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Die Ahnen
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Die Ahnen

Spät am Morgen ritten die Vandalen aus dem Hofe Rotharis, unter ihnen Ingo mit gehobenem Mut, obwohl er schwieg, denn seine Gedanken flogen zurück zu dem Weib im Herrenhofe. Um Mittag kamen sie zu dem Dorf, das man im Lande »freies Moor« nannte, wo die Hofstätte Beros stand. Die Sonne schien lustig auf das weiße Erdtuch, und an den Häuptern der Weiden glitzerte der Reif. Die Brücke über den Dorfgraben war mit grünen Fichtenzweigen geschmückt, am Wächterhaus daneben standen die Landleute im Festkleide, vor ihnen Bero und seine sechs Söhne, kräftige Jünglinge mit starken Gliedern und großen Händen. Und Bero rief: »Als die letzten Gaugenossen wohnen wir an deiner Straße, und wir gedenken euch warm zu halten unter unseren Rohrdächern, bis ihr in die Fremde reitet.« Die Reiter stiegen fröhlich ab und schritten zwischen den Landleuten in das Dorf. »Wir teilen uns in die Bewirtung,« fuhr Bero fort, »damit jeder von den Nachbarn Gastfreunde ehre, und gefällt es den jungen Gesellen, so mögen sie nach dem Mahl mit unseren Knaben die Mädchen zum Tanze führen in geräumiger Stube oder auf gefegter Tenne, wie unser Brauch ist.« Darauf ergriff er selbst den Zügel von Ingos Roß und geleitete seine edlen Gäste durch das offene Hoftor. Während seine Söhne die Rosse anbanden und den Hafer schütteten, traten die Herren vor das Haus, auf dessen Schwelle Fridas Mutter mit ihren Mägden auf die Fremden wartete und die sonnengebräunte Hand bot. Über dem gestampften Lehmboden der weiten Hausflur stand ein gedeckter Tisch mit den Holzstühlen, von der erhöhten Bühne im Hintergrunde guckten blauäugige, flachsköpfige Kinder hervor und bargen, wenn die Gäste ihnen zulachten, verlegen die Köpfe hinter der Brüstung. »Rufe zum Mahl«, mahnte der Bauer seine Frau, »und bringe das Beste, was wir vermögen, denn die Gäste sind Herrenkost gewohnt.« Ingo lud die Wirtin neben sich auf den Sitz, sie aber wehrte und trug selbst die Speisen auf und ab. »Das dünkt mich gute Gewohnheit,« erklärte Bero, »denn das Auge der Wirtin sieht am schnellsten, was dem Gaste fehlt, und auch dem Wirte wird zuweilen lästig, wenn die Ohren der Dienstleute auf das gesprochene Wort horchen.«

Viele Gerichte bot die Wirtin, endlos trug sie die Schüsseln, und bei jeder nötigte sie zu nehmen. Endlich führte der Wirt den König und Berthar in seine Kammer, dort saßen die drei am kleinen Tisch nieder, und er schenkte ihnen in die Töpfe kräftigen Met, vor Alter schwärzlich und dick wie Honigseim. »Den Trank hat meine Mutter gebraut, da sie in diesen Hof kam«, sagte er empfehlend. Er hob seinen Krug, brachte den Gästen den Heilgruß und begann feierlich: »Unsere Alten verkünden, daß einst ein Gott die Edlen schuf, die freien Bauern und die Knechte, da er über den Erdgarten wanderte. Jeder Art verlieh er besondere Gaben, euch Edlen, das Volk im Kampfe anzuführen, wenn wir euch folgen; uns dagegen, im Sommer und Winter über den Fluren zu walten, den Knechten, sorgenvoll mit gekrümmtem Rücken zu arbeiten. Der Edle und der Freie – beide können einander nicht entbehren. Ihr Helden vermögt nicht Ruhm zu gewinnen, wenn wir euch nicht auf die Kampfheide nachziehen, und wir mögen nicht sicher bauen, wenn ihr uns nicht durch Rat und Waffenwerk die feindlichen Nachbarn abwehrt. Ihr habt die beste Ehre im Kampfe, denn selten feiert der Sänger die Kriegstat der Bauern, aber ruhelos ist euer Leben, und unstet fahren die Geschlechter der Edlen dahin. Wir aber weilen dauerhaft auf dem Acker, und wenn auch ein Wirt erschlagen wird und sein Hof verbrannt, so treten doch seine Söhne in die Schuhe des Vaters, zimmern und bauen wieder über den Schollen.«

