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Die Sklavenkarawane
Die Sklavenkarawane
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Die Sklavenkarawane

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»Dessen bedarf es gar nicht. Wir gehen ohne Einladung hin.«

»Wenn wir es euch erlauben!«

»Ihr habt gar nichts zu erlauben. Der Brunnen ist für alle da, und übrigens befindet ihr euch in Feindes Land.«

»Allah iharkilik – Gott verbrenne dich!« murmelte der Homr, sagte aber weiter nichts.

Der Dschelabi schien von Haus aus kein furchtsames Kerlchen zu sein, und seit er wußte, daß der erst für einen mohammedanischen Schech gehaltene Fremde ein europäischet Christ sei, fühlte er sich noch weniger geneigt, sich von den Arabern bevormunden zu lassen.

Sie langten bei dem Felsen an, an dessen Fuß sich der Bir befand. Dieser war kein laufendes Wasser; er bestand in einem kleinen, von dichtem Mimosengebüsch umgebenen Weiher, welchen eine nicht sichtbare Wasserader speiste. Man stieg ab. Während einige die von ihren Lasten befreiten Tiere tränkten, sammelten die andern dürres Geäst, um ein Feuer zu machen. Als es brannte, setzten sich die Homr so um dasselbe, daß für die Dschelabi kein Platz blieb. Der Ungar verlor kein Wort darüber. Er trug Holz nach der andern Seite des Wassers, brannte dort ein Feuer an und rief dem »Vater der vier Augen« zu:

»Nun magst du dich entscheiden, bei wem du sitzen willst, bei ihnen oder bei uns.«

»Bei euch,« antwortete er. »Nehmt dort die Satteltasche, welche meinen Proviant enthält! Ihr seid meine Gäste. Wir können alles aufessen, da wir morgen nach Faschodah kommen.«

»Da irrt er sich,« flüsterte der Schech den Seinen zu. »Er verachtet uns und zieht diese Erdferkel vor. Wir wollen so thun, als ob wir es nicht beachteten. Aber beim Anbruche des Tages wird er in der Dschehenna heulen. Mag er jetzt noch einmal, zum letztenmal im Leben, essen!«

Er suchte auch seine Vorräte vor, dürres Fleisch und trockenen Durrhakuchen, wozu das Wasser des Bir mit den Händen geschöpft wurde.

Indessen rekognoszierte der Fremde die Umgebung des Brunnens. Der kleine Berg stand vollständig isoliert in der Ebene. Er war mit Gras bewachsen, eine Folge der Verdunstung des Brunnenwassers. Auf seiner nördlichen und westlichen Seite gab es kein Strauchwerk; aber am östlichen und südlichen Fuße, wo der Brunnen lag, kletterten die Mimosen ein Stück am ausgewitterten Felsen empor und liefen auch eine ganze Strecke in die Ebene hinein. Menschliche Wesen waren nicht zu sehen; die Gegend schien vollständig sicher zu sein, auch in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geist des hier vergifteten »Herrn mit dem dicken Kopfe« hier in nächtlicher Stunde sein Wesen trieb.

Als er nach der Quelle zurückkehrte, hatten die Kamele und Esel sich satt getrunken und fraßen von den jungen Zweigen der Mimosen. Er ließ sein ganzes Gepäck in die Nähe des zweiten Feuers tragen und dort am Felsen niederlegen, so daß er es im Auge haben konnte.

Der Ungar hatte die Tasche geöffnet und den Inhalt derselben vor sich ausgebreitet. Derselbe bestand aus Durrhabrot, Datteln und mehreren Perlhühnern, welche der »Vater der vier Augen« gestern früh jenseits der Sandstrecke geschossen hatte.

Es gibt im Sudan ganze Stämme, welche keinen Vogel essen. Die Dschelabi gehörten nicht zu diesen Verschmähern eines guten Geflügels. Sie rupften die Hühner, nahmen sie aus und zerlegten das Fleisch in kleine viereckige Stücke, welche, an zugespitzte Äste gespießt, über dem Feuer gebraten wurden. In dieser Form und Weise zubereitet, wird das Fleisch Kebab genannt.

