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Internationales Privatrecht
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2. Der Rechtsvergleichung kommt jedoch eine wichtige Aufgabe bei der Qualifikation zu, die aber nicht in der Schaffung eines übernationalen Systems besteht, sondern in der Ermittlung der Funktion einer ausländischen oder deutschen Bestimmung, die in dem angewendeten System nicht ohne weiteres randscharf einem bestimmten Systembegriff unterfällt (funktionelle Qualifikation, dazu Rn 473 ff).
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3. Zur Lösung der Qualifikationsfragen durch Rückgriff auf eine nationale Rechtsordnung werden verschiedene Methoden erörtert, die sich grundsätzlich unterscheiden lassen in Qualifikation nach eigenem Recht (autonome Qualifikation) und nach ausländischem Recht (heteronome Qualifikation).
II. Qualifikation lege fori
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1. Am häufigsten vertreten wird die Qualifikation nach der lex fori, aus deutscher Sicht also nach deutschem Recht.[4] Die von den Systembegriffen der Kollisionsnormen erfassten Rechtsfragen werden so umschrieben, wie es das deutsche Recht tut.
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2. Diese Methode hat den erheblichen Vorteil, dass sie praktikabel und logisch stimmig ist: Zu Beginn der Falllösung gibt es noch kein in irgendeiner Weise betroffenes ausländisches Recht, denn erst die Verweisung durch eine maßgebliche Verweisungsnorm (nicht etwa die rein tatsächliche Beziehung zu irgendeinem Staat) stellt den Auslandsbezug her. Die Qualifikation bestimmt aber bereits in diesem Zeitpunkt die Auswahl der Verweisungsnorm und sollte deshalb nicht von ihrem Ergebnis, dem verwiesenen Recht, abhängen. Außerdem erfahren alle Rechtsinstitute an jeder Stelle der Prüfung dieselbe Qualifikation, was Widersprüche vermeidet.
Der Schubladenschrank im eingangs genannten Bild ist also bei Qualifikation lege fori schon zu Beginn der Prüfung gebaut, und alle Rechtsinstitute liegen in einer – und nur in einer – Schublade.
III. Qualifikation lege causae
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Dagegen wird eine Qualifikation nach der lex causae selten vertreten. Diese Ansicht meint, der Systembegriff, den eine deutsche Verweisungsnorm verwende, erfasse genau die Bestimmungen in dem auf die Rechtsfrage letztlich anwendbaren Recht (lat.: lex causae), die dort unter diesen Rechtsbegriff fallen. Diese Ansicht ist unpraktikabel: Da Ausgangspunkt der Prüfung immer das deutsche IPR ist, muss zwangsläufig zunächst nach deutschem Recht qualifiziert werden. Im fremden Recht angelangt, wechselt diese Methode das System. Sie beseitigt damit die Systemwidersprüche nicht, sondern verfestigt sie und schafft dadurch Normenhäufungen und Normenlücken.
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ZB wird in dem Verjährungsproblem (Drittes Qualifikationsproblem, Rn 451) der Umfang des Prozessrechts nach deutschem Recht, der Umfang des Vertragsrechts nach englischem Recht bestimmt, mit der Folge, dass die Verjährungsregel keiner der beiden Rechtsordnungen Anwendung findet; im eingangs genannten Bild: Man zieht die Prozessschublade des deutschen Rechts und die Vertragsschublade des englischen, und in keiner findet sich eine „Verjährungsregel“.
IV. Funktionelle Qualifikation
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1. Mit einer am deutschen materiellen Recht orientierten Qualifikation lege fori lassen sich jedoch gerade die problematischen Fälle nicht lösen, denn sie sind aus der Spannung zwischen den Systembegriffen des deutschen (materiellen) Rechts und anderer Normsysteme entstanden.