Die Gäste freuten sich der guten Rede und nickten ihm Beifall. Und bedächtig fuhr Bero fort: »So habe ich nun euch, ihr Helden, durch manche Woche beachtet, und ich habe erkannt und vernommen, daß ihr billig denkt und in guter Zucht lebt. Darum meine ich, wir könnten wohl einander nützlich sein. Hofft völlig nichts von unseren Edlen, manche unter ihnen wissen sich selbst nicht zu beraten; und erwartet nichts von dem Könige, denn er hegt Argwohn und Neid gegen jedermann, der ihm nicht dient. Versucht darum euer Heil mit den Bauern. Als ich dich, Held Berthar, vom Süden herführte, da sprach ich bereits ein wenig von meinem Geheimnis, wie man mit einem Fremden spricht; heut aber will ich euch völlig vertrauen. Gastfreund bin ich von den Ahnen her mit freien Männern am Idisbach. Sie gehören einem redlichen Volk zu, man nennt sie die Marvinge. Blutsverwandt sind sie uns Thüringen, längst aber hausen sie für sich als ein kleiner Stamm in den Tälern am Bach der Idis, der hohen Schicksalsfrau. Sie haben vor Jahren ihr Herrengeschlecht und die besten Krieger verloren, weil diese sich ihnen verfeindeten und nach Ruhm und Beute westwärts unter die Franken zogen.

Seitdem sitzen die Zurückgebliebenen bedrängt von unseren Siedlern jenseit der Berge und südwärts gegen den Main von den Burgunden. Unleidlich ist ihnen die Doppelzwinge geworden, und ein Teil bereitet sich in der Stille, wenn die Bäume wieder grüne Reiser treiben, gleichfalls auszureisen und den Fürsten nachzuziehen. Deshalb ritt auch ich im Herbst über die Berge, um Rosse und Zugochsen zu vertauschen gegen ihre Schweine, die sie nicht selbst schlachten wollen. Dort sah ich wonnevolles Weideland, billig zu kaufen, und ich dachte an die Knaben in meinem Hofe. Die Gastfreunde aber klagten mir, soviel ihrer jetzt noch im Land der Väter bleiben wollten, daß ihrem kleinen Bienenschwarm der Weisel fehle, denn sie entbehren ein Herrengeschlecht, welches für sie mit den Nachbarn gute Freundschaft halten könnte oder auch rühmlichen Streit führen gegen die raublustigen Edlen an der Grenze. Die Bauern im Idistale aber wollen nicht Thüringe, nicht Burgunden werden, sondern ihre eigene Art behalten und wollen sich lieber mit einem fremden Geschlecht zusammenschwören, als mit unseren Edlen, am wenigsten aber mit den Königen. Darum denke ich an dich, Held Ingo. Denn euer sind wenige, ihrer sind mehre, und ihr vermögt nicht, sie zu bedrücken. Dorthin rate ich dir im Frühjahr zu gehen. Ob es euch zum Heile wird, da müßt ihr selbst zusehen, aber manchem, der das Land baut, wäre es Vorteil, und darum rate ich‘s euch.«

»Achte auf seine Rede, mein König,« rief Berthar, »dies ist die beste Botschaft, die du seit lange gehört, und wahrhaft jedes Wort; ich selbst sah das Land und sprach die Männer. Vom Main waren wir nordwärts geritten über die Grenze der Burgunden, durch mageren Kiefernwald und sandige Heide, da erblickten wir von der Höhe ein weites Tal, darin ein rinnendes Wasser, das sie den Bach der Schicksalsfrau, der heiligen Idis, nennen. Steile Hügel mit Laubwald, auf der Wiese so hohes Gras, daß unsere Rosse Mühe hatten durchzuschreiten. Dort weiß ich eine Berglehne, wohl geeignet für eines Königs Burg: wie von einer Warte sieht man über das Idistal und über die Wälder bis weit hinter den Main.«

