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Die Ahnen
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Die Ahnen

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Die Ahnen

Der Abend kam und das versammelte Volk lagerte sich zur Nachtrast; rings um das Dorf loderten die Feuer in der Niederung und auf den Bergen, die Männer saßen nach Dörfern und Geschlechtern gesondert, sprachen über die Ereignisse des Tages und über die große Veränderung, die der neue Bischof dem Land bedeute. Zwischen den Feuern schritt Winfried von den Priestern begleitet; wo er einem Christenhaufen nahte, erscholl lauter Heilruf, er trat grüßend heran und redete mit den Männern. Dann vernahm man den Klang eines Glöckchens, das Memmo trug, die Rastenden knieten um die Flamme, Winfried sprach das Abendgebet und erteilte den Segen. Wo aber ein Heidenhaufe saß, ging er wie ein Häuptling mit würdigem Gruß vorüber, er fand kalten Gegengruß und finstere Mienen, doch keiner wagte ihn durch Worte zu kränken, erst hinter seinem Rücken klangen leise Verwünschungen.

Um den Rabenhof brannten die Feuer nicht, nur das letzte Abendlicht vergoldete die Linde, welche in der Mitte des Hofes stand. Dort saßen und lagen eine Anzahl ansehnlicher Heiden, ihre Mienen waren sorgenvoll, und um große Dinge ging ihr Gespräch.

»Mich freut‘s, Ingram, daß du dem Fremden in der Versammlung so mutig widerstandest«, begann Bruno, Bernhards Sohn, zu dem Genossen, der die Augen abwärts gekehrt neben ihm auf dem Boden lag. »Doch auch dem Fremden muß ich die Ehre geben wegen der Worte, die er zuletzt über die Würfel sprach. Denn gewichtig war die Mahnung, daß man auch die Gesinnung eines Mannes bedenken soll.«

»Schlau ist seine Rede und hinterhaltig sein Sinn,« rief Ingram zornig von der Erde, »die Franken am Main taten klug daran, mir sein Amt zu verhehlen.«

»Niemand wird leugnen,« fuhr Bruno fort, »daß er ein gewaltiger Mann ist; mächtig verkündete er heut vor allen; er schrie wie der Sturmwind schreit. Unerhört ist es in der Welt, daß jemand am lichten Tage vor allem Volk so große Botschaft ausruft und durch Briefe und Schrift bezeugt, daß sein Gott mächtiger sei, als die Götter, zu denen wir flehen.«

»Auch ein Lügner mag laute Stimme haben«, versetzte Kunibert.

»Er aber ist kein Landläufer,« fuhr Bruno fort, »wie ein König wandelt er einher, würdig, in vornehmem Gewande, ein weit anderer Mann scheint er als der kleine Meginhard, und wenn ich recht urteile, so gleicht er durchaus nicht einem Betrüger.«

»Wie kannst du ihn einem König vergleichen,« rief Kunibert, »da er keine Waffen trägt und ganz unkriegerisch ist.«

»Hat nicht manches Volk, das zu unseren Göttern fleht, den gleichen Brauch? Auch bei unseren Nachbarn, den Sachsen, ist es dem Opferer nicht erlaubt, den Speer zu werfen und im Haufen zu kämpfen. Sage uns, Ingram, da du sein Geleitsmann warst, ob du ihn als einen furchtsamen Mann erkannt hast.«

In innerem Widerstreben antwortete Ingram: »Ich habe ihn in der Gefahr furchtlos gefunden, aber unmännlich weigert er sich, Rache zu nehmen an einem Feinde.«

Seine Genossen sahen erstaunt einander an und die jüngeren lachten verächtlich. Nur Bruno sprach kopfschüttelnd: »Auch ich habe vernommen, daß ihr Gott gebietet, die Feinde zu lieben, dennoch lache ich nicht über solche Lehre, wenn sie auch jedem wehrhaften Mann unrühmlich und unverständig erscheint. Denn ich merke, auch in ihr ist ein Geheimnis und eine Deutung, die ich nicht verstehe. Ist doch Graf Gerold ein Christ und mancher andere, der seines Schwertes froh wird. Wie die Franken auch sonst von Gemüt sein mögen, daß sie vor Blut erschrecken, darf ihnen keiner nachsagen. Und gerade an dieser Lehre von der Liebe mögen wir erkennen, daß die Christen sich auf eine Schrift stützen, die ihnen von einem Gotte überliefert ist, denn einem Gott ist eher möglich, Unmenschliches zu gebieten, als einem Mann, und alle Christen lehren und sprechen dasselbe, auch wenn es ihnen selbst lästig wird, darnach zu handeln. Achtet wohl darauf, genau mit denselben Worten wie jener Bischof sprach auch sonst der kleine Memmo und der Priester des Grafen, obgleich sie nicht so streng gegen das Roßfleisch und das Beilager mit fremden Frauen eiferten als der Fremde. Furchtbar für uns alle ist eine Lehre, welche von dem Gotte selbst herkommt und als wahrhaft durch seine Schrift bezeugt wird.«

