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Winnetou 2
Winnetou 2
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Winnetou 2

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»Hund, verstehst du mich? Antwort will ich haben!« schrie ihn der Andere jetzt in offenbarer Wut an, indem er ihm die Faust auf die Achsel legte.

Da richtete sich die geschmeidige Gestalt des Indianers blitzschnell in die Höhe.

»Zurück!« rief er in befehlendem Tone. »Ich dulde nicht, daß ein Cojote mich anheult.«

Cojote wird der feige Prairiewolf genannt, der allgemein als ein verächtliches Tier angesehen wird. Die Indianer bedienen sich dieses Schimpfwortes, sobald sie jemandem ihre höchste Geringschätzung ausdrücken wollen.

»Ein Cojote?« rief der Rowdy. »Das ist eine Beleidigung, für welche ich dir zur Ader lassen werde, und zwar augenblicklich!«

Er zog seinen Revolver. Da aber geschah etwas, was er nicht erwartet hatte: Der Apache schlug ihm die Waffe aus der Hand, faßte ihn an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn gegen das Fenster, welches natürlich in Stücke und Scherben ging und mit ihm hinaus auf die Straße flog.

Das war viel schneller geschehen, als man es erzählen kann. Das Klirren des Fensters, das Heulen der Hunde, das zornige Aufbrüllen der Genossen des auf diese Weise an die Luft Beförderten, das alles verursachte einen Heidenskandal, welcher aber von Winnetous Stimme übertönt wurde. Er trat auf die Burschen zu, deutete mit der Hand nach dem Fenster und rief:

»Will noch einer von euch dort hinaus? Er mag es sagen!«

Er war einem der Hunde zu nahe gekommen. Dieser fuhr nach ihm, erhielt aber von dem Apachen einen Fußtritt, daß er sich winselnd unter den Tisch verkroch. Die Sklavenaufseher wichen scheu zurück und schwiegen. Winnetou hielt keine Waffe in der Hand. Seine Persönlichkeit allein war es, welche allen imponierte. Keiner der Angegriffenen antwortete. Der Indianer glich einem Tierbändiger, wenn er in den Käfig tritt und die Wildheit der Katzen mit dem Blick seines Auges niederhält.

Da wurde die Türe aufgerissen, und der durch das Fenster Geworfene, dessen Gesicht durch die Scherben des Glases leicht beschädigt worden war, trat herein. Er hatte das Messer gezogen und sprang unter einem wütenden Schrei auf Winnetou los. Dieser machte nur eine kleine Seitenbewegung und packte mit schnellem Griffe die Hand, welche das Messer hielt. Dann faßte er ihn grad so wie vorhin bei den Hüften, hob ihn empor und schmetterte ihn auf den Boden, wo der Rowdy besinnungs- und bewegungslos liegen blieb. Keiner der Gefährten des letzteren machte Miene, sich an dem Sieger zu vergreifen. Dieser griff so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, nach seinem Biere und trank es aus. Dann winkte er dem Wirt, welcher sich angstvoll nach der in sein Kabinett führenden Türe zurückgezogen hatte, zu sich, nahm einen Lederbeutel aus dem Gürtel und legte ihm aus demselben einen kleinen gelben Gegenstand in die Hand, dabei sagend:

»Nehmt das für das Bier und für das Fenster, Master Landlord! Ihr seht, daß der »Wilde« seine Schuld bezahlt. Hoffentlich erhaltet Ihr auch von den Zivilisierten Euer Geld. Sie wollen keine »Rothaut« bei sich dulden. Winnetou, der Häuptling der Apachen, aber geht nicht, weil er sich vor ihnen fürchtet, sondern weil er erkannt hat, daß nur die Haut, nicht aber die Seele dieser Bleichgesichter von heller Farbe ist. Es gefällt ihm nicht bei ihnen.«

Er verließ das Lokal, nachdem er seine Silberbüchse ergriffen hatte, ohne noch irgend wem auch nur einen Blick zuzuwerfen; auch mich sah er nicht an.

Jetzt kam wieder Leben in die Rowdies. Ihre Neugierde aber schien größer zu sein als ihr Zorn, ihre Beschämung und auch ihre Sorge um den bewußtlosen Gefährten. Sie fragten vor allen Dingen den Wirt, was er erhalten habe.