Ingo lachte. »Auch du, grauer Wanderer, hoffst auf Zimmerarbeit und einen warmen Sitz am eigenen Herde? Seltsam ist das Schicksal des Fahrenden, der Fürst weist mich von seinem Hofe, der Bauer bietet mir ein Land, gerade da wir wieder dahinziehen ohne Haft auf dem Boden, der Wolke ähnlich, die unter der Sonne treibt. Nur eines fürchte ich, du verständiger Wirt: durch die Mauern des Königs Bisino muß ich zu dem Idisbach reiten.«

»Meide den König,« mahnte Bero, »weiche über die Grenze, so wirst du seiner ledig.«

»Zürne nicht,« antwortete Ingo, »wenn ich diesmal in die Gefahr springe wie ein fahrender Recke und nicht herumgehe wie ein seßhafter Mann. Ich selbst habe dem König auf seine Ladung die Antwort gegeben, daß ich kommen werde, und ich halte mein Wort, obgleich er mir abhold ist. Auch du wirst die Fahrt nicht schelten. Denn meide ich jetzt noch den König, so erkennt er meinen feindlichen Sinn, und wenn unsere Knaben, wie du willst, im Frühjahr einen Holzring unweit seiner Landesmark zimmern, so würde seine Rache den Siedlern am Idisbach schnell ein finsteres Schicksal bereiten.« Er ergriff die Hand des Bauern. »In anderem will ich deinem Rate folgen, und darum sage mir jetzt, wie ich um den Landbesitz mit deinen Gastfreunden handeln soll, damit wir uns in der grünen Reisezeit durch Bündnis vereinen.«

Die Helden neigten die Häupter und saßen lange in Beratung, während draußen die Schalmei und Sackpfeife tönte und die jauchzenden Paare zum Tanze zogen.

7. Ingo am Königshofe

Auf einer Anhöhe hielt Wolf, der den Vortrab führte, und wies mit der Hand in die Ferne. Vor der reisigen Schar erhob sich aus der schneebedeckten Landschaft der mächtige Steinbau einer Königsburg, hohe Mauern, dicke Türme mit Zinnen, dazwischen die rotbraunen Ziegeldächer der Königshäuser, ein schreckhafter Anblick für die Landgenossen. »Leicht mögen die Vögel in solchen Käfig hineinkommen, aber herauszufliegen wird nicht jedem gelingen«, brummte Berthar. Ein kurzer Hornton klang von den fernen Zinnen. »Dort rührt sich der Türmer, jetzt trabt, damit sie unseren Eifer erkennen.«

Durch einen Hohlweg zwischen zwei Felsen ritten die Fremden dem steinernen Außenwerk zu, welches der Brücke vorgebaut und auf seiner Höhe mit bewaffneten Mannen besetzt war. »Die Knaben haben die Tore geschlossen, um sich auf unseren Besuch zu bereiten«, rief der Alte und schlug an den eisernen Klöpfel des Tores. Von der Höhe fragte der Türmer nach Namen und Begehr. Ingo antwortete. Aber lange harrte die Schar, und ungeduldig stampften die Rosse, bevor das schwere Tor sich knarrend öffnete und die Brücke dahinter zur Erde sank. Die Reiter sprengten in den Hofraum der Burg, an allen Türen drängten sich bewaffnete Männer; der Sprecher des Königs trat den Gästen entgegen, noch einmal klang Frage und Antwort, dann riet der Mann mit umwölkter Miene abzusteigen und geleitete die Helden, welche ihre Rosse am Zügel führten, vor die große Königshalle. »Wo weilt der Wirt?« rief Berthar unwillig gegen den Sprecher, »mein Herr ist nicht gewöhnt, die Schwelle des Hauses zu betreten, bevor der Hauswirt darauf steht.« Aber in dem Augenblicke öffnete sich die Tür der Halle, König Bisino stand im Kreise seiner Edeln am Eingang, neben ihm Frau Gisela. Ingo trat auf die Stufen und neigte sich. »Lange haben wir vergeblich auf dich gewartet, Fremdling, und säumig war der Lauf deines Rosses aus dem Walde zu meinem Sitz«, begann der König mit düsterem Blick. Sogleich aber trat Frau Gisela einen Schritt vor, sie bot dem Helden die weiße Hand zum Willkommen und winkte grüßend mit dem Haupt seinem Gefolge zu. »Da ich ein Kind war, nicht größer als hier mein Sohn, sah ich dich, Herr, in der Halle der Burgunden; aber wir denken vergangener Zeit und alter Freundschaft. Reiche dem Vetter die Hand«, befahl sie dem Knaben, »und siehe zu, daß du ein Held wirst, gerühmt in dem Volk wie er.«

