich mit so einem zu thun!«

»Ja. Wenn er wieder brüllt, werden wir hören, ob er zu uns oder nach einem andern Orte will.«

Zum drittenmal erklang die Stimme des Raubtieres, halb knurrend und halb heulend. Man hörte deutlich, daß sie aus größerer Nähe kam. Die Homr-Araber waren jetzt alle an das zweite Feuer gekommen. Sie fürchteten sich.

»Er kommt zu uns, er kommt wirklich,« flüsterte der Schech mit vor Angst heiserer Stimme.

»Du hast dich also geirrt,« antwortete Schwarz, »als du behauptetest, es sei kein Löwe hier an dieser Quelle zu erwarten.«

»Konnte ich wissen, daß sich einer eingefunden hat? Er haust wohl erst seit wenigen Tagen hier. Wären wir nicht in der Dunkelheit gekommen, so hätten wir wohl die Spuren seiner Tatzen gesehen. Der Bir ist seine Tränke, denn es gibt von hier bis zum Flusse kein andres Wasser.«

»So kampiert er auf der offenen Ebene?«

»O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt es ein Felsgewirr, welches er sich zur Wohnung ausersehen hat, denn seine Stimme erklang genau aus jener Gegend. Ich habe schon viele Löwen beobachtet und weiß, in welcher Weise sie sich nahen. Dieser kommt sehr langsam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenklich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe sein und unser Lager umkreisen.«

»Um den Raub auch wirklich auszuführen?«

»Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut gesagt und wird sein Wort halten. Beladen wir also schnell unsre Tiere, um diesen bösen Ort augenblicklich zu verlassen!«

»Fliehen sollen wir?«

»Ja, und zwar so schnell wie möglich.«

»Vierzehn Männer? Vor dieser Katze?«

»Effendi, es ist keine Katze!«

»Es ist eine, wenn auch eine sehr große. Wer fliehen will, der mag es thun. Aber die Kamele bleiben hier, denn ich habe sie gemietet.«

»Er wird mir eins zerreißen!«

»So bezahle ich es dir!«

»Er kann auch gar mich selbst zerreißen!«

»In diesem Falle kommst du noch heute in Allahs Paradies; also freue dich darauf.«

»Ich gehe. Ich will noch leben!«

»So mache dich von dannen; aber indem du dich von den Feuern entfernst, die auch der Löwe scheut, begibst du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der Dunkelheit draußen vermagst du das Tier nicht zu erkennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es geahnt hast.«

»Allah, Allah! Also sollen wir hier bleiben und ruhig warten, wen von uns er sich holen werde?«

»Nein, denn ich werde ihn töten.«

»Du? Niemand wird dir beistehen.«

»Das fordere ich gar nicht.«

»Also du allein willst dich ihm entgegenstellen? Effendi, bist du toll?«

»Nein. Ich habe Tiere erlegt, welche ebenso gefährlich wie der Löwe sind. Mit ihm habe ich zwar noch nie gesprochen, aber er wird mit sich reden lassen. Dabei werde ich dafür sorgen, daß er euch nichts thun kann.«

Jetzt erhob der Löwe seine Stimme wieder. Es war kein Grollen oder Knurren mehr, sondern ein wenn auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, welcher auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut empor ziehen wolle.

»Er ist wieder näher!« jammerte der Schech. »Er hat schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt. In einer Viertelstunde ist er da. Meine Kamele, meine schönen Kamele!«

»Du selbst Kamel! Treffen wir schnell die nötigen Anstalten! Wir müssen ihn zwingen, sich nach der Stelle zu wenden, an welcher ich ihn erwarten werde. Durch das Wasser kommt er nicht, also muß er entweder von rechts oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren zwischen der Quelle und dem Felsen befinden. Macht hier das Feuer breiter und facht es höher an, so wird er es vermeiden, hier herein zu brechen. Bindet die Tiere fest an die Zweige, daß sie nicht fliehen können. Und dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck verstecken.«

»Und du, was wirst du thun, Herr?« fragte der Slowak.