»Deutlicher sprechen unsere Götter zu uns,« rief Ingram das Haupt erhebend, »von ihnen berichtet das Lied des Sängers und der Spruch der Weisen, ihre Stimme höre ich im rauschenden Baum, im singenden Quell, im Schlage des Donners; jedes Frühjahr fährt der Sturmwind über die Täler, und wenn die Götterhunde bellen und die Geisterrosse schnauben, zieht der große Schlachtengott über unseren Häuptern dahin. Wer begehrt sich ein stärkeres Zeugnis als dieses, das wir alle Tage ehrfürchtig hören oder sehen.«

»Sinnvoll redest du«, sprach Bruno zu den Raben aufblickend, welche um den Baum flogen und ihr wildes Lied schrien, »überall schweben sie um uns und ihre Boten verkünden, daß sie nahe sind. Dennoch ängstigt mich, daß sie gegen den Fremden ohnmächtig werden. Wenn sie im Wipfel des Baumes wohnen, wenn sie durch die Luft fahren, warum strafen sie ihn nicht? Das Zelt hatte er für den Dienst seines Gottes errichtet unter dem Fruchtbaum, von dem wir die Losstäbe schneiden; an dem Baume rinnt ein Quell, zu dessen Herrin wir flehen, ich sah auf den Baum und ich sah in den Quell, während er sprach; das Laub rührte sich gerade wie sonst, und wenn er schwieg, sang der Quell weiter. Ich schaute der Sonne, unserer lieben Herrin, in das Angesicht, als ihre Strahlen auf sein Haupt fielen, bis sie mir für meine Unverschämtheit den Blick schwärzte, aber mir schien, daß sie fröhlich aussah wie sonst immer, und daß sie ihm gar nicht feind ist. Ja, ich fürchte, sogar der Donner vermag nichts gegen ihn.«

Ingram seufzte, er wußte, daß der Donnergott vermied, den Verwegenen zu treffen.

»Darum sage ich,« fuhr Bruno kummervoll fort, »es ist eine große Verkündigung, die wir am lichten Tage durch helles Wort und durch neue Gedanken hören. Wer in versammeltem Volk seiner Rede lauscht, dem wird es schwer, ihm zu widersprechen. Dann sind die Gedanken, welche er aufregt, viel gewaltiger als die Stimmen der Überirdischen, welche wir ehren. Aber wenn der Mann allein steht im dunklen Nebel, am Waldbach, bei der wogenden Halmfrucht, oder auch in der Dämmerung am Herde, dann wird wieder die Verkündigung des Christen schwach und unsere Götter werden mächtig. Zwieträchtig ist, wie ich ahne, die Herrschaft der Götter; der neue Gott der Christen, den sie den dreieinigen nennen, herrscht wie ein Tageskönig, wo sich die Männer zusammengesellen und starke Rede erschallt; jedoch die Götter unseres Landes schweben daneben, sie walten und schaffen, aber ich sorge, sie vermögen ihn nicht zu überwinden. Schreckenvoll ist solche Zeit für jeden treuherzigen Mann. Ob sie einen Kampf der Götter bedeutet und Untergang der Männererde, oder eine neue Herrlichkeit, wer vermag das zu sagen?«