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Alle Qualifikationsprobleme, die aus der Verschiedenheit deutscher und ausländischer Systembegriffe entstehen, werden vom Ausgangspunkt der lex fori mit der Methode der funktionellen Qualifikation gelöst. Die Systembegriffe der deutschen Verweisungsnormen werden dabei so weit ausgelegt, dass sie alle ausländischen Regelungen erfassen. Dazu ist auf die Funktion der Normen abzustellen. Teilweise wird gefragt, ob auf die Funktion der (deutschen) Kollisionsnormen oder die Funktion der ausländischen Sachnormen der lex causae abzustellen ist. Dies bedeutet aber keine Alternative: Ziel der funktionellen Qualifikation ist es, die Normen der lex causae unter die deutsche Kollisionsnorm zu subsumieren, was nur möglich ist, indem man den materiellen Gehalt der in Betracht kommenden ausländischen Norm erfasst und die Frage beantwortet, ob dieser Gehalt einem Systembegriff des deutschen IPR adäquat ist.
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Funktionelle Qualifikation nutzt bei der Einordnung der ausländischen Norm die rechtsvergleichende Methode; um deren Zweck unabhängig von fremder Systematik zu ermitteln, muss aber schon die fremde Norm teleologisch eingeordnet werden. Bei der Frage nach der Funktion der deutschen Kollisionsnorm steht die teleologische Methode im Vordergrund.
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2. Mit funktioneller Qualifikation können insbesondere auch dem deutschen Recht unbekannte Rechtsinstitute erfasst werden; dabei ist allerdings die Feststellung nicht zu vermeiden, dass solche Institute mehrere Funktionen haben können und deshalb aus deutscher Sicht ggf zu verschiedenen Systembegriffen gehören. Dann muss das ausländische Rechtsinstitut funktionell zerlegt werden, weil es aus der Sicht der maßgeblichen lex fori nur scheinbar einheitlich ist.
Wiederum im Bild des Schrankes: Wir bauen unseren Schrank mit so ausreichend dimensionierten Schubladen, dass alle Normen fremder Rechtsordnungen einen geeigneten Platz finden, und stören uns nicht daran, dass dieser Schrank anders aussieht als der des BGB. Dennoch liegen manche fremden Rechtsinstitute zerteilt in verschiedenen Schubladen.[5]
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3. Selbst zur Heilung von Unschärfen im eigenen materiellen System vom Typ der zweiten Qualifikationsfrage lässt sich die funktionelle Qualifikation nutzbar machen, obwohl hier eigentlich dem Gesetzgeber der Vorwurf zu machen ist, dass er ohne Notwendigkeit die eigenen Systembegriffe verletzt hat. Das IPR kann nämlich mittels funktioneller Qualifikation entscheiden, ob ein zwischen materiellen Systembegriffen stehendes Rechtsinstitut einem der Systembegriffe enger verbunden ist.
Die ganz überwiegende Ansicht sah bereits vor der Klärung durch den BGH (Rn 485) § 1371 Abs. 1 BGB jedenfalls als auch ehegüterrechtlich an, weil der Zweck, den Güterstand der Zugewinngemeinschaft auszugleichen, ein deutsches Ehegüterstatut voraussetzt, so dass § 1371 Abs. 1 BGB jedenfalls bei ausländischem Ehegüterstatut nicht anwendbar sein kann. Strittig war vor allem, ob rein ehegüterrechtlich zu qualifizieren war, also § 1371 Abs. 1 BGB bei deutschem Ehegüterstatut auch neben ausländischem Erbstatut eingreift (so nun der BGH, Rn 485). Eine andere Ansicht qualifiziert kumuliert güter- und erbrechtlich, wendet also § 1371 Abs. 1 BGB nur bei deutschem Erb- und Güterstatut an, um solche Spannungen zu vermeiden.[6]
V. Ausnahmen
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1. Ausnahmen zur funktionellen Qualifikation lege fori beschränken sich auf Fälle, in denen die Qualifikation einer anderen Rechtsordnung überlassen werden muss, um zwingende international-privatrechtliche Ziele sicherzustellen.
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2. Hierzu gehört der schon genannte Fall (Fünftes Qualifikationsproblem Rn 461 ff) der Qualifikation im Stadium der Rückverweisungsprüfung: Gesamtverweisung kommt dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs nur nahe, wenn wir so entscheiden, wie das fremde Recht entscheiden möchte; das schließt dessen Systembegriffe ein.