»Ich gehe auf die andre Seite, lösche dort das Feuer aus, so daß er nicht abgeschreckt wird, und warte, bis er kommt.«

»Du wirklich ganz allein?«

»Ja, ich bedarf wahrscheinlich der Unterstützung andrer nicht.«

Er gab diese Befehle und Antworten mit der Ruhe und Kaltblütigkeit eines Unteroffiziers, welcher auf dem Kasernenhofe seine Leute instruiert.

Die Araber und auch die Dschelabi hatten sich sehr beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubinden. Nun drängten sie sich alle mit Ausnahme des Ungarn und Alis zwischen den Gepäckstücken und der Felswand zusammen. Die beiden Genannten aber waren bei Schwarz geblieben; sie halfen ihm das andre Feuer auszulöschen. Eben, als sie damit fertig waren, ließ sich der Löwe wieder hören, aber dieses Mal in ganz andrer Weise als bisher.

Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erst dumpf rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, dann anschwellend bis zum mächtigen, in der stillen Nacht wohl meilenweit hörbaren Brusttone, welcher in einen durch Mark und Bein schneidenden, wahrhaft satanischen Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach und nach ersterbenden Donner, unter welchem die Erde zu erzittern schien, wie in weiter Ferne zu verhallen.

Das war der wirkliche Macht- und Kampfesruf des Königs der Tiere gewesen, und Schwarz erkannte nun, warum die Araber ihm so oft den Namen Abu Rad, Vater des Donners, geben.

»Er ist höchstens nur noch tausend Schritte entfernt,« hörte man den Schech sagen. »Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah! Betet leise die heilige Fatha und dann laut die Sure der ‚Zerreißung‘, welche die vierundachtzigste des Korans ist! Das Verderben wird nur noch fünf oder sechs Minuten lang das Lager umschleichen und dann über uns hereinbrechen.«

Die Kamele zitterten und stöhnten vor Angst. Sie lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälse lang und fest an den Boden geschmiegt. Die Esel schlugen um sich und versuchten, sich loszureißen.

Schwarz hatte seinen größeren Hinterlader zur Hand genommen, der Ungar seine Riesenbüchse und Ali einen langen, starken, eisenbeschlagenen Spieß, welcher seine einzige Waffe bildete.

»Zieht euch jetzt zurück!« flüsterte der erstere den beiden andern zu.

»Herr, du allein vermagst es nicht,« antwortete der Slowak.

»Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nordamerikas noch größere Gefahren glücklich überstanden habe.«

»Das mag sein; aber ich habe dich liebgewonnen und werde dich nicht verlassen.«

»Du wirst mir mit deinem Feuerprügel nur Schaden machen!«

»O nein, Herr. Es ist mein Katil elfil, dessen Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. Sag, was du willst, ich bleibe bei dir!«

Sein Ton war ein so entschlossener, daß Schwarz einsah, der treue, mutige kleine Kerl lasse sich gewiß nicht abweisen. Der Augenblick der Entscheidung nahte, es durfte keine Sekunde durch zwecklose Reden vergeudet werden. Darum sagte der Doktor:

»Nun gut, so halte dich an meine Seite, aber schieß ja nicht eher, als bis ich selbst zwei Kugeln abgegeben habe!«

Er untersuchte sein Gewehr noch einmal, trat um vielleicht zehn Schritte vor und legte sich da lang auf den Boden nieder, den linken Ellbogen auf die Erde gestemmt, um in dem Vorderarme einen festen Stützpunkt für den Lauf zu haben.

Als der Slowak sich in gleiche Stellung neben ihm niedergelassen hatte, hörten sie hinter sich ein leises Geräusch. Sie sahen sich um und erblickten Ali, den »Vater des Gelächters«, welcher hart hinter ihnen auf einem Knie ruhte, in beiden Händen die Lanze, mit der Spitze nach vorn gerichtet, das andre Ende fest in den Boden gestoßen, so daß sie selbst durch einen starken Anprall nicht aus ihrer die an der Erde Liegenden beschützenden Lage gebracht werden konnte.

»Was willst denn du?« fragte Schwarz fast zornig.

»Wenn Ihr ihn nicht sofort tötet, wird er durch die Luft nach euch springen,« antwortete der Gefragte. »Dann schnellt euch von hier fort, und ich fange ihn mit der Lanze auf, daß er sich spießt.«

Schwarz wollte antworten, wurde jedoch durch ein abermaliges Brüllen des Raubtieres daran verhindert. Es klang jetzt fast noch schrecklicher als vorher, und ganz nahe. Der Löwe war gewiß nicht mehr hundert Schritte von ihnen entfernt.

