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Die Ahnen
Sie waren einen Hügel hinabgejagt, gedeckt durch das Baumlaub, jetzt fuhren sie hinaus auf das offene Feld zwischen die Baumstümpfe, hinter ihnen leuchtete der Feuerschein, er fiel auf die weißen Slawenröcke, welche zwei der Reiter trugen, und warf die Schatten vor ihnen auf das Feld. »Dort im Dorfe half uns die heiße Lohe, hier hat sie unsern Nachtmantel verbrannt«, brummte Wolfram. Von der Seite erscholl Anruf und Geschrei und Hufe klapperten. »Jetzt gilt es leben oder verderben«, rief der Mann und die Flüchtlinge sausten wie Sturmwind dahin, hinter ihnen die Verfolger. Ein Pfeil fuhr auf Ingrams Sattel, ein anderer streifte sein wehendes Haar. »Hier ist der Holzring der Grenze«, mahnte Wolfram, sie trieben die Pferde zum Sprunge und flogen hinüber, noch wenige Roßsprünge und über ihnen breiteten sich die Äste eines Fichtenwaldes. Auf schmalem Wege ritten die Reiter bergauf, die Pferde stolperten und stöhnten. »Bricht ein Pferdefuß, so sollen Sorbenmädchen weinen«, rief Wolfram. Aber die Rufe der Verfolger wurden schwächer und verhallten. »Die Nachtjagd im finsteren Wald dünkte ihnen gefährlich. Gemach, Godes, Pferdeleib und Menschenbein sind nicht von Eisen, die Äste zausen das Haar und die Stämme brechen die Knie.«
Sie schlugen sich durch das Dickicht die Höhe hinauf und ritten durch niedriges Buschholz über einen langen Bergrücken. Der Weg hatte sich gewandt, zu ihrer rechten Seite flammte das Feuer, immer höher und röter, und dunkle Rauchwolken wirbelten durch die Masse. Mitten in der feurigen Lohe hob sich der Hügel des Ratiz, die beleuchtete Halle und die Strohdächer. Plötzlich blinkte ein heller Schein auf dem First der Halle, ein weißes Licht flackerte über das Dach, gleich darauf standen auch die Dächer des Hügels in hellen Flammen und die Röte breitete sich über den halben Nachthimmel. »Dort sengt das Räubernest,« rief Ingrams Mann in wilder Freude, »nicht umsonst hast du, Herr, beim Eintritt mit den Feuerzungen gedroht.« Ingram lachte, aber er blickte scheu auf die Flamme und kalt fuhr es ihm über den Leib. Seit seiner Kinderzeit war ihm ein Hausbrand greulich und oft hatten ihn seine Gesellen darum gehöhnt, jetzt mühte er sich wegzusehen, aber immer zog es ihm die Augen nach der Lohe; er fühlte deutlich, wie einem zumute war, der hoffnungslos mit beklommenem Atem darin saß, er dachte an die Worte des Jünglings, der ihn bat, nichts Böses zu wünschen, und plötzlich erinnerte er sich des Wächters, den er unter dem Strohdach gefesselt hatte, und er wandte unwillkürlich sein Pferd nach dem fernen Sorbendorfe zurück. Aber Wolfram riß das Tier beim Zügel vorwärts, trieb es durch einen Schlag und rief lachend: »Der Gaul merkt, daß sein Stall brennt.« »Manches Sorbenweib muß heut stöhnen im heißen Ofen«, rief der Führer ebenso zurück.
»Das ist schwache Vergeltung für den Mordbrand, den sie in unseren Dörfern geübt,« versetzte Wolfram, »ich denke, der Ratiz wird die Lust verlieren, morgen Frankendörfer zu brennen, die Kerzen leuchten ihm heimwärts.« Ingram schwieg.
Noch eine Stunde ritten die Reiter, der rote Schein wich hinab an den Horizont, das bleiche Licht des neuen Tages stieg herauf, mit leichterem Herzen sah Ingram die Brandröte im Frühlicht dahinschwinden. Der Morgennebel setzte sich in Haar und Gewand der Reiter und die Rosse zogen ihre Spur in den graulichen Tau, der auf dem Rasen des Grundes lag. Vor ihrem Wege schoß ein Bach, sie tränkten die Rosse, der Vordermann ritt mit dem Lauf des Wassers bis zu einer Stelle, wo viele Tritte auf dem feuchten Grund sichtbar wurden, dort trieben sie die Rosse hindurch bis hinter ein Erlengebüsch unweit des anderen Ufers. Der Führer hielt.
