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Pummelland
Die Horde Ratten jaulte vor Freude auf.
"Wir sind großartig!", erschallte es durch die Gewölbe der Halle.
"Wir sind weise!", tönten die Ratten wie ein Echo.
"Wir sind das Böse!", fauchte die Königin.
Einige Minuten später marschierten die Blauen Ratten in Reih und Glied über die steinernen Stufen des Königsschlosses. Das Heer der blauen Untiere vernichtete alles, was sich ihm in den Weg stellte. Die vollkommen überraschten armen Pummelaner flohen entsetzt in alle Himmelsrichtungen. Sie versteckten sich in Kleiderschränken, unter Fensterbänken und sogar in den großen Kaminöffnungen im Palast. Aber alle diese Mühen waren vergeblich – die Ratten fanden sie dennoch überall. Bis zum Abend war bereits der größte Teil der Bewohner des Königreiches im Kerker des Königspalastes gefangen.
Nur im Schlafgemach der Prinzessin Pummelinchen passierte rein gar nichts. Dort war es ganz still. Die Prinzessin schlief und neben ihr schlummerte ihre treue Freundin Pummelette.
Kapitel 10
Die erste Begegnung
Der Kaminrost schepperte und eine große blaue Ratte schaute in die Kammer. Sie schnupperte, wackelte mit ihren Barthaaren und trippelte auf das Bett zu, in dem die kleine Prinzessin schlief. Wie auf ein Kommando öffnete Pummelinchen plötzlich ihre Augen. Die blaue Ratte starrte sie ohne zu Blinzeln mit ihren Untertassen-Augen an.
"Was für ein schrecklicher Traum", flüsterte Pummelinchen.
Die Ratte rannte auf das Bett zu und steckte ihre Schnauze in die Decke. Pummelinchen wollte schreien, aber es kam kein Ton aus ihrem Mund. Sie war vor Schreck wie versteinert und starrte auf die Ratte. Da bewegte sich unter der Decke plötzlich etwas. Einen Moment später kam das verschlafene Gesichtchen von Pummelette zum Vorschein. Sie lächelte die Prinzessin an, räkelte sich und erblickte im gleichen Augenblick direkt neben dem Bett die gewaltige blaue Ratte.
"A-A-A-A-A-H-H-H-H", erschallte ihr Schrei durch den gesamten Palast. Pummelette heulte wie die Sirene eines Krankenwagens, der gerade zu einem Notfall unterwegs war.
Die Ratte zuckte zusammen, zog den Schwanz ein und tauchte durch den Kaminrost ab. Die kleine Prinzessin fiel in Ohnmacht und die verschreckte Pummelette verschwand wieder unter der Decke.
Kapitel 11
Flucht aus dem Palast
Das Gemach der Prinzessin war in abendliches Dämmerlicht getaucht. Aus weitab gelegenen Sälen des Schlosses war Lärm zu vernehmen. Pummelette saß nachdenklich auf dem großen Bett der Prinzessin und hatte sich ein orangefarbenes Kissen unter den Kopf gelegt. Die Prinzessin schlief. Die blaue Ratte war weit und breit nicht zu sehen. "Was geht hier nur vor? Wo sind der König und die Hofdamen? Woher kommen bloß diese Ratten?", fragte sich Pummelette.
"Und wo ist nur die Kinderfrau geblieben?", empörte sie sich, warf die Decke zurück und sprang auf den Boden.
"Pummelette", lächelte die Prinzessin und öffnete die Augen, "Wo ist mein Vater? Ich fühle mich wieder ganz gesund. Ich habe so einen Hunger! Ruf sofort Fräulein Pummelmeier!"
"Die Kinderfrau ist weg", entgegnete Pummelette nachdenklich.
"Du wirst nicht glauben, was ich für einen merkwürdigen Traum hatte", fuhr die Prinzessin fort. Sie räkelte sich genüsslich und achtete überhaupt nicht auf ihre Worte.
"Das war kein Traum", klärte Pummelette sie auf, während sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich. Da öffnete die Tür sich unvermittelt und der vollkommen außer Atem geratene Pummelplatsch stürzte herein. Ihm folgte die durch und durch verängstigte Kinderfrau.