Da mußte selbst den Kühnsten ein Grauen überlaufen, doch die Nähe der Entscheidung macht das Auge und den Arm des Mutigen sicher und läßt sein Herz noch ruhiger als vorher schlagen.

»Zitterst du?« fragte der Ungar.

»Nein,« antwortete Schwarz.

»Ich auch nicht. Er kann kommen!«

Die drei hatten hinter sich das Lager. Dort brach der Löwe höchst wahrscheinlich nicht ein, da das Feuer ihn zurückschreckte. Zu ihrer Linken lag der Weiher und zur Rechten stieg der Fels empor. Zwischen diesen beiden lag ein vielleicht fünfzehn Fuß breiter Raum, in dessen Mitte sie sich befanden. Bewährte sich ihre Voraussetzung, daß das Raubtier von dieser Seite kommen werde, so konnte es ihnen nicht entgehen; es mußte an ihnen vorüber oder über sie hinweg.

Schwarz hatte seine Schutzbrille abgenommen und hielt das vor ihm liegende Terrain scharf im Auge. Da – sie schraken wirklich zusammen – ertönte das Brüllen jenseit des Wassers, hart am Rande desselben, nicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt.

»Jetzt aufgepaßt!« flüsterte der Slowak.

Die Gefahr verdoppelte die Schärfe ihrer Augen. Das Gehör war ihnen nichts mehr nütze, denn infolge des letzten Gebrülles fing der Schech jetzt an, mit lauter Stimme die vorhin von ihm bezeichnete Sure zu beten:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Wenn der Himmel zerreißt, pflichtgezwungen und seinem Herrn gehorchend, wenn die Erde sich ausdehnt und herauswirft, was in ihr ist, dann, o Mensch, wirst du dich bemühen, zu deinem Herrn zu gelangen – – —«

Während er in jammerndem Tone fortfuhr, hätte Schwarz ihn am liebsten niederschlagen mögen. Seine laute Stimme machte die leisen Schritte des Löwen unhörbar und konnte infolgedessen sehr leicht die Ursache des Verderbens der drei mutigen Männer sein.

Nun mußten die Augen doppelt angestrengt werden. Aber nicht sie waren es, welche den mächtigen Feind zuerst bemerkten, sondern der Geruch überzeugte die peinlich Wartenden, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Jene scharfe, penetrante Ausdünstung, welche den Raubtieren eigen ist und in jeder Menagerie beobachtet werden kann, erfüllte plötzlich die Luft, und da – – da trat er um das dichte Gestrüpp, nicht schleichend nach Tiger- oder Pantherart, sondern stolz aufgerichtet, langsamen und sichern Schrittes wie ein Herrscher, der sich in seinem Reiche weiß und es verschmäht, das, was er durch offenen Befehl erlangen kann und muß, durch niedrige Heimlichkeit zu erreichen.

Seine weitgeöffneten Augen durchforschten den Rand des dichten Buschwerkes nach einem Durchweg zu der gesuchten Beute. Da fiel sein Blick auf die drei bewegungslosen Gestalten. Er zuckte und warf sich schnell auf die Erde nieder, um den Feinden nicht die leicht verletzliche Brust zu bieten. Dann musterte er sie mit einem großen, mächtigen Blicke.

Schwarz empfand ein Gefühl, als ob man ihm mit einem Eiszapfen über das Rückgrat streiche, doch gelang es seiner Willenskraft, dasselbe zu überwinden. Er hatte die Berichte berühmter Löwenjäger gelesen, und er kannte daher das Benehmen des Tieres in einer Situation wie die gegenwärtige.

Thut der Löwe den Sprung nicht sofort, nachdem er den Feind erblickt hat, so legt er sich nieder, die hintern Pranken eingezogen und die vordern nach vorn gestreckt. Er schließt die Augen fast ganz und betrachtet den Feind durch einen dünnen Spalt der Lider. Hat er seinen Entschluß gefaßt, so hebt er den Hinterkörper ein wenig empor, um dadurch die Schnellkraft seiner Schenkelmuskeln zu erhöhen; seine Augen öffnen sich langsam, und in dem Momente, wo die Lider ganz emporgezogen sind und die sich wie ein Feuerrad bewegende Pupille voll zu sehen ist, thut er den verderblichen Sprung.

