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Winnetou 4
Winnetou 4
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Winnetou 4

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»Es geht los!« warnte Pappermann.

»Ist mir nur lieb«, antwortete ich. »Laßt mich nur machen, und redet mir nicht darein!«

Da hatte Howe uns erreicht, machte mir eine ironische Verbeugung und fragte:

»Mr. Burton, wenn ich mich nicht irre?«

»Ja«, nickte ich.

»Ihr blast die Harmonika?«

»Warum nicht? Für Euch ganz besonders gern.«

»Und das ist Mrs. Burton?«

Er deutete dabei auf das Herzle.

»Gewiß«, antwortete ich.

»Sie spielt auf der Gitarre?«

»Wünscht Ihr vielleicht, sie zu hören?«

»Jetzt noch nicht, vielleicht aber später. Jetzt brauchen wir nur erst das.«

Er zog uns das weiße Tuch vom Tisch, trug es fort und breitete es drüben auf die Tafel.

»Das ist stark! Das ist sogar unverschämt!« zürnte Pappermann.

Das Herzle verzog keine Miene.

»Nur ruhig bleiben!« sagte ich. »Wir lassen uns Alles gefallen, Alles!«

Da kam der neue Wirt, um uns selbst zu bedienen. Er brachte zunächst die Teller und Bestecke. Kaum hatte er den Rücken gewendet, so kam Howe, nahm uns diese Sachen weg und trug sie hinüber. Hierauf brachte der Wirt die Suppe. Er sah, wie die Sache stand, blieb aber still und stellte die Terrine zu uns auf den Tisch. Sofort wurde sie hinübergeholt und geleert. Dann brachte man sie uns wieder herüber. So ging es nicht nur mit der Suppe, sondern auch mit den übrigen Speisen, bis ganz zuletzt auf die Früchte. Die vollen Teller, Schüsseln und Schalen wurden uns genommen, und geleert brachte man sie uns wieder. Dabei gab es ein immerwährendes Spotten und Lachen sondergleichen.

»Das sind keine Nigger! » sagte Pappermann. »Das sind auch keine Indsmen! Sondern das sind Weiße! Was sagt Ihr dazu, Sir?«

»Das werdet Ihr wahrscheinlich sehr bald hören«, antwortete ich.

»Ich bestelle natürlich sofort anderes Essen für uns!«

»Nein, jetzt noch nicht. Erst muß diese Posse hier zu Ende gespielt worden sein. Wann werden diese Gentlemen ihr Essen bekommen?«

»Das kann wohl noch ein ganzes Stündchen dauern. Meine alte, gute Köchin ist fort, und die neue Wirtin, die selbst kocht, nimmt sich gewaltig Zeit. Ehe die eine junge Henne rupft, verfließen gewiß drei Monate, denn sie holt jedes Federchen einzeln heraus. Die Bande hat sich nämlich Hühnersuppe bestellt; es gab aber nur noch eine alte, sechsjährige Henne. Bis die gerupft ist, können, wenn ich mich nicht ganz und gar verrechne, fünf bis sechs Monate vergehen. Nun fragt Euch selber, wann diese ,Gentlemen‘ ihr Essen bekommen werden!«

»Vortrefflich! Herzle, hast du Lust, Gitarre zu spielen?«

»Wie meinst du das?« erkundigte sie sich.

»Das wirst du später erfahren. Sage jetzt nur, ob du Lust hast! Die Ziehharmonika und die Gitarre stecken in meinen Taschen.«

»Ach, die Revolver?«

»Ja.«

»Ist es gefährlich?«

»O nein, ganz und gar nicht!«

»So spiele ich mit!«

»Schön! Ich glaube, der zweite Akt der Posse beginnt. Der Vorhang hebt sich bereits.«

Howe kam nämlich wieder zu uns herüber, stellte sich mit weit ausgespreizten Beinen vor uns hin und sprach:

»ich komme mit einer Bitte. Wir sind nämlich Maler. Wir wünschen Mrs. und Mr. Burton abzukonterfeien, auch Mr. Pappermann mit.«

»Also ihr alle Sechs?« fragte ich.