"Kleine Prinzessin – Gott sei dank seid Ihr am Leben!", lamentierte Fräulein Pummelmeier.
Pummelplatsch, der noch kein einziges Wort gesprochen hatte, rannte zum Bett und versuchte, hinauf zu klettern. Er war aber so klein und ungeschickt, dass es ihm nicht gelang und er zu Boden fiel. Die Wolldecke fiel auf ihn drauf.
"Ja, was ist denn nur passiert? Erklärt es mir doch endlich. Pummelplatsch! Hör bloß auf, Dich in meine Decke einzuwickeln!", verlangte die Prinzessin und plapperte dabei so schnell, dass man sie kaum verstand.
"Es ist schrecklich, sie sind überall, im ganzen Palast", schluchzte die Kinderfrau.
"Ja wer denn, wer denn nur?", ließ die Prinzessin keine Ruhe.
"Die Ratten", erwiderte Pummelette.
"Die Blauen Ratten", tönte die Kinderfrau wie ein Echo.
"Das heißt also, es war gar kein Traum", stellte die kleine Prinzessin niedergeschlagen fest.
"Wir müssen flüchten!", verkündete Pummelette und begann eifrig, der Prinzessin das Nachthemd vom Leib zu ziehen.
"Hör auf, Pummelette, ich kann mich selbst anziehen!", setzte Pummelinchen sich zur Wehr.
"Ja genau, wir müssen flüchten", stimmte auch die Kinderfrau zu, "Sie sind im ganzen Palast. Es sind Tausende. Sie marschieren in Reih und Glied und sperren jeden in den Kerker, sogar die Kinder! Ich konnte Pummelplatsch gerade noch retten. Wenn ich nicht Kopfschmerztabletten in der königlichen Apotheke hätte holen wollen, dann hätten ihn die Ratten gefunden. Schaut, wie er zittert."
Pummelplatsch zitterte wirklich wie Espenlaub. Nachdem sie ihn unter der Decke hervorgezogen hatten, klammerte er sich an der Hand der Kinderfrau fest und wich ihr keinen Schritt mehr von der Seite.
In der Kammer war es schon ziemlich dunkel. Fräulein Pummelmeier zündete eine Lampe an und trat als erste zur Tür heraus. Nach ihr, wie an ihr festgewachsen, trippelte Pummelplatsch. Die kleine Prinzessin und ihre treue Freundin Pummelette, beide in Mäntel gehüllt, folgten ihnen auf dem Fuß.
Nachdem sie die Palasttore wohlbehalten hinter sich gelassen hatten, strebten unsere Flüchtenden in den Wald. Hin und wieder stießen sie auf ebenso Vertriebene, wie sie es waren. Aber im Dunkeln wichen die Leute einander aus und so erkannte niemand die Prinzessin oder ihre Kinderfrau. Alle liefen tiefer in den Wald, um den unheimlichen Blauen Ratten zu entkommen.
Kapitel 12
Gefangene des Bösen
Die Palastkerker waren voll mit Menschen. Einige von ihnen saßen auf den kalten, feuchten Steinen, einige standen, an die Wand gelehnt. Man hörte Kindergeschrei und das verhaltene Schluchzen einiger Hofdamen. Die Pummelaner sahen einander nicht an. Sie schämten sich. Wie hatten sie nur zulassen können, dass eine Horde Ratten sie in diesen schrecklichen Kerker wirft? Wo war denn die Armee, auf die sie so stolz waren? Und wo war ihr weiser König, ihre Hoffnung und ihr Halt?
Der König war gleich nebenan. Er saß auf einem umgestülpten alten Eimer. Sein Mantel war mit Dreckspritzern übersät. Er unterschied sich in nichts vom Rest seiner Pummelanischen Untertanen. Seine Gedanken waren weit weg von diesem finsteren Kerker. Er hatte seine Kinder verloren, sein Königreich und er hatte sogar seine Krone eingebüßt.
"Durst, wir haben Durst", verlangten die älteren Gefangenen.
"Hunger, wir haben Hunger", schluchzten die Kinder.
"So unternehmt doch irgendwas", jammerten die Frauen.