Der Schütze muß auf eins der geöffneten Augen zielen und kurz vor dem Momente des Sprunges abdrücken. Der Löwe thut, durch das Auge in das Gehirn getroffen, seinen letzten Sprung und erhält dabei den zweiten Schuß, noch während er in der Luft schwebt, in das Herz. In demselben Augenblicke muß sich der Jäger weit zur Seite werfen, um nicht von den Tatzen des verendenden Tieres noch ergriffen und verwundet zu werden.

Ganz entgegengesetzt dieser Theorie hielt dieses Tier die Augen geöffnet und sandte einen so langen, langen Blick herüber, als könne es sich ganz und gar nicht erklären, was für Geschöpfe es vor sich habe.

Das wollte Schwarz benutzen. Er richtete den Lauf seines Gewehres nach dem Kopfe des Löwen, um demselben einen Schuß in das Licht zu geben. Aber da schloß das Tier die Augen und knurrte grimmig, als ob es die Absicht des Schützen ganz genau kenne.

Es dauerte eine lange Zeit, bevor es die Lider wieder öffnete, aber nur ganz wenig. Dennoch glühte es zwischen denselben in einem Scheine hervor, welcher demjenigen einer hellgrünen Papierlaterne glich.

Die Sterne leuchteten so hell hernieder, daß man den Löwen ganz deutlich sah. Er lag hart auf dem Boden, den Kopf auf die beiden Vorderpranken gesenkt und den langen Schwanz gerade ausgestreckt. Schwarz sah ein, daß er mit dem Schusse nun noch warten müsse, bis das Raubtier die Augen weiter öffnete und den Hinterleib erhob. um sich zum Sprunge anzuschicken. Dieser Meinung schien der »Vater der elf Haare« aber nicht zu sein, denn er raunte ihm zu:

»Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!«

»Nein; noch warten!« antwortete Schwarz.

»So schieße ich, denn dann ist es zu spät.«

»Um Gottes willen noch nicht, weil —«

Er konnte nicht weiter reden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines »Elefantenmörders« auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wenn der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der »Sohn der Blattern« mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben der hochbejahrten Donnerbüchse schlug dem Kleinen mit solcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das Gewehr fallen ließ und in seiner slowakischen Muttersprache ausrief:

»Jakowa bezotschiwortj! Idi do tscherta – welche Unverschämtheit! Geh zum Henker!«

Mit der einen Hand den Kopf haltend, stieß er mit der andern den Elefantentöter weit von sich fort. Der Schlag schmerzte ihn so, daß er nur an die »Unverschämtheit« des Gewehres, nicht aber an den Löwen dachte.

Dieser war, als der Schuß krachte, aufgesprungen. Seine Augen weit öffnend, stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus und setzte zum Sprunge an. Schwarz hatte glücklicherweise seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu:

»Wirf dich zur Seite! Schnell, schnell!«

Der Genannte folgte diesem Gebote, indem er sich augenblicklich bis an die Wand des Felsens schnellte. Ob die Kugel in das Auge gedrungen sei, konnte Schwarz nicht sehen, denn kaum hatte sein Schuß gekracht, so befand der Löwe sich schon mitten im Sprunge in der Luft. Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, drückte ab und warf sich sofort mit solcher Gewalt nach links, daß er mit dem halben Körper zwischen die dichten Büsche hineinflog.

Die ungeheure und schier unglaubliche Sprungkraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an welcher er gelegen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen sich soeben noch befunden hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch Abu Dihk, der »Vater des Gelächters«, dort. So klein die Gestalt dieses wackern Händlers, so groß war seine Unerschrockenheit. Es war ihm gar nicht eingefallen, die letzte Warnung des Deutschen auf sich zu beziehen und sich auch in Sicherheit zu bringen. Auch er hatte keinen Blick von dem Löwen gewendet. Er sah ihn springen; er sah ferner, daß das Tier zwei Schritte vorwärts, da wo die Schützen gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell avancierte er, stemmte seinen Spieß von neuem ein, richtete die Spitze desselben auf den Leib des Löwen und ließ in dem Augenblicke, als sie sich einbohrte, die Lanze los und wälzte sich behend nach links, wo Schwarz lag oder vielmehr gelegen hatte, denn dieser war sofort wieder aufgesprungen und hatte das lange Messer gezogen, welches in seinem Gürtel steckte, um sein Leben Auge in Auge mit dem Raubtiere zu verteidigen, falls dasselbe nicht zu Tode getroffen sei.