Während dies geschah, zog der Ungar die ihm am Herzen liegenden Erkundigungen ein. Bei dem Ritte hatte er nur notgedrungen geschwiegen, nun aber fragte er, als der Fremde sich neben ihm am Feuer niedergelassen hatte, immer noch in arabischer Sprache, wie bisher:

»Darf ich nun erfahren, Herr, aus welchem Lande du bist? Bitte!«

»Sage mir vorher erst, aus welcher Gegend Ungarns du stammst!«

»Ich bin ein Magyar aus Nagy Mihaly bei Ungvar.«

»Von dort? Dann aber bist du wohl kein Magyar, sondern ein Slowak. Du hast dich dessen jedoch gar nicht zu schämen.«

»Ich schäme mich auch nicht; aber da ich in Ungarn geboren bin, bin ich doch auch Magyar. Du kennst meine Heimatsgegend? Warst du dort?«

»Ja.«

»Sprichst du ungarisch? Ich bin auch des Slowenischen mächtig.«

»Mir ist beides fremd, also können wir uns leider nicht in deiner Muttersprache unterhalten. Aber wie bist du nach Afrika, nach Ägypten und gar nach dem Sudan gekommen?«

»Durch meinen Herrn.«

»Wer war das?«

»Matthias Wagner, auch ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitat.«

»Den kenne ich, wenn auch nicht persönlich. Er hat sehr viel erlebt. Er ging nach Ägypten, Arabien und Abessinien, war Begleiter des Herzogs von Gotha, bereiste später den ganzen Ostsudan und ist vor ungefähr einem Jahre gestorben, ich glaube in Chartum. Nicht?«

»Ja, Herr, so ist es. Du kennst alle seine Erlebnisse. Ich war zuletzt mit ihm nach Kordofan, um Straußfedern zu handeln. Nach unsrer Rückkehr mußten wir uns trennen. Er starb, und über mich brach ein Unfall nach dem andern herein, so daß ich endlich gezwungen war, das Leben eines armen Dschelabi zu führen.«

»Hast du da Glück gehabt?«

»Was nennst du Glück? Ich begann vor sechs Monaten mit fünf Mariatheresienthalern, und was ich jetzt besitze, ist vielleicht dreißig wert. Großwesier wird man nicht dabei.«

»Dazu hat Allah dir ja auch den Verstand gar nicht gegeben,« fiel der zweite Dschelabi jetzt ein.

»Schweig, Abu Dihk!« fuhr der Ungar ihn an. »Mich hat Allah für so einen hohen Posten eigentlich ausgerüstet. Du aber könntest nicht einmal Hamal werden, trotz deines falschen Stammbaumes!«

»Er ist echt und nicht gefälscht. In mir fließt das Blut vom Fahnenträger des Propheten. Hör‘ meinen Namen an! Soll ich ihn dir nennen?«

»Um Allahs willen, nein! Du trompetest ihn so unaufhörlich aus, daß ihn bereits im ganzen Sudan jeder Vogel pfeifen kann.«

»Das darf ich wohl, da er ein hoch berühmter ist. Höre ihn an, und höre auch, was meine Ahnen thaten! Wie aber heißt du? Ich habe es vergessen?«

»Uszkar.«

»Wie lautet das auf Arabisch?«

»Kelb.«

»Welch ein Name! Wie kann ein Mensch sich nach einem so verachteten Tiere nennen! Wie hieß dein Vater?«

»Auch Uszkar oder Kelb.«

»Dein Großvater?«

»Ebenso.«

»Und deine andern Ahnen?«

»Auch nicht anders.«

»Allah, welch ein Stammbaum ist das! Kelb ben Kelb Ibn Kelb Hafid Kelb, Kelb und nichts als Kelb! Es ist ein Wunder, daß du nicht bellst, sondern sprichst. Mein Name aber lautet Hadschi Ali ben Hadschi Ishak el Faresi Ibn Otaiba Abu – – —«

»Still, still, still!« rief der Ungar, indem er mit beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. »Ich mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird er sich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein Name gegen meine Erfahrungen und Kenntnisse bedeuten! Ihn hast du ohne alles Verdienst von deinen Vorfahren; sie aber habe ich mir selbst angeeignet. Wisse, daß ich sogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, verstehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt.«

