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Internationales Privatrecht
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Internationales Privatrecht

Das Erbstatut im EGBGB (1900) wies eine Lücke auf, wenn ein (damals zwingend gegenständlich beschränkter, § 2369 BGB aF) Erbschein für das im Inland belegene Vermögen eines mit letztem Wohnsitz im Ausland verstorbenen Ausländers zu erteilen war. Aus Art. 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 aF wurde der allseitige Grundsatz entnommen, dass jeder Mensch nach seinem letzten Heimatrecht beerbt wird, die in Art. 25 Abs. 1 (1986) kodifizierte Bestimmung galt damit durch Verallseitigung schon vorher.

4. Verallseitigung oder Sonderkollisionsnorm für deutsche Sachverhalte

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Das Gesetz zur Neuregelung des IPR hat zum 1.9.1986 die meisten Kollisionsnormen vollständig allseitig formuliert; sie bestimmen – theoretisch betrachtet – das anwendbare Recht selbst für Fälle, die nie vor ein deutsches Gericht gelangen können.

Art. 13 Abs. 1 beschreibt ein auf die Eheschließungsvoraussetzungen anwendbares Recht auch für die Eheschließung zweier Taiwanesen in Hongkong; das ist unter Souveränitätsgesichtspunkten völlig unschädlich, denn deutsches IPR wird als primäre Kollisionsnorm nur von deutschen Behörden und Gerichten angewendet, so dass die angemessen begrenzte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte die formell unbegrenzte Reichweite des IPR einschränkt. Die vollständig allseitige Fassung ist aber nützlich, wenn ein ausländisches Gericht durch sein Kollisionsrecht in deutsches Recht verwiesen wird und einen Renvoi prüft (also eine Art. 4 Abs. 1 entsprechende Norm anwendet). Das deutsche IPR stellt mit seinen vollständig allseitigen Kollisionsnormen den ausländischen Richter nicht vor Probleme.

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Dem liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dass IPR keine Disposition über das Recht eines anderen Staates und damit eine Berührung von dessen Souveränität bedeutet, sondern lediglich den Ausgleich privater Interessen an der Anwendung des sachnächsten Rechts. Soweit deutsche Gerichte und Behörden eine Rechtssache zu entscheiden haben, also international zuständig sind (was übrigens nur in sehr weiten Grenzen am Völkerrecht zu messen ist), kann in der Auswahl des anzuwendenden Rechts kein Hoheitseingriff liegen.

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Auch nach der Reform von 1986 enthält das Kollisionsrecht im EGBGB noch Bestimmungen, deren Tatbestand den Inlandsbezug voraussetzt (Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF: deutsche Staatsangehörigkeit und Scheidungsstatut, Art. 9 S. 2: Todeserklärung von Ausländern im Inland; Art. 13 Abs. 3 S. 1: Form der Eheschließung im Inland; Art. 17a: im Inland belegene Ehewohnung). Die zum alten Kollisionsrecht überwiegend vorzunehmende Verallseitigung ist bei diesen Normen regelmäßig nicht mehr zulässig; der Gesetzgeber hat solche Bestimmungen zumeist bewusst als Sonderkollisionsrecht für deutsche Staatsangehörige oder sonstige Inlandsbezüge aufgenommen (vgl auch Rn 187 „Exklusivnormen“). Besonders deutlich wird dies dann, wenn die jeweilige Kollisionsnorm keine Lücken lässt, sondern neben eine vollkommen allseitige tritt und dadurch ihren Ausnahmecharakter deutlich macht, der eine Verallseitigung verbietet.

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Art. 9 S. 1 regelt die Anknüpfung der Todeserklärung allseitig, S. 2 erleichtert die Todeserklärung im Inland, wenn ein berechtigtes Interesse besteht. Art. 17 Abs. 1 S. 1 aF bestimmte allseitig ein reguläres Scheidungsstatut, S. 2 bewahrte in Hinblick auf die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit den deutschen Ehegatten vor einer erschwert scheidbaren oder unscheidbaren Ehe.

Eine ausnahmsweise verallseitigungsfähige einseitige Kollisionsnorm ist Art. 7 Abs. 2: Obgleich der Gesetzgeber 1986 die Verallseitigung versäumt hat, kommt in der Bestimmung weiterhin der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass der Wechsel des Personalstatuts die Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen nicht beseitigt. Art. 7 Abs. 2 gilt also auch für den Wechsel zwischen zwei ausländischen Staatsangehörigkeiten.