»Ja.«

»Uns alle Drei?«

»Ja. Werdet Ihr uns das erlauben?«

»Sehr gern, sehr gern. Ich mache nur eine einzige Bedingung.«

»Welche?«

»Daß wir genauso bleiben können, wie wir jetzt sitzen.«

» Well! Wollten euch zwar gern in anderer Stellung haben, in ganz anderer, geben uns aber auch hiermit zufrieden. Aber sitzt so, daß ihr euch so wenig wie möglich bewegt, sonst wird nichts wahrhaft Künstlerisches fertig! Es kann beginnen!«

Sie zogen Papier und Bleistifte aus den Taschen und fingen an, zu zeichnen. Da sahen wir Jemand von weit draußen her nach dem Einödplatz kommen. Er war indianisch gekleidet und trug auf dem Rücken eine in Leder gebundene Last, die nicht leicht zu sein schien. Er ging gebückt und langsamen Schrittes. Er war außerordentlich ermüdet. Bei den Pferden blieb er stehen und betrachtete sie. Dann ging er weiter. Als er so nahe gekommen war, daß sein Gesicht uns deutlich wurde, sahen wir, daß er vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählte. Seine Züge waren sehr sympathisch. Er hatte sein Haar, ganz wie einst Winnetou, in einem Schopf gebunden und ließ es dann weit über den Rücken herunterhängen. Er schien die Oertlichkeit zu kennen, denn er kam grad und genau auf die Tür zu, die von draußen herein in den »Garten« führte.

»Egad, er ist‘s!« sagte Pappermann.

»Kennt Ihr ihn?« fragte ich.

»Ja. Es ist der ,junge Adler‘. Er kam vor nun vier Jahren vom Gebirge herab, nicht zu Pferd, sondern zu Fuß, genau wie heute. Er blieb zwei Tage bei mir, um sich auszuruhen. Er hatte außer dem Anzug, den er trug, noch einen neuen, besseren mit. Den gab er mir, als er ging, in Aufbewahrung. Er sagte, wenn er nicht sterbe, werde er in einigen Jahren wiederkommen, um ihn abzuholen. Er hatte kein Geld bei sich, sondern Nuggets, aber nicht viel; es war kaum für drei- bis vierhundert Dollar. 0 weh, sieht er matt und angegriffen aus!«

»Er hat Hunger!« fügte ich hinzu.

»Glaubt Ihr?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern es ist wirklich so. Ich sehe es ihm an.«

»Auch ich fühle es!« sagte das Herzle. »Er ist ganz erschöpft! Er wankt! Er soll mit uns essen! Ich sage es ihm. Holt schnell noch einen Stuhl heraus, Mr. Pappermann!«

Der Genannte eilte fort, um diesen Wunsch zu erfüllen. Das Herzle stand auf, ging zur Tür, auf welche der junge Indsman zugeschnitten kam, öffnete sie, empfing ihn dort, nahm ihn bei der Hand, führte ihn nach unserm Tisch und bat ihn, unser Gast zu sein. Und da brachte Pappermann auch schon den Stuhl. So ermüdet der Indianer war, er setzte sich nicht sofort, sondern er blieb noch stehen, seine großen, dunklen Augen auf das Gesicht Derjenigen richtend, die sich in so unherkömmlicher Weise seiner bemächtigt hatte.

»Ganz wie Nscho-tschi, die stets Erbarmen war!« sagte er; dann sank er auf den Sitz und schloß die Augen.

Er war so ermüdet, daß er gar nicht daran gedacht hatte, die Last, die er trug, erst abzulegen. Wir nahmen sie ihm vom Rücken, indem wir die Riemen lösten. Es war ein langer, schwerer, in festes Leder gebundener Pack, dessen Gewicht wohl zwischen dreißig und vierzig Kilo betrug. Das mußte Eisen sein! Wir legten diese Last neben dem Stuhl zur Erde nieder. Pappermann ging nach der Tafel hinüber und bat um ein Glas Brandy.

»Für wen?« wurde er gefragt.

»Für den Indianer dort, wie ihr seht!« antwortete er.

»Der Brandy ist nicht für Rote, sondern für Weiße, nicht für ihn, sondern für uns! Macht Euch fort von hier!«

Der alte Westmann war wütend über diese Zurückweisung; ich beruhigte ihn mit der Versicherung:

»Aergert Euch nicht! Sie werden es uns bezahlen! Lauft in die Küche, und holt einen Teller Suppe, mögt Ihr sie hernehmen, woher Ihr wollt! Das ist besser als all Euer Brandy!«

Er gehorchte dieser Weisung. Der Indianer hatte meine Worte gehört. Er hielt zwar die Augen noch geschlossen, aber er sagte leise:

»Nicht Brandy! Niemals Brandy!«

Er hatte den Namen Nscho-tschi genannt, der Schwester meines Winnetou. War er vielleicht ein Apatsche? Pappermann brachte die Suppe.

»Nur Bouillon von der alten Henne«, sagte er. »Ist aber trotzdem gut! »

Er setzte sie vor den Indsman hin; der aber rührte sich nicht. Da griff das Herzle zum Löffel und begann, ihrem Gast die Suppe einzuflößen. Darüber gab es drüben an der Tafel ein allgemeines Gelächter.