Er senkte traurig das Haupt, auch die anderen schwiegen, bis Kunibert begann: »Jeder von uns hat schwere Gedanken. Mir aber widersteht der fremde Brauch und die neue Lehre, denn die alten Götter gaben meinem Leben Ehre und Segen, unbedachtsam und frevelhaft wäre ich, wenn ich die Holden verließe. Darum denke ich so: hat sich ein Kampf erhoben zwischen unseren Göttern und dem Christengott, so harren wir ehrfurchtsvoll, welcher der stärkere sei. Deutlich wird das auch für uns Männer; denn wer sich mächtiger erweist als Glücksspender und Siegbringer, dem müssen wir folgen, wenn wir nicht töricht sind. Ist der Christengott so gewaltig wie du sagst, so mag er demnächst unseren Waffen Sieg geben gegen die Slawen, wenn wir wider sie kämpfen. Das, meine ich, wird das große Gottesgericht sein, wo unserem Volke die Lose geworfen werden und zugleich den Göttern selbst.«

»Folge du gefügig dem Sieger,« fuhr Ingram im Zorne auf, »ich denke treu zu bleiben den Gewaltigen, denen meine Väter gelobt haben, und die mir, seit ich ein Kind war, bei Tag und Nacht ehrwürdig gewesen sind. Längst wissen wir, daß Kampf ist auf der Männererde und Kampf im Reiche der Götter. Jeden Winter dringen die finsteren Todesgewalten gegen die guten Bewahrer unseres Glücks, mühsam ist der Streit zwischen Tageswärme und Nachtreif, auch hinter Sonne und Mond rennen, wie die Sage kündet, unablässig die Riesenwölfe, sie zu verschlingen. Ich aber will, bin ich auch nur ein einzelner Mann, in dem Götterstreit bei den guten Geistern meiner Ahnen stehen, ob sie siegen oder unterliegen. Lodert ihre Welt in Flammen, so will ich vergehen mit den Geliebten, denen ich zeither gedient. Denn Haß fühle ich gegen die neue List und die gewundene Rede und das siegesfrohe Lächeln der Priester.« Er erhob sich heftig und eilte aus seinem Hof ins Freie. Bruno sah ihm besorgt nach. »Der Sinn ist ihm verstört durch die Sorbenbande und ich fürchte, er denkt auf Gewalttat.«

Das glühende Abendrot wich dunklem Grau, nur ein matter rötlicher Schein lag noch an dem Bergwald und den Höhen, da vernahm man auf dem Talwege, der von der Saale her zum Dorfe führt, feierlichen Gesang. Aus der Dämmerung bewegte sich ein wallender Zug, der Knabe mit dem Holzkreuz, hinter ihm Gottfried und der ganze Haufe der Frauen und Kinder, Walburg auf einem Karren von zwei Rindern gezogen. Freudengeschrei und lauter Zuruf des Volkes empfing die Geretteten, als sie den brennenden Feuern nahten. Erstaunt sahen die Fahrenden auf die Flammen und das Volksgewühl und empfingen die Glückwünsche der andringenden Menge. Der Bischof selbst eilte mit geöffneten Armen dem Zuge entgegen; umringt von dem Volke stattete ihm Gottfried seinen ersten Botenbericht ab, wie die Erledigten ausgezogen und an dem schwarzen Bach und der Wasserrinne aufwärts in den Wald gedrungen waren; dort hatten sie Tag und Nacht die Schrecken der Wildnis empfunden. Aber als sie endlich zu einem einsamen Hofe kamen, hatte der Wirt, obwohl er mehr Heide als Christ war, einen Karren bespannt und aus Furcht vor den Sorbenkriegern seinen Hausrat und die Kranke daraufgesetzt und die Wandernden mit Hausgenossen und Vieh begleitet.

Durch die Menge, welche dem Bericht lauschte, brach Ingram. In seliger Freude rief er schon von weitem den Namen der Jungfrau, vergessen war in diesem Augenblick aller bittere Zorn und in heller Verklärung strahlte sein mannhaftes Antlitz. So erkannte ihn Walburg. Das Schleiertuch vor ihrem Gesicht bewegte sich und ihre Hand streckte sich ihm entgegen. Da trat Gottfried heran, faßte ihre Hand, hob sie mit Hilfe des Führers vom Karren und führte sie zu Winfried. Walburg sank auf die Knie und Ingram wich zurück. Mit schnellen Worten berichtete Gottfried ihren Namen und ihr Geschick, und Winfried sprach liebevoll: »Vor einem fernen Grabe habe ich gelobt für dich zu sorgen wie ein Vater, der Himmelsherr hat die erste Bitte erhört, die ich in diesem Lande um eine Seele zu ihm tat, ich nehme dich auf als ein Unterpfand, daß der Herr auch ferner meinem Tun gnädig sein wird.« Er sah zu dem Meierhofe hin, wo bereits eine Menge geschichteter Stämme zu neuem Bau lag, und rief froh: »An dieser Waldecke soll, wie ich hoffe, eine Herberge erstehen, worin mancher Gebundene aus den Fesseln gelöst wird. Sei bedankt, mein Sohn, für die gute Reise; deine Rückkehr löst auch einen anderen von schwerer Verantwortung.«

