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Vor Dem Fall
Vor Dem Fall
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Vor Dem Fall

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Ein weißes Rauschen erfüllte ihre Ohren, durch das wie von Ferne Raphael und Gabrielles Stimmen klangen. Sie konnte Raphaels Berührung kaum spüren, als er ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie um Vergebung bat. Sie nickte. Ihr Kopf fühlte sich tonnenschwer an. Sie konnte nicht einmal hören, weshalb er sie um Vergebung bat. Alles, was sie hören konnte, war ihr Herzschlag und sie fragte sich verwundert, wie es einfach weiterschlagen konnte.

Raphael fuhr fort zu sprechen und sie bemühte sich, sich auf das zu konzentrieren, was er sagte. Seine Gesichtszüge verschwammen hinter einem wabernden Nebel. Da war Traurigkeit in seiner Stimme und als sie die Worte »Ausgestoßene« und »Soldaten« hörte, wurde ihr bewusst, dass er Gabrielle erzählte, was er vor Ai getan hatte. Dann veränderte sich seine Stimme, als der Name »Rebecca« fiel. Der Tonfall in seiner Stimme war unmissverständlich.

Dann hallte Gabrielles Stimme im Saal wider und ließ ihren Brustkorb vibrieren. Die Worte »Tu das nicht« und »Das darfst du nicht« donnerten durch die Luft.

Durch den Schreck löste sich der Nebelvorhang vor Rachels Augen und sie sah Gabrielle an. Ihr normalerweise ruhiges und gelassenes Gesicht spiegelte genau die dumpfe Taubheit wider, die sich in Rachels Brust ausgebreitet hatte.

»Ich kann dich nicht bitten, meinen Standpunkt dazu zu verstehen, Gabrielle«, erklärte Raphael.

»Bist du hier nicht glücklich, Raphael?«

»Gabrielle, du machst dir zu viele Gedanken. Ich gehe nur für einen Tag. Und dazu nur einen irdischen Tag… vielleicht zwei, aber mehr als das nicht. Das ist das Geringste, was ich tun kann, um die Probleme zu beheben, die möglicherweise durch mein Eingreifen entstanden sind.«

»Bist du sicher, dass das alles ist?« Gabrielles grüne Augen hielten seinen Blick unbeirrt fest.

Das erregte Rachels Aufmerksamkeit. Die Worte hingen in der Luft – und ebenso Raphaels Zögern, auf die Fragen zu antworten. Raphael hatte noch nie nach Worten suchen müssen.

»Ja«, erklärte er schließlich. »Darauf hast du mein Wort. Ich werde sofort zurückkommen. Ein irdischer Tag ist hier oben im Himmel nur ein Herzschlag.«

»Rachel?«

Rachel blinzelte und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf Raphael.

»Ich werde alles tun, um Uriel zu überzeugen zurückzukommen. Das verspreche ich.«

Einen Moment lang herrschte Stille, als er den Raum verlassen hatte. Gabrielle stand neben ihr und starrte auf die geschlossene Tür.

»Sie werden nicht zurückkommen, oder?«, krächzte Rachel.

Langsam drehte sich Gabrielle zu Rachel um. Über ihr sanftes Gesicht legte sich eine Maske der Gleichgültigkeit. In der ganzen Zeit, seit der Rachel sie kannte, hatte Gabrielle noch nie ausgesehen, wie sie es in diesem Moment tat. Ihre zuvor lebhaften grünen Augen schienen jetzt leer zu sein.

»Nein, das werden sie nicht.«

6

Raphael lehnte sich gegen den Türrahmen und sah zu, wie Rebecca ihren vierjährigen Sohn Jeremiel ins Bett brachte. Es war ein Ritual, das er seit der Geburt seines Sohnes jeden Abend genoss. In Momenten wie diesen, wenn die Sonne tief am Himmel stand und es zu dämmern begann und die Schatten um sie herum schützend näher zu rücken schienen, wurde ihm bewusst, was für ein Glück er hatte, weil er sie beide hatte. Niemals, auch in seinen wildesten Träumen nicht, hätte er geglaubt, dass er so glücklich sein könnte.