III. Ausdrückliche und versteckte Kollisionsnormen

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1. Versteckte Kollisionsnormen sind in anderen Normen verborgene, implizite kollisionsrechtliche Regeln. Sie sind nicht zu verwechseln mit den lediglich ungeschriebenen, gewohnheits- oder richterrechtlichen Kollisionsnormen, die zwar nicht ausdrücklich im Gesetz stehen, aber als ausdrücklich formulierte Verweisung außerhalb des Gesetzes existieren. Ausdrückliche Kollisionsnormen als Gegenbegriff zu den versteckten, umfassen also die Gesamtheit der gesetzlichen, richter- oder gewohnheitsrechtlichen Kollisionsnormen.

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2. Der wichtigste Fall ist die Annahme einer in Zuständigkeitsbestimmungen versteckten Kollisionsnorm, insbesondere im Fall der sog versteckten Rückverweisung (hidden renvoi) aus US-amerikanischem Recht. Da verbreitet die Zuständigkeit eines amerikanischen Gerichts (jurisdiction) zur Anwendung der lex fori führt und die Zuständigkeitsregeln darauf zugeschnitten sind, einen Inlandsbezug zu gewährleisten, lässt sich die Zuständigkeitsregel aus deutscher Sicht als eine Rechtsanwendungsregel interpretieren, ohne dass aus amerikanischer Sicht ursprünglich ein kollisionsrechtliches Bewusstsein hinter dieser Regel stünde.

Bedeutung hatte diese Figur vor allem für das Scheidungsstatut unter Art. 17 Abs. 1 aF bei Verweisung in das Recht eines US-Bundesstaates: Gerichte sind dort für die Scheidung einer Ehe zuständig, wenn ein Ehegatte seit einer gesetzlich bestimmten Zeit (häufig sechs Monate) dort domicile, häufig auch nur residence hat. Hieraus lässt sich eine Kollisionsnorm entwickeln, die besagt, dass das Recht dieses Bundesstaates auf eine Scheidung anwendbar ist, wenn einer der Ehegatten dort für diese Zeit sein domicile bzw residence hat. Verallseitigt man diese Norm („auf die Scheidung ist das Recht des Staates anwendbar, in dem ein Ehegatte seit mindestens … sein domicile [residence] hat)“, so kann sich für den deutschen Richter, der das IPR dieses Bundesstaates im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 S. 1 prüft, daraus zB eine Rückverweisung auf deutsches Recht ergeben. Die Konstruktion entspricht herrschender Meinung, erscheint aber gewagt; amerikanische Juristen sind erstaunt zu hören, was der deutsche Kollisionsrechtler in ihren Zuständigkeitsregeln verborgen findet. Unter der Rom III-VO entfällt die Problematik, weil deren Verweisungen keine Gesamtverweisung sind und deshalb das ausländische IPR nicht interessiert.

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3. Oft werden auch in selbstbegrenzten Sachnormen verborgene Kollisionsnormen vermutet. Es geht hier um Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das von der allseitigen Kollisionsnorm berufene Recht auf bestimmte Sachverhalte, häufig mit Inlandsbezug, jedenfalls angewendet sein wollen. Das impliziert in dem Sinn eine Kollisionsnorm, dass für Zwecke der Anwendung der konkreten materiellen Bestimmung die allgemeine Verweisung außer Kraft gesetzt wird. Zwangloser lässt sich eine solche Regelung aber auch als dem IPR vorgelagertes zwingendes Sachrecht verstehen, das seinen begrenzten Anwendungsbereich selbst beschreibt. Man kann insoweit von ausdrücklichen Bestimmungen des deutschen ordre public sprechen, die selbst beschreiben, wann der für ihre Anwendung erforderliche Inlandsbezug besteht.

Nach § 244 BGB können Fremdwährungsschulden mangels ausdrücklicher anderer Abrede im Inland in EUR erfüllt werden. Da dies unabhängig von dem auf das zugrundeliegende Schuldverhältnis anwendbaren Recht (Schuldstatut) und für im gesamten Euro-Raum erfüllbare[2] Geldschulden gelten soll, obgleich § 244 BGB an sich systematisch dem deutschen Schuldrecht zuzuordnen wäre, kann man in § 244 BGB eine Kollisionsnorm hineinlesen, die implizit sagt, für Zwecke des § 244 BGB sei jedenfalls deutsches Recht anzuwenden. Weniger gekünstelt erscheint es, § 244 BGB als Ausnahmenorm mit Vorrang vor dem Schuldstatut einzuordnen.

