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Die Ahnen
»Du allein, Held, hörst nicht auf den Jagdgesang?« fragte Irmgard.
»Noch andere bleiben zurück«, versetzte Ingo, nach der Halle weisend.
»Zweifle nicht an ihrer Treue«, flehte Irmgard. »Wenn du bei deinen Helden bist, sorgen wir nicht sehr, daß wieder ein Feuer zwischen ihnen und unseren Männern aufbrennt.« So mahnte ihn das Weib, welches er lieb hatte, selbst zu der Jagd, die manchem kummervoll wurde.
Ingo rüstete sich schnell mit dem Jagdzeug und eilte den Genossen nach, er erreichte sie noch vor der Teilung und wurde von seinen Kriegern mit Zuruf empfangen, auch die Landgäste freuten sich seiner und als gute Gesellen betraten alle den Wald. Hildebrand wies die Pfade, und von den Jünglingen des Dorfes geführt verschwand ein Haufe nach dem andern in den Talwindungen und zwischen den Hochstämmen. Bald erschollen aus der Ferne die Schläge der Treiber an die Stämme, das Gebell der Hunde und zuweilen ein lustiger Hornruf. Diesmal hatten die Vandalen den bessern Erfolg, sie beschlichen eine Auerherde, darunter den mächtigen Stier, der bereits im Hofe verkündet war, und ihnen gelang es, die Herde von der Höhe in ein tiefes Tal zu treiben, wo die Schneewehen den großen Leibern der Tiere den Lauf hinderten. Dort warfen sich die Männer von oben gegen die riesigen Stiere, mit gellendem Jagdruf, mit Pfeilschuß und Speerwurf drangen die Gesellen vom Rand der Höhen talab. Und sie fällten die Herde, nur ein Häuptling der Tiere, das Ungetüm, brach durch zu wegsamerer Stelle. Da warf Ingo das schwere Eisen gegen ihn, ein Blutstrom ergoß sich nach dem Wurf. »Er hat es!« rief Ingo, und der Heilruf der anderen antwortete. Aber der Waldriese arbeitete sich empor bis zum Hochwald, in weiten Sprüngen folgte ihm speerlos Ingo, sein Messer schwingend. Wieder brach das Tier, den Speer schleppend, in ein tiefes Tal, und während Ingo auf der Höhe vorwärts stürmte, um ihm auf schneefreiem Grunde zuvorzukommen, hörte er unten Gebell der Hunde, Jagdruf und Hornklang, und als er sich in das Tal warf, fand er den Stier am Boden, den Speer Theodulfs im Leibe, der Mann aber stand auf dem Tier und blies den Siegesruf. »Mein ist das Wild nach Weidrecht,« rief Ingo und schwang sich auf den Leib des Gefällten, »mein Speer gab ihm den Todeswurf.« Über der Beute standen die Männer gegeneinander und heißer Haß sprühte aus ihren Augen. »Mein ist die Waffe und mein der Stier«, rief Theodulf. Da riß Ingo den Speer des andern aus dem Leib des Stiers und warf ihn weitab, so daß er in den Ästen einer Fichte hängen blieb. Dem Thüring schlugen vor Wut die Zähne zusammen, einen Augenblick machte er Miene, sich im Faustkampf gegen Ingo zu stürzen, aber die stolze Haltung des Mannes verwirrte ihm den Gedanken, er sprang zurück und hetzte die Meute der Hunde gegen Ingo. Heulend fielen die wütenden Tiere den Helden an, vergebens schrie Hildebrand: »Wehe!« Ingo stieß mit seinem Messer das grimmigste nieder, aber auch die Vandalen sprangen herzu, den König aus der Not zu retten und trieben ihre Eisen den Hunden in den Leib. »Geendet ist die Jagd!« rief Berthar befehlend, »jetzt beginnt eine andere, der Bube darf die nächste Sonne nicht schauen, der die Hunde auf unseren König gehetzt hat. Heut waren wir Hundeschläger, wie du uns nanntest, und der letzte Hund, den wir schlagen, bist du.« Er hob die Keule zum Wurf, aber mit eisernem Griff umklammerte ihm Ingo den Arm: »Keiner wage ihn zu berühren, der Mann gehört meinem Schwert. Du aber, Hildebrand, lade die Richter zum Weidgericht, auf der Stelle vor blutiger Spur und erlegtem Wild entscheidet über mein Recht.« Die beiden Haufen wählten gesondert jeder einen Mann, diese den dritten. Die Richter schauten die Wunden, folgten der Todesspur bis zu der Stelle, an welcher Ingos Eisen den Stier getroffen, dann kehrten sie zurück, traten zusammen und sprachen das Urteil: »Dem Helden Ingo gehört die Beute.« Ein wildes Lächeln flog über das Antlitz des Königs, er kehrte dem Stier den Rücken. »Ich rate,« begann Hildebrand mit trüber Miene, »daß die Haufen nicht in gleicher Zeit zum Hofe ziehen, gefällt‘s euch, ihr Helden, so nehmt den Vortritt.«
