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ER: Warum gehen Sie davon aus, dass ich zugereist bin?
SIE: Wer kann denn noch sp?t abends in einem Hotelrestaurant mit der Aktentasche sitzen und irgendein tristes Schriftst?ck lesen?
ER: Und Sie schlagen mir vor, mich zu vergn?gen?
Sie antwortet nicht. Er schaut sie zum ersten Mal aufmerksam an und sch?tzt sie von Kopf bis Fu? ab.
SIE: (Seinem Blick folgend richtet sie sich auf, r?ckt die Schultern zurecht und fragt leicht ironisch, dabei posierend.) Nun, gef?llt?s?
ER: (Ungernzugebend.) Nicht schlecht.
SIE: Danke. Also, vielleicht machen wir uns endlich bekannt?
ER: Danke f?r den Vorschlag, aber ich bin kein Liebhaber von leichten Bekanntschaften.
SIE: Aber warum gehen Sie davon aus, dass die Bekanntschaft mit mir leicht wird? Ich verspreche, dass sie schwierig wird.
ER: Sie wird… ?berhaupt nichts.
SIE: Aber sie hat doch schon stattgefunden.
ER: Nichts dergleichen. Ich kenne Sie nicht und will Sie nicht kennen.
SIE: Warum denn so schroff?
ER: Um gleich den Punkt auf das I zu setzen. Geh und fang dir einen anderen Mann! (Steckt entschlossen das Papier in die Aktentasche.)
SIE: Und wenn ich ausgerechnet Sie fangen will?
ER: Vergeude keine Zeit, das klappt nicht. Zuf?llige Verbindungen sind nicht mein Stil. Au?erdem liebe ich meine Frau.
SIE: (Mit gespielter Verwunderung.) Was Sie nicht sagen? Ein Mann wohnt im Hotel und gesteht einer Frau, dass er verheiratet ist! Und seine Frau auch noch liebt! Ein seltenes Beispiel von Aufrichtigkeit und Ordnungssinn.
ER: So oder so, ich bin verheiratet und damit Schluss.
SIE: Aber wen st?rt das? Habe ich denn mit einem Wort bemerkt, dass Sie mich heiraten sollten?
ER: Bisher nicht, aber deiner Eile nach, spielst du vielleicht bald darauf an. (Sieht sich im Saal um.) Wohin ist dieser verdammte Kellner verschwunden?
SIE: (Sich noch gem?tlicher setzend.) Ich sp?re, dass Sie nicht von Ihrer Standhaftigkeit ?berzeugt sind und mich deshalb vertreiben.
ER: H?ren Sie zu, das beginnt mir l?stig zu werden. Hier gibt es ausreichend freie Tische. Warum, haben Sie sich ausgerechnet zu mir gesetzt?
SIE: Weil ich das wollte.
ER: Ich sehe, so einfach lassen Sie nicht von mir ab, deshalb, lass uns eines klar stellen: Ich bin dagegen und habe mit Stra?enm?dchen nichts am Hut. Du hast keinerlei Chance.
SIE: Und Sie, versteht sich, bevorzugen ordentliche.
ER: Versteht sich.
SIE: Aber was ist denn nach Ihrer Meinung ein Stra?enm?dchen?
ER: Eine, die Liebe f?r Geld verkauft.
SIE: Das hei?t, Sie bevorzugen ordentliche aus Sparsamkeit?
ER: ?rger? mich nicht!
SIE: Das werd? ich nicht. Das hei?t, f?r Sie bin ich eine von der Stra?e?
ER: Was denn sonst?
SIE: Mache ich mich denn auf der Stra?e an Sie heran?
ER: Auf der Stra?e, im Restaurant – welcher Unterschied? Hauptsache, f?r Geld.
SIE: Habe ich Sie um Geld gebeten?
ER: (Unwillig.) Bisher nicht.
SIE: Sagen Sie, und wenn eine Frau ihren Mann kostenlos betr?gt, ist sie dann ordentlich?
ER: (Wei? nicht, was er sagen soll.) Mach mich nicht an!
SIE: Und wenn ich mit Ihnen eine Nacht ohne Geld verbringe, werde ich ordentlich sein?
ER: Ich hab? doch gesagt, mach mich nicht an!
SIE: Mit einem Wort, Sie lehnen mich ab.
ER: Ja.
SIE: Warum?
ER: Ich f?rchte, dass ich nach dieser feurigen Nacht zum Arzt muss, und dann wird sie wirklich unvergesslich.
SIE: F?rchten Sie sich tats?chlich davor, oder wollten Sie mich beleidigen?
ER: Ich f?rchte mich tats?chlich davor.
SIE: Aber ich dachte doch, dass Sie vor der Verf?hrung die Ordentlichkeit bewahrt.
ER: Und Ordentlichkeit auch.
SIE: Sehr l?blich. Wie hat Horazius noch geschrieben, „Fliehe vor aller Lust, der Preis der Lust ist Leiden“.
ER: (Kann seine Verwunderung nicht verbergen.) Zum ersten Mal treffe ich eine Frau, vom Leichten Gewerbe, die Horazius zitiert.
SIE: Treffen sie sich denn oft mit solchen Damen?
ER: Das geht nur mich an.
SIE: Haben Sie denn viele Ingenieure getroffen, die Horazius zitierten? Oder ?rzte?
ER: Ehrlich gesagt, nicht viele. ?berhaupt keine. Woher haben Sie diesen Horizont?
SIE: Das hab? ich bei den Kunden aufgefangen. Unter denen gibt es durchaus auch intelligente. (Betont.) Manchmal auch mit akademischen Grad.