»Ein Nugget,« antwortete er, indem er ihnen das über haselnußgroße Stück gediegenen Goldes zeigte. »Ein Nugget, welches wenigstens zwölf Dollars wert ist. Da ist das Fenster reichlich bezahlt; es war alt und morsch und hatte mehrere Sprünge in den Scheiben. Er schien den ganzen Beutel voll solcher Nuggets zu haben.«

Die Rowdies äußerten ihren Ärger darüber, daß eine Rothaut sich im Besitze einer solchen Menge Goldes befinde. Das Goldstück ging von Hand zu Hand und wurde nach seinem Werte abgeschätzt. Wir benutzten die Gelegenheit, um unsere Zeche zu bezahlen und uns zu entfernen.

»Nun, was sagt Ihr zu dem Apachen, Master?« fragte mich Old Death, als wir uns glücklich draußen befanden. »Kann es einen zweiten solchen Indsman geben? Die Schurken wichen vor ihm zurück, wie die Sperlinge beim Anblicke eines Falken. Wie schade, daß ich ihn nicht mehr sehe! Wir hätten ihm ein wenig nachgehen können, denn ich möchte gar zu gern wissen, was er hier treibt, ob er außerhalb der Stadt lagert oder in einem Gasthause sich niedergelassen hat. Er muß sein Pferd irgendwo eingestellt haben, denn ohne Roß ist nie ein Apache und auch Winnetou nicht zu denken. Übrigens, Sir, habt auch Ihr Eure Sache gar nicht übel gemacht. Beinahe wäre mir Angst geworden, denn es ist immer gefährlich, mit solchen Leuten anzubinden; aber die kühne und gewandte Art, mit welcher Ihr die Hundebestie bedientet, läßt vermuten, daß Ihr nicht allzu lange Zeit ein Greenhorn bleiben werdet. Aber nun sind wir in der Nähe unseres Logementes angekommen. Gehen wir hinein? Ich denke nicht. Ein alter Trapper wie ich klemmt sich nicht gern zwischen Mauern ein, und ich habe am liebsten den freien Himmel über mir. Laufen wir also noch ein wenig in diesem schönen Matagorda umher. Ich wüßte nicht, wie wir die Zeit anders totschlagen wollten. Oder liebt Ihr es vielleicht, ein Spielchen zu machen?«

»Nein. Ich bin kein Spieler und habe auch nicht die Absicht, einer zu werden.«

»Recht so, junger Mann! Hier aber spielt fast jedermann, und nach Mexiko hinein wird es noch viel schlimmer; da spielt Mann und Weib, Katze und Maus, und die Messer sitzen nicht sehr fest. Erfreuen wir uns an einem Spaziergange! Dann essen wir und legen uns beizeiten auf das Ohr. In diesem gesegneten Lande weiß man ja niemals, ob, wie oder wo man sich des andern Abends zur Ruhe legen kann.«

»So schlimm wird es doch wohl nicht sein!«

»Ihr dürft nicht vergessen, Sir, daß Ihr Euch in Texas befindet, dessen Verhältnisse noch bei weitem nicht geordnet sind. Wir haben zum Beispiel vor, nach Austin zu gehen. Es ist aber sehr fraglich, ob wir dorthin kommen. Die Ereignisse in Mexiko haben ihre Wogen auch über den Rio grande herübergewälzt. Da geschieht manches, was sich sonst nicht zu ereignen pflegt, und überdies haben wir mit den Einfällen dieses Gibson zu rechnen. Wenn es ihm in den Sinn gekommen ist, die Fahrt nach Austin zu unterbrechen und irgendwo auszusteigen, sind wir natürlich gezwungen, dasselbe zu tun.«

»Aber wie erfahren wir, ob er von Bord gegangen ist?«

»Durch Nachfrage. Der Dampfer nimmt sich hier auf dem Colorado Zeit. Man hastet noch nicht so wie auf dem Mississippi und anderwärts. Es bleibt uns an jedem Orte ein kleines Viertelstündchen übrig, unsere Nachforschungen zu halten. Wir können uns sogar darauf gefaßt machen, irgendwo an das Land gehen zu müssen, wo es weder Stadt noch irgend ein Hotel gibt, in welchem wir uns pflegen können.«

»Aber was geschieht in diesem Falle mit meinem Koffer?« Er lachte laut auf bei meiner Frage.