»Die leichtesten seid ihr,« versetzte Berthar, »meine Gesellen werden Mühe haben, ihre Beute aus dem Walde zu schleifen. Dennoch meine ich, daß wir auf die Jagdehre nicht verzichten, denn von dieser Jagd wird im Lande noch länger erzählt.« Schweigend schritten die Bankgenossen des Herrn Answald dem Hofe zu, nur Theodulf sprach in seiner hochfahrenden Weise, um durch die Worte den Grimm zu bewältigen, der in ihm kochte; ohne Jagdruf betraten sie den Hof, Hildebrand eilte zum Fürsten. – Es war finster, als die siegvolle Schar mit ihrer Beute ankam. »Blast den Freudenruf,« rief Berthar, »wie so reicher Beute gebührt.« Der Halagesang ertönte, aber niemand öffnete das Hoftor und Wolf mußte vorspringen und den Querbaum zurückschieben. Die Vandalen legten die Jagdbeute vor dem Hause des Fürsten nieder, schieden grüßend von den Genossen aus Thüringen und sammelten sich still in ihrer Herberge.
Der Hof lag finster und der Wintersturm heulte über den Dächern, aber in allen Häusern und in der Halle summte das Geräusch halblauter Rede.
6. Der Abschied
Zum Notkampf auf der Aue, den die Sonne nicht schauen darf, schritt im Grau des nächsten Morgens Ingo mit seinen Schwertgesellen Berthar und Wolf. Unter ihren Füßen ächzte der Schnee, der Nachtwind fuhr um ihre Häupter und trieb Schneewolken von den Bergen in das Tal; die schwarze Wolkendecke barg alles Himmelslicht, nur die Geister des Todes herrschten auf der Erde, sie schrien aus dem Winde, sie rasselten in den dürren Bäumen und rauschten im Eiswasser die Kunde, daß von zwei Eidgesellen eines Herdes der eine geschieden werden sollte vom Sonnenlicht, damit er hinabsteige in das kalte Nebelreich. Berthar wies schweigend in die Dämmerung, auf der anderen Seite des Baches standen drei Männer, es war Theodulf mit Sintram und Agino, seinen Genossen. »Ihre Füße waren schneller,« sprach Ingo unzufrieden, »rühme die, welche zuerst der Nebelaue den Rücken kehren.« Vor ihnen lag die Stätte des Kampfes, ein sandiges Eiland mit dünner Schneedecke, auf beiden Seiten vom strudelnden Wasser umgeben. Die Schwerthelfer grüßten einander lautlos über den Bach, sie schritten zu den Weiden am Uferrand, schnitten starke Zweige und schälten mit dem Messer die Rinde. Dann sprangen Berthar und Sintram durch das Wasser, beide betraten zu gleicher Zeit den Grund der Aue und steckten den Kampfplatz mit weißen Stäben ab. Darauf trat jeder von ihnen an eine Spitze des Eilandes, der eine stromauf, der andere stromab und winkte seinem Kämpfer mit dem Arm. Die Kämpfer neigten sich vor den hilfreichen Göttern und murmelten den Notsegen, dann wateten sie durch das Wasser zu ihren Gesellen. Die Helfer wichen zurück über den Bach und die Todfeinde sprangen gegeneinander, schildlos in Helmkappe und Panzerhemd mit geschwungenem Schwert. Stahl schlug an Stahl, um sie stöhnte der Wind und rauschte das Eiswasser. Es war harter Männerkampf, nicht unwert erwies sich Theodulf des Ruhmes, den er unter seinen Genossen hatte, eine Weile dröhnte der Streit, der so schnell zum Tode führt, und Berthar sah unzufrieden das Rot am Morgenhimmel, den Boten des Tages. Da strauchelte Theodulf