»Ich erkenne, was du meinst, Godes«, sagte Wolfram. »Wähle unseren Weg, Herr; durch die Furt sind die Frankenfrauen geschritten, die der Christ erledigt hat, man sieht jeden Fußstapfen, das Roß des Priesters mit fremdländischem Eisen, die Kinder, die Kuh, und hier den tiefen Tritt, welchen die Gertrud in den Boden gestampft hat. Sollen wir nachziehen auf ihrem Wege? Ein Blinder könnte ihn fühlen.«
Ingram sah düster auf den Wiesengrund. »In wenigen Stunden haben wir sie eingeholt, wenn die müden Sorbengäule uns noch tragen, obgleich du gut gewählt hast unter den Rossen des Miros.«
»Die Weiber rasteten diese Nacht im Steinturm an der Saale, den die Slawen zerrissen«, erinnerte Wolfram.
Ingram sah vor sich nieder. »Wie mag der Vogel fliegen, wenn ihm die Schwingen ausgerauft sind, waffenlos bin ich.«
»Ich sah dich doch sonst schon mit knotigem Astholz treffen, wenn andere Waffen fehlten«, versetzte Wolfram erstaunt.
»Führt unsere Spur zu den Frankenfrauen, so locken wir den Ratiz auf ihre Fährte und leiten ihnen die Gefahr auf ihren Weg.«
»Ein hungriger Bär packt das Wild, das er zunächst erreicht. Meinst du, daß die Sorben jetzt an etwas anderes denken als an Rache? Dreißig und ein Haupt können bezahlen für die rote Lohe, schwerlich wird der Ratiz seine Krieger zurückhalten, auch wenn er wollte, wenn diese bei der Heimkehr ihre Weiber und Kinder aus der Asche aufheben.«
Wieder fuhr es kalt über den Rücken Ingrams. »Teurer Preis wurde bezahlt für das Haupt des einen Mannes.«
»Hätte er nur den Raben und sein Schwert,« dachte Wolfram bekümmert, »denn völlig ist der Mann verwandelt. Willst du, so fragen wir den Godes, er kennt die Sorben.« Er rief den Führer heran und stellte die Frage. Godes antwortete: »Einige folgen uns Männern, ob sie uns fangen; aber das Sorbenvolk wird, wie ich denke, ausziehen gegen die entledigten Weiber.«
»Und wann mag der Ratiz in seine zerstörte Burg einfliegen?« fragte Ingram.
Der Mann sah nach dem Himmel und überlegte. »Hat er den Nachtbrand gesehen, und er hat ihn gesehen, so kann er noch vor Mittag sich an den Kohlen seiner Halle das Mahl bereiten.«
»Dann drückt er zum Abend den Nacken des Priesters«, rief Wolfram.
»Genug«, rief Ingram und stieß dem Pferd seine Fersen in die Flanke. Sie ritten weiter über Berg und Tal, bis sie den verfallenen Turm vor sich sahen, zu ihm führte deutlich die Spur. Sie drangen auf den Gipfel, umritten den wüsten Balkenring, erkannten den Rastplatz, die Haut der geschlachteten Kuh, eine Feuerstätte, in der Ecke gepflückte Zweige und gerauftes Gras. »Hier war das Lager der Walburg«, sagte Wolfram. Sein Herr warf nur einen Blick darauf, dann trieb er sein Roß wieder aus den Balken ins Freie. »Jetzt haben wir sie sicher,« tröstete Wolfram, »die Spur weist nordwärts, gerade wie ich mit den Weibern beredet hatte.«
Die Reiter folgten vorsichtig der Spur, sie überschritten die Bäche, bogen zuweilen in den Wald aus, um die Slawenhöfe am Wege zu meiden, und kamen im Nachmittag an den schwarzen Bach. Fröhlich erkannten sie die Stelle, wo der Zug durch das Wasser gedrungen war, und trabten nach kurzer Rast nordwärts weiter. Der Grund war hier fester, und die Spur ging ihnen verloren. Sie hielten an und suchten, endlich fanden sie die Hufspur zweier Rosse, welcher sie folgten, bis Ingram eine Stelle traf, wo der Boden weicher wurde. »In gestrecktem Lauf sind die Tiere gesprengt, wer von der Schar kann gefahren sein wie der Wind; die Stapfen der kleinen Füße sehe ich nicht.« Er stieg ab, eilte mit beflügeltem Schritt zurück, durchsuchte die ganze Umgebung, aber er erkannte nichts von Menschentritten. »Hat der Christengott sie der Erde enthoben?« rief er bekümmert. Die Reiter trabten unsicher weiter.