Aber von woher sollte denn Hilfe kommen? Die gesamte Armee mit dem General an der Spitze sowie der König waren auch hier gefangen – in diesem Kellerloch. Die Blauen Ratten hatten gewonnen.
In der Tür flackerte ein Lichtschein. Auf der Schwelle stand die Königin der Blauen Ratten an der Spitze ihres Heeres. Es wurde ganz still. Alle starrten entsetzt auf das gewaltige schnurrbärtige Monster.
"Alle mal herhören!", befahl die Ratte, "Ihr alle seid erbärmliche, nichtsnutzige Menschlein. In Euren Herzen ist keine Liebe mehr. Eure Augen sind voller Hass. Ihr bringt Eure Lehrer um. Ihr seid Handlanger des Bösen. Und jetzt ist das Böse zu Euch gekommen. Wir hassen die Menschen. Wir sind das Böse, das aus Euren Herzen gewachsen ist. Wenn sich unter Euch einer findet, dessen Herz noch voller Liebe ist, könnt Ihr gerettet werden." Die Blaue Ratte ließ ihre tellergroßen schwarzen Augen durch das Gewölbe schweifen. Es schien, als ob sie sie auslachte. Mit hängenden Köpfen schwiegen die Pummelaner. Es gab nichts, das sie erwidern konnten. In ihren Herzen gab es keine Liebe mehr. Die Ratte sprach die Wahrheit.
"Dann ist über Euer Schicksal entschieden – möge es so sein!" Das eiserne Gitter schob sich krachend vor den Eingang. Nun war es klar – es gab niemanden, der sie retten konnte.
Kapitel 13
Verborgen im Wald
Die kleine Prinzessin und ihr Gefolge eilten auf einem schmalen Pfad voran und versuchten, sich unter den dichten Baumkronen zu verstecken. Im Wald war es dunkel. Der schwache Schein der Lampe erleuchtete gerade so den Weg. Von allen Seiten brachen die Geräusche des Waldes auf sie ein. Pummelplatsch, der sich immer noch an der Kinderfrau festklammerte, ließ ihre Hand immer noch nicht los.
"Bis Mitternacht werden wir es bis zur Hütte des Försters schaffen", schätzte Pummelette.
"Dort ist Herr Pummelkowski, der wird uns helfen", erwiderte, fröstelnd vor Kälte, Prinzessin Pummelinchen.
"Er muss uns helfen. Schließlich ist er sehr klug", stimmte auch die Kinderfrau zu.
"Diese widerlichen Ratten müssen verjagt und die Pummelaner befreit werden", entschied die kleine Prinzessin und hielt die Kapuze ihres Mantels fest.
Alle schwiegen zustimmend. Um Mitternacht erreichten sie tatsächlich eine große Lichtung. Die Försterhütte stand mitten darauf. Ihr einziges Fenster, nur wenige Schritte von den Flüchtenden entfernt, war schwach erleuchtet. Die Tür war nicht verschlossen. Nur eine Sekunde später stürzten Pummelinchen, Pummelette und die Kinderfrau, die Pummelplatsch nach sich zog, in die dunkle Hütte.
"Eure Hoheit, seid Ihr das?", hörte man eine bekannte Stimme aus dem Inneren und der Lehrer erschien zur Begrüßung der Prinzessin. Die Prinzessin ließ die Kapuze fallen und fing unvermittelt an zu weinen.
"Ist ja schon gut. Beruhigt Euch, Eure Hoheit", tröstete Herr Pummelkowski die Prinzessin und strich ihr über das Köpfchen, "Es gibt nichts Traurigeres als die Tränen einer kleinen Prinzessin."
Pummelinchen schluchzte weiter. Und dann fing plötzlich, für alle unerwartet, Pummelplatsch an zu heulen.
"Also nein, das hilft doch alles überhaupt nichts", entgegnete der Lehrer und wurde allmählich unruhig, "Erzählt endlich, was Euch passiert ist."