unter schwerem Schlage, und wieder sprang Ingo nach ihm und zerbrach ihm mit starkem Schwertstreich das Haupt durch den Eisenhelm, daß ein Blutstrom herausbrach und der Mann des Fürsten rückwärts auf den Schnee sank. Ingo schwang sich über ihn und erhob das Schwert, ihm mit der Spitze die Gurgel zu durchstechen. In demselben Augenblick brach der erste Lichtstrahl über die Hügel, der rote Schein fiel auf das Angesicht des wunden Mannes, Sintram vergaß in der Todesangst das gebotene Schweigen und schrie über den Bach: »Schone sein, die Sonne sieht‘s.« Bei dem Lichtstrahl und dem Schrei fiel ein weicher Gedanke in die grimmige Seele des Siegers, er zuckte das Schwert zurück und sprach: »Die Herrin soll‘s nicht schauen, daß ich dem Gastfreund seinen Mann durchsteche. Lebe, wenn du kannst«, er wandte sich ab. Theodulf murmelte am Boden, die Faust gegen ihn erhebend: »Ich danke dir‘s nicht.« Ingo aber sprang durch das eisige Wasser ans Ufer und wandte der Insel und dem Gefallenen den Rücken, während Berthar vorwurfsvoll sagte: »Zum erstenmal kargte der König, als er einem Todfeind das Reisegeld in das Nebelland zahlte.«
»Ich sorge nicht um eines Mannes Rache, der unter meinem Schwert lag«, versetzte Ingo. Schweigend folgten ihm seine Schwertgesellen, während die Helfer des anderen über das Wasser drangen und an der Rüstung des Verwundeten zerrten.
Vor der Gastherberge standen die Vandalen im Haufen gerüstet, ihren Gruß, da sie den König gerettet von der Aue zurückkehren sahen, hemmte Berthar. Im Hofe sammelten sich die Mannen des Fürsten und die Landgenossen in finsterer Erwartung, bis der Weheruf Sintrams erscholl und hinter ihm zwei Männer den gefällten Helden auf einer Bahre in den Hof trugen. Als die Bahre vor dem Hause der Frauen niedergesetzt wurde, stürzte die Fürstin heraus, warf sich mit lautem Schrei neben dem Verwandten nieder und hob die Arme flehend zu ihrem Gemahl. Dem starren Schweigen im Hofe folgte wilde Bewegung, Racheruf und Geschrei; die Landgenossen, die Häupter des Volkes eilten beschwichtigend von einem Haufen zum anderen, auch sie bedachten sorgenvoll, daß ein Feuer aufgebrannt war, welches schwerlich durch klugen Rat gelöscht wurde.
Zuerst geriet Wolf in Bedrängnis. Als er zu seinen alten Bankgenossen trat, welche in gedrängtem Schwarme vor dem Krankenhaus standen, da gaben sie ihm feindselige Blicke und wendeten die Rücken und Agino sprach: »Wer im Waffengang gegen unseren Gesellen gestanden hat, der ist geschieden von unserer Bank, und wenn ich dir zum letztenmal Gutes raten soll, so meide unsere Nähe, damit dir nicht kaltes Eisen für deinen Verrat zahle.«
»Ihr handelt schmachvoll an dem Genossen,« entgegnete Wolf heftig, »ehrlich habe ich mich gehalten nach meinem Schwur, den ihr damals alle rühmtet; wie durfte ich mich meinem Herrn versagen in der Not zwischen Wasser und Heide?«
»Warst du sein Geselle in der Not,« versetzte der andere, »so birg dich in seiner Kammer und zeche unter seinen Fremden den Met, den er dir schenkt; denn verhaßt ist uns dein Name und getilgt sei dein Gedächtnis in unserem Ringe.«
Auch Hildebrand trat zu ihm und begann feierlich: »Seit du ein Knabe warst, kenne ich dich, und gern möchte ich dir Gutes raten, wenn ich vermöchte; aber es ist ein alter Spruch: wo der Herr gleitet, fällt der Mann zur Erde. Auch wenn unser Fürst Answald dir wohlmeinend ist, er vermag dich nicht zu schützen gegen den Grimm des Hofes. Vielleicht berede ich ihn, daß er dich freigibt von deinem Hofeid, dann wandere mit deinem Schwert und suche dein Heil in der Fremde.«
Wolf trat zur Seite an die Hofmauer und barg sein heißes Gesicht vor dem Blick der Genossen.