»Die Rosse waren ledig,« sagte Wolfram, »mein Brauner führt; wir mögen sie, wenn sie nicht im Magen der Wölfe schwanden, an deinem Hoftor finden. Wahrlich, der Fremde versteht manches Geheimnis, die Kinder sind in die Felsen zu den Zwergen gegangen oder als Vögel davongeflogen. Folgen ihnen die Sorben, dann wird es ein Wiedersehn unter der Erde oder in den Wolken.«
Ingram hörte wenig auf den Trost seines Mannes, mit ängstlichem Blick suchte er längs der Saale und auf der anderen Seite im Dickicht. Aber fruchtlos war das Spähen. Sie hielten wieder, dann ritten sie vorsichtig auf dem Saumwege zurück, bis Wolfram seinem Herrn in den Zügel griff. »Hier bis zu dem Felsen sind sie gegangen, und hier werden sie spurlos. Wir aber reiten dem Ratiz fruchtlos in die Arme.« Ingram wandte sein Roß und wieder ging es in gestrecktem Lauf heimwärts bis zu der Höhe, welche die zweite Nachtrast der Frauen sein sollte. Dort sprangen die Reiter von den Rossen und durchsuchten im Abendlicht den Hügel und seine Umgebung. Aber sie fanden weder Menschen noch ihre Fußtritte. Zuletzt endlich die Hufspuren der zwei Rosse.
»Hier zu rasten meine ich nicht,« begann Ingram das finstere Schweigen brechend, »folgt mir aufwärts in die Berge, vielleicht erblicken wir dort von der Höhe ihr Feuer.« Wieder ritten sie weiter, der große Gebirgswald nahm sie auf, sie mußten absteigen und ihre müden Rosse führen.
Unter den Bäumen wurde es finster, immer noch lauschten sie auf den Ton von Menschenstimmen oder auf ein fremdartiges Geräusch, aber nur die alten Gebieter des Bergwaldes, die Riesenbäume, redeten zu ihnen in ihren geheimnisvollen Tönen. Endlich hielt Wolfram an, als sie in ein dunkles Waldtal gestiegen waren. »Fleisch und Bein wollen nicht mehr zusammenhalten, gefällt‘s Euch, Herr, so rasten wir, sonst verlieren wir die Pferde.«
Ingram sprang ab und sprach mit heiserer Stimme: »Unselig sei das Lager, auf dem ich diese Nacht raste; ist euch die Ruhe nötig, so erwartet mich; ich fahre zurück durch die Wildnis und suche das Feuer der Hilflosen. Hoffe nicht mich zu bereden, Wolfram«, setzte er befehlend hinzu. »Die Sorge macht mich zornig, bin ich mit dem Morgen nicht zurück, so fahrt heimwärts und erwartet mich im Hofe.«
»Was einer tun muß, soll der andere nicht hindern«, versetzte Wolfram, kummervoll seinem Herrn nachsehend. »Ich lobe nicht den Verstand eines Mannes, der bei Nacht dem Schrei der Raubtiere nachzieht. Laß uns die Rosse sichern vor dem Ungeziefer, Godes, und unseren Gürtel fester schnallen, denn schmal ist die Nachtkost. Einer schläft nach dem anderen, wer den längsten Halm zieht, hat die erste Wache.« Sie zogen, Godes setzte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, legte die Keule neben sich, Wolfram streckte sich der Länge nach in das Moos. »Trägt mich ein Bär fort, so zahle ihm den Trägerlohn«, sagte er schläfrig und war nach wenig Augenblicken entschlafen.