Pummelette und die Kinderfrau fingen gleichzeitig und einander ins Wort fallend an zu erzählen. Vor dem inneren Auge des Lehrers zog das Heer Blauer Ratten vorbei. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Nach dem Ende der Geschichte, ließen sich die Gäste auf einer alten Strohmatratze nieder. Nach einer Weile hörte man nur noch das Prasseln der Holzscheite im Herd und das friedliche Atmen schlafender Kinder. Herr Pummelkowski saß auf dem einzigen Stuhl. Mit dem Kopf in den Händen dachte er nach.
"Guter Rat kommt über Nacht", sprach er und wandte sich der Kinderfrau zu, "Mir ist da ein Gedanke gekommen. Aber erst mal lasst uns schlafen. Wir werden morgen all unsere Kräfte brauchen."
Kapitel 14
Die Liebe der kleinen Prinzessin
Am Morgen war es düster und regnerisch. Es schien fast so, als ob das Wetter auch gegen die Flüchtenden wäre. Die Tür zur Hütte öffnete sich knarrend und auf der Schwelle erschien ein langhaariger Jüngling. Er schaute flüchtig zur Prinzessin und wandte sich dann dem Lehrer zu:
"Sie haben mich gerufen, Maestro?"
"Darf ich vorstellen, Eure Hoheit", wandte sich Herr Pummelkowski an die Prinzessin, "Das ist Kalio, der Sohn des Försters und mein Schüler. Er spielt wunderbar Geige."
Kalio verneigte sich höflich vor der Prinzessin. Wie schön er war! Volle schwarze Locken umrandeten sein blasses Gesicht. Seine grauen Augen schauten klug und melancholisch drein. Die Prinzessin errötete und senkte ihren Blick, aus Angst, ihre Gedanken zu verraten.
Es war tatsächlich so, dass die kleine Prinzessin sich auf den ersten Blick in den Jüngling verliebt hatte. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, wie ein Vögelchen in Gefangenschaft. Keine Ahnung, wie lange sie noch wie erstarrt dagestanden hätte, wäre da nicht Pummelette gewesen, die ihr zuflüsterte:
"Oh, was für ein schöner Bursche! Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt."
"Kalio wird uns helfen", gab der Lehrer bekannt, "Er wird uns auf jeden Fall helfen. Er kann Geige spielen und hat ein reines Herz."
"Ich verstehe überhaupt nichts", hob die Kinderfrau an zu sprechen, "Was haben denn die Geige und ein reines Herz damit zu tun?"
"Nun ganz einfach, die Blauen Ratten können nur von jemandem besiegt werden, der ein reines Herz hat und die Zaubergeige spielen kann."
Herr Pummelkowski ging zum Herd und begann seine Erzählung.
Kapitel 15
Das Geheimnis der Zaubergeige
"Es gibt eine alte Legende, die folgendermaßen lautet", begann der Lehrer seine Geschichte mit ruhiger Stimme, "Eines Tages, wenn die Liebe aus den Herzen der Menschen verschwindet, werden riesengroße Blaue Ratten aus den Kellern aufsteigen und großes Leid wird über alle Einwohner Pummellands kommen. Bleigraue Wolken werden am Himmel aufziehen, die Vögel werden aufhören zu singen und die Blumen verwelken. Alle Menschen werden dann Gefangene des Bösen sein."
"Und wie kann man das Böse besiegen?", rief Pummelette erschrocken aus.
Herr Pummelkowski schaute seine Zuhörer eindringlich an:
"Das Böse zu besiegen, wird nur einem Menschen mit reinem Herzen gelingen. Ich glaube, dass Kalio dieser Mensch ist", fuhr der Lehrer fort, "In den alten Aufzeichnungen fand sich noch ein weiterer Hinweis. Dort wird ein junger Mann erwähnt, eine Zaubergeige und die Liebe. Nur die Liebe kann über das Böse siegen. Das Licht der Liebe erfüllt die Seele eines jeden Menschen. Die Blauen Ratten fürchten sich vor dem Licht. Die Blauen Ratten fürchten sich vor der Liebe."
"Aber wo finden wir bloß diese Zaubergeige?", fragte die Kinderfrau beunruhigt, "Die Ratten können jeden Augenblick im Wald auftauchen."