»Ist dein Reisegepäck so schwer, daß du weinst wie ein Kind, das die Wanderschaft fürchtet?« sprach eine Frauenstimme neben ihm. Wolf antwortete erbittert: »Daß auch du mich höhnst, Frida, ist ärger als das andere, denn um deinetwillen war ich froh in dem Hofdienst.«
»Es gibt wohl andere Höfe als diesen Saal, der abseit liegt von dem Reisepfad der Helden, wo ein Krieger leichter die Gunst des Herrn gewinnt und vielleicht auch Haus und Land, damit er sich einem Weib vermähle. Mir gefällt nicht die Bank der Helden, an welcher ein Weib gebietet.«
»Du rätst mir zu gehen,« antwortete Wolf in hellem Erstaunen, »und du selbst bleibst doch hier.«
»Für die Kunkel bin ich geschaffen und ich muß harren, bis mich ein Mann auf sein Roß hebt und in seinen Hof führt. Aber verächtlich dünkt mich eine Herrschaft, welche zuerst vor dem Gaste die Arme ausbreitet und dann beängstigt wird durch seine Gegenwart. Schwinge dich auf, trabe mutig über die Heide und suche dir einen treueren Herrn.«
»Du warst selten freundlich gegen mich, Frida, dennoch kommt mir‘s schwer an, dich unter den Hofknaben zurückzulassen«, versetzte der ehrliche Wolf.
»Vielleicht weiche auch ich einmal aus dem Hofe«, antwortete Frida trotzig. »War ich auch zuweilen hart gegen dich, Wölflein, so wisse doch, daß ich die Tölpel dort hasse, seitdem sie dir die Genossenschaft weigern.« Sie sah ihn freundlich an und verschwand, Wolf schritt getröstet nach der Herberge der Gäste.
»Was raunen dort die stolzen Knaben untereinander?« fragte ihn Berthar prüfend.
»Sie haben sich von mir geschieden«, antwortete Wolf finster, »weil ich mit dem König Ingo zur Aue ging.«
»Und was meinst du zu tun, junger Thüring?«
»Ich habe mich deinem Herrn gelobt«, antwortete Wolf. Berthar faßte ihn bei der Hand. »So spricht ein wackerer Mann. Immer hast du mir gefallen, denn du warst treu im Dienst und gutartig gegen meine Gesellen. Jetzt will ich sorgen, soweit ich vermag, daß dich die Wahl nicht reue. Tritt zunächst abwärts von uns zu dem Helden Isanbart, damit er dich schütze und dir durch seine Fürsprache von dem Eide helfe, der dich an den Hofherrn bindet. Dann kehre dich zu uns. Einen Sohn haben mir die Götter versagt, ich will dich halten wie mein eigen Blut, den letzten Trunk teile ich mit dir und mein letzter Schwertschlag sei an deiner Seite. Willkommen in unserer Mitte zur Wanderung auf der Männererde, zum Gewinn von Beute und zum seligen Ende in der Männerschlacht.«
Aber auch Irmgard empfand die Verstörung dieses Morgens. »Wo ist die Tochter?« rief der Fürst am Lager des Verwundeten, »daß sie mit ihrer Heilkunst der Mutter helfe.«
Leise, damit kein anderer die Worte höre, antwortete die zornige Fürstin: »Ungehorsam weigert sie, seinem Lager zu nahen.« Herr Answald trat heftig in Irmgards Gemach, die Wange der Jungfrau war erblichen, aber ihr Auge mied nicht den zornigen Blick des Vaters. »Am Lager deines Verlobten ist dein Sitz, du Kaltsinnige!« rief er ihr zu.
»Hassen würde ich mich selbst, hätte ich mein Leben jenem gelobt«, antwortete Irmgard unbeweglich.
