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Die Ex-Prinzessin
»Das ist interessant. Meine Eltern und ich sind auf dem Weg, um meinen Bruder in Fairisle in Empfang zu nehmen; er kommt gerade erst aus der Navy. Wir wollten eine angenehmere Reise durch die entzückenden, kühlen Wälder, anstatt der staubigen Landstraße.«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Marc!«, rief sie durch die Türöffnung, »gehst du morgen nicht nach Fairisle?«
»Sicher, so hatte ich es vorgehabt«, kam die Antwort.
Marie zuckte mit einer Schulter. »Siehst du? Problem gelöst. Marc kann dich morgen mitnehmen und wir werden eine Nachricht bei jedem auf der Hochzeit lassen, dass deine Eltern wissen, dass sie dich dort treffen sollen. Sie werden die Nachricht bekommen.«
»Oh, ich schätze Ihr Angebot, aber ich kann nicht ohne meine Eltern gehen.«
»Sicher kannst du das. Es ist kein Problem. Marc geht sowieso.«
»Nein, kann ich nicht.« Ihre wahren Gefühle waren für einen Moment an die Oberfläche gebrodelt und sie trat sich selbst dafür, wie scharf sie gesprochen hatte. Marie schaute fragend vom Schnallen ihrer eigenen unvernünftig hohen Schuhe hoch.
»Warum nicht?«
»Sie sind … sie sind betagt, verstehen Sie. Ich befürchte, dass ihnen etwas zustoßen wird. Ich kann nicht gehen, bis ich weiß, dass sie sicher sind. Ich habe Angst, dass die Bärin sie erwischt hat.«
»Wer, Betsy? Sie ist harmlos, es wird ihnen gut gehen. Sie haben so lang gelebt, oder nicht? Denk nicht, dass sie dumm sind, Mädchen.« Damit drehte Marie sich um und verließ das Schlafzimmer, rief Fadline und Theresas zu, dass sie in das Fuhrwerk steigen sollen. Abbie folgte eine Grimasse ziehend. Betsy?
Sie manövrierte sich vorsichtig mit dem Kopf voraus durchs Fenster, ließ dann ihre Knie zusammen hindurch schlüpfen, um das abscheuliche Kleidungsstück, welches sie trug, nicht zu zerreißen. Sie stopfte ihre Kleidung in Stargazers Satteltasche und löste sie, um sie mit sich zu schleppen.
»Mädchen! Auf geht’s!«, rief Marc von der Rückseite her. Abbie versuchte bei der Wahl der Anrede des Mannes nicht hochzugehen.
»Komme gleich!«, rief sie zurück, dann sagte sie leiser zu Stargazer: »Folge uns. Lass sie dich nicht sehen.« Er wippte mit dem Kopf und sie lächelte und tätschelte seinen starken Hals. Dann beeilte sie sich, so sehr wie man es in acht-Zentimeter-Absätzen einen schmalen Erdpfad hinab konnte, um zu ihren seltsamen Gastgebern aufzuholen.
KAPITEL ZEHN

ABBIE SASS IM HINTEREN Teil des offenen Wagens, schwankte und schaukelte zwischen den Schwestern, welche Schminke auf ihrem Schoß hin- und herreichten. Sie war ziemlich sicher, dass jemandem ein Auge ausgestochen werden würde; sie hoffte nur, dass sie es nicht wäre.
»Lass uns deins machen, Abbie!«, sagte Fadline, ein Glitzern in ihren Augen.
Abbie schüttelte lachend ihren Kopf. »Ich denke nicht.«
»Möchtest’e nicht einen Geck finden?« Fadline reichte die Mascara herüber und Abbie bemerkte einen leichten Bluterguss knapp über ihrem Ellbogen, so als ob ihr Arm gepackt und gedreht worden war. Sie war zu abgelenkt, als dass sie die Frage genau gehört hatte.
»Einen was?«
»Einen Freund!«, quäkte Theresas, während sie schimmernden Lidschatten dick und ungleich auftrug.
»Oh, ich habe tatsächlich einen.« Technisch gesehen keine Lüge, dachte sie.
Abbies Handy klingelte und die Mädchen kreischten.
»Ist er das?«
Sie schaute auf den Bildschirm, welcher eine orangiersische Handynummer zeigte. Abbie zögerte.