»Und wisse,« schrie der andre, welcher sich ernstlich zu ereifern begann, »daß ich alle Länder und Völker der Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und beim Namen nenne.«

»Das ist Geographie, deine Leidenschaft. Wo aber willst du sie studiert haben?«

»Bei meinem Oheim, welcher erst in Stambul wohnte und dann in das Land der Nemtsche nach Lipsik ging, wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Asal ‚l abiad handelte. Dort wurde er wohlhabend und kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausstudiert hatte, ging ich nach Ägypten als Asker und bin so nach und nach bis in den Sudan gekommen.«

»O du Vater des Gelächters,« lachte der Slowak, »willst du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein studiert?«

»Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab‘s dann von ihm. Allah allein kennt die Millionen Länder und Dörfer, welche sich in meinem Kopfe befinden. Du aber weißt gar nichts. Du bist der Sohn der Blattern und der Vater der elf Haare. Du hast meinen Namen gehört. Wie kannst du mich den Vater des Gelächters nennen?«

Sie waren beide zornig geworden und griffen sich bei ihren gegenseitigen körperlichen Schwächen an. Die Spitznamen, welche man ihnen gegeben hatte, waren sehr bezeichnend. Das Gesicht des Slowaken war geradezu abschreckend pockennarbig, und es mußte fast als ein Wunder erscheinen, daß die zerstörende Krankheit ihm die wenigen Haarkeime übrig gelassen hatte. Freilich zählte sein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über dreißig waren es gewiß nicht. Und diese zerstreut und unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlichkeitsbeweise hatte er so lieb, daß seine Hände während jedes freien Augenblickes bemüht waren, sie zu sammeln und ihnen die Form eines echt ungarischen Schnurrwichses zu geben.

Was den »Vater des Gelächters« betraf, so litt er an einer Krankheit, welche sein Gesicht in fast regelmäßigen Pausen, besonders aber bei Seelenerregungen und wenn er sprach, zur schrecklichen Fratze verunstaltete, nämlich am Gesichtskrampfe. Diese Verzerrungen brachten nie einen ernsten, sondern stets nur einen solchen Ausdruck des Gesichtes hervor, daß man meinte, Ali wolle sich über irgend etwas totlachen. Es ist ganz gewiß höchst verwerflich, sich über körperliche Gebrechen eines andern lustig zu machen, aber die Gesichter des Mannes, welcher Millionen Länder und Dörfer in seinem Kopfe hatte, wirkten so unwiderstehlich, daß der ärgste Melancholikus, der rücksichtsvollste Mensch geradezu gezwungen war, mitzulachen. Übrigens genierte ihn das keineswegs; er schien sich im Gegenteile ganz glücklich zu fühlen, stets lustige Gesichter um sich zu sehen.

»Und wenn du alle Völker und Inseln der Erde im Kopfe hast, so kennst du doch gewiß nicht ein einziges Wort Latein!« behauptete der Slowak. »Herr, verstehst vielleicht auch du lateinisch?«

»Ja, ein wenig,« nickte der »Vater der vier Augen« lächelnd. »Wo hast du es denn gelernt?«

»Auch in Leipzig.«

»Aber doch nicht an der Ecke bei dem Honigkasten?«

»Nein, sondern von meinen Professoren.«

»Professoren? Hast du etwa studiert?«

»Ja.«

»Was?«

»Medizin.«

»So bist du Doktor?«

»Allerdings. Auch war ich drei Jahre lang Lehrer an einer deutschen Medresse.«

Da sprang der Kleine auf und rief:

»So bist du ein Deutscher?«

»Ja. Wenn du deutsch verstehst, können wir uns dieser Sprache bedienen.«

»Natürlich verstehe ich es, und zwar ganz ausgezeichnet! Allah! Ein Ra-is et tibb! Und ich habe dich du genannt! Wo habe ich da meine Augen gehabt! Das soll sofort gut gemacht werden; ich werde höflicher sein. Darf ich deutsch reden?«