An Ingrams Händen hingen die kleinen Brüder der Walburg. »Kommt zu mir, ihr Knaben«, rief Ingram heftig und zog sie mit sich fort.

Aber Winfried selbst trat ihm in den Weg. »Mein sind die Knaben, und mein ist jedes Haupt dieses Zuges.«

»Die Söhne meines Gastfreunds sind‘s, und die Sorge für ihr Wohl nehme ich auf mich«, rief Ingram in aufloderndem Zorn.

»Durch das Gut des Herrn sind die Kinder gelöst, und nicht durch das deine«, antwortete der Bischof.

»Krieger sollen sie werden und nicht kniebeugende Christen«, rief Ingram, die Knaben festhaltend.

»Ich aber fürchte, Ingram,« versetzte Winfried, »daß ihnen der wilde Haushalt deines Hofes nicht gedeihen wird, und ich habe die Pflicht, sie davor zu bewahren, denn meiner Lehre gehören sie. Gib die Hände frei, die du festhältst.«

In hellem Ausbruch der Wut faßte Ingram nach seinem Schwert, der Bischof faßte die Hände der Knaben und stand dem Wütenden mit gehobenem Haupt gegenüber. »Nicht das erstemal stehe ich vor deiner Waffe«, rief er mahnend.

Der Graf trat schnell vor Ingram und hielt ihm selbst die Schwerthand fest. »Unsinnig bist du, Ingram, daß du dich gegen einen Geschorenen regst. Laß dir Gutes raten, Mann; hebst du das Schwert, so verlierst du die Hand.«

Aber Ingram riß sich los, ihm wirbelte es vor den Augen, blutigrot waren die Gesichter, welche ihn höhnisch anschauten, und ganz außer sich rief er: »Von meinen Göttern scheidet er mich, und die ich liebe, löst er von mir, rächen will ich den Schaden oder nicht leben«, und im Sprunge schwang er sein Schwert gegen den Bischof. Da sah er plötzlich vor sich nicht das verhaßte Gesicht des Priesters, sondern ein Frauenantlitz, marmorbleich, voll Schrecken die Augen, auf der Wange eine blutigrote Wunde, und er fuhr zurück, entsetzt über die Verwandlung.

»Greift den Friedensbrecher!« rief Herr Gerold. Wildes Geschrei erhob sich und Schwerter blitzten. Ingram aber rannte mit gehobener Waffe der Höhe zu; seine Freunde und Genossen aus der Heidenschaft drängten sich zwischen ihn und die zornige Menge, bis die Rufe der Verfolgenden in der Ferne verklangen und den Gejagten das schützende Dunkel des Waldes umschloß.

6. Walburg

Nach dreitägiger Lehre und Festfeier waren die Gaugenossen heimgezogen, die Christen mit gehobenem Haupt, die Heiden in Kleinmut. Aber draußen in dem weiten Land der Thüringe wirkte die Bewegung fort, welche durch den Zauber eines kräftigen Mannes aufgeregt war, der Windstoß aus dem Waldtal wurde zum starken Sturme, er durchfuhr das ganze Land und warf alte Heidenbäume nieder.