»Geh ran!«, forderten die Mädchen einstimmig auf und sie konnte spüren, wie sich Maries Aufmerksamkeit vom vorderen Sitz ihr zuwandte. Abbie nahm einen tiefen Atemzug und ließ ihren Daumen über den Bildschirm gleiten.
»Hallo?«
»H-Hallo, ist dort … Abelia?« Seine Stimme war jetzt viel tiefer, als sie es im letzten Sommer, den sie miteinander verbracht hatten, gewesen war, aber sie erkannte sie sofort.
Wie könnte sie die Stimme ihres besten Freunds vergessen?
»Ja, wie geht’s dir, Onkel Ed?« Die Schwestern lehnten sich enttäuscht zurück und kehrten dazu zurück ihre Gesichter zu richten. Was sie ihm anerkennen musste, Edward kommentierte es nicht als Onkel Ed tituliert worden zu sein.
»Jetzt gerade bin ich nur froh deine Stimme zu hören. Rubald hat mir erzählt, was passiert ist. Geht es dir gut? Bist du verletzt?«
»Mir geht es gut, aber ich muss eine Nachricht zu Mama und Papa bekommen …« Würde er wissen, was sie meinte? War immer ziemlich schlau gewesen …
»Ja, das kann ich tun«, erwiderte er ohne Pause.
Sie hörte wie Marie sich räusperte und sie hoffte, dass ihr rasendes Herz nicht so offensichtlich war, wie es sich anfühlte. »Sag ihnen, dass ich sie in Fairisle treffen werde, an den Docks.«
»Nein, Abelia, geh nicht ohne sie weiter«, sagte er, seine Stimme plötzlich voller Anspannung. »Das ist eine schreckliche Idee. Sag mir einfach, wo du bist, und ich lasse sie zu dir kommen.«
Nicht möglich, Kumpel. »Okay, liebe Grüße an Tante Viv.«
»Abelia, aktiviere ›Orte Mein Handy‹, so dass wir deinen Aufenthaltso—«
»Jep, wir sprechen uns bald.«
»Abelia! Geh nicht ohne sie weiter! Hörst du mich? Das ist ein Befehl!«
Das schien wie die perfekte Gelegenheit aufzulegen. Beim letzten Befehl, der Abelia gegeben worden war, war ihr geheißen worden, dass sie »anständig gekleidet« zum Ball am Weihnachtsabend vor sechs Jahren auftauchen soll. Ihr karierter Flannelpyjama war nicht sehr gut angekommen, auch wenn sie ihre Haare gelockt hatte. Sie steckte das Handy zurück in ihre Umhängetasche.
»Also«, sagte Marie vom Vordersitz, »jetzt kannst du morgen mit Marc weiter nach Fairisle gehen. Keine Probleme.«
Als Abbie nickte, machte ihr Handy ein Geräusch wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird. Plonk. Da war eine SMS.
E hat mir die Nummer gegeben. Glaubt, dass es eine kompromittierende Situation gibt. Baldmöglichst anrufen.
Sie sperrte es und drehte sich Theresas zu, die noch immer auf ihre Haut starrte. Ihre knochigen Schultern standen aus ihren Kleiderärmeln auf eine Art und Weise heraus, die komisch wäre, wenn es nicht so verstörend wäre. Fadlines waren nicht besser. Bekamen sie nichts zu essen? Marie und Marc sahen aus, als ob sie gut genug aßen.
Während das Fuhrwerk weiterrumpelte und die Mädchen ihre Zeit aufteilten, indem sie mehr billige Schminke auflegten und Abbies schillernde Haut beäugten, traf Abbie eine Entscheidung.
»Würdet ihr Mädchen mit uns mitkommen wollen? Kommt ihr oft dorthin?«
Es gab eine lange Stille; Theresas öffnete ihren Mund, aber blickte zu Marie, bevor sie sprach. Sie schloss ihn wieder und schaute nach unten.
»Sicher kennt ihr den Weg?«
Theresas nickte.
»Ich bezahle euch gerne für eure Zeit; ich habe bemerkt, dass ich sie von ihrer Arbeit abgehalten habe. Ich habe es einfach so genossen sie diesen Nachmittag kennenzulernen, sie wären wundervolle Reisegefährten.«
»Und ich nicht?«, schnaubte Marc und dabei lachten alle Damen.