Durch die Nacht drang Ingram bergauf, verstört war sein Sinn, wild der Flug seiner Gedanken, und rings um ihn die Schwärze des Todes. Mit der Hand griff er vorwärts in die Finsternis, er tastete an den Stämmen und sank zu Boden zwischen Steinen und knorrigen Wurzeln, aber immer wieder erhob er sich und drang höher und immer sah er vor seinen heißen Augen das lodernde Dorf und die feurigen Zungen, welche über die Strohdächer des Ratiz flackerten. Er dachte an die Rache der Sorben, neuer Mordbrand würde in den Grenzdörfern seiner Heimat aufsteigen, und auf ihn würde die Schuld fallen. Und zwischen solchen Angstgedanken hörte er die leisen Worte des Mönches: »Rächet euch nicht, denn die Rache ist mein.« Törichte Worte für das Ohr eines Kriegers! Wie kann ein solcher tatlos seinem Gott die Sorge überlassen, den Feind zu verderben. Die Götter hatten ja auch ihn selbst nicht vor der Kunst und vor der Tücke des Ratiz bewahrt. Durch das Grauen des Waldes wand er sich dahin als ein entlaufener Knecht. Sein Angesicht wurde glühend heiß und seine Faust ballte sich, er stürmte fort und schlug mit seinem Leib an Baumstamm und Felsen, bis er keuchend zur Höhe kam, wo der Sturmwind alte Stämme gefällt hatte und der graue Nachthimmel über ihm sichtbar war. Er kletterte mühselig auf das Gewirr von Ästen und Wurzeln und suchte einen Ausblick auf die Höhen und auf das Tal davor, ob ein Feuerfunke blinke durch die Schwärze oder der Laut einer Stimme hörbar sei. Er wußte, daß es ein kindisches Hoffen war.
Alles um ihn war finstere, öde, menschenfeindliche Wildnis. Nur die Überirdischen sprachen hier, wenn die Wipfel rauschten, und unten in der Tiefe heulten die Krieger des Waldes, die wilden Tiere. Hier waren die Götter sogar dem wehrhaften Manne feindlich, würden sie Erbarmen üben gegen den Haufen, der mit dem Kreuz des Fremden dahinzog, und würden sie die Frauen retten vor Bärenklaue und Wolfsbiß, vor dem jähen Abgrund und dem fallenden Baum? Keiner konnte sagen, ob die Götter mächtig waren und von gutem Willen, sie selbst waren geworden und hatten das Geschlecht der Männererde gezeugt, und sie sollten alt werden und grämlich, wie die Weisen verkündeten, und die Götter und die Geschlechter der Menschen sollten zuletzt untergehen in bitterem Todeskampfe vor dem Weltbrand? Der Christengott aber war, wie der Fremde rühmte, ewig. Und er sollte ewig regieren hier auf der Erde und im Himmelssaal. Daher war auch der Christenmann so fest, denn er vertraute auf die Dauer und auf die Sorgfalt seines Gottes. – Sie hatte sich das Antlitz zerrissen, weil sie den Feind des Lebens nicht töten wollte. Lieber als das Wohlgefallen der Menschen war ihr das Gebot ihres Gottes. Ihr Gott hatte sie fest gemacht, weil sie ihm treu war.
Ingram seufzte tief und seinem Stöhnen antwortete aus der Tiefe das Geheul der grauen Wölfe. Er kannte solchen Gesang der Götterhunde, so schrien sie, wenn sie sich zum Leichenmahle rüsteten auf der Walstatt oder um den Pferch einer Herde. Dort unten strichen sie um ihre Beute. Und er dachte sich die schwachen Pfähle, welche Frauenhand geschlagen hatte, das Weib und die Kinder, und um sie die glühenden Augen und die aufgesperrten Rachen der Wölfe. Schreiend schwang er die Keule und sprang hinab wie ein Rasender, er fiel und er sprang wieder und fiel, und als er sich aufraffte, hörte er dicht vor sich einen Stein gleiten und eine Weile darauf in die Tiefe krachen. Er warf sich zurück und sein Haar sträubte sich, er merkte, daß vor ihm ein Abgrund gähnte. Eine Weile lag er so, kraftlos, in kaltem Schweiß gebadet, aber wieder heulten die Raubtiere, sie zankten miteinander und wie ein heiseres Lachen klang ihr Gebell. Er kletterte rückwärts und fuhr längs der Höhe dahin, bis er einen Quell rieseln hörte, er fühlte sich zu dem Wasser, schöpfte in der hohlen Hand und führte es an den brennenden Mund, dann stieg er vorsichtig in dem Rinnsal bis zur Taltiefe, in welcher ein Bach der Saale zufloß. In dem Dämmer des ersten Zwielichts sah er jenseit des Baches die grauen Schatten der Wölfe beim gierigen Fraß, die Nasen in dem Blut eines gejagten Wildes, gedrängt wie die Schafe am Brunnentrog. Tief aufatmend wich er zurück und lief den Bach abwärts der Saale zu. Es trieb ihn zu der Stelle, die sein Mann zum Lager der Weiber gewählt hatte. Ob sie dort in der Nähe rasteten? Da, wo die Waldhügel zum Saalufer abfielen, hielt er an. Vor sich sah er verglimmende Feuer, er hörte stampfende Hufe und sah eine grauröckige Gestalt neben einem Rosse stehen, den Wächter des Lagers. Die Verfolger waren auf dem Wege. Er warf sich zu Boden und wand sich im Schatten des Gehölzes entlang, angstvoll mit den Augen durch die Dämmerung nach Weibern und Kindern unter den schlafenden Feinden spähend. So lag er und wartete auf das Frühlicht.