»Der Vater tat es für dich, und hätte ich‘s nicht getan, von deinem Geschlecht ist er und mein Waffengenosse. Ehrst du so wenig, was die Sitte von dir heischt?«
»Auch ich gedenke, mein Vater, was deinem Kinde geziemt. Er, der getroffen liegt von wohlverdientem Schlage, hat die Meute gehetzt gegen unseren Gastfreund. Bin ich ein Kind dieses Hauses, so ist er mir fortan ein Fremder und ein Feind.«
»Wie eine Wahnwitzige redest du. Wohl kenne ich den argen Wunsch, der dir den Sinn betört; zu lange habe ich nachsichtig das Unleidliche getragen.« Er hob den Arm gegen die Tochter.
»Töte mich, mein Vater,« schrie Irmgard, »du hast die Macht, aber auf meinen Füßen trete ich nimmer zu dem Bett des argen Mannes.«
»Bist du jetzt so entschlossen,« rief der Fürst außer sich, »so sollst du doch dem Zwange dich beugen. Ich gehe, den Quell abzuleiten, der diesen Jammer in meinen Hof treibt. Du aber lebe gesondert als Gefangene, bis dein trotziger Mut sich fügt.« Drohend verließ er das Gemach und schritt über den Hof nach dem Herdsitz. Dort sammelten sich die Gaugenossen, dorthin wurde auch Ingo von zwei Häuptern des Volkes geleitet.
Das Antlitz des Fürsten war rot vor Zorn und ihm bebte die Stimme, da er an seinem Herdfeuer in der Versammlung begann: »Zum Tode verwundet hast du, Ingo, Ingberts Sohn, meinen Schwertträger Theodulf, einen Edlen des Volkes, den Verwandten meines Ehegemahls, den Sohn, dem ich meine Tochter zur Hausfrau gelobt; geschädigt hast du ihn an Leib und Leben in heimlichem Kampf, den die Sonne haßt; gekränkt hast du meine Ehre, verletzt die Gastpflicht, gebrochen den Eid, darum weigere ich dir fortan den Frieden meines Hauses und Hofes, ich löse das Bündnis, das einst die Väter verband, die Flamme des Herdes tilge ich, die jetzt noch wärmt, und das Wasser verschütte ich, über dem wir einander gastlichen Frieden gelobt.« Er schwenkte den Herdkessel empor und goß ihn in die Flamme, daß der weiße Dampf sich zischend im Hause verbreitete.
Ingo aber rief dagegen: »Eine Nottat verübte ich, bis zum Tode gekränkt an meiner Ehre, wie sie jeder üben muß, der nicht achtlos im Volke leben will. An deinen gastlichen Herd dachte ich, als der arge Mann unter meinem Schwerte lag und ich die Spitze zurückzog. Für das Gute, das ich unter deinem Dach genossen, danke ich dir noch jetzt beim Scheiden; vor dem Argen, das du und deine Freundschaft mir fortan sinnen, werde ich mich bewahren. Wie du die Flamme getilgt, die mir gastlich geleuchtet, so werfe ich das Gastzeichen, das dein Vater meinem Vater übergab, in die kalten Kohlen deines Herdes, ab tue auch ich die Gastpflicht, die mich hier band, als ein Fremder kam ich und als ein Fremder gehe ich; den Göttern, den hohen Schwurzeugen klage ich das Unrecht, das du an mir und meinem Geschlecht verübst, und ihren Segen erflehe ich für jeden, der in diesem Hofe und Lande mir Gutes wünscht.« Er wandte sich zum Abgang, da erhob sich Isanbart und sprach: »Bist du durch eine Nottat verfeindet unserem Häuptling, den wir ehren, so bist du noch nicht verfeindet dem Volk, das dir durch unseren Mund den Frieden gelobt hat. Willst du harren, bis die Gemeinde über deinen Zwist mit Herrn Answald entschieden hat, so bist du willkommen mit deinem Gesinde im Hofe und am Herd eines Alten, der einst im Kampf an der Seite deines Vaters gestanden hat.«
Ingo trat zu dem Greis und neigte sich tief vor ihm: »Segne mein Haupt, o Vater, bevor ich scheide. Denn unrühmlich wäre mir fortan noch im Gaue zu verweilen und Zwiespalt in den Dörfern aufzuregen. Deiner Treue denke ich aber, solange ich atme.«
Der Greis legte ihm schweigend die Hand auf das Haupt, dann trat Ingo auf die Schwelle. Mit Zorn und Sorge sah der Fürst, daß sich ein Teil seiner Landgenossen erhob, den Scheidenden zu geleiten. Isanbart bot dem Fremden die Hand und führte ihn durch die Schar der Hofmannen, welche bewaffnet mit drohenden Gebärden um die Tür drängten; diesen gegenüber hielten auf ihren Rossen die Vandalen, bereit zum Aufbruch und, wenn es not war, zum Kampfe. Aber die Würde der Volkshäupter bändigte den Grimm der Jüngeren; Ingo schwang sich auf sein Roß, das ihm Berthar zuführte, noch einen langen Blick warf er zurück in den Hof, dann trieb er sein Roß zum Sprung durch das Hoftor, ihm folgte ebenso die Schar seiner Mannen. Als die Hofgenossen ihnen Drohworte nachriefen, gebot die zürnende Stimme Isanbarts Schweigen. Der Fürst aber saß stumm in schweren Gedanken an seinem kalten Herde.