»Ich nehme an sie könnten gehen, solange sie geradewegs zurückkommen, und solange wir entschädigt werden …«, sagte Marie, ignorierte die aufgeregten Gesichter der Mädchen.
Sie hatten ebendiesen Hügel erklommen und stiegen in Richtung der Küste ab, als Abbie einen kleinen Gemischtwarenladen bemerkte.
»Können wir hier anhalten und nach meinen Eltern fragen? Bitte? Es tut mir leid, dass ich eine Plage bin.«
»Mach schnell«, sagte Marc und die Mädchen halfen ihr vom Fuhrwerk herunterzuhüpfen. Aus ihrem Augenwinkel konnte sie sehen, wie Stargazer seinen Abstand hielt, sich vom Weg herunter in den dichteren Teil des Unterholzes bewegte.
Abbie eilte hinein und ging durch die Gänge, weg von den Fenstern. Sie pfuschte sich ihren Weg durch die Einstellungen, um die Ortungsfunktion zu aktivieren, rief dann Rubald an.
»Oh, gepriesen sei der Schöpfer; sie weiß wie man das Gerät bedient.«
»Keine Zeit für Witze. Ich bin in einem Gemischtwarenladen nahe der Spitze des Hügels auf der Hauptstraße. Kennen Sie ihn?«
»Ja. Wir sind vor circa fünf Meilen daran vorbei.«
»Kommen Sie schnell hierher. Ich versuche hierzubleiben, aber sie könnten das vielleicht nicht mögen.«
»Verstanden.«
»Außerdem, wie viel Geld haben wir?«
»Reichlich. Warum?«
»Sie werden sehen. Einfach hierherkommen.« Sie fühlte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich langsam um.
Fadline und Theresas grinsten sie an. »Mit wem redest du?«, fragten sie im Chor.
»Meine Eltern, ich konnte schließlich doch mit ihnen in Kontakt treten.«
»Oh, das ist schön«, sagte Theresas, noch immer offensichtlich enttäuscht, dass sie nicht mit der Liebe ihres Lebens gesprochen hatte.
»Möchtet ihr Mädels einen Keks?«
Beide nickten eifrig und sie blickte aus dem Fenster auf Marc, der vom Fuhrwerk heruntergesprungen war und versuchte in die Fenster des Ladens zu spähen.
»Seid ihr glücklich mit eurer Tante und eurem Onkel?«
Beide Mädchen erstarrten. Sie starrten sie mit offenen Mündern an, alle Spuren ihrer übersprudelnden Freude darüber Schminke aufzutragen und über Jungs zu sprechen waren im Nu verschwunden.
»Ich habe nicht viel Zeit hier. Glücklich oder nicht?«
»Nicht«, flüsterte Fadline und Theresas stieß sie mit ihrem Ellbogen an, sagte aber nichts, ihre Augen groß. Eingeschüchtert. Ich wusste es, dachte Abbie mit einer üblen Verdrehung ihres Magens.
»Bleibt bei mir. Einverstanden?«
Marc erschien in der Türöffnung und die Mädchen zuckten zusammen. »Was braucht’n so lang?«
»Entschuldigung, die Mädchen wollten einen Keks.«
»Das brauchen sie nicht, es gibt reichlich kostenloses Essen auf der Party. Auf geht’s.«
»Tatsächlich habe ich Kontakt mit meinen Leuten hergestellt und sie werden mich hier treffen. Ich würde die Mädchen trotzdem gerne mit uns mitnehmen, wenn Sie zustimmen. Meine Eltern sind nicht vertraut mit—«
»Nein.« Marc bewegte sich zur Seite, während die Mädchen hinaus zum Fuhrwerk eilten. »Ich weiß nicht, wer du bist oder für wen du dich hältst, aber diese Mädchen gehören uns. Bleib hier, wenn du willst. Viel Glück dir.« Er begann wegzulaufen, drehte sich dann zurück. »Oh, und lass Maries Kleid und Schuhe beim Ladenbesitzer. Er wird sie ihr zurückbringen.«
Abbies Verstand raste. Sie konnte nicht so einfach aufgeben. Diese Kinder waren versklavt, Eigentum. Nur der Gedanke an sie, wie sie in der Dunkelheit Unkraut jäteten, ließ glühend heißen Zorn ihr Sichtfeld verschleiern und Marc war eindeutig ebenso kontrollierend wie Marie. Möglicherweise schlimmer.