»Das versteht sich!« antwortete der Gelehrte, sehr neugierig darauf, wie der Ungar, welcher des Magyarischen, des Slowakischen und sogar des Lateinischen mächtig sein wollte und wirklich gar nicht übel arabisch sprach, sich im Deutschen ausdrücken werde. »Versuchen Sie es, und sagen Sie mir da einmal gleich, was Ihr Vater gewesen ist!«

Der Gefragte antwortete mit strahlendem Gesichte, nun in deutscher Sprache:

»Vatterr meiniges hatt Musika gewest. Macht dilideldum, dilideldei.«

»Auf welchem Instrumente?« fragte der Arzt, der sich nur schwer des Lachens erwehren konnte.

»Hatt blaste Klarniett: Viviviva viviviva!«

Er hielt die beiden Hände vor den Mund und ahmte die Klänge der Klarinette täuschend nach.

»Da haben Sie wohl auch ein Instrument zu blasen gelernt?«

»Nein. Mund meiniger hatt nicht paßte dazu.«

»Und wie ist Ihr eigentlicher Name?«

»Hab ich heißte Uszkar Istvan.«

»Also zu deutsch Stephan Pudel, wenn ich mich nicht irre, da ich zufälligerweise das Wort Pudel kenne. Ein ominöser Name hier in einem mohammedanischen Lande, wo das Wort Hund als größte Beschimpfung gilt. Sie hätten dieses Uszkar Ihren Gefährten nicht übersetzen sollen.«

»Serr richtig! Aber wie heißten Sie, Pane Doktorrr?«

»Ich heiße Emil Schwarz und bin hier, um die Fauna und Flora des Landes zu studieren und in möglichst vielen Präparaten mit nach Hause zu nehmen.«

»Fauna und Florrra! O, das seinte gut Latein! Auch ich verstehnte Latein. Latein meiniges ich hatt lernte bei Pane Wagner. Fauna heißte Pflanz, und Flora heißte Vieh.«

»Oder umgekehrt,« lachte Schwarz.

»Umkehrte auch richtig, beides richtig! Ich bin viel geweste in Sudan. Ich hatt sehnte das ganze Florrra und Fauna. Wenn Sie brauchte ein Dienerrr, ich sehr gern wernte Dienerrr Ihriges.«

»Wirklich?«

»Ja, Pane Doktorrr. Ich nicht willnte mehr handeln im Sudan, und ich nicht mehr magte sein ein Dschelabi. Sie mich könnte brauchte sehr gut. Ich Sie wollte unterrrstützte mit Latein meiniges und machte kleb an die Etiquetten an Präparaten Ihrige.«

»Dieses Anerbieten ist mir nicht unwillkommen, und ich werde – – —«

Er hielt inne. In der Ferne war ein Ton erklungen, welcher sofort die Aufmerksamkeit aller in Anspruch nahm.

»Was war das?« fragte Schwarz, sich in arabischer Sprache an die Dschelabi wendend. »Doch unmöglich Donner! Jetzt im Sef gibt es doch wohl keine Gewitter.«

»Nein, Donner war es nicht,« antwortete der Slowak, auch in arabischer Sprache, welche er nicht so schlimm radebrechte wie die deutsche.

»Was war es sonst?«

»Es war Aslan, der Herr der Herden.«

»Der Löwe? Also gibt es hier doch welche!«

»Es scheint so, und der Herr mit dem dicken Kopfe wird hierher kommen, denn er hat unsre Feuer gesehen.«

»So zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erst um oder gar nach Mitternacht sein Lager verlasse.«

»Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.«

Diese Fragen und Antworten waren mit lauter, vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und sagte mit leiser Stimme und in ängstlichem Tone:

»Um Allahs willen, sprecht nicht so laut, sonst hört er es und kommt herbei. Dann sind wir alle verloren. Horcht!«

Es erscholl derselbe Laut wieder. Er klang dem Rollen eines schweren Wagens, welcher über eine hölzerne Brücke fährt, sehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die Esel drängten sich zusammen.

»Das also, das ist der Löwe!« sagte Schwarz, mehr zu sich als zu den andern. »Endlich, endlich höre ich seine Stimme in der Freiheit.«