Winfried wohnte nicht mehr in der Hütte des Memmo. Auf den Rat des Grafen war ihm beim Meierhof eine Halle errichtet worden, damit er würdiger das Volk empfange. Doch war er selten daheim, von Reisigen und von einem Gefolge ansehnlicher Männer begleitet zog er rastlos durch das Land, und wo er erschien, stritten die Männer über Opfermahle und ihr künftiges Heil in der Himmelsburg. Viele zogen das weiße Gewand der Täuflinge an, noch mehre standen unsicher zur Seite, ohne Waffen gegen das laute Wort aus Menschenbrust und gegen das Wesen des Mannes, der so sicher wie ein Gott Bescheid wußte, wo andere sich im Zweifel ängstigten. Fand er auch überall bittere Feinde, wider den ersten Andrang seiner Lehre vermochten sie sich nur wenig zu wehren, denn gütig und schonend sprach er zu dem einzelnen, und jedem gab er seine Ehre, er war freundlich zu den Frauen, sein Antlitz wandelte sich in helle Fröhlichkeit, wenn er mit den Kindern sprach, und wo er einen Bedrängten oder Darbenden fand, gab er alles, was er selbst gerade hatte und bat so feierlich und dringend, daß er oft auch die Harten zur Guttat beredete. Im ganzen Lande sagten die Leute, daß er ein milder und vornehmer Mann sei, und darum hörten sie ihn williger.

Aber auch das Dorf, in dem er zuerst eingekehrt war, wies nach wenigen Wochen die Verwandlung. Auf dem Meierhofe, welchen Frau Hildegard dem Christengott als Geschenk dargebracht hatte, erhob sich bei der Halle ein Turmgerüst und daran ein großer im Viereck eingehegter Raum, der dem Gottesdienste geweiht war. Außerdem mehre neue Blockhäuser: ein Schlafhaus für die losgekauften Frauen und Kinder, daneben ein Arbeitshaus, in dem sich an jedem Wochentage die Spindeln drehten und Webstühle klapperten; und gegenüber ein zweites Arbeitshaus mit einem großen Kreuz über dem Giebel, die erste Schule im Lande. Dort saßen die Knaben, deren Vormund der Bischof geworden war, auf niedrigen Holzbänken, sie lernten in ihrer Sprache das Vaterunser und den Glauben und im Latein Kirchengebete und Gesang, dabei auch ein wenig das Verständnis der lateinischen Worte. Denn Memmo erfand für sie wichtige Sprüche mit deutschen und lateinischen Wörtern in der Art wie: meus avus heißt mein Ahn, pater heißt der Vater, vir bin ich, der Mann, filius der Sohn. Memmo lächelte jedesmal stolz, wenn er den Knaben einen neuen Spruch beibrachte, er strich denen, welche gut lernten, so zart über das gelbe Kraushaar, wie seinem Stieglitz über das rote Käppchen, aber den Ungefügen zahlte er unerbittlich ihr Kerbholz mit einer großen Birkenrute, welche der Unartigste jeden Sonnabend neu liefern mußte, damit er selbst die ersten Streiche empfange. Auch Schreibgerät bereitete er, um den Knaben das Geheimnis der Schrift zu offenbaren. Er kochte den schwarzen Zaubersaft der Tinte, während ihn die Knaben ängstlich umstanden; er lehrte seine Schüler kleine Holztafeln schneiden und einrahmen und für den Gebrauch des Griffels mit einer dünnen Lage Wachs überziehen, für die Tinte aber mit weißem Birkenbast bekleiden. War Gottfried im Dorfe, so unterrichtete dieser im Kirchengesang, zu seiner Schule gehörten auch die Frauen und Mädchen. So oft die Weise des Abendliedes von der Höhe über das Dorf klang, hörten die Landleute mit der Arbeit auf und sahen furchtsam zu dem Hofe empor, wo dem neuen Gott der Nachtgruß geboten wurde. Und wenn Memmo mit seinen Schülern durch Wiese und Holz zog und ihnen die Tugenden der Bäume und Kräuter erklärte, dann wurden seine kleinen Gesellen von den Dorfknaben angeschrien wie gezähmte Vögel von wilden, und er hatte zuweilen mit seinem Stocke Arbeit, um die Köpfe der Raufenden auseinanderzubringen.

Weit durch das Land lief das Gerücht von der neuen Schule und von der seltsamen Christenzucht. Obgleich das unkriegerische Wesen den Ansehnlichen mißfiel, so dünkte doch manchem vorteilhaft, einen jüngeren Sohn daran zu wagen, die armen Leute aber warben dringend um Aufnahme, und schon dachte Winfried daran, die Schule nach dem großen Markt der Thüringe zu verlegen.