Stimme, nicht zittern. Nicht zittern. Konstant, selbstbewusst … Abbie schritt hinaus auf die Veranda und sagte: »Ich kaufe sie Ihnen ab.«
Marc schleuderte ihre Umhängetasche über die Seite des Fuhrwerks und sie landete mit einem puff im Staub.
»Nein. Du gehst deinen Weg. Wir gehen unseren.« Er ließ die Zügel knallen und die Pferde starteten in einem Trab die Fahrspur hinauf in den Wald. Theresas und Fadline hielten sich im hinteren Teil des Fuhrwerks die Hände, Tränen in ihren Augen glitzernd, ihre Lippen zusammengepresst. Marie drehte sich nicht einmal um. Als Abbie vor Wut zitternd beobachtete, wie sie in den Wäldern verschwanden, wusste sie, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatte. Und noch schlimmer, dass nicht sie diejenige wäre, die den Preis dafür bezahlte.

DER LADENBESITZER WAR bereits zur Hochzeit gegangen, als Rubald und Rutha ankamen. Abbie hatte nicht gedacht, dass die ältere Dame so rasch absteigen könnte, und sie fand sich plötzlich am empfangenden Ende einer sehr inbrünstigen Umarmung wieder. Abbie tätschelte steif Ruthas Rücken, immer noch angespannt und gezeichnet von ihrer Begegnung.
»Dachten, wir haben Euch verloren«, flüsterte Rutha, als sie sich zurückzog und Abbie an den Schultern packte, um sie besser zu sehen.
»Kein solches Glück.« Abbie schenkte ihr ein knappes Lächeln. »Ich bin ebenfalls froh Sie zu sehen.«
»Geht es Euch gut?«, fragte Rubald, musterte sie, während er den Reisestaub von seinem Hut klopfte. Abbie nickte. »Was ist mit dem Kleid?«
»Sie haben es mir geliehen, um mich auf eine Hochzeit mitzunehmen.«
Rubald und Rutha schauten einander an und lachten. »Weil du Glück bringst?«
»Ja, woher wissen Sie das?«
»Oh, es hätte ihren Rang in der Gemeinschaft beträchtlich gesteigert, wenn sie erfolgreich gewesen wären. Funkler bringen Glück, jeder weiß das.«
»Ich nicht«, sagte Stargazer und sie alle drehten sich um, um Stargazer anzublicken.
»Oh, verzeihen Sie. Rubald, Rutha, das ist Stargazer.«
Sie starrten und Stargazer lächelte sie mit seinen großen gelben Zähnen an. Abbie fühlte, wie sich etwas von der Schwere von ihrem Herz hob. Du hast getan, was du konntest, sagte eine kleine Stimme in ihrem Inneren. Du hast es versucht. Sie stieß einen Seufzer aus und rieb sich mit beiden Händen über ihr Gesicht.
»Nun, das ist eine Überraschung«, murmelte Rubald, ging zurück zu seinem Pferd. Er und Rutha schienen ihren Gemütszustand nicht bemerkt zu haben, aber das war wahrscheinlich das Beste. Rubald hatte einen Fuß im Steigbügel, als er plötzlich innehielt, eine Augenbraue in Richtung seines Pferds zucken ließ. »Pferd, kannst du … kannst du auch …?«
»Oh, nein, Sir, Ihr Pferd scheint nicht die gleichen Fähigkeiten zu haben«, schob Stargazer ein. »Ich habe vorhin versucht ein Gespräch über die gute Qualität des Klees hier anzufangen und wurde ignoriert. Eventuell bin ich auch einfach langweilig, aber ich denke nicht. Er schien aufrichtig verwirrt.«
Rutha verdeckte ihr Lächeln mit der Rückseite ihrer Hand und Rubald schüttelte seinen Kopf.