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3. Nicht lege fori, aber auch nicht lege causae sind die Systembegriffe völkerrechtlicher Verträge des IPR (und IZPR) zu qualifizieren. Das überragende Ziel solcher Verträge ist die Rechtsvereinheitlichung, die nur dann erreicht wird, wenn alle Mitgliedsstaaten nicht nur formal dieselben Normen anwenden, sondern sie auch übereinstimmend auslegen. Hierzu dient die Methode der vertragsautonomen Qualifikation (in Unterscheidung von der autonomen Qualifikation nach dem eigenen Recht, der lex fori), die sich keinesfalls in der rechtsvergleichenden Auslegung erschöpft, sondern vor allem nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen staatsvertraglichen Regelung fragen muss.
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Nachhaltig wurde diese Methode durch den EuGH bei Auslegung des Brüsseler EuGVÜ (ersetzt durch die Brüssel I-VO, nun Brüssel Ia-VO) entwickelt, was bei einem supranationalen Gericht, das per se frei von einem nationalen Systemgerüst ist, nicht verwundert. In einer bemerkenswerten Fehlentscheidung hatte der EuGH allerdings ein einziges Mal die autonome Qualifikation verworfen, weil er sie unzutreffend auf die rechtsvergleichende Methode beschränkte und keine rechtsvergleichend konsensfähige Lösung fand. Es ging um den Begriff „Erfüllungsort“.[7]
Unter den zahlreichen Beispielen brillanter autonomer teleologischer Qualifikation ohne Rücksicht auf rechtsvergleichende Unterschiede durch den EuGH findet sich dagegen die Qualifikation von Zahlungsansprüchen aus einem vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnis als „vertraglich“[8] unter Bezugnahme auf die Ziele, Rechtssicherheit und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im gesamten Gebiet der Gemeinschaft zu fördern und im Geist des Übereinkommens dem nationalen Gericht eine Entscheidung über seine Zuständigkeit ohne Eintritt in die Sachprüfung zu ermöglichen.
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4. Diese Methode ist, zumal der EuGH sie im EuZPR kultiviert hat, ohne Weiteres zu übertragen auf Systembegriffe, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Verordnung des EuIPR beschreiben. Die Verordnungen enthalten hierzu einleitende Bestimmungen zum sachlichen Anwendungsbereich, in denen beschrieben wird, welche Themen in den Anwendungsbereich fallen und welche nicht.
ZB enthält Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO eine Abgrenzung gegen nicht erfasste Materien. Daraus folgt beispielsweise, dass die Eheaufhebung (§ 1314 ff BGB) nicht scheidungsrechtlich qualifiziert wird. Auch die Frage, ob die begrifflich als „Aufhebung“ bezeichnete „Scheidung“ einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft dem Scheidungsstatut nach Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO unterliegt oder sich auch nach dem 21.6.2011 weiter nach Art. 17b Abs. 1 S. 2 beurteilt, beinhaltet ein Qualifikationsproblem (Ist die Aufhebung einer ELP „Ehescheidung“ iSd Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO?). Die Frage kann weder systemorientiert noch funktionsorientiert nach einem nationalen Recht (zB der lex fori) beurteilt werden, weil sonst jeder Mitgliedstaat potentiell anders entscheidet, sondern muss aus Sicht der Verordnung selbst beantwortet werden (dazu Rn 819). Eindeutig ist die wechselseitig ausschließende Qualifikation bei der EU-EheGüterVO und der EU-ELPGüterVO.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › C. Lösungen der Einzelprobleme
C. Lösungen der Einzelprobleme
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1. Das erste Qualifikationsproblem (Rn 445 ff) wird durch den Vorrang der spezielleren Systematik des deutschen IPR gegenüber dem deutschen materiellen Recht gelöst. Die Systematik des IPR hat eine Kategorie „Ehenamensrecht“, die maßgeblich ist.
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2. Für das zweite Qualifikationsproblem (Rn 448 ff) muss ausgehend von den Systembegriffen des deutschen IPR der Zweck der unsystematischen materiellen Norm ermittelt werden.