Einige Frauen und Kinder waren durch ihre Freunde abgeholt worden, aber die Mehrzahl saß noch unter dem Schutz des Bischofs und begehrte sich kein besseres Glück, denn der Haushalt war wohlgeordnet, und aller Bedarf des Lebens wurde in fester Ordnung bereitet. Die Christen hatten nach der großen Versammlung auf die Mahnung des Bischofs freiwillige Spenden zugetragen: Lebensmittel, Flachs, sogar Viehhäupter. Anderes gewann eigener Fleiß der Hausenden. Was Wald und Flur von eßbaren Früchten bot, wurde gesammelt, die Ernte des Gutes von eifrigen Händen eingebracht, jedem einzelnen wußten die Väter nach seinen Kräften ein Amt zu geben, welches dem Haushalt nützlich war. Neben dem Meier und seiner Frau standen Walburg und Gertrud der Wirtschaft vor, die eine im Frauenhause, die andere in den Ställen und auf dem Felde. So oft Winfried von seinen Reisen heimkehrte, empfing er wie ein Gutsherr die Berichte seiner Getreuen, er stand fröhlich unter den Kindern, freute sich der guten Köpfe, welche Memmo lobte, und mahnte die Säumigen. Und jedesmal hatte er einen besonderen Gruß für Walburg und ihre Brüder.

Walburg war genesen. Memmo hatte seine ärztliche Kunst wohl an ihr bewährt, mehre Wochen hatte er ihr die Arbeit in freier Luft verboten, heut war ihr völlige Heilung verkündet und sie stand zum erstenmal im Hofe, das Antlitz zur Hälfte mit dem Schleiertuch bedeckt, welches nach dem Gebot des Paters die vernarbte Wange noch einige Zeit von der wehenden Luft scheiden sollte. Sie hielt eine Webe Leinwand an das Licht, prüfte die Fäden und maß an einem Stab die Länge, während zwei kleine Mädchen die rollenden Falten in ihren Schoß aufnahmen. »Es ist noch keine Herrenleinwand,« sagte sie in fröhlichem Eifer zu Gottfried, indem sie auf seinen stummen Gruß mit Kopfnicken antwortete, »denn der ehrwürdige Bischof wollte, daß wir zunächst für die Kinder arbeiten sollten. Denke, mein Bruder, jeder der Knaben soll zu seiner Wolljacke noch zwei Hemden und ein Paar Bundschuhe erhalten. Wie Söhne von Häuptlingen werden sie einhergehen, und das ist gut, damit sie jedermann achte, weil sie doch jetzt deine Schüler sind. Und dann sind noch Betten zu stopfen für Große und Kleine, und Inlett und Überzug zu nähen, und wir haben alle Hände voll zu tun, damit das Haus in Ordnung sei, wenn der kalte Winter kommt. Viele kleine Betten sind nötig, denn der Herr Winfried will wieder, daß jedes der Kleinen sein eigenes Bett habe, was hierzulande unerhört ist. Aber braunes Wolltuch ist bereits vorhanden, und gern möchte ich vor den anderen dir ein Hausgewand nähen; denn, verzeihe, Bruder Gottfried, wenn ich es sage, das, welches du trägst, wird fadenscheinig und wir bekümmern uns darüber.«

»Sorge nur für die anderen,« versetzte Gottfried, »wird mein Rock schlecht, so webe und nähe ich mir selbst einen, oder empfange einen anderen, den ein Bruder genäht hat; denn es ist nicht Brauch, daß ein Bruder Frauenarbeit trage.« Er sprach dies eifriger als not war und fuhr dabei dem kleinen Bezzo über den Kopf, der sich an den Füßen Walburgs anklammerte und, da sie ihn nicht beachtete, ungeduldig an ihrer Hüfte hinaufkletterte. »Sie drücken wieder«, rief Bezzo. »Er meint seine Schuhe,« erklärte Walburg, ihn auf den Arm nehmend, »er hat Heidenbeinchen, welche die Gebote des Bischofs nicht leiden wollen, und einen wilden Heidenkopf, und der Unhold weiß, daß er ein Liebling ist, weil er auf der Reise dir lieb wurde. Sei artig, Bezzo, und bitte den frommen Bruder, daß er ein Kreuz über dir schlägt gegen deine wilden Gedanken.«

Damit war Bezzo einverstanden, er strebte von dem Halse der Jungfrau heftig an den des Mönches und bat: »Ich will ein Kreuz auf den Kopf, denn da gibt uns Base Walburg Honigseim.« Walburg entschuldigte sich: »Man muß den Kleinen das Kreuz lieb machen.« Gottfried aber löste den Knaben errötend von Hals und Arm der Jungfrau, setzte ihn zur Erde und sprach ihm freundlich zu.