»Gut. Lasst uns hier verschwinden, solange wir noch sehen können, wo wir hingehen.«
KAPITEL ELF

DIE DREI REISENDEN stiegen in das Tal ab, als die Sonne begann unterzugehen. Während ihrer ganzen Zeit in Gardenia, war Abbie nie am Ozean gewesen und die Sonne zu beobachten, wie sie in dessen Tiefen zu versinken schien, ließ sie vor Faszination wie gelähmt sein. Sie brannte und pulsierte am Horizont, färbte die Schiffe, welche versuchten nach Hause zu kommen, bevor es dunkel wurde, in kräftigem Pink und Orange. Ich frage mich, ob sie morgen wieder ausgeht. Die ganze Erfahrung hatte sie aufgewühlt. Die Sonne fühlte sich wie eines der Dinge an, auf die man sich verlassen können sollte, wie die Schwerkraft. Was wenn die Schwerkraft aufhört zu funktionieren? Gibt es ein Notverfahren dafür? Was, wenn ich wieder allein bin?
Ihr Verstand schweifte immer wieder zu Fadline und Theresas zurück. Ich hätte härter kämpfen sollen. Ich hätte mehr tun sollen. Vielleicht wenn ich einfach auf Stargazer gesprungen und mit ihnen abgehauen wäre … er hätte uns wahrscheinlich nicht fangen können, da das Fuhrwerk ihn abbremste. Jaah, es war stehlen—aber stahlen Marc und Marie nicht ihre gesamte Kindheit?
Mit einem Schnalzen ihrer Zunge, trieb sie Stargazer an ihre Beschützer einzuholen, als die Straße sich verbreiterte. »Rubald«, sagte sie leise, als sie neben ihm heranzog. »Ich habe ein paar Fragen.«
»Schießt los, Schwester.«
»Als die Sonne ausging …«
»Oh, ja.«
»Passiert das hier häufig?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es hängt davon ab, wo man ist. Es passiert nicht überall im Unverschleierten.«
»Sie nennen es nicht so. Sie sagten wir wären … unter …« Sie versuchte, ohne Erfolg, die Müdigkeit von ihrem Gehirn zu schütteln.
»Unter freiem Himmel?«
»Ja. Was bedeutet das?«
»Bin nicht sicher. Aber die meisten Menschen im Unverschleierten beneiden das Leben ›in der Box‹ nicht, wie sie es nennen.«
»Was? Das macht auf mich einen … na ja, bizarren Eindruck. Und warum funkeln wir? Und ist Sklaverei hier legal? Warum haben sie nicht diesen Bären getötet? Und—«
Rubalds Seufzer schien von ganz unten von seinen Fersen zu kommen. »Eventuell hat das Gästehaus ein Exemplar von Auf der würdelosen Straße reisen. Ich denke es würde helfen ein paar Eurer Fragen zu beantworten. Es ist nur noch eine Meile oder zwei. In der Nacht zu reisen ist nicht sicher, also habe ich zuvor eine Reservierung gemacht, als es schien, dass wir nicht am Hafen ankommen.«
»Diese Menschen, bei denen ich war—einer von ihnen reist morgen auf dieser Straße. Es wäre wahrscheinlich das Beste, wenn wir nicht wieder auf ihn treffen. Wir haben uns nicht gerade im Guten getrennt.«
Rubald hob eine Augenbraue. »Es ist das Beste, wenn wir uns nicht in die örtliche Politik einmischen, Schwester.«
Abbie schaute geradeaus und sagte nichts, seufzte frustriert.
»Stimmt Ihr nicht zu, Schwes—«
»Absolut. Leuchtet mir ein.«
Sie hörte ein leises Wiehern von Stargazer. »Abbie?«
»Ja, Stargazer?«
»Sind wir bald da?« Er hörte sich erschöpft an. Sie hatte vergessen, dass er heute ebenfalls kaum etwas gegessen hatte.
»Bald, denke ich. Es tut mir leid, ich bin auf diesem Weg auch noch nicht gereist.«
»Ich bin so hungrig, ich könnte einen Menschen essen.«
Rubald und Rutha versuchten beide ihr Kichern zu verstecken.
»Ich kann Sie hören, wissen Sie. Pferde haben ein exzellentes Gehör.«
Ein fluoreszierendes Licht erschien zwischen den Bäumen. Ein schlecht instandgehaltenes Gebäude aus Zementblöcken, das nur zur Hälfte gestrichen war, trug ein Schild zur Schau, auf welchem in grün BESTE ZEIT GÄSTEHAUS stand. Ein Schwimmbecken voller Blätter lag zur Rechten des Eingangs. Abbie spähte hinein, als sie vorbeigingen, und das Wasser kräuselte sich.