Das Kind hielt dem Gaste die Hand hin, Ingo hob den Kleinen zu sich empor und küßte ihn, und der Knabe hing sich sogleich vertraulich um den Hals des Mannes. Jetzt trat auch der König näher; zwischen dem Königspaar schritt Ingo in die Halle und tauschte mit beiden Worte der Begrüßung, bis der König dem Sprecher befahl, die fremden Gäste zur Herberge zu führen. Ingo kehrte zu seinem Gefolge zurück, die Mienen der Thüringe wurden freundlicher, ein und der andere Krieger trat zu den Fremden, begrüßte sie und begleitete sie an den Saal, der zur Wohnung der Gäste bestimmt war. Die Diener trugen Speise und Trank, Polster und Decken. Und wieder kam der Sprecher des Königs und lud Ingo zum Königsmahle.

Es war später Abend, als Ingo von einem Kämmerer des Königs und dem Fackelträger geleitet zu der Herberge seiner Mannen zurückkehrte. An der Tür des Saales saß Berthar allein, das Schlachtschwert hielt er zwischen den Beinen, der Schild lehnte am Pfosten, im Fackellicht schimmerte sein grauer Bart und der Panzer unter dem Lodenrock. Ingo entließ grüßend die Diener des Königs, Berthar steckte die Fackel in die große Tülle des eisernen Leuchters, der mannshoch in der Mitte des Raumes ragte. Der Lichtschein fiel auf die Reihen der Männer, die auf den Polstern am Boden schliefen, das Schwert an der Seite, zu ihren Häuptern Helm und Panzerhemd. »Du hieltest treue Wache, Vater,« sprach Ingo, »wie behagen dir unsere neuen Wirte?«

»Sie schielen,« lachte der Alte, »das Sprichwort gilt, je größer ein König, um so wilder die Flöhe in der Schlafdecke, die er dem zugewanderten Gast breitet. Mager war die Abendkost, die der Wirt bot, aber die Königin sandte Wein und süßes Zubrot, und deine Knaben liegen satt und reisemüde bei ihrem Heerschild. Es ist ein geräumiger Bau,« fuhr er fort, in die dunklen Winkel spähend, »dort auf der Bühne ist dir in einer Laube das Herrenlager aufgeschlagen. Merke, mein König, unter den Steinwänden der Riesenburg ist dies der einzige hölzerne Saal, abseit steht er an der Mauer, die ihn im Rücken überragt, und wenn einer der Königsmannen etwa bei Nacht eine Fackel an das Holzwerk legt und die Tür schließt, dann lodert der Saal still in Flammen auf, und das Knistern wird die Ruhe des Burgherrn wenig stören.«

Ingo wechselte einen Blick des Verständnisses mit dem Alten und fragte leiser: »Wie war der Gruß der Königsmannen?«

»Sie schlichen wie Füchse um das Nest, wenig sind sie an Hofsitte gewöhnt, sie prahlten mit der Macht ihres Gebieters und betrachteten prüfend unsere Waffen. Ich merke, Herr, sie hoffen alle, daß sie mit uns scharfen Schwertschlag tauschen werden. Mein König war zuweilen von Feinden umringt, nie aber war das Gehege so fest.«

»Noch weiß König Bisino nicht, was er befehlen soll,« versetzte Ingo, »und die Königin ist uns wohlgesinnt.«

»Keiner vom Hofgesinde rühmte mir, daß die Königin schön sei,« versetzte der Alte, »daraus erkenne ich, daß sie ihre Herrin fürchten. Vielleicht hilft die Furcht meinem König diese Nacht zu ruhigem Schlaf. Ich lösche die Fackel, damit ihr Schein nicht einem Speer die Ruhestätte verrät. Stets ist dem Gaste die erste Nacht in der Herberge die sorgenvollste.«

»Vielleicht auch die letzte«, versetzte Ingo. »Mir ziemt die Wache, Vater, dich sende ich auf das Lager.«