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Selbstbegrenzte Sachnormen können auch im EGBGB angeordnet sein. Auch wenn dies systematisch nicht der richtige Platz für materielle Bestimmungen ist, hat der Gesetzgeber richtig erkannt, dass der Rechtsanwender solche Normen übersehen könnte, wenn er durch das IPR in ein ausländisches Statut geführt wird und deshalb die deutschen materiellen Regelungen nicht anwenden zu müssen glaubt.

Das Verbot der außergerichtlichen Scheidung einer Ehe findet sich sogar zweifach im Gesetz. Schon vor Inkrafttreten der IPR-Reform von 1986 bestimmte § 1564 S. 1 BGB, dass eine Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden kann. Der BGH[3] verstand dies schon damals als eine Norm, die sich auch gegen ein ausländisches Scheidungsstatut durchsetzt, also als selbstbegrenzte Sachnorm. Art. 17 Abs. 2 wiederholt diese Norm; durch die Einfügung in Art. 17 wird klargestellt, dass sich der Grundsatz der gerichtlichen Ehescheidung gerade auch gegen ein ausländisches Scheidungsstatut durchsetzt. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das Scheidungsstatut nun durch die Rom III-VO bestimmt wird. Die Bedeutung des § 1564 S. 1 beschränkt sich nunmehr – als reine Sachnorm des deutschen Rechts – auf Scheidungen, die deutschem Recht unterliegen (im Inland und Ausland).

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4. Nicht verwechselt werden darf die selbstbegrenzte Sachnorm mit den Sondernormen des deutschen Rechts für bestimmte Auslandsfälle (zB § 1944 Abs. 3 BGB). Diese Bestimmungen setzen sich nicht gegen ein ausländisches Statut durch, sondern sind nur anwendbar, wenn deutsches Recht das maßgebliche Statut (hier Erbstatut) ist. Im Einzelfall kann es allerdings fraglich sein, ob eine Bestimmung als Sondernorm des deutschen Rechts oder als selbstbegrenzte Sachnorm zu verstehen ist; dann ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die jeweilige Sachnorm nur auf deutschem Recht unterstehende Fälle Anwendung finden will oder sich gegen jedes Statut durchsetzt. Im Zweifel sollte Bestimmungen ein solcher ordre-public-naher Durchsetzungswille nicht unterstellt werden; jedenfalls seit der Reform des Jahres 1986 enthält das deutsche IPR einige Aussagen über schutzbedürftige Personengruppen, so dass eine zwingende Anwendung deutschen Rechts zum Schutz bestimmter schwächerer Beteiligter auf dem Umweg über die Konstruktion der selbstbegrenzten Sachnorm ausscheidet.

Gelegentlich wird erwogen,[4] aus § 92c Abs. 1 HGB (Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters – § 89b HGB – bei Tätigkeitsgebiet außerhalb der EU und des EWR) eine Kollisionsnorm herauszulesen, die Vorschriften des HGB über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach §§ 84 ff HGB seien – unabhängig vom Schuldstatut – für Handelsvertreter mit Tätigkeitsbereich innerhalb der EU anzuwenden. Diese Konstruktion ist trotz ihrer richtigen Zielsetzung nicht tragfähig; § 92c Abs. 1 HGB setzt ein deutsches Vertragsstatut voraus. Die Durchsetzung deutscher Schutznormen gegen ein ausländisches Vertragsstatut kommt nur unter den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 3, 6 Abs. 2, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Rom I-VO sowie Art. 46b in Betracht. Sinnvoll erscheint jedoch eine Erweiterung des Rechtsgedankens des Art. 46b auf anderes EG-/EU-Richtlinienrecht, so dass sich letztlich Schutzbestimmungen aus Richtlinien auch gegen ein Nicht-EU-Vertragsstatut durchsetzen könnten.[5]

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5. Nicht verwechselt werden dürfen auch die in materiell-rechtlichen Nebengesetzen enthaltenen Kollisionsnormen mit selbstbegrenzten Sachnormen. Der Typus einer Norm als Sach- oder Kollisionsnorm wird nicht durch ihren Standort bestimmt, sondern durch ihre Funktion.