»Was war das?« Stargazer schoss in einem Trab vorwärts, bis Abbie die Zügel zurückzog.
»Bleib locker, Neuer. Bleiben wir zumindest ein bisschen cool, okay?«
»Ich entschuldige mich, ich verstecke meine Gefühle nicht gut. Ich habe wortwörtlich keine Übung darin.«
»Na ja, du verängstigst die Wortlosen, also lass das sein.«
Abbie stieg ab und reichte Rubald die Zügel, der die Pferde rückwärtig zur Scheune führte. Ihre Beine zitterten, ihr Kopf schmerzte und ihr Rucksack fühlte sich an, als ob er fünfhundert Pfund wog. Sie stolperte in das Foyer und wurde von niemandem begrüßt.
»Hallo?«
Ein apathischer Angestellter schlurfte aus einem Hinterzimmer, rieb sich über das Gesicht, als ob er geschlafen hatte.
»Reservierung?«, murmelte er.
»Ja, wir haben reserviert.«
»Jerrinson«, sagte Rutha, als sie an ihrer Seite erschien. Der Mann durchwühlte ein paar Papiere, während Abbie die Viehbremsen beobachtete, wie sie sich auf die einzelne Lampe an der Decke warfen. Tief seufzend fand er, nach was er gesucht hatte, und ließ eine gut einstudierte Rede vom Stapel.
»Das ist das Beste Zeit Gästehaus. Willkommen. Trinken Sie nicht das Wasser im Waschbecken. Öffnen Sie nicht die Fenster. Nicht Rennen. Frühstück um sieben. Ihr Zimmer, oben an der Treppe, rechte Seite.«
»Sir?« Der Mann bemerkte nicht, dass Abbie mit ihm sprach, bis sie sich räusperte.
»Ja?«
»Wo bekomme ich Trinkwasser?«
Er zeigte auf einen leeren zwanzig-Liter-Behälter, der auf dem Kopf in einem staubigen ausgesteckten Trinkwasserspender steckte.
»Das ist leer.«
Er nickte. »Wasser-Typ kommt zur Morgenzeit.«
»Ich brauche jetzt Wasser.«
Er gestikulierte über seine Schulter, mischte noch immer Papierkram auf eine Weise durcheinander, die unmöglich produktiv sein konnte. »Der Mann kommt jetzt nicht. Bach diese Richtung.«
»Ist es sicher, das Wasser vom Bach zu trinken?«
Er legte seinen Kopf schief und blickte sie an.
»Bachwasser sauber?« Sie hatte nicht beabsichtigt seinen Akzent nachzuahmen, aber es schien ihm zu helfen sie zu verstehen.
»Nein.«
Rutha legte eine Hand auf ihren Arm. »Wir haben Tabletten, um da auszuhelfen. Sie schmecken … effektiv. Ich gebe dir etwas von meinem Wasser, Liebes.«
Abbie nickte dankbar. Rutha öffnete ihre Feldflasche und reichte sie Abbie, welche sie annahm. Sie standen still da.
Rutha blinzelte sie erschöpft an. »Wirst du es nicht trinken?«
»Das werde ich in einer Minute.« Auf keinen Fall würde sie alles hier in der Lobby auspacken.
Rubald kam herein, staubte noch immer seine Hände ab. »Worauf warten wir?«, bellte er.
Abbie war viele Male von Lauren angeklagt worden, dass sie »hangry« wäre, eine Kombination aus hungrig und angry, also wütend. Ihre begrenzte Erfahrung mit Rubald brachte sie dazu Lauren anrufen zu wollen und zu fragen, was das Wort für müde und aus der Ruhe wäre … »mungeduldig«, vielleicht? Oder vielleicht war auch ungeduldig genug.
»Schlüssel, Liebling. Alles unter Kontrolle.«
»Schlüssel, Sohn?« Rubald hatte seine Stimme um mindestens zehn Dezibel erhoben.
Der Mann suchte in einer Schublade herum ohne sie zu finden. Nachdem er es mit zwei weiteren Schubladen versucht hatte, drehte er sich mit einem breiten Lächeln herum und reichte einen dem Paar und einen ihr.