"Ja, wir müssen uns beeilen", stimmte der Lehrer zu, "Die Geige befindet sich in einer Höhle auf dem Gipfel des Berges. Der Weg dorthin ist voller Gefahren. Wir müssen dazu das Tal der Gespenster durchqueren."
"Das Tal der Gespenster!", flüsterte Pummelplatsch bange und ergriff erneut die Hand der Kinderfrau.
"Ach, Du ängstlicher kleiner Fettsack!", fiel Pummelette wütend über ihn her, "Wir lassen Dich hier, damit die Ratten ihre Freude an Dir haben!"
Pummelplatsch sagte kein Sterbenswörtchen mehr und schaute sie eingeschnappt an. Der pummelige Pummelplatsch hatte in den letzten Tagen vor lauter Aufregung abgenommen, so dass man ihn kaum noch erkannte. Pummelettes Ausbruch ihm gegenüber war also nicht gerechtfertigt gewesen.
"Wir werden alle gemeinsam aufbrechen", mischte sich der Lehrer ein. Zu der Kinderfrau gewandt fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort: "In den Herzen dieser kleinen Kinder ist überhaupt keine Liebe mehr übrig geblieben."
Kapitel 16
Das Tal der Gespenster
Das Tal der Gespenster befand sich auf halbem Wege zum Gipfel des Schwarzen Berges. Auf dem schmalen Fußweg konnte man nur hintereinander gehen. Pummelplatsch musste nun zu seinem Bedauern die Hand der Kinderfrau frei geben. Herr Pummelkowski drehte sich zu der merkwürdigen Wandertruppe um:
"Was auch immer passiert, kommt nicht vom Pfad ab!", forderte er eindringlich, "Derjenige, der vom Weg abkommt, wird sich augenblicklich in einen Haufen Steine verwandeln."
"Fürchtet Euch nicht vor den Gespenstern", fügte Kalio hinzu, "Sie können uns nichts antun. Die Geister wohnen in der Welt der Schatten und wenn ihnen langweilig wird, kommen sie in die unsrige. Sie können Kinder erschrecken oder zum Lachen bringen. Manchmal singen sie. Die Lieder der Gespenster sind gefährlich, weil sie die Menschen dazu bringen, den Sinn ihres Lebens zu vergessen. Hört nicht auf die Lieder der Gespenster und verlasst auf keinen Fall den Fußweg!"
"Schon viele haben versucht, die Zaubergeige zu finden", hob der Lehrer wieder an zu sprechen, "Aber alle sind in diesem Tal geblieben."
Er wies mit der Hand in die Ferne. Vor den Augen der kleinen Wanderer lag ein bezauberndes Bild. Steinformationen erstreckten sich in den bleigrauen Himmel. Sie sahen fast aus wie menschliche Skulpturen. Ein silberner Schein umgab jede der Figuren. Roter Mondschein fiel durch bedrohlich wirkende Wolken. Es war kalt und unangenehm. Nebelschwaden waberten immer wieder den Boden entlang. Es sah aus, als ob die Flüchtenden direkt über Wolken laufen würden. Die Prinzessin zog die Schultern fröstelnd hoch und wickelte sich enger in ihren Mantel ein.
"Der Weg ist ganz vom Nebel bedeckt", war wieder die beunruhigte Stimme des Lehrers zu hören.
"Ich kenne den Weg", erwiderte Kalio, "Haltet Euch aneinander fest. Dieses Tal erscheint nur so groß. Folgt mir."
Pummelette schmiegte sich an Prinzessin Pummelinchen. Hinter ihr schnaufte Pummelplatsch, der sich am Gürtel festhielt. Die Prozession bewegte sich langsam in das Tal hinab. Die ständig vor sich hin brabbelnde Kinderfrau bildete ihren Abschluss.
Kapitel 17
Die Begegnung mit den Gespenstern
Nach und nach gewöhnten sich die Augen der Kinder an das komische Licht im Tal. Gespenster waren nirgendwo zu sehen, obwohl die Kinder nach allen Seiten Ausschau hielten und sich die Steinformationen genau anschauten. Auf einmal ertönte eine Art Pfeifen und danach eine leise, bezaubernde Melodie.
"Haltet Euch die Ohren zu!", warnte der Lehrer.