Er, der im Buchenlaub lag mit roten Augen, und der Sorbe, welcher hundert Schritt von ihm wachte, beide Nachtgänger wußten nicht, wie nahe ihnen die Ruhestätte war, in welcher das Kreuz stand. Auf einer langgestreckten Höhe, etwa eine Wegstunde nach Westen zu hatte der Mönch seine Schützlinge gelagert. Ganz friedlich war ihre Fahrt gewesen, zwei sonnige Tage zwischen Laub und blühendem Gras, zwei stille Nächte unter dem Sternenlicht. Es hatte sie kein wildes Tier umheult und kein Nachtgespenst der Wälder geschädigt; sie waren an Sorbenhütten vorübergekommen, dort hatten die Sorben Wasser aus dem Brunnen zugetragen und die Wangen der Kinder gestreichelt, eine Slawenfrau hatte der Gertrud mitleidig einen Topf geschenkt, als wertvolle Gabe, damit sie den Kindern die Wurzeln und Pilze koche, und kleine Sorbenjungen waren mitgelaufen, den Gesang zu hören, und hatten versucht das Kyrie nachzuschreien. Von dem Feuerschein in ihrem Rücken wußten die Fahrenden nichts, und als ein Sorbenmann sie danach fragte, hatten sie das ehrlich gesagt und der Mann hatte ihnen geglaubt und sich über das feurige Zeichen am Himmel sehr gewundert. Erst am letzten Mittag, da sie zum Schwarzwasser gelangten, hatte Walburg, während der Mönch bei ihr vorüberging, den Schleier gehoben und mit Anstrengung zu ihm gesagt: »Raste nicht, wo Ingrams Mann geboten, ziehe nicht den Pfad, den er dir gewählt, vergeblich wäre es, durch hastige Fahrt die Kinder vor dem Verfolger zu retten. Laß mich absteigen, ich vermag wohl zu gehen, und jage die Rosse ohne uns nordwärts, denn sie ziehen uns die Wölfe und die Sorben nach. Lieber vertraue unser Leben dem Bannwald und den Klippen der Schwarza. Dort birg die Kinder.« Den Rat billigte Gertrud, obwohl ihr vor Ungeheuern graute, denn auch sie hatte ihre Gedanken über den Feuerschein und über das Jagdglück des Wolfram. Und als sie über das Schwarzwasser gedrungen waren, rief Gertrud einige Weiber und die Knaben und führte sie mit den Rossen auf weichem Grunde eine Wegstrecke denselben Pfad entlang, welchen Wolfram ihr vorgesungen hatte, bis dahin, wo der Boden hart wurde und die Tritte undeutlich, dann trieb sie die ledigen Rosse mit starken Schlägen nordwärts und lehrte die Kinder die Schritte hinter sich zu setzen und rückwärts zu stapfen bis an die Stelle des Baches, von der sie gekommen waren.