»Erzähl mir mehr.« Jeremiels rosa Lippen verzogen sich zu einem weiten »O«, als er gähnte. Saphirblaue Augen sahen unter geschwungenen Wimpern hervor, als er sich bemühte, sie offenzuhalten.

Er sah zu, wie seine Frau, Rebecca, ihrem Sohn das dichte, blonde Haar glattstrich. Seine Frau. Selbst nach vier Jahren des Zusammenlebens mit ihr erschauerte er noch vor Aufregung bei dem Gedanken daran, dass er jemanden so innig lieben konnte. So sehr, dass er, als er vor all diesen Jahren auf die Erde gekommen war, es nicht fertiggebracht hatte, sie zum zweiten Mal zu verlassen. Er hatte sie kennengelernt und kannte die Reinheit und Unschuld in ihrem Herzen. Sie war wunderschön. Nicht nur die feinen Züge ihres makellosen Gesichts, sondern ihr Herz und ihre Seele – sie kannten nichts Böses. Die Vorstellung, dass Baka sie hätte nehmen und besitzen können war undenkbar.

Auf dem Tisch begann eine Kerze in der zunehmenden Dunkelheit zu flackern und ließ Schatten über Jeremiels Engelsgesicht tanzen. Als Rebecca die Gewissheit gehabt hatte, dass sie schwanger war, hatten sie beide sich Sorgen darüber gemacht, was für ein Kind sie zur Welt bringen würde. Raphael war besorgt gewesen, dass die Folgen seines Ungehorsams ihn einholen würden und das Kind darunter zu leiden hätte. Obwohl Rebecca nie ein Wort darüber verlor, wusste er, dass auch sie sich sorgte. Als ihm dann ein winziges Bündel in die Arme gelegt worden war, hatte er vor Freude über die Vollkommenheit, die er in den Armen hielt, geweint.

»Das reicht für heute, Jeremiel, sagte sie und fuhr mit einem Finger über seine runde Wange.

»Ich will noch mehr hören, Mutter.«

»Du hast die Geschichte doch schon hundertmal gehört.« Sie stopfte ein Laken unter seinem Kinn fest. Es handelte sich um eine Geschichte, die Raphael sie ihrem Sohn dutzende Male hatte erzählen hören. Es ging darum, wie sie einander zum ersten Mal begegnet waren, oder, wie sie es zu nennen pflegte, »Wie ich der Liebe meines Lebens begegnet bin«, und darum, wie er eine Zeit lang verschwunden war und dann ihretwegen zurückgekommen war. Das war für gewöhnlich sein Schlüsselwort, hereinzuplatzen und zu sagen: »Und ich überzeugte deine Mutter davon, mich zu heiraten.« Dann fügte Jeremiel stets hinzu: »Damit ihr mich kriegen konntet.«

Es war ein allabendliches Ritual, von dem er nie genug bekam.

»Einmal noch?« Jeremiels Stimme war kaum lauter als ein Flüstern und ihm sank der Kopf auf die Brust. »Bitte.«

»Morgen Abend, mein Sohn. Wir haben einen Gast, um den wir uns kümmern müssen.« Rebecca sprach mit leiser, melodischer Stimme.

»Onkel Luzifer?«

Raphael sah, wie sich ihr Gesicht beim Klang des Namens seines alten Freundes anspannte. Über die Jahre hatte Luzifer sie von Zeit zu Zeit besucht. Er hatte immer gemischte Gefühle darüber, ihn zu Besuch zu haben, zumal er das Gefühl hatte, dass er Luzifer etwas schuldete. Ohne ihn hätte er nie den den Mut besessen, zurückzukehren. Vermutlich würde er immer noch heimlich Blicke von der Brücke werfen und leiden, während er dabei zusähe, wie Rebecca Bakas Sohn gebar. Ohne ihn hätte Jeremiel nie existiert und allein deshalb schon empfand er Luzifer gegenüber ein Gefühl der Verpflichtung.

Gleichzeitig nagte Schuldbewusstsein an seinem Gewissen wegen der Versprechen, die er gemacht und gebrochen hatte. Wenn er mit seiner Familie allein war, brachte er es fast fertig zu vergessen, dass er ein gefallener Erzengel war. Dann kam Luzifer wieder nach Ai und er wurde erneut mit der Realität dessen konfrontiert, was er getan hatte. Dankenswerterweise reiste sein Freund viel. Was er dabei tat… Raphael zog es vor, nicht einmal daran zu denken.