Die Prozession stoppte. Die Kinder bedeckten ihre Ohren mit den Händen und schauten sich langsam um. Wie aus dem Nichts erschienen plötzlich direkt vor ihnen Meerjungfrauen in der Luft, die sich an den Händen hielten, im Kreis tanzten und wundervolle Laute von sich gaben. Ihre Kleidung bestand aus Schuppen und schillerte im rötlichen Mondlicht. Grüne Algen umrahmten ihre weißen Gesichter. Ihre langen Fischschwänze verloren sich in den Nebelschwaden.
Plötzlich lachte Pummelplatsch laut auf. Eine Meerjungfrau hatte den Knirps umschlungen und hochgehoben. Die kurzen Beinchen des kleinen Jungen baumelten in der Luft.
"Stopp!", rief die Kinderfrau und griff nach den über ihr schwebenden Schuhen Pummelplatschs. Nach der Kinderfrau schrieen auch Pummelette und die kleine Prinzessin. Erschrocken von dem plötzlichen Geschrei, zuckte die Meerjungfrau zusammen und ließ Pummelplatsch fallen, der direkt auf Fräulein Pummelmeier landete.
Und dann geschah das große Unglück. Die Kinderfrau verlor das Gleichgewicht und geriet vom Weg ab. Im selben Augenblick verwandelte sie sich in eine Statue aus Stein. Das alte Fräulein Pummelmeier sah nun genauso aus wie die anderen Steinbrocken, die entlang des Weges standen. Die Wanderer blieben wie erstarrt stehen und rührten sich vor lauter Angst nicht mehr.
"Fräulein Pummelmeier, meine Kinderfrau!", weinte die Prinzessin.
Der Lehrer seufzte traurig und wies auf den Gipfel des Schwarzen Berges. Sie mussten weiter marschieren. Sie mussten die Zaubergeige finden und die Einwohner Pummellands retten.
Die Meerjungfrauen verschwanden so plötzlich wie sie aufgetaucht waren. Aber unsere Freunde waren keine zwei Schritte gelaufen, als sie erneut auf weitere Einwohner des Tales trafen. Es waren Schlossgespenster, mit einer Meute gewaltiger Hunde im Schlepptau. Über den Köpfen der Flüchtenden kreisten Fledermäuse in Schwärmen. Aber weder die Prinzessin noch ihre treue Freundin Pummelette schauten weiter um sich.
"Immer auf dem Weg bleiben, immer schön auf dem Weg bleiben", flüsterte die kleine Prinzessin.
Nach und nach nahm ihre Angst ab. An der Spitze marschierte mit festem, sicherem Schritt der der schöne Kalio. Schon bei dem Gedanken an den Tod ihrer Kinderfrau traten Prinzessin Pummelinchen die Tränen in die Augen. Die Gespenster kreisten um die Kinder. Sie riefen, kreischten, schlugen mit den Flügeln und sangen ihre seltsamen Lieder – in der Hoffnung, damit die Gefährten vom Weg abzubringen. Aber da waren der Lehrer Pummelkowski, die treue Freundin Pummelette, der ungeschickte Pummelplatsch und natürlich er, der liebe, nette Kalio. In diesem Augenblick wurde der Prinzessin klar, dass sie alle Widrigkeiten überkommen und den König und die Pummelaner befreien würden.
Kapitel 18
Die Höhle der alten Hexe
Die alte Hexe Pummelante wartete auf ihren Besuch. Eine große Glaskugel, die von der Höhlendecke baumelte und aussah wie eine kleine Sonne, hatte ihn ihr schon lange vorher angekündigt. Die Kugel schwang in der Luft hin und her, mal von der Hexe weg, mal auf sie zu.
"Ich sehe schon, ich sehe schon", begann die Alte mit ihren Händen vor der Kugel zu gestikulieren, "Was zum Teufel wollen ungebetene Gäste hier? Wegen der Geige werden sie wohl kommen. Soll ich sie ihnen geben? Ach was, da könnt Ihr lange warten!"
Die Alte fing die pendelnde Kugel ein und begann, aufmerksam in sie hineinzuschauen.