»Koffer, Koffer!« rief er. »Einen Koffer mitzunehmen, das ist noch ein Rest längst vergangener vorsintflutlicher Verhältnisse. Welcher vernünftige Mensch schleppt ein solches Gepäckstück mit sich! Wenn ich alles, was ich jemals während meiner Reisen und Wanderungen gebrauchte, hätte mitnehmen wollen, so wäre ich niemals weit gekommen. Nehmt mit, was für den Augenblick notwendig ist; alles übrige kauft Ihr Euch zu seiner Zeit. Was habt Ihr denn in Eurem alten Kasten für wichtige Dinge?«

»Kleider, Wäsche, Toilettengegenstände, Verkleidungsstücke und so weiter.«

»Das sind alles ganz schöne Sachen, die man aber überall haben kann. Und wo sie nicht zu haben sind, da ist eben kein Bedürfnis dafür vorhanden. Man trägt ein Hemde, bis man es nicht mehr braucht, und kauft sich dann ein neues. Toilettensachen? Nehmt es nicht übel, Sir, aber Haar- und Nagelbürsten, Pomaden, Bartwichse und dergleichen schänden bloß den Mann. Verkleidungsgegenstände? Die mögen da, wo Ihr jetzt gewesen seid, ihre Dienste leisten, hier aber nicht mehr. Hier braucht Ihr Euch nicht hinter einer falschen Haartour zu verstecken. Solch romantischer Unsinn führt Euch nicht zum Ziele. Hier heißt es, frisch zugreifen, sobald Ihr Euern Gibson findet. Und –«

Er blieb stehen, betrachtete mich von oben bis unten, zog eine lustige Grimasse und fuhr dann fort:

»So, wie Ihr hier vor mir steht, könnt Ihr im Zimmer der anspruchvollsten Lady oder im Parkett irgend eines Theaters erscheinen. Texas aber hat mit einem Boudoir oder einer Theaterloge nicht die mindeste Aehnlichkeit. Leicht kann es geschehen, daß bereits nach zwei oder drei Tagen Euer feiner Anzug in Fetzen um Euch hängt und Euer schöner Zylinderhut die Gestalt einer Ziehharmonika erhalten hat. Wißt Ihr denn, wohin Gibson sich wenden wird? In Texas zu bleiben, kann unmöglich seine Absicht sein; er will verschwinden und muß also die Grenze der Vereinigten Staaten hinter sich haben. Daß er die Richtung hierher eingeschlagen hat, macht es über allen Zweifel erhaben, daß er nach Mexiko will. Er kann in den Wirren dieses Landes untertauchen, und kein Mensch, auch keine Polizei wird Euch helfen, ihn empor zu ziehen.«

»Vielleicht habt Ihr recht. Ich denke aber, wenn er wirklich nach Mexiko wollte, so würde er direkt nach einem dortigen Hafen gegangen sein.«

»Unsinn! Er hat New Orleans so schnell verlassen müssen, daß er sich des ersten abfahrenden Schiffes bedienen mußte. Ferner befinden sich die mexikanischen Häfen im Besitze der Franzosen. Wißt Ihr denn, ob er von diesen etwas wissen will? Er hat keine Wahl; er muß den Landweg einschlagen und ist jedenfalls klug genug, sich an den größeren Orten nicht allzuviel sehen zu lassen, So ist es möglich, daß er auch Austin vermeidet und bereits vorher ausgestiegen ist. Er geht nach dem Rio grande, zu Pferde natürlich, durch wenig angebautes Land. Wollt Ihr ihm dorthin mit Eurem Koffer, Eurem Zylinderhut und in diesem eleganten Anzuge folgen? Wenn das Eure Absicht wäre, so müßte ich Euch auslachen.«

Ich wußte natürlich, daß er recht hatte, machte mir aber den Spaß, kläglich an meinem guten Anzuge niederzusehen. Da klopfte er mir lachend auf die Schulter und sagte:

»Laßt es Euch nicht leid tun; trennt Euch getrost von diesem unpraktischen Anzuge. Geht hier zu einem Händler, um all Euern unnützen Krimskrams zu verkaufen, und schafft Euch dafür andere Kleider an. Ihr müßt unbedingt einen festen, dauerhaften Trapperanzug haben. Ich kalkuliere, daß man Euch mit genug Geld versehen hat?« Ich nickte. »Nun, so ist ja alles recht. Weg also mit dem Schwindel! Ihr könnt doch reiten und schießen?« Ich bejahte. »Ein Pferd müßt Ihr auch haben, aber hier an der Küste kauft man sich keins. Hier sind die Tiere teuer und schlecht. Drin im Lande aber läßt Euch jeder Farmer eins ab, doch nicht auch einen Sattel dazu. Den müßt Ihr hier kaufen.«

»O weh! Soll ich etwa so laufen wie Ihr, mit dem Sattel auf dem Rücken?«

»Ja. Warum nicht? Geniert Ihr Euch etwa vor den Leuten?

Wen geht es etwas an, daß ich einen Sattel trage? Keinen Menschen! Wenn es