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Das Beispiel des § 1371 Abs. 1 BGB zeigt, dass zwischen der Zielsetzung und der Auswirkung unterschieden werden muss. § 1371 Abs. 1 BGB hat das Ziel, den Zugewinnausgleich im Todesfall zu regeln, wirkt sich aber auf die Erbquote aus. Allerdings ist fraglich, ob § 1371 Abs. 1 BGB nicht auch das Ziel verfolgt, den überlebenden Ehegatten in der Erbfolge besser zu stellen; immerhin hat der Gesetzgeber in § 1931 Abs. 4 BGB auch für die Gütertrennung eine solche Verbesserung angestrebt. Der BGH hat sich der schon bisher ganz überwiegend vertretenen Ansicht angeschlossen, wonach § 1371 Abs. 1 BGB rein ehegüterrechtlich zu qualifizieren ist, also bei deutschem Ehegüterstatut anwendbar ist, auch wenn eine ausländische Rechtsordnung Erbstatut ist;[9] entscheidend ist die Funktion, den Güterstand der Zugewinngemeinschaft auszugleichen, die zudem systematisch (eine „juristische Sekunde“) dem Erbfall vorangeht. Überbegünstigungen aus dieser Kumulation sind durch Anpassung (Rn 562 ff) korrigierbar.
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3. Das dritte Qualifikationsproblem (Rn 451 ff) wird gelöst, indem man zunächst das gesuchte Rechtsinstitut in die deutsche Systematik einordnet. Hat man für den danach maßgeblichen Systembegriff eine fremde Rechtsordnung gefunden, so werden alle Bestimmungen dieser Rechtsordnung in die deutsche Systematik eingeordnet, auch wenn sie im fremden Recht in anderen „Schubladen“ liegen.
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Bei englischem Vertragsstatut wird die englische Verjährungsregel angewendet, auch wenn sie sich im Prozessrecht findet; vor deutschen Gerichten muss man ihre Ausübung dann allerdings im Wege der Angleichung zu einer Einrede oder Einwendung umgestalten.
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Das Erbrecht des Staates wird erbrechtlich qualifiziert, auch wenn die maßgebliche Erbrechtsordnung ein Aneignungsrecht vorsieht. Der ausländische Heimatstaat des Erblassers „beerbt“ diesen also auch hinsichtlich des hier belegenen Nachlasses. Wenn allerdings Nachlass eines Deutschen in einem anderen Staat dort einem Aneignungsrecht unterliegt, kann es sich um ein Einzelstatut handeln, das sich nach Art. 3a Abs. 2 gegen das Erbstatut als Gesamtstatut durchsetzt (Rn 552 ff).
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4. Das vierte Qualifikationsproblem (Rn 456 ff) fordert am meisten die rechtsvergleichende Phantasie heraus. Zuerst muss das fremde Rechtsinstitut auf seine Funktion untersucht werden (vgl Rn 476).[10] Sodann wird der dieser Funktion nächstliegende Systembegriff im deutschen Recht gesucht und nach dessen Verweisungsnorm das maßgebliche Recht bestimmt; das fremde Rechtsinstitut findet nur Anwendung, wenn es dieser maßgeblichen Rechtsordnung angehört.
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Der mahr wird als Zahlungsverpflichtung des Mannes an die Frau vereinbart und ist nur zu einem Teil bei Eheschließung, zum überwiegenden Teil erst bei Scheidung fällig. Er sichert die Ehefrau gegen einen willkürlichen einseitigen Scheidungsausspruch durch den Mann (talaq), gibt eine Beteiligung am Vermögen des Mannes und sichert die geschiedene Ehefrau wirtschaftlich; andere vermögensrechtliche Ansprüche nach Scheidung bestehen dagegen nicht. Aus Sicht des deutschen Rechts ergibt das eine Mischung aus eheschließungsrechtlicher, ehewirkungsrechtlicher, scheidungsrechtlicher, ehegüterrechtlicher und unterhaltsrechtlicher Funktion. Teils wurde die zunächst fällige Rate eheschließungsrechtlich,[11] ehewirkungsrechtlich[12] oder ehegüterrechtlich,[13] die bei Scheidung fällige teils scheidungsfolgenrechtlich,[14] ehewirkungsrechtlich,[15] ehegüterrechtlich oder unterhaltsrechtlich qualifiziert. Teils wird sogar auf die individuell von den Ehegatten mit der Morgengabe verfolgten Zwecke abgestellt.[16] Der BGH[17] qualifiziert nun zumindest den mehir nach iranischem Recht, der nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Eheschließung ist, wandelbar ehewirkungsrechtlich, was nur für einen bei Scheidung fälligen Teil überzeugt, und erzielt ausdrücklich dasselbe Ergebnis wie mit einer scheidungsrechtlichen Qualifikation – was allerdings nur unter Art. 17 aF zutrifft.