Unstreitig gilt das für die Kollisionsregeln im Wechsel- und Scheckgesetz. Aber auch der gelegentlich als Beispiel einer selbstbegrenzten Sachnorm mit impliziter Kollisionsnorm genannte § 130 Abs. 2 GWB in der bis 17.4.2016 geltenden Fassung war (nur) eine – nicht durch Rechtswahl abdingbare – einseitige räumliche Kollisionsnorm des Wettbewerbsrechts.[6]

IV. Exklusivnormen, Retorsionsnormen

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1. Als Exklusivnormen werden selbständige Kollisionsnormen (Verweisungsnormen) bezeichnet, die neben eine kollisionsrechtliche Grundregel treten und für bestimmte Fälle die Anwendung deutschen Rechts vorsehen. Um solche Normen handelt es sich häufig, wo sich im 1986 reformierten IPR des EGBGB einseitige Kollisionsnormen für deutsche Staatsangehörige finden. Der Unterschied zwischen einer Exklusivnorm und einer einseitigen Kollisionsnorm besteht in folgendem: Exklusivnormen sind von der Rechtsfolgeseite (ausnahmsweise Anwendung deutschen Rechts) definiert; einseitige Kollisionsnormen sind von der Tatbestandsseite definiert: Für deutsche Staatsangehörige bzw für Inlandssachverhalte ist ein bestimmtes Recht anzuwenden. Soweit solche Normen Deutsche bzw den inländischen Rechtsverkehr durch Anwendung deutschen Rechts schützen wollen, können sie rechtspolitisch sinnvoll, aber auch kollisionsrechtlich bedenklich sein, weil sie als ungehörige Besserstellung eigener Staatsangehöriger verstanden werden müssen.

Art. 13 Abs. 3 S. 1 ist gleichzeitig einseitige Kollisionsnorm („Ehe... im Inland... geschlossen“), und Exklusivnorm („nur in der hier vorgeschriebenen Form“). Als solche ist sie wohl sinnvoll, soweit sie die Statussicherheit schützt; andererseits vom Säkularisierungseifer des endenden 19. Jahrhunderts geprägt, soweit sie die obligatorische Zivilehe über das deutsche Recht als Eheschließungsstatut hinaus durchsetzt. Art. 16 Abs. 1 („hat einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland... so ist § 1412... anzuwenden“) ist als Schutznorn für den Rechtsverkehr sicher nötig. Besonders augenfällig – und rechtspolitisch störend! – war dagegen der Exklusivcharakter von Art. 38 aF (vor 1999): deutsches Deliktsrecht beschränkte Deliktsansprüche nach dem eigentlich anwendbaren Statut, wenn Täter ein Deutscher war. Keine Exklusivnorm ist Art. 7 Abs. 2; es handelt sich um eine – sogar ausnahmsweise der Verallseitigung zugängliche – einseitige Kollisionsnorm.

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2. Manche ebenfalls als Exklusivnormen bezeichnete Normen[7] schaffen hingegen nicht den exklusiven Vorrang deutschen Rechts, sondern ermöglichen eine subsidiäre, hilfsweise Inanspruchnahme deutschen Rechts. Für solche Normen erscheint es zweifelhaft, von Exklusivnormen zu sprechen, da sie gerade nicht Exklusivität des deutschen Rechts, sondern Anpassung an deutsche Rechtsverhältnisse erlauben.

Art. 10 Abs. 2 S. 1 Nr 2 und Abs. 3 Nr 2 erlauben Ausländern die Anpassung an deutsches Ehe- und Kindesnamensrecht, verbieten aber nicht die Namensführung nach dem von Art. 10 Abs. 1 berufenen allgemeinen Namensstatut; ähnlich Art. 13 Abs. 2. Diese Wahl kann, muss aber nicht erfolgen.

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3. Retorsionsnormen gehören zum völkerrechtlichen Instrumentarium des 19. Jahrhunderts; sie versuchen die Durchsetzung von internationaler Rechtsvereinheitlichung durch mittelbaren Zwang, indem sie die Angehörigen eines Staates benachteiligen, sofern dieser Staat nicht bereit ist, deutschen Staatsangehörigen eine Meistbegünstigung einzuräumen. Das deutsche IPR enthält solche Normen nicht mehr. Vgl aber im IZPR § 110 Abs. 2 Nr 1 ZPO und § 328 Abs. 1 Nr 5 ZPO, § 109 Abs. 4 Nr 5 FamFG.