»Es ist eine Kinderlist,« sagte sie, »vielleicht hilft sie doch Kluge täuschen.« Darauf zogen sie im schwarzen Tal entlang, das Wasser zur Linken, bis ihnen ein Bach, der aus der Richtung ihrer Heimat in die Schwarza rann, den Weg hemmte. An dieser Wasserrinne zogen sie talauf, endlich erstiegen sie langsam und mit müden Beinen eine Bergleite und gingen auf dem Rücken noch eine Strecke dahin, während der Himmel sich rötete. Da fanden sie ein altes Verhau, das früher einmal Jäger oder flüchtige Talleute zusammengeworfen hatten, sie drängten sich hinein, suchten den Quell und zündeten im Abendlicht unter den Bäumen ihre Feuer an. Die Frauen bereiteten für Walburg ein Lager von Heidekraut und rüsteten wilde Nachtkost. Die Kinder aber lagerten sich im Kreise um Gottfried und dieser erzählte ihnen die Geschichte von einem Königsohn aus Morgenland, der Joseph hieß und den seine Brüder in eine tiefe Grube warfen, die ganze Geschichte bis dahin, wo Joseph seinen alten Vater wiederfand und küßte. Die Kinder saßen um ihn, die kleinsten drückten sich an seine Arme und hingen sich an seinen Hals, die blauen Kinderaugen blickten ihn so gespannt und so fröhlich an, daß er sich vorkam wie ein Seliger unter den Engeln. Und als er geendet hatte und alles um ihn her schwieg, rief ein kleiner Heidenknabe, den sie Bezzo nannten, indem er an ihm hinaufkletterte und seinen Hals umfing: »Ich bin Joseph, und ich will essen.« Alle lachten und sahen auf Gertrud, welche mit einem Holzstabe im Topfe rührte. Da hockten die Kinder um das Feuer, und die Frauen teilten ihnen auf Tellerlein von Rinde die Bissen zu, worauf die Frauen auch der eigenen Mahlzeit gedachten. Gottfried aber sang den Kindern das Nachtgebet vor, und ein grauer Waldvogel knarrte zu dem Amen der Gemeinde seinen rauhen Triller, gerade wie einst in der Zelle unter den Brüdern der alte Hunibert, welcher harthörig war. Dann legte Gottfried die Kinder zur Nachtruhe; aneinandergeschmiegt, die Köpfe ins Moos gedrückt, schliefen sie ein.
Neben ihm saß eine junge Heidenfrau, verworren hing ihr das Haar um das bleiche Gesicht, und ihre Augen starrten ausdruckslos umher. Sie war die zwei Tage schweigend unter den anderen hingewankt, und mit scheuer Teilnahme hatten die Frauen ihr gedient, wie unglücklich sie auch selbst waren. Jetzt öffnete sie zum erstenmal die Lippen: »Gut sorgst du um die Lebenden, Fremdling; aber wenig nützt deine Mühe dem toten Kinde, das zerschlagen am Wege liegt, klein waren seine Beinchen und es weinte, da es lief. Jetzt wischt wohl sein Schatten in der Nacht längs dem wilden Wege und sucht die Mutter, oder es sitzt tief unten im Brunnen, wo die weiße Frau die armen Kinderseelen hütet, kalt ist das Wasser, stumm kauert das Kind, und die Mutter sehnt sich und verhaßt ist ihr das Leben.«
Gottfried kniete zu ihr in das Moos, auch ihm rannen die Tränen vom Angesicht. »Die weiße Frau kenne ich, welche dein totes Kind behütet, und den Weg weiß ich, der zu ihr führt; denn uns ist etwas verkündet von den Kleinen, und es steht in den heiligen Büchern geschrieben: Der Kleinen ist das Himmelreich. Nicht im kalten Brunnen kauert dein Liebling, die Jungfrau Maria ist‘s, wie ich meine, welche hoch oben im Himmel über den Kindern waltet. In Wonne leben sie und schwingen ihre Flügel und hohe Engel heißen sie unter den Menschen. Selig jauchzen sie dem Frommen entgegen, der aus der Erde aufsteigt in den Himmelssaal. Harre, Frau, und vertraue, auch dir wird dein Engel entgegenfliegen in deiner letzten Stunde und wird dich hinaufführen in den Saal der ewigen Freude.«
Das Weib weinte laut, dann legte sie die Hände über die seinen und flehte angstvoll an ihm niedersinkend: »Bete deinen Sang, damit ich es wiederfinde.«
Gottfried sprach ihr die fromme Bitte vor und sie wiederholte stöhnend die Worte.