ER: (Wirft ihr einen pr?fenden Blick zu.) Wissen Sie irgendetwas ?ber mich?
SIE: Kann sein.
ER: Ich sehe, bei Ihnen muss man auf der Hut sein. Und um Worte sind Sie auch nicht verlegen.
SIE: Verlegenheit ist meine Sache nicht.
ER: (Sieht sie wieder aufmerksam an.) Ich kann Sie einfach nicht durchschauen.
SIE: Ich denke, das lohnt sich nicht. Sie w?rden es bedauern.
ER: Sie gleichen keiner gew?hnlichen Prostituierten.
SIE: Ich sehe, Sie haben eine reiche Erfahrung. Ungeachtet Ihrer K?lte, Standhaftigkeit und des Widerwillens wissen Sie von irgendwoher, wem Prostituierte gleichen.
ER: Aus dem Kino.
SIE: Seien Sie nicht bescheiden! Sagen Sie lieber, wie Nachtschw?rmer aussehen und sich verhalten.
ER: Ich wei? nicht… Wahrscheinlich hemmungsloser.
SIE: Sie wollten wohl sagen, „aufreizender“. Sagen wir, so. (Schl?gt die Beine ?bereinander, macht eine Schulter frei, streift den Saum des Kleids bis zur ?u?ersten Grenze und steckt sich eine „virtuelle“ Zigarette an.) ?hnlich?
ER: (Unwillk?rlich l?chelnd/schmunzelnd.) Wahrscheinlich.
SIE: Gef?llt Ihnen das?
ER: Ja und nein. Es st??t ab… aber zieht auch an.
SIE: Danke f?r das offenherzige Bekenntnis.
ER: (Gie?t ihr aus einer Karaffe ein.) Etwas Wodka?
SIE: Was denn, trinken denn solche M?dchen in den Filmen immer Wodka? Ich geh? selten ins Kino, aber ich dachte, dass deren eigentliche Besch?ftigung eine ganz andere ist.
ER: Wenn Sie nicht wollen, trinken Sie nicht! Ehrlich gesagt, ich mag ihn auch nicht.
SIE: Also, und wie stehen Sie zu den Frauen des Freien Berufs.
ER: (Zuckt mit den Schultern.) Ich wei? nicht. Wenn sie schon existieren, werden sie wohl von jemandem gebraucht.
SIE: Aber nicht von Ihnen.
ER: Nicht von mir.
SIE: Womit haben die Sie denn so ver?rgert?
ER: Damit, dass sie sich allen und jedem hingeben.
SIE: Warum sollten sie denn nicht demjenigen Vergn?gen bereiten, der daran Bedarf hat? Ich w?rde sagen, das ist sogar unsere weibliche Aufgabe. (Mit gespielter Feierlichkeit.) Schon Platon hat best?tigt, dass wir nicht nur f?r uns selbst leben sollten, sondern teilweise auch der ?ffentlichkeit geh?ren, teilweise den Freunden.
ER: Sie sind aber gut beschlagen.
SIE: Das Leben ist der beste Schmied. Es schmiedet manchmal so hart, dass dir beim Ritt der Kopf dr?hnt.
ER: Was immer du auch sagst, sich zu verkaufen ist unmoralisch.
SIE: Irgendwie verkaufen wir alle unsere Zeit, unsere Dienste, unsere Arbeit. Ist es Ihrer Meinung nach moralischer, wenn eine Frau am Flie?band steht, sich das Kreuz auf dem Bau verbiegt oder Erde umgr?bt? Und au?erdem, die, die Sie so angreifen, faulenzen nicht, sondern arbeiten. In Amerika nennt man solche Damen „sexual workers”, sexuelle Arbeiter, und sie sind in einer Gewerkschaft organisiert. In Holland nennt man sie poetischer „Froelichsm?dchen”, “ Freudenm?dchen”. Bei uns dagegen verleiht man ihnen wer wei? was f?r welche Namen, von Schimpfworten ganz abgesehen.
ER: Verdienen sie denn nicht solche Bezeichnungen?
SIE: Welche verdienen dann die M?nner, die deren Dienste in Anspruch nehmen?
ER: Nun, es gibt einen Unterschied.
SIE: Versteht sich, es gibt einen. ?ffentliche Frauen, die machen das wenigstens wegen des Verdienstes. Aber M?nner aus Wollust und Perversit?t.
ER: Ich hoffe, Sie meinen nicht mich?
SIE: Nein, nicht Sie. Nat?rlich nicht Sie. Sie sind tadellos. (Erhebt sich und nimmt ihre Tasche.) Ich werde Ihnen wohl nicht weiter mit meiner Gesellschaft l?stig werden. Ich habe Sie ein bisschen gereizt, und damit Schluss. Ihre Aufzeichnungen sehnen sich nach Ihnen. Alles Gute.
ER: Warten Sie… Wohin gehen sie?
SIE: Ich hab? Sie schon lange genug angeh?rt.
ER: Ich vertreibe Sie eigentlich gar nicht.
SIE: Und wer hat den Punkt auf das I gesetzt und Klarheit geschafft?
ER: Nun, ich war ein bisschen schroff.
SIE: Sind Sie wirklich nicht b?se?
ER: Nein. Weshalb? Und mir war zugegeben ziemlich einsam. Drau?en ist eine abscheuliche Herbstnacht, K?lte und Wind…
SIE: Dann gehen Sie schlafen!
ER: Zu mir ins Zimmer? Dort herrscht t?dliche Langeweile. Und ich schlaf? trotzdem nicht ein.