»Zwei Schlüssel, nur ein Raum.« Abbie zog eine Grimasse. Großartig. Heute Nacht wieder nichts zwischen ihr und Rubalds Schnarchen. Aber da sie neue Ebenen der Erschöpfung erreichte, würde sie dieser Faktor wahrscheinlich nicht vom Schlafen abhalten können.
»Auf geht’s, die Damen. Nach oben. Wenn ich nicht bald aus diesen Stiefeln komme, werden sie zu einem permanenten Teil von mir werden.« Er übernahm die Führung die unebenen Stufen auf Zement hinauf und Rutha und Abbie reihten sich pflichtbewusst hinter ihm ein.
»Sie? Miss?«
Abbie drehte sich am Fuß der Treppe zurück.
»Sie sind … aus der Box?« Abbie wartete einen Herzschlag lang, aber das schien sicher genug, um es zu enthüllen.
»Ja.«
»Sie sind sehr schön.«
Abbie schluckte schwer und sie spürte, wie ihr Gesicht rot wurde. Vielleicht wäre ein Schlafzimmer mit Rubald zu teilen, der die Rolle des überfürsorglichen Vaters spielte, am Ende doch keine so schlechte Sache.
»Danke.«
»Sie haben eine Telefonnummer?«
»Äh …«
»Ich würde gerne besser Gemeine Sprache sprechen. Vielleicht rufe ich an, zeige mein Zuhause, Sie können mir helfen besser sprechen.«
»Es tut mir leid, ich kann nicht. Ich werde nicht lange hier sein.«
»Ich brauche Geld. Meine Ehefrau, sie braucht eine Operation. Frauenprobleme.« Der Gesichtsausdruck des Mannes änderte sich im Nu von kokett zu sorgenvoll.
Oh, das ist einfach zu viel. Abbie ließ ihre Taschen fallen und überkreuzte ihre Arme, ging langsam zum Schreibtisch zurück.
»Warum nennen Sie mich schön und laden mich zu sich ein, wenn Sie verheiratet sind?«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht nicht für lange verheiratet—Frauenprobleme, sagte ich. Nicht viel, nur 500 $.«
»Oh, ist das alles?«
Er missdeutete ihren Sarkasmus als Interesse und sein Eifer verstärkte sich. »Ja, das ist alles, sehr preiswert, richtig?« Sein Eifer ihr Geld zu bekommen stieß sie ab und sie hatte null emotionale Reserven im Moment. Sie war kurz davor ihm ein Stück ihres hungrigen, an Schlafentzug leidenden Gemüts zu geben, als sie Rubalds schwere Schritte am oberen Ende der Zementtreppe hörte.
»Tochter?«, brüllte er, was sie hoffen ließ, dass er gerade nicht die anderen Gäste aufgeweckt hatte.
»Das ist mein Vater. Viel Glück mit Ihren Problemen. Komme, Papa!«
Verstimmt schlurfte der Mann zurück ins Büro. Abbie hoffte sie würde nicht noch einmal mit ihm reden müssen. Sie versuchte ihren Rucksack die Treppen hinaufzuschleppen, ohne ihn auf ihre Schultern zu heben, und sie hörte, wie Rubald herunter gepoltert kam.
»Ich hab’s im Griff«, sagte sie ohne Augenkontakt herzustellen. Ohne ein Wort hob er den Rucksack an und bedeutete ihr vor ihm zu gehen. Rutha war bereits in ihrem schlichten Nachthemd, rieb weiße Creme auf ihr Gesicht, ihr ergrauendes Haar fiel offen in Wellen ihren Rücken herunter. Sie saß auf einer ausgezogenen Couch, die Matratze praktisch in der Mitte heruntergeklappt.
»Ihr seid im Queen Size Bett, Schwester.«
»Nein, ich bin auf der Couch.«
Rubald senkte seine Stimme. »Majestät …«
»Nö. Ich gebe keinen verbrannten Brownie auf Ihre Gepflogenheiten. Ich bin eine und Sie sind zwei. Außerdem ruiniert es den Anschein einer glücklichen Familie, wenn ich das große Bett habe. Ziehen Sie nicht einmal in Betracht mit mir zu streiten, weil ich sonst die Beherrschung verliere, hören Sie mich? Ich. Verliere. Sonst. Die. Beherrschung.«