Zuletzt trat er zu Walburg, sah zu, ob ihr die Wunde genetzt war, und segnete sie. Die Kranke versuchte sich aufzuraffen und drückte ihm dankbar die Hand. Der Mönch zog seine Hand zurück, aber die Hand bebte. »Nicht mir erweise treue Gesinnung, Jungfrau,« sprach er, »denn wenn ich für dich sorge, so geschieht es nicht, um dir gefällig zu werden, sondern weil ich nach dem Befehl des großen Himmelsgottes handle. An ihn denke, ich bin nur wie der Windhauch, der dir seine Stimme zuträgt, daß sie in dein Ohr tönt. Von Vater und Mutter bin ich gewichen, und von meiner Schwester Herzen habe ich mich gerissen, keinem Menschen zuliebe darf ich handeln, nur ihm diene ich und was er mir gebietet, das tue ich, sei es mir schwer oder leicht.« So stärkte er seufzend sich selbst.
Walburg sank auf ihr Lager zurück, und Gottfried schritt mit gesenktem Haupt zum Eingang des Geheges. Die Nacht stieg herauf, die Frauen lehnten die Köpfe an die Baumstämme, und Gottfried saß lange allein mit seinen Gedanken, bis auch ihm der Schlummer die Augen schloß. Und im Schlaf machte er das Kreuz, wenn das Gebell der Waldtiere aus der Tiefe scholl und der Schrei des Uhus.
Wolfram schaute müde nach dem Morgenhimmel, als auf der Höhe Zweige brachen und Ingram herabsprang. Mit verstörtem Antlitz rief der Held: »Nur ein Zeichen sah ich, die Feuer der Sorben, mit zwanzig Pferden liegen sie an der Saale. Zwei Jägerhaufen neiden einander das Wild; neu beginnt die Suche; auf die Rosse und hinein in den Wald!«
5. Die Versammlung am Walde
Wie ein wilder Eber schnaubend in sein Lager fährt, wenn er mit Mühe das Gebiß der Hunde vermieden hat, so sprang Ingram in den Rabenhof. Er schüttelte Wunihild, die Sklavin, von sich ab, als sie ihm die Arme entgegenstreckte, auch seinen Knechten, die ihm frohen Gruß zuriefen, gab er kurze Antwort; mit brennenden Augen, sehnsüchtig nach Schlaf warf er sich auf sein Lager, aber jammervolle Gedanken rissen ihn hin und her. Ohne Schwert und Roß, als ein entwichener Knecht kehrte er in den Hof seiner Väter zurück, alles sah er noch einmal vor sich: die höhnende Miene des Sorben, das brennende Dorf, ein Weib, das sich zornig von ihm abwandte, und den fremden Knaben, vor dem sie kniete. Er ballte die Faust und schleuderte das Fell seines Lagers von sich. »Sind sie im Dorfe?« rief er dem eintretenden Wolfram entgegen.
»Unten wachten nur noch wenige, und keiner wußte von ihnen zu sagen, auch um die Hütte des Priesters war es leer und still,« versetzte sein Mann, »sind sie geflogen, wer weiß, wo sie anhalten, und sind sie in einen Berg entrückt, wer weiß, wann sie zurückkehren.« Ingram eilte zur Tür. »Wohin, Herr?« rief der Mann, ihn kräftig festhaltend. »Nach solcher Hetzjagd und vier schlaflosen Nächten ist dir der Sinn verstört, ich leide nicht, daß du noch einmal zu Rosse steigst. Wir haben getan, was in Manneskraft stand und noch mehr. Auf unserer Spur haben wir die Sorben fortgelockt; wandeln die Verschwundenen mit ihren Füßen auf der Erde, so haben wir sie dadurch vielleicht von den Feinden gelöst. Was der wilde Wald an ihnen getan, das konnten wir nicht ändern. Waghalsig sind wir den heimkehrenden Sorben wieder nachgezogen, doch spurlos blieben uns die Flüchtigen auch während dem zweiten Ritt. Wären es die Häupter unserer Brüder, wir hätten nicht tollere Jagd um sie reiten können. Jetzt ist die Kraft vertan; sorge für dich selbst.« Mit solchen Reden zwängte er den Herrn auf das Lager zurück und setzte sich zu ihm. Er erzählte ihm immer wieder von den Waldwegen, die sie kreuz und quer gemacht hatten, und wie wahrscheinlich es sei, daß Zaubergebet des Priesters die Wallenden der Gefahr enthoben habe, bis Ingrams Haupt auf den Pfühl zurücksank und ein unruhiger Schlaf ihm die Besinnung nahm. Da erst schlich Wolfram in seine Kammer.