Anmerkungen

[1]

Ob die Rom III-VO das IPR für Privatscheidungen regelt, ist fraglich: EuGH Rs. C-281/15 ECLI:EU:C:2016:343 (Sahyouni/Mamisch) nicht entschieden; neues Vorabentscheidungsersuchen: OLG München BeckRS 2016, 12020; EuGH C-372/16 (Sahyouni/Mamisch II).

[2]

Palandt/Grüneberg § 244, 245 Rn 7, 19.

[3]

BGHZ 82, 34.

[4]

Kegel/Schurig § 6 I 5.

[5]

Mit dieser Tendenz zur Durchsetzung der Richtlinie 86/653/EWG (Handelsvertreter-Richtlinie): EuGH Rs. C-381/98 ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB Ltd/Eaton Leonard Technologies Inc.).

[6]

BGHSt 25, 209.

[7]

Vgl Kegel/Schurig § 6 I 3.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 3 Verweisung

§ 3 Verweisung

Inhaltsverzeichnis

A. Anknüpfungskriterien

B. Renvoi (Rück- und Weiterverweisung)

C. Unteranknüpfung bei Mehrrechtssystemen

D. Intertemporale Kollisionen

E. Statutenwechsel und Anknüpfungszeitpunkt

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 3 Verweisung › A. Anknüpfungskriterien

A. Anknüpfungskriterien

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Anknüpfungskriterien oder Anknüpfungsmomente sind rechtliche Merkmale, die dem im Tatbestand einer Verweisungsnorm beschriebenen Sachverhalt anhaften und seinen Bezug zu einer Rechtsordnung beschreiben. Auf der Rechtsfolgenseite der Verweisungsnorm wird das durch das Anknüpfungskriterium bezeichnete Recht für anwendbar erklärt. Anknüpfungskriterien transportieren also ein Element des Sachverhalts in die Rechtsfolge der Verweisungsnorm. Wenn sich das Anknüpfungskriterium auf eine Eigenschaft einer Person bezieht, so ist diese das Anknüpfungssubjekt der Verweisungsnorm.

In Art. 7 Abs. 1 ist Anknüpfungskriterium die Staatsangehörigkeit, Anknüpfungssubjekt ist die dort genannte Person; Rechtsfolge ist die Anwendung des Rechts des Staates, dem die Person angehört.

In Art. 11 Abs. 1 gibt es kein Anknüpfungssubjekt, Anknüpfungsgegenstand ist das Rechtsgeschäft, Anknüpfungskriterium der Ort seiner Vornahme.

Art. 14 Abs. 1 enthält zwei Anknüpfungssubjekte, die, bezogen auf das Anknüpfungskriterium „Staatsangehörigkeit“, verschiedene Eigenschaften haben können, weshalb subsidiäre Anknüpfungskriterien erforderlich sind, da auf den Sachverhalt nicht zwei verschiedene Rechtsordnungen anwendbar sein können.

I. Staatsangehörigkeit (Personalstatut)

1. Bedeutung der Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium

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a) Die Staatsangehörigkeit ist seit Mancini in Kontinentaleuropa das wichtigste Anknüpfungskriterium für das Personalstatut. Dieser Begriff meint Rechtsangelegenheiten, die einen – oder mehrere – Beteiligte persönlich angehen. Die Staatsangehörigkeit wird überwiegend als rechtliche Eigenschaft verstanden, die eine Person einem bestimmten Staat zuordnet und diesem Staat gegenüber zum Träger von Rechten und Pflichten macht. Außerdem gewährt die Staatsangehörigkeit Schutzansprüche des Angehörigen gegen seinen Staat. Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung hat diese staatsrechtliche Seite der Staatsangehörigkeit nur geringe Bedeutung.

ZB schützte bisher Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF einen deutschen Ehegatten vor deutschen Familiengerichten[1] durch die Anwendung deutschen Scheidungsrechts vor der Unscheidbarkeit seiner Ehe; Art. 5 Abs. 1 S. 2 schützt den deutschen Mehrstaater davor, vor deutschen Gerichten kollisionsrechtlich als Ausländer behandelt zu werden.