Gelegentlich begleitete Uriel Luzifer auf seinem Besuchen bei ihm und seiner Familie. Die Last des Versprechens, das er Rachel gegeben hatte, lag schwer auf seinem Herzen – umso mehr, wenn er daran dachte, dass er sein Glück gegen ihren Schmerz eingetauscht hatte.

Luzifer schien seine traurige Stimmung immer zu erahnen und tat, was er konnte, um ihn davon zu überzeugen, dass das, was er getan hatte, nicht schlimm war. Er wusste nichts von dem Versprechen, das Raphael Rachel gegeben hatte.

Luzifers Worte trösteten ihn einigermaßen, besonders, als er ihm sagte, dass er Rebeccas Leben besser gemacht hatte, als er sie geheiratet hatte. Dass er es aus Liebe getan hatte. Obwohl Luzifer selbst darauf hinwies, dass er sich nicht um Menschen sorgen würde, wie Raphael es tat, war es doch zumindest in Raphaels Herzen aus Liebe gewesen. Wie konnte das eine Sünde sein?

Raphael war beinahe von Luzifers Argumenten überzeugt gewesen, bis Rebecca begann, sich in Luzifers Gegenwart merkwürdig zu verhalten. Anfangs war Rebecca ihm gegenüber eine zuvorkommende Gastgeberin gewesen. Dann hatte sich etwas verändert, besonders, nachdem Jeremiel zur Welt gekommen war. Raphael konnte spüren, dass sie sich in Luzifers Anwesenheit nicht wohlfühlte. Er versuchte, sie diesbezüglich zum Sprechen zu bewegen, aber sie mied das Thema stets.

»Ja – dein Vater wird heute mit ihm abendessen«, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln im Gesicht.

»Ich will Onkel Luzifer sehen.« Jeremiel gähnte erneut.

»Hat da jemand meinen Namen genannt?«

Raphael fühlte, wie ihm eine kalte Hand auf die Schulter schlug. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus«, sagte Luzifer und trat an Raphael vorbei. »Ich wollte dem Jungen gute Nacht sagen. Ich sehe ihn so selten. Rebecca.« Er nickte ihr grüßend zu.

Rebeccas Schultern verkrampften sich und sie blieb einen Moment lang reglos stehen. Sie sah Raphael an und dann hinab auf Jeremiel, bevor sie seinen Gruß erwiderte.

»Luzifer«, sagte sie.

Er trat an Jeremies Bett. »Du bist das Ebenbild deines Vaters.« Er zerwuschelte dem Jungen das Haar.

»Kommst morgen mit uns zum Fischen?«, fragte Jeremiel und rieb sich mit dem Handrücken die Augen.

Luzifer drehte sich zu Raphael um und hob eine Braue. »Ich glaube nicht.«

Jeremiel wurden die Lider schwer. »Du kannst mitkommen. Kann er doch – oder, Vater?«

Rebecca warf Raphael einen Blick zu, aber bevor er etwas sagen konnte, warf Luzifer ein: »Diesmal nicht. Ich habe andere Pläne.«

Jeremiel runzelte die Stirn und seine Lider senkten sich. »Kann ich mit euch aufbleiben?«

»Nein, Jeremiel«, erklärte Rebecca. »Es ist Schlafenszeit für dich. Außerdem hast du morgen einen großen Tag mit deinem Vater vor dir. Du willst doch nicht, dass er dich zurücklassen muss, wenn er aufbricht, oder? Jeremiel?«

Er stieß ein leises Schnarchen aus.

Sie lächelte und küsste ihn auf die Stirn.

»Er ist endlich eingeschlafen.« Sie erhob sich vom Bett und trat mit Bedacht um Luzifer herum, der immer noch auf Jeremiel hinabblickte. »Euer Abendessen ist gleich fertig.«

Als sie aus dem Raum eilte, hielt Raphael sie am Arm fest.

»Geht es dir gut?«, fragte er und suchte ihren Blick.