»Wir Frauen sehen dich jetzt selten in unserer Nähe,« fuhr Walburg treuherzig fort, »und doch hängen die Herzen alle an dir; während der Sorbenfahrt sorgtest du eifriger um uns.«

»Der Mönch ist ein ungeschickter Ratgeber bei Frauenarbeit,« antwortete Gottfried, »aber dir darf ich es sagen, im nächsten Frühjahr kommt Kunitrud, meine Schwester, aus Angelland hierher, sie wird mit euch hausen. Sie hat sich dem Herrn gelobt, geht geschleiert und soll die Herrin einer Frauengemeinde werden, sie ist weiser als ich.«

»Versteht eine Geschleierte auch Latein?« fragte Walburg erstaunt.

»Die ich nannte, spricht es wohl besser als ich, der ehrwürdige Vater rühmt ihre Kunst in den Versen; manches heilige Buch hat sie gelesen.«

»Wie werden wir vor solcher Frau bestehen?« rief Walburg erschrocken.

»Sie ist jung wie du, und, wenn ich nicht irre, so ist sie dir ähnlich in Antlitz und Gebärde,« versetzte Gottfried befangen, »ich hoffe, sie wird dir eine gute Gesellin werden.«

»Sie ist jung und hat sich dem Herrn gelobt?« fuhr Walburg nachdenklich fort, »so Großes hat die Jungfrau auf sich genommen? Denn ich weiß wohl, ist sie geschleiert, so darf sie im Mai nicht mehr mit den Mädchen auf die Wiese gehen, sie darf keinen Mann mehr freundlich grüßen und gar nicht an ein Ehegemahl denken und an Kinder im Hause. Das ist hohe und schwere Pflicht für ein junges Herz. Verzeih, ehrwürdiger Bruder,« unterbrach sie sich, als sie in das gerötete Gesicht des Mönches sah, »ich vergaß, daß sie deine Schwester ist, auch du hast dein junges Leben dem Herrn geheiligt, und wir anderen sehen‘s mit Staunen.« Gottfried neigte das Haupt, grüßte sie schweigend und ging schnell nach der Schule. Walburg aber trat an das Wasserbecken des Laufbrunnens, hob den Schleier und betrachtete die rote Narbe ihrer Wange; mit einem Seufzer ließ sie den Schleier herunter. »Dem Mädchen steht die Narbe übel im Gesicht,« sagte sie bedauernd zu sich selbst, »und schwerlich wird noch jemand meine Wange rühmen. Ob die Schwester aus Angelland auch eine Maser im Antlitz trägt, daß sie der Erdenfreude entsagt hat?«

Sie fühlte einen Schlag auf der Schulter und wandte sich rasch um, Gertrud sah sie lachend an und drückte ihr einen Kranz von Eschenlaub und roten Beeren auf das Haupt, wie die Mädchen im Herbst beim Tanze trugen. »Besseres Glück für die Zukunft«, rief sie. »Recht wohl steht dir der Kranz, wenn man auch nur deinen halben Mund lachen sieht.«

»Die frommen Väter verstehen alles,« versetzte Walburg, »sie wissen sogar ein Mädchengesicht wieder ganz zu machen.«

»Gute Männer sind die Langröcke«, rief Gertrud. »Aber meinst du, daß einer von ihnen stark genug ist, eine wackere Magd im Reigen um seine Hüfte zu schwingen?«

»Rede nicht so wild«, bat Walburg und hing den Kranz an den Brunnen.

Gertrud schlug ihre festen Arme übereinander und sah ihre Gefährtin spottend an. »Ich denke, du bist insgeheim ebenso gesinnt; denn alles hier ist sehr säuberlich, aber jauchzen habe ich noch niemanden gehört als etwa kleine Knaben, und auch die werden gemahnt, den Kopf zu neigen. In meinem Leben ging mir‘s niemals so gut als unter dem Kreuze, und ganz gern lernte ich das Kyrie und Amen rufen. Aber Mädchen, die ganze Herrlichkeit möchte ich in mancher Stunde dahingeben, wenn ich nur einmal mit einem frischen Knaben in der Sommermitte über das Nachtfeuer springen könnte.«

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