»Die Hühnerbrühe ist eigentlich unser!« sagte Howe. »Aber um des schönen Bildes willen wollen wir auf sie verzichten. Das Sujet heißt nun: ,Die dreifach heilige Barmherzigkeit oder der verhungerte Indianer‘. In fünf Minuten fertig! Wer längere Zeit braucht, zahlt eine Flasche Brandy!«

Da flogen die Stifte, und noch waren die fünf Minuten nicht vorüber, so wurden uns die sechs Karikaturen vorgelegt. Es waren aber gar nicht einmal Karikaturen, sondern ganz ordinäre Schmierereien. Man hatte angenommen, daß wir uns über sie ärgern und dadurch zu irgendeiner Albernheit verleiten lassen würden; wir aber taten ganz im Gegenteil, als ob wir uns über das, was uns in Zorn bringen sollte, freuten.

»Prächtig!« sagte ich. »Wirklich prächtig! Wieviel kostet so ein Bild?«

»Bild, Bild!« lachte Howe. »Ein Bild nennt er so etwas! Nichts kostet es, nichts! Wir schenken es Euch!«

»Umsonst?« fragte ich.

»Ja.«

»Alle sechs?«

»Ja doch, ja!«

»Danke!«

Ich legte die Blätter zusammen, steckte sie ein und fuhr dann fort:

»Aber ich bin ein anständiger Kerl. Ich lasse mir nichts schenken, ohne mich erkenntlich zu zeigen. Kann mich vielleicht einer von euch zu Pferd zeichnen? Es soll mir auf drei, vier oder fünf Dollars nicht ankommen, die ich dafür zahle.«

»Fünf Dollars? Thunder-storm, das ist ja ein Vermögen! Ich laufe, ich renne, ich eile! Ich hole sogleich das Pferd!« rief einer von ihnen.

Er ging fort und die Andern folgten ihm, um das allerschlechteste auszusuchen.

»Habt Ihr irgendeine Absicht dabei?« fragte mich Pappermann.

»Natürlich! Jetzt kommt die Strafe! Lauft schnell zum Wirt hinein und sagt ihm, daß ich zwei bis drei gute, vollgültige Zeugen brauche, womöglich Advokaten, Polizisten oder sonst Leute von der Stadtbehörde. Die mögen hinauf in unsere beiden Zimmer gehen, wo sie Alles, was geschehen und gesprochen wird, sehen und hören können.«

»Well, well! Wird besorgt, sofort, sofort!«

Er eilte fort und war, als man das Pferd brachte, schon wieder da. Howe verlangte die fünf Dollars pränumerando. Ich bezahlte sie. Dann durfte ich aufsteigen. Ich tat, als ob ich noch niemals auf dem Rücken eines Pferdes gesessen habe, und setzte dreimal an, ohne hinaufzukommen. Beim vierten Mal war dann der Schwung, den ich mir gab, zu stark, so daß ich nicht nur hinaufkam, sondern drüben gleich wieder hinunterfuhr. Das gab ein dröhnendes Lachen. Schließlich hob man mich hinauf und gab mir die Zügel in die Hand. Dann begann das Zeichnen, von neuem.

»Es wird großartig, wirklich großartig!« rief einer der »Künstler« aus. »Mr. Burton sitzt hoch und stolz zu Pferd wie ein Held und Rittersmann, der jedes Turnier gewinnt!«

Natürlich war aber gerade das Gegenteil der Fall.

»Ist das wahr? Ist das wahr?« fragte ich hocherfreut und stolz.

»Gewiß, gewiß! Man sieht, das keiner von uns es Euch im Reiten gleichzutun vermag!«

»Wirklich?«

»ja, wirklich!«

»So sagt, was kostet so ein Pferd?«

»Wollt Ihr eins kaufen?«

»Vielleicht mehrere! Wenn ihr sagt, daß ich ein so vorzüglicher Reiter bin, so wäre ich doch dumm, wenn ich mit der teuren Bahn weiterführe! Das Reiten ist doch wohl billiger! Oder nicht?«

»Natürlich viel billiger, ganz natürlich! Wir haben einige übrig. Vielleicht verkaufen wir Euch eines davon.«

Sie blinzelten einander zu. Das sollte heimlich sein; ich sah es aber doch.

»Nur eines?« fragte ich. »Ich brauche fünf oder sechs!«

»Oho! Für wen?«

»Für mich und Mrs. Burton – – »

»Welche die Gitarre spielt?« fiel Howe spottend ein.

»Ja. Und es kommen noch einige gute Bekannte dazu.«

»Die auch Musikanten sind?«

»Wenn es euch Vergnügen macht, ja. Am liebsten würde ich drei Pferde und drei Maultiere nehmen und die nötigen Sättel dazu. Was kostet das?«

Sie waren zunächst verblüfft. Sie sahen mich an, sie sahen einander an; dann fragte Howe prüfend:

»Drei Pferde und drei Maultiere? Welche denn?«