Diese Vorsicht erwies sich glücklicherweise als überflüssig. Man hörte das scharfe Geräusch der zerbrechenden Lanze; der Löwe schlug auf den Boden nieder, erhob sich sofort wieder – ein sichtbares Zittern ging durch seine mächtigen Glieder – man sah ihn wanken – er wendete sich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk sich befanden, holte zum abermaligen Sprunge aus, kam aber nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und schnell ersterbendes Gebrüll ausstoßend, brach er zusammen, legte sich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die zuckenden Pranken an den Leib, streckte sie wieder aus und – blieb nun bewegungslos liegen.

Das war natürlich alles viel, viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, doch in solchen Fällen werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekunden zu Minuten, und der Geist des Menschen arbeitet so rapid schnell, daß zehn Entschlüsse sich in der Zeit folgen, welche sonst ein einziger Gedanke erfordert.

Die drei mutigen Männer hatten keine Zeit, sich zu überzeugen, ob der Löwe tot sei. Obgleich ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihn gerichtet gewesen war, hatten sie doch ein zweites Brüllen, welches gleich nach dem Krachen der Gewehre von fern erschollen war, nicht überhören können. Der Slowak war aufgesprungen, Abu Dihk ebenfalls. Sie lauschten, sie vernahmen die Stimme eines zweiten Löwen. Diese erklang aber nicht in einzelnen Abständen wie diejenige des ersten, sondern sie ertönte ununterbrochen fort, nicht so mächtig, nicht mit so donnerndem Schalle, sondern in dumpf keuchender Wut; es war ein bissiges, nach Blut lechzendes Stöhnen, aus welchem von Zeit zu Zeit ein knirschender Gaumenlaut hervorbrach wie eine verderblich züngelnde Flamme aus verborgener Glut. Man hörte dieser Stimme deutlich an, daß das Tier sich in raschen Sätzen näherte.

Da dort, wo die drei standen, das Feuer ausgelöscht worden war, so befanden sie sich im dunkeln Schatten des Felsens und konnten von den Arabern und Dschelabis nicht gesehen werden, und die letzteren wußten also nicht, welchen Verlauf der Angriff des Löwen genommen hatte.

»Allah il Allah!« hörte man die Stimme des Schechs. »Assad Bei, der Herdenwürger, hat alle drei ermordet und liegt nun bei ihren Leichen, um sie aufzufressen. Er hatte seine Frau bei sich, welche die Schüsse hörte und nun herbeigestürzt kommt, um ihm zu helfen. Sie wird sich auf uns werfen und uns zerreißen. Eure Leiber sind verloren, aber rettet eure Seelen, indem ihr mit mir die Sure Jesin betet und dann auch die Sure der Gläubigen, welche die dreiundzwanzigste des Korans ist!«

»Schweig!« rief Schwarz ihm zu. »Wir leben, und der Löwe ist tot. Durch dein Geschrei machst du seine Sultana auf dich aufmerksam, und sie wird dich fassen!«

»Allah kehrim – Gott ist gnädig!« antwortete der Feigling. »Ich bin still! Aber schießt sie tot, die Sultana; schießt auch sie tot, damit sie mit ihrem Manne dahin fahre, wo die Hölle am schrecklichsten ist!«

Obgleich Schwarz dem Schech geantwortet hatte, war er bemüht, jeden Augenblick auszunutzen. Er zog zwei Patronen hervor, um seinen Hinterlader wieder schußfertig zu machen.

»Es ist wirklich die Löwin, welche kommt,« sagte der Slowak. »Ich muß auch wieder laden. Wo habe ich nur —«

Er suchte in seinen Hosentaschen nach der Munition.