»Natürlich«, entgegnete sie. Ihre haselnussbraunen Augen nahmen einen sanften Ausdruck an, als sie eine Hand an seine Wange legte. »Bitte genieß den Besuch deines Freundes.«

Als sie das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Luzifer mit leiser Stimme an Raphael. »Hat er Gaben?«

Raphael sah kurz in die Richtung, in der Rebecca verschwunden war, trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. »Luzifer, ich habe dir schon zuvor erklärt, dass das nicht zur Diskussion steht.«

»Sicher hast du dich auch schon gefragt, ob dein Sohn dieselben Gaben besitzt wie wir.« Luzifer setzte sich auf die Bettkante. Seine schlanken Finger strichen über Jeremiels Gesicht. »Er hat das Aussehen eines Engels.«

»Seine Gaben sind mir nicht wichtig.«

»Das sollten sie aber.«

»Ich sehe nicht ein, weshalb.«

»Denk nur daran, was es bedeuten würde, wenn er welche hätte. Halb Mensch, halb Engel. Er könnte ein Gott unter den Menschen sein.«

Raphaels Nasenflügel weiteten sich. »Ich werde meinen Sohn dazu erziehen, alle als seinesgleichen zu achten.«

»Du bist ein Narr, Raphael. Wenn dein Sohn die Gaben der Engel hat, bedeutet das, dass andere Nachkommen von dir sie auch haben können. Stell dir das mal vor. Mit deinen Söhnen an deiner Seite könntest du ein Heer aufstellen, das unbesiegbar wäre.«

Raphael knirschte mit den Zähnen. »Du vergisst dich, Luzifer.«

»Vergib mir. Ich meinte, kein menschliches Heer. Wenn du dir wegen der anderen Erzengel Sorgen machst – darüber musst du dir keine Gedanken machen. Sie hätten schon längst etwas unternommen.«

»Im Himmel ist erst wenig Zeit verstrichen – erst Tage, seitdem wir fortgegangen sind. Du weißt, dass die Zeit dort langsamer verstreicht.«

»Ja, ja.« Luzifer winkte ab. »Wenn unser Verschwinden ein Problem wäre, hätte Michael in dem Moment etwas dagegen unternommen, in dem wir ohne seine Erlaubnis fortgegangen sind. Und selbst jetzt, wo Uriel durch die Gegend zieht und, wie es scheint, die Hälfte der weiblichen Bevölkerung der Erde schwängert, würde man eigentlich mit einem Eingreifen irgendeiner Art rechnen.«

Rachels Gesicht blitzte in Raphaels Gedanken auf. Er fühlte einen Schmerz in der Brust, als vor ihm das Bild aufstieg, wie sie von der Brücke aus nach Uriel Ausschau hielt. Uriel war selbstsüchtig und verdiente ihre Liebe nicht. Dann wiederum – er war es auch.

»Diese Frauen und ihre Kinder, sind sie – ?« Raphael konnte nicht leugnen, dass er neugierig war. Jeremiel war noch klein, aber an ihm zeigten sich bereits die Gaben, die auch Engel besaßen. Er war stärker als andere Kinder seines Alters, größer, schneller – und bei der Geschwindigkeit, mit der er wuchs, würde er noch vor seinem zehnten Lebensjahr in der Lage sein, es mit der Kraft erwachsener Männer aufzunehmen.

»Alles Mädchen. Nutzlos.« Luzifer spuckte aus. »Sie alle sind wenige Stunden nach ihrer Geburt gestorben, und ihre Mütter mit ihnen.«

»Sie sind bei der Geburt gestorben?« Er dachte an Rebecca und daran, wie sie sich bei der Geburt verausgabt hatte. Er hatte sich gesorgt, dass sie es nicht überleben würde.

»Es war ein Akt der Gnade. Die Frauen wären wegen einer Geburt außerhalb der Ehe gesteinigt worden.«

»Und was ist mit Uriel? Wie konnte er weiterhin all diesen Frauen beiliegen in dem Wissen, dass sie bei der Geburt seiner Kinder sterben würden?«

»Er hat nicht einmal gewusst, dass sie mit seinen Kindern schwanger waren. Unwissender Narr. Er war fort, bevor überhaupt die Sonne über ihren Betten aufging. Uriel schuldet mir viel, denn ich habe die Sauereien, die er zurückgelassen hat, beseitigt. Sobald eine Familie erfährt, dass ihre Tochter unverheiratet ein Kind empfangen hat, wird sie verstoßen. Ich habe ihnen eine Unterkunft bis zur Geburt ihres Kindes verschafft.«

»Wieso? Weshalb solltest du so etwas tun?« Raphael sah ihn misstrauisch an. Luzifer hatte immer deutlich gezeigt, wie sehr er auf die Menschen herabsah.