"Da sieh mal einer an! Was für ein sympathisches Mädchen. Das muss die Prinzessin sein", redete die Hexe mit sich selbst, als sie Pummelinchen sah.
Eigentlich war sie eine gute Hexe und noch dazu sehr einsam. Sie unterhielt sich gerne mit Menschen. Da sie aber niemanden hatte, mit dem sie plaudern konnte, führte sie häufig Selbstgespräche.
"Und wer schreitet da an der Spitze voran? Ist das etwa Kalio?", regte sich die Alte auf, "Natürlich ist es Kalio, der Holzkopf, er würde auch das ganze Dorf mit hierher bringen."
Die alte Hexe wusste nicht, ob sie sich über den Besuch des unvernünftigen Burschen freuen oder sich über ihn ärgern sollte. Vor langer Zeit hatte Pummelante Mitleid mit dem kleinen Kalio und rettete ihn vor einer wütenden Bärin. Seither besuchte er die Alte regelmäßig. Zuerst war sie verärgert darüber, aber dann gewöhnte sie sich daran und gewann den Kleinen sogar lieb. Eines Tages zeigte sie ihm die Zaubergeige. Und von diesem Tag an hatte Kalio keine Ruhe mehr – er musste unbedingt das Geigenspiel erlernen. Und weil er beim Lernen sehr fleißig war, gelang ihm dies sehr schnell.
Kalio kam jeden Tag zur Hexe und sie reichte ihm die wertvolle Geige. Und sobald er anfing zu spielen, gingen merkwürdige Veränderungen mit der Alten vor. Sie brach in Tränen aus, strich Kalio über den Kopf und wurde so gutherzig, dass die Schlangen, Skorpione und sonstiges Ungeziefer in ihrer Höhle nach dem ersten Konzert des talentierten Jünglings flugs das Weite suchten.
"Kalio, es ist tatsächlich Kalio", empörte sich die Hexe erneut und ging zum Höhleneingang.
Die Prozession kam langsam näher. Die Wanderer schauten ängstlich zu der alten Hexe, wie sie am Eingang ihrer Höhle stand.
Kapitel 19
Aufklärung der Verhältnisse
Kalio hatte keine Angst vor der alten Hexe. In all den Jahren, die er sie kannte, hatte sie ihm nie etwas zuleide getan. Aber jetzt, als er ihren finsteren Blick und die böse funkelnden Augen bemerkte, verlangsamte er seinen Schritt.
"Sie mal einer an, ist das, wie Du Dich bei mir für meine Güte bedankst?", warf ihm die Alte vorwurfsvoll entgegen, "Ich wusste doch, dass man den Menschen nicht vertrauen darf, ich wusste es. Warum hast Du sie hierher gebracht?", zischte sie ihn zornig an und lief vor dem Höhleneingang auf und ab.
Unsere Wanderer waren sehr müde. Angst hatte sie die vergangenen Tage verfolgt. Erst die unheimlichen Blauen Ratten, dann die Geister aus dem Tal der Gespenster. Und jetzt erschien auch noch eine aufgebrachte Hexe – das verhieß nichts Gutes.
"Schau mich nicht so an", fuhr Pummelante die Prinzessin an.
"Helft uns, bitte helft uns", flehte die kleine Prinzessin.
"Die Blauen Ratten werden bald hier sein. Pummelland ist in Gefahr", fügte der Lehrer hinzu, während er einen Schritt nach vorn ging und sich vor die Kinder stellte.
"Ratten? Schon wieder diese ekelhaften Ratten", verzog die Alte das Gesicht und machte langsam den Höhleneingang frei.
Sie mochte Ratten überhaupt nicht. Und ihre Freunde – die Schlangen, Skorpione und Fledermäuse – hatten schlichtweg Angst vor ihnen.
"Ich hasse die Ratten", brummte die Hexe, "Besonders ihre Königin, diese glotzäugige, schnurrbärtige Angeberin. An allem sind nur die Menschen schuld! Die Blauen Ratten verkörpern das Böse. Sie tauchen dort auf, wo das Gute verschwunden ist. Sie erobern neue Länder und führen dort ihre Ordnung ein. Sie sind schlimmer als die Pest, weil man sie nicht besiegen kann!"