»Meinst du, der Alte würde schlafen, wo sich dein Auge nicht schließt?« Er trug für Ingo einen Sessel in die Nähe des Eingangs, wo der Schatten den Sitzenden deckte, dann lagerte er selbst wieder auf seinem Schemel, legte die Hände auf den Schwertgriff, lauschte nach dem Geräusch im Hofe und schaute zuweilen nach dem Sternenhimmel der frischen Winternacht. »Auch die Sterne dort oben sitzen, wie man sagt, auf silbernen Stühlen und wehren das Unheil von dem bedrängten Manne, welcher flehend zu ihnen aufsieht«, begann Berthar fromm. »Ich bin ein alter Stamm, und es ist Zeit, daß ich gefällt werde; auch für dich, mein König, habe ich zuweilen den Kampf mit edlen Feinden ersehnt, als ruhmvolles Ende deiner Mühen. Jetzt aber schaue ich am Walde ein gutes Weib, das dir treu gesinnt ist, und jetzt fürchte ich für dich die finstere Nachtwolke, welche uns vom Sternenlichte trennt, und ich fürchte den Nachtsturm, wenn er um dies Holzdach fährt. Denn in der Finsternis wird, so denke ich, der König tun, was ihm sein arger Mut eingibt.«

»Du weißt, Vater, manches Mal haben wir die Gefahr kalter Gastfreundschaft überwunden«, antwortete Ingo.

Der Alte lächelte bei der Erinnerung und fuhr gesprächig fort: »Immer lobe ich mir, wenn das Eisen in der Luft fliegt, ein freies Feld und ein besseres Licht als von flackerndem Holz. Dennoch sprichst du gut, König, denn vieles ist unsicher auf der Männererde, aber nichts trügt so sehr als die Erwartung vor dem Streit. Je länger man durch Speere und Schwerter gewandelt ist, desto weniger hegt man Gedanken über das Ende. Und um dir alles zu sagen, ich argwöhne, die hohen Schicksalsfrauen werfen uns vor dem Männerkampf die Lose mit lachendem Munde. Sie schleudern uns in die ärgste Todesgefahr wie zum Scherz und ziehen uns wieder lustig bei der Haarlocke heraus, und ein andermal berauschen sie den Sinn durch Träume des Sieges und legen uns tot auf die Heide. Wie sie aber auch das Herz des Mannes prüfen, zuletzt freuen sie sich doch über uns Schildknaben hier auf Erden und später anderswo.«

Die Rede unterbrach ein leises Schwirren und ein Schlag, ein Pfeil flog aus dem Hofe nach der Stelle, wo Ingo saß, das Eisen schlug an die Schwertscheide, der Pfeil sank auf die Diele. Die Männer blieben unbeweglich, aber kein Ruf und kein neuer Angriff folgte dem Überfall. »Suche dein Bette, du Narr«, rief Berthar und wies auf einen dunklen Schatten, der an den Häusern in der Finsternis verschwand. Er hob den Todesboten auf. »Der Pfeil ist aus einem Jagdköcher.«

»Es ist eine Ware, die Tertullus für uns zurückließ,« versetzte Ingo, »so schwächlichen Gruß sendet König Bisino nicht.«

Die Helden saßen harrend, nichts rührte sich weiter, die Sterne rückten auf ihren Stühlen langsam am Himmelsgewölbe dahin, lichtlos lag die Königsburg in tiefem Schweigen. Endlich begann Berthar: »Über den weintrunkenen Knaben des Wirtes liegt jetzt wohl der Schlaf, Zeit ist, daß auch du der Ruhe gedenkst.« Er trat zu den Schläfern und rüttelte Wolf, den Kämmerer, auf; der junge Krieger sprang behende auf die Füße und geleitete seinen Herrn zum Lager, dann ergriff er Schild und Speer und stand neben dem Alten an der Tür, bis der erste graue Tagschein über den Himmel flog.