Luzifer winkte bei seiner Frage ab. »Sagen wir, ich habe Uriel einen Gefallen getan. Nun, wo war ich stehen geblieben… Ah ja, dein Sohn und seine Engelsgaben.«

»Ich habe nicht gesagt, dass er welche hat.«

»Ich kann in deinem Gesicht gut lesen, mein alter Freund. Du solltest stolz sein. Stell dir vor: Mit mehr Söhnen könntest du über die Welt herrschen.«

»Ich bin nicht hierhergekommen, weil ich Söhne zeugen wollte. Ich betrachte das, was ich habe, als einen Segen. Ich will nur mit meiner Familie in Frieden leben. Der Traum vom Herrschen ist deiner, nicht meiner. Ich werde damit nichts zu tun haben.«

Luzifer schüttelte den Kopf. »Nach all dieser Zeit betrachtest du die Menschen immer noch als uns gleichgestellt.«

»Ja. Das ist etwas, was ich immer glauben werde.«

Luzifer lachte. »Mein lieber Raphael, eines Tages wirst du den Fehler in deinem Denken erkennen. Du wirst einsehen, dass wir dazu bestimmt sind, über die Menschen zu herrschen. Nicht heute, aber eines Tages wirst du es. Jetzt lass uns essen. Ich bin am Verhungern.«

Nach der Mahlzeit und lange, nachdem Luzifer sie verlassen hatte, schloss Raphael Rebecca in seine Arme, als sie auf dem Dach lagen und zu den Sternen aufsahen.

»Du hast heute Abend nicht viel gesagt«, begann er.

Einen Moment lang versteifte sich ihr Körper. Dann entspannte sie sich. »Nicht weniger als sonst auch. Ich wollte dein Gespräch mit Luzifer nicht unterbrechen.«

»Du magst ihn nicht.«

»Er ist dein Freund.«

Sanft löste Raphael sie von seiner Brust. Er blickte ihr in die Augen. »Sag es mir, Rebecca. Sag mir, was los ist.«

Sie senkte den Blick und ihre schwarzen Wimpern hoben sich auf ihren Wangen ab. Sie war so schön. Er hasste es, sie so zu sehen, aber er musste es wissen. Während des gesamten Abendessens hatte sie kein Wort gesagt. Das war für sie völlig untypisch.

»Hat Luzifer etwas zu dir gesagt?«

Es war möglich, dass Luzifer versucht hatte, von ihr Informationen über Jeremiel zu bekommen. Sie waren vor langer Zeit übereingekommen, Jeremiels Gaben und seine Herkunft geheim zu halten. Sie wollten, dass er so behandelt wurde, wie alle anderen in der Gemeinschaft auch.

»Nein. Er hat nicht mit mir gesprochen. Es ist nur… er…« Ihre Wangen färbten sich rot.

»Was ist es?« Raphael legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Ihre Augen begegneten seinem Blick und einen Moment lang dachte er, sie würde etwas sagen, als sie plötzlich den Atem ausstieß.

»Im Grunde ist es nichts weiter. Es ist nur… Jeremiel wird älter und ich erkenne so viel von dir in ihm und seinen Wesenszügen als Sohn eines Erzengels. Luzifer zu sehen erinnert mich an die Macht, die du hattest und die du aufgegeben hast, um mit mir zusammen zu sein und dann frage ich mich…«

»Was fragst du dich?«

»Ich frage mich, ob du es manchmal bereust.«

Raphael musterte ihr Gesicht. Er hatte das Gefühl, dass da noch mehr war, das sie ihm nicht verriet. Es sah ihr nicht ähnlich, etwas vor ihm geheim zu halten.

»Überhaupt keine. Du etwa?«

Er hielt den Atem an, als sie einen Augenblick lang zu Boden sah und zögerte.

»Nur eines tut mir leid.«