Hinter den Reisenden klapperten auf dem gefrorenen Boden Roßhufe, Bero trieb sein Pferd an Ingos Seite und begann, nachdem er eine Weile neben ihm geritten war: »Ich war‘s, der deine Gesellen dir zuführte, heut möchte ich dir guten Willen erweisen; das Dorf, in dem ich hause, liegt auf deinem Wege, laß dir‘s gefallen, Held, bei mir einzukehren und Bauernkost zu versuchen.«
»Ich rate, Herr,« sprach Berthar, »daß du der Ladung des Freien folgst, denn wohlgesinnt habe ich ihn gefunden und von klugem Rat.«
»Du bist nicht der einzige deines Geschlechtes, der es mit uns gut gemeint hat, da wir im Herrenhofe waren«, versetzte Ingo mit trübem Lächeln. Und die Helden verabredeten den Besuch, worauf Bero zufrieden seinen Gaul in einen Seitenpfad lenkte.
Ihm folgte mit lautem Zuruf Rothari. »Eure erste Einkehr sei in meinem Hofe«, rief der runde Mann und streckte seine Hand vom Roß aus, um vielen die Hand zu schütteln. »Wirf die Sorgen hinter dich, Held, und grolle nicht mit uns anderen, weil du in Unfrieden von einem scheidest«, und neben Ingo reitend fuhr er vertraulicher fort: »Auch in unserem Gau wird mancher Mann sich wundern, daß dein Schwert einem Zänker nicht die letzte Ehre vergönnt hat, denn der Mann und sein Geschlecht haben Feinde im Volke, weil sie unbillig sind, und ich bin auch einer davon.« So trabte er mit tröstlichen Worten unter den Gästen, wirbelte zuweilen seinen Speer in der Luft und erzählte lustige Fahrten, bis auch die Fremden zuhörend lachten.
Als am nächsten Morgen der erste Dämmerschein in das dunkle Gemach fiel, erhob sich Irmgard leise vom Lager, damit sie die schlafende Wächterin nicht wecke und sprach bei sich selbst: »Mir träumte, oben am Gießbach steht der eine, der mich erwartet. Vereist ist das Ufer der rinnenden Flut, gelöst ist der Fichtenbaum, der an unserem Boden hing, talab treibt er mit dem Wasser zwischen Eis und Steinen und nimmer sehe ich ihn wieder. Nicht weiß ich, was ich noch im Leben lieben soll, da er von uns wich.« Sie warf eine dunkle Hülle um ihr Gewand, öffnete leise die Tür und schritt über den leeren Hof. »Wer löst mir die Riegel am Tor?« sprach sie an der Pforte, aber als sie daran rührte, fand sie die Holzkeile des Sperrbaumes herausgetrieben. Sie ging durch das Tor und eilte über den Schnee den Bergen zu an die Stelle, wo sie früher den Geliebten gefunden. Als sie aber näher kam und am Gießbach eine hohe Gestalt in der Dämmerung erkannte, erschrak sie und hielt an. Da eilte Ingo ihr entgegen: »Ich dachte dich zu finden an dieser Stelle, die Ahnung trieb mich auf schnellem Rosse durch die Nacht.«
»Unter die Feinde reitet der König,« antwortete Irmgard, »weil mein Geschlecht ihm die Treue brach. Bitter ist der Gedanke, verhaßt ist mir das Leben. Denn auch du wirst uns zürnen, wenn du in der Not an die Halle meiner Väter denkst.«