Für den nächsten Tag war große Jagd verkündet. Auf dem freien Raum vor der Königshalle stampften die Rosse, die Meute der Rüden und Bracken schlug an, mühsam von den starken Weidgängern an den Riemen gehalten, die Mannen sammelten sich in fröhlichem Gewühl, den König zu erwarten. Auch Ingo stand mit einem Teil seines Gefolges an das Roß gelehnt, des Aufbruchs gewärtig. Endlich kam der König, der das Weidwerk noch mehr liebte als einen guten Trunk am Herde, im Jagdkleide, den schweren Jagdspieß in der Hand. Die Hörner bliesen den Morgengruß, und freundlich trat er zu Ingo und fragte laut: »Wie war die Nachtruhe, Vetter? nicht hörte ich vorher, daß du von den Vätern her ein Blutsfreund der Königin bist, sei mir willkommen auch als Verwandter an meinem Hofe.«

Die Mannen des Königs lauschten den Worten und sahen erstaunt einander an. Ingo aber antwortete ehrerbietig: »Ich danke dem König, daß er mir so huldreichen Gruß beut.«

»Wohlan,« fuhr Bisino fort, »versuche heut an unserer Seite die Kraft deines Speers.« Er bestieg sein Roß, das Tor flog auf, die Brücke schwebte herab, und hinaus ins Freie stoben die Hunde, hinter ihnen der reisige Zug. Auch Ingo tummelte fröhlich das Roß, welches sich wie sein Herr des freien Grundes unter den Füßen freute. Er ritt nahe dem König, und forschend sah sein Wirt auf die edle Gestalt und auf die sichere Kraft, mit welcher Ingo sein starkes Jagdpferd bändigte. Zuweilen rief er ihn an seine Seite und sprach zu ihm vertraulich wie zu einem alten Genossen, so daß wohl einer von den Königsknaben dem anderen zuraunte: »Wozu rühmt der Kater die Maus als Frau Base, wenn er sie doch in den Krallen hält.« Aber das war des Königs Meinung nicht, er fand Gefallen an Ingo und hörte in seinem Ohr noch günstige Worte, welche die Königin über den Fremden gesagt hatte und auch sein junger Sohn, der ihm das Liebste auf Erden war. Und der König dachte, er ist fürwahr ein freudiger Gesell, und es macht froh, ihm zuzusehen, warum soll ich ihm nicht Gutes erweisen, solange ich ihn noch unter den Lebenden hegen kann? es gibt andere, deren Tod mir bequemer wäre. So kam ihm seine Huld wirklich vom Herzen, und er ließ sich lustig berichten von der Kraft eines Löwen, den Ingo im Zwinger der Alemannenkönige gesehen hatte.

Bald nahm ein hoher Eichwald die Jagdgenossen auf. Bis dahin hatte das Auge der Königin von der Zinne ihres Turmes den Ausfahrenden nachgesehen. Jetzt rief sie den Kämmerer und die Frauen und stieg hinab in den leeren Hof. Sie hielt zur Verwunderung ihres Gefolges bei der Küche an und sprach einige Worte über den Festbraten mit dem Koch, der solcher Ehre selten genoß und fröhlich gelobte, die Schüsseln des Jagdmahls mit bester Kraft zu rüsten. Als sie zum Saal kam, in welchem die Fremden lagen, hörte sie die Schläge eines Hammers. Berthar saß in der Tür, er dengelte mit dem Schärfhammer die Eisen der Wurfspeere auf einem Stein und sang dazu leise eine gute Beschwörung für scharfes Eisen. Die Königin hielt an, winkte gebieterisch ihrem Gefolge, zurückzutreten und stand nahe den Stufen, auf den schlagenden Mann schauend, bis dieser aufsah, sein Schurzfell und den Hammer wegwarf und der Königin huldigend entgegentrat. »Welches Wild gedenkst du mit dem Eisen zu fällen, Held des König Ingo?« fragte Frau Gisela, »daß du in der Burg weilst, während draußen die Jagdhunde rennen?«

»Den Vorrat schärfe ich für ein anderes Halageschrei,« versetzte Berthar, »weit rühmt man im Lande die Jagdlust des Königs.«

»Ungern wird dein Herr im Walde den alten Kampfgesellen missen.«

»Das Wild, welches im Sonnenlicht springt, erlegt mein Herr mit seinen Knaben wohl allein, bei der Wolfsjagd in der Nacht will ich ihm nicht fehlen.« Die Königin sah ihm fest ins Auge und trat einen Schritt näher: »Nicht zum ersten Male sehe ich dich, Berthar, ist auch seitdem Schnee auf dein Haupt gefallen, ich kenne dich wieder.«

»Unsicher ist das Gedächtnis des Alten, viele Menschen sah ich, seit mein Herr heimatlos wandert; in mein Auge flogen die Funken, da mein Hof in der Heimat brannte, daß ich das schöne Antlitz vor mir nicht erkenne.«