Praktisch bedeutsam ist der Qualifikationsstreit, weil ein Anspruch auf den mahr nur besteht, wenn bei Zusammentreffen verschiedener Statute (Scheidungs-, Unterhalts-, Ehewirkungs- und Ehegüterstatut) im Scheidungszeitpunkt das Statut, unter das der mahr qualifiziert wird, ein islamisches Recht ist. Der Anspruch muss dann aber ggf im Wege der Anpassung korrigiert werden, wenn (mit dem BGH) bei ehewirkungsrechtlicher Qualifikation ein Anspruch auf den mahr besteht, daneben zB das konkret anwendbare Ehegüterstatut zugleich einen Zugewinnausgleich, das Unterhaltsstatut nachehelichen Unterhalt oä vorsieht. Soweit das maßgebliche Statut den mahr nicht kennt, aber Vereinbarungen über Ansprüche (Ehevertrag, Unterhaltsvereinbarung) erlaubt, kommt eine Auslegung der mahr-Vereinbarung als ein solcher Vertrag (zB Pauschalierung nachehelichen Unterhalts) in Betracht.
491
Ist die Legitimation als Vorfrage ausnahmsweise unselbständig anzuknüpfen (Rn 517 ff, zB im Staatsangehörigkeits- oder Namensrecht), so bleibt die Qualifikation dem Recht der Hauptfrage überlassen, das die maßgebliche Kollisionsnorm auswählt. Ist die Legitimation dagegen selbständig anzuknüpfen, muss eine deutsche Kollisionsnorm gefunden, die Legitimation also qualifiziert werden, wenn man nicht auf eine (unsystematische) unselbständige Qualifikation ausweicht.[18] Die Legitimation ist funktional in den Rechtsordnungen, wo sie noch bekannt ist, eine Rechtsfigur, welche die Abstammung eines Kindes betrifft, zwar nicht die Person des Elternteils, aber die Qualität der Rechtsbeziehung als Ganze. Diese Funktion steht der Abstammung (Art. 19) näher als den Wirkungen des Eltern-Kind-Verhältnisses (Art. 21); sie ist also an das Abstammungsstatut anzuknüpfen.
Die italienische separazione ist ein Rechtsinstitut, das regelmäßige Vorstufe der Ehescheidung ist und bereits eine Lockerung, aber noch keine Beseitigung des Ehebandes sowie einige scheidungsähnliche Folgen (zB hinsichtlich der elterlichen Sorge) bewirkt. Damit ist der diesem unbekannten Rechtsinstut nächstliegende Systembegriff des deutschen IPR die Ehescheidung, so dass Art. 17 aF entsprechende Anwendung fand. Die Rom III-VO erstreckt ihren Anwendungsbereich auf die „Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“ (Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO) und löst das Qualifikationsproblem damit ausdrücklich.
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5. Das fünfte Qualifikationsproblem (Rn 461 ff) ist als Ausnahme von der Qualifikation lege fori durch eine Qualifikation nach dem verwiesenen IPR zu lösen. Das gilt auch, wenn das deutsche IPR eine Vorfrage dem fremden IPR zur unselbständigen Anknüpfung überlässt (so für die Staatsangehörigkeit, vgl Beispiel Rn 458, 491).
Literatur:
Dörner Qualifikation im IPR – ein Buch mit sieben Siegeln?, StAZ 1988, 345.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › D. Abgrenzung: Handeln unter „falschem Recht“
D. Abgrenzung: Handeln unter „falschem Recht“
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Ein Phänomen, das von der Qualifikationsfrage abzugrenzen ist, stellt sich, wenn Personen unter aus Sicht des deutschen IPR „falschem Recht“ handeln, also Rechtshandlungen in der Annahme der Geltung einer bestimmten Rechtsordnung vornehmen, die aus Sicht des deutschen IPR nicht auf den Sachverhalt anwendbar ist. Diese Fälle haben vielfältige Gestalt und verlangen nach unterschiedlichen Lösungen. Nehmen die Handelnden ein dem tatsächlich anwendbaren Recht unbekanntes Rechtsinstitut in Anspruch, so stellt sich ein Qualifikationsproblem, zugleich aber die Frage von Unwirksamkeit oder Umdeutung in ein bekanntes Rechtsinstitut. Nehmen die Handelnden ein in beiden Rechtsordnungen in unterschiedlicher Ausprägung vorkommendes Rechtsinstitut in Anspruch, so bedarf es der Auslegung. Das Handeln unter einer vom deutschen IPR berufenen Rechtsordnung kann aber auch eine konkludente Rechtswahl bedeuten, soweit diese zulässig ist.