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b) Für das IPR steht im Mittelpunkt die Wirkung der Staatsangehörigkeit als Indikator der Zugehörigkeit der Person zu einer Rechtsordnung. Da das Parteiinteresse des Beteiligten in persönlichen Angelegenheiten auf die Anwendung der Rechtsordnung gerichtet ist, in die er sich integriert fühlt, geht es darum, die Verbundenheit eines Menschen mit einer Rechtsordnung zu typisieren. Die Staatsangehörigkeit ist hierzu zwar noch das im deutschen und kontinentaleuropäischen IPR vorwiegende Kriterium, sie ist in dieser Funktion jedoch weder rechtsvergleichend einzigartig noch rechtspolitisch zweifelsfrei.

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c) Rechtsvergleichend ist feststellbar, dass nahezu alle Staaten des Common Law nicht in der Staatsangehörigkeit, sondern im domicile das maßgebliche Kriterium der Zugehörigkeit zu einer Rechtsordnung sehen. Das domicile (näher Rn 286) ist eine aus körperlicher Anwesenheit und Bleibewillen zusammengesetzte Rechtsfigur, die eine voluntativ-räumliche Beziehung zu einem Staat beschreibt, wenn auch eine erheblich stabilere als der gewöhnliche Aufenthalt oder gar der Wohnsitz. Es scheint daher falsch, das domicile solchen wechselhaften räumlichen Bindungen gleichzustellen; es steht vielmehr der Staatsangehörigkeit im Sinn bewusster Identifikation des Anknüpfungssubjekts mit einem Staat gleich.

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Andere Staaten (insbesondere in Skandinavien) stellen auch in persönlichen Angelegenheiten teilweise auf das Recht des Vornahmeortes eines Rechtsgeschäfts ab und erlauben daher dem Einzelnen eine flexiblere Anpassung an ein – auch nur kurzfristig gewähltes – Umgebungsrecht, was auch Manipulationen ermöglicht.

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Berühmtheit erlangten aus unterschiedlichen Gründen bestimmte Ehen, die in den 1960er und 70er Jahren in Schottland und in Dänemark (Tondern) geschlossen wurden. In beiden Rechtsordnungen werden die materiellen Ehevoraussetzungen nach dem Recht des Eheschließungsortes beurteilt, was zB 16-jährigen Deutschen (meist in Gretna Green, Schottland) ohne elterliche Einwilligung die Eheschließung ermöglichte. In Tondern (Dänemark) heirateten zahlreiche Italiener und Spanier, deren aus deutscher Sicht maßgebliches Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1 aF) damals die Scheidung nicht anerkannte, geschiedene Partner; der dänische Standesbeamte beurteilte die Frage des Ehehindernisses der Bigamie nach dänischem Recht, das eine – zB in Deutschland ausgesprochene – Scheidung als wirksam anerkennt.

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d) Die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Rückzug.[2] Zwar hat sich das deutsche IPR auch 1986 nicht von der Staatsangehörigkeit als Grundsatzanknüpfung abgekehrt; der Einbruch anderer Anknüpfungskriterien, insbesondere des gewöhnlichen Aufenthalts, in die Bestimmung des Personalstatuts ist jedoch unübersehbar.

Dies hat verschiedene äußere Gründe:

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aa) Seit das Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1956 und das Minderjährigenschutzabkommen für Eingriffe in das Sorgerecht und für den Kindesunterhalt vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip gewechselt sind, ist der gewöhnliche Aufenthalt im Bereich der Haager Übereinkommen zunehmend zum primären Anknüpfungskriterium geworden. Zunächst konnte man die Entscheidung für die Anwendung des Aufenthaltsrechts noch als isolierte Reaktion auf die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Kindes und damit auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung – ein höchst anerkennenswerter Grund – verstehen. Das Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1973 und ihm folgend, das Haager Unterhaltsprotokoll 2007, die auch für Unterhaltsansprüche Volljähriger gelten, machen aber deutlich, dass sich eine andere Sicht der Schwerpunktbestimmung durchgesetzt hat; das Staatsangehörigkeitsprinzip ist nur noch von nachrangiger Bedeutung (Art. 5 und – mittelbar – Art. 8 HUntStÜbk 1973), wird aber wohl zunehmend als wählbares Recht eine Rolle spielen (Art. 8 Abs. 1 lit. a HUntStProt 2007). Das Haager Kindesschutzübereinkommen verzichtet nun sogar auf eine Art. 3 MSA entsprechende Norm, da die Mitte des 20. Jahrhunderts noch veranlasste Rücksichtnahme auf das vielen Staaten selbstverständliche Staatsangehörigkeitsprinzip im Kindschaftsrecht heute nicht mehr nötig ist.

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