»Mit Grund zürnst du, Alter, meinem Geschlecht. Einst schlossen der Vater deines Königs und der meine einen Bund, aber Gundomar, mein Bruder, vergaß die alten Eide, er kämpfte als Bundesgenosse eurer Feinde an der Oder, und ich wurde, noch ein Kind, als Gemahl dem König der Thüringe gesandt. Kennst du mich jetzt, Berthar?«

»Das Reis wuchs zu stolzem Baume; andere Vögel singen jetzt in seinem Laube als vorzeiten.«

»Dennoch trägt der Baum jedes Jahr die gleichen Blüten. Und der alte Schlachtenheld findet an der Königin einen Freund. Bist du zufrieden mit deiner Herberge in der Burg und haben die Königsknaben dir höflichen Gruß geboten?«

»Am Hofe grüßt der Diener wie der Herr; deine Huld, Königin, ist Bürgschaft für den guten Willen der Deinen.«

Das Antlitz der Königin umwölkte sich: »Das ist die Sprache stolzer Gäste,« fuhr sie mit gezwungenem Lächeln fort, »lustiger, meine ich, war dir das Leben in den Waldhütten.«

»Wir sind Wanderer, Herrin. Wer heimatlos durch die Völker zieht, dem hilft behender Sinn; Hof und Gemahl sind ihm versagt, er nimmt, was der Tag ihm bietet: die Beute, den Trunk, die Frauen, er hat nicht Wahl und nicht Qual, und sorglos denkt er beim Scheiden an die Arbeit des nächsten Tages.« Der Alte sah, wie die Königin ihn wieder anlachte, sie trat näher und sprach: »Dort in dem Turm ist der Königin Gemach, wenn du einmal zu jenem Fenster aufschaust von deinen Speeren, so brennt dort vielleicht eine Leuchte, dir die Wolfsjagd vorher zu künden.« Sie winkte ihm grüßend und wandte sich zu ihrem Gefolge. Der Alte aber sah ihr staunend nach, dann ergriff er wieder den Hammer und pochte, aber er sang nicht mehr.

In der nächsten Nacht störte kein Pfeil und kein Gebell der Königswölfe den Schlaf der fremden Gäste. Mit jedem Tage wurde der König freundlicher zu ihnen und rühmte vor seinen Mannen ihre Hofsitte und ihre Kunst, die Rosse im Kampfspiel zu treiben. Hermin, der junge Königsohn, kam oft zum Vetter Ingo in die Herberge, übte sich vor ihm mit seinen Kinderwaffen, strich dem Helden Berthar den grauen Bart und bat um lustige Mären. An einem Jagdmorgen wurde Ingo dem Wirt noch genehmer, als er ihm vorher gewesen war. Der König war in seiner Jagdlust den anderen weit vorausgeritten und an einer Bergsteile vom Rosse gesprungen, dort glitt er im Eise aus und lag einen Augenblick wehrlos vor den Hörnern eines wilden Ochsen. Da trat Ingo mit eigener Lebensgefahr über den Leib des Herrn und fällte das wütende Tier. Der König erhob sich, und hinkend von dem Sturze, sprach er: »Jetzt wo wir allein sind und keiner meiner Mannen in der Nähe, erkenne ich deine gute Gesinnung; denn wärest du nicht wie ein Rüde herangesprungen, so hätte der Zornige mich geschleudert zum Schaden meiner Rippen, und niemand hätte dir einen Vorwurf machen dürfen. Was keiner zu wissen braucht, weiß doch ich.«

An dem Tage saß der König fröhlich beim Mahl auf dem Herrensitz, neben ihm Frau Gisela, zur anderen Seite Ingo. »Heut freue ich mich des Jagdglücks,« begann der König, »ich freue mich meiner Herrschaft und des Goldschatzes, den ihr alle hier vor Augen seht, und ich trinke Heil dem Helden Ingo, weil er im Kampf mit dem Bergstier ein guter Genosse war. Freuet euch heut alle mit mir, wenn ihr die silbernen Becken und die Goldbecher seht, welche vor euren Augen aufgestellt sind mir und euch zur Ehre. Auch du, Ingo, hast manchen Hof mächtiger Gebieter besucht; sage mir, Held, ob du irgendwo besseres Gerät aus dem Schatzhause geschaut hast.«

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