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Ein Deutscher und eine mauritische Staatsangehörige schließen die Ehe vor einem Standesbeamten in Mauritius und geben hierbei eine im mauritischen Recht vorgesehene Erklärung zur Wahl des régime légal de séparation de biens ab. Beide Ehegatten haben vor und nach der Eheschließung gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Unter deutschem Ehegüterstatut (Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 1: gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt bei Eheschließung) gibt es den gewählten Güterstand nicht; die Ehegatten haben unter mauritischem Recht als „falschem“ Recht gehandelt. Die Güterstandswahl könnte eine konkludente Rechtswahl bedeuten (zulässig nach Art. 15 Abs. 2 Nr 1); insoweit fehlt aber ein Erklärungsbewusstsein. Da eine Güterstandswahl auch nach deutschem materiellem Recht zulässig ist (§ 1408 BGB) und die Wahrung der Ortsform (Art. 11 Abs. 1) genügt, ist zu ermitteln, ob die Ehegatten einen rechtsgeschäftlichen Willen zur Wahl eines Güterstandes hatten; sodann ist die unter falschem Recht abgegebene Erklärung auszulegen. Der BGH[19] gelangt zu einer Wahl der Gütertrennung deutschen Rechts.
Ein US-Amerikaner errichtet, in New York lebend, ein Testament, das formularmäßig vorbereitet an der Rechtslage in New York ausgerichtet ist. Unter anderem bestimmt er seinen als einzigen Erben eingesetzten Sohn zum „sole executor of my will“. Jahre vor seinem Tod in 2014 verlegt er seinen Aufenthalt nach Deutschland, wo er seinen Lebensabend verbringen will. Deutsches Recht ist kraft Rückverweisung (Art. 25 Abs. 1 aF, Art 4 Abs. 1; vgl Rn 374) Erbstatut für den beweglichen Nachlass. Das BGB kennt einen „executor“ nicht, der Erblasser hat ersichtlich unter dem Recht von New York als „falschem“ Recht gehandelt und eine Rechtswahl wäre nicht wirksam (Art. 25 Abs. 2 aF EGBGB greift nicht ein). Damit bedarf es der Auslegung des Erblasserwillens; in Betracht kommt zwar die Anordnung von Testamentsvollstreckung, doch kann der Alleinerbe nicht Testamentsvollstrecker sein; überdies will ein Erblasser, der in New York den Alleinerben zum executor bestimmt, diesen nicht beschränken, sondern ihm eine besonders starke Stellung in der Nachlassabwicklung verschaffen. Die Einsetzung als Erbe und executor bedeutet also eine unbeschränkte Alleinerbeneinseitzung des Sohnes.
Die Problematik kann sich auch bei Eintritt des Erbfalls ab dem 17.8.2015 stellen. Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO beruft deutsches Recht als Recht des gewöhnlichen Aufenthalts; allerdings wäre nun eine Rechtswahl zum Heimatrecht zulässig (Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO), die nicht notwendig ausdrücklich erfolgen muss, sondern sich aus den Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung ergeben kann (Art. 22 Abs. 2 Alt. 2 EU-ErbVO). Bei einem vollständig von „amerikanischem“ Erbrecht ausgehenden Testament darf man dies annehmen, werden hingegen nur einzelne Rechtsbegriffe übersetzt, so bedeutet das noch keine Rechtswahl.
Anmerkungen
[1]
EGMR FamRZ 2011, 1925: Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Art. 14 iVm Art. 8 EMRK.
[2]
Die italienische Scheidungsreform durch Legge 55/2015, in Kraft seit 26.5.2015, hat die Trennungsfrist von 3 Jahren auf 12 Monate bei gerichtlicher und auf 6 Monate bei einverständlicher Trennung verkürzt.
[3]