»Deiner gedenke ich, wo ich auch weile,« rief Ingo, »von dir hoffe ich alles Heil meiner Tage. Die Liebste bist du mir und stark ist dein Mut, darum lege ich heut in deine Hand die Fäden, an denen, wie die Priesterin sprach, mein Schicksal hängt.« Er bot ihr eine kleine Tasche von Otterfell mit starken Riemen daran. Irmgard sah scheu auf die Gabe. »Sie birgt den Drachenzauber,« fuhr Ingo leise fort, »den Sieg der Römer, wie unsere Krieger meinen, und auch mein Los. In der Königsburg hat der Römer Gold gespendet, möglich ist, daß die Mannen des Königs mir Unheil bereiten. Töten sie mich mit meinem Gesinde, so soll doch der Römer nicht wiedergewinnen, was, wie man sagt, ihm den Sieg verleiht. Darum bewahre du mir den Purpur, bis ich ihn fordere; wenn aber den Feinden ihr Werk gelingt, dann trage das Geheimnis zu dem Totenhügel, den sie über mich werfen, und senke es dort tief in die Erde, damit kein Fremder es jemals gewinne.«
Irmgard ergriff die Tasche, hielt sie mit beiden Händen, und ihre Tränen rollten darauf. »Fremd wurdest du dem Herd meiner Väter, mein Gastfreund bleibst du doch, Ingo, und nahe an meinem Herzen sollst du wohnen. Hier bewahre ich, was du mir botest, und zu den Schicksalsgöttern flehe ich, daß dies Unterpfand auch mir Anteil werbe an deinem Geschick. Wäre ich als Knabe geboren, wie die Eltern sich wünschen, ich dürfte dir auf deinem Pfade folgen. Aber einsam werde ich sitzen mit verschlossenen Lippen im freudelosen Hause, und an dich werde ich denken, den nur die Habichte schauen, die wilden Vögel, wenn sie zwischen Himmel und Menschenerde fliegen. Denn ruhelos wanderst du, edler Mann, durch feindliche Mauern unter wehendem Wind und fallendem Reif.«
»Traure nicht, Holde,« bat Ingo, »denn ich fürchte nicht, daß es den Feinden gelingen wird mich auszutilgen; wirbelt auch kalter Schnee, mein Herz ist froh, da ich dir vertraue, um die ich sorge. Bei Nacht und Tag ist mein Gedanke, wie ich dich mir gewinne.«
»Dem der Vater zürnt und den die Mutter haßt, den liebt das Kind, gibt es größeres Leid auf Erden?« klagte Irmgard.
Da umschlang er sie mit seinen Armen und sprach zärtlich: »Birg deine Liebe still vor den anderen, wie der Baum seine Kraft in der Erde birgt, wenn der Sommer weicht. Jetzt tobt um uns die wilde Gewalt des Winterriesen, mit weißem Bahrtuch bedeckt ist die Wonne der Flur. Auch du, Holde, trage still die eisige Last. Wenn die Knospen springen und junges Grün aus der Erde sprießt, dann schaue empor zur Frühlingssonne und lausche, ob du den Sang der wilden Schwäne hörst, wenn sie durch die Luft ziehen.«
»Ich berge und harre,« antwortete Irmgard feierlich, »du aber denke, wenn der Sturm um dein Haupt tobt, daß ich zu dir klage und rufe, und wenn die milde Sonne über dir lacht, daß ich um dich weine.« Sie riß ein Band von ihrem Gewande und knüpfte es um seinen Arm. »So binde ich dich für mich, damit du auch wissest, daß du mir gehörst wie ich dir«, und sie warf die Arme um seinen Hals und hielt ihn fest umschlungen.
Von der Seite klang mißtönend der Schrei eines Raubvogels. »Der Wächter mahnt, daß du dich von mir wenden sollst«, rief Ingo. »Segne mich, Irmgard, daß meine Reise heilvoll sei für dich und mich.« Er neigte das Haupt unter ihre Hände, sie aber hielt die Arme über ihn, bewegte die Finger und raunte den Segen. Dann umfing der Mann sie noch einmal in heißem Trennungsweh und schwang sich aufwärts in den Tannenwald. Irmgard stand wieder allein zwischen Fels und Wald, und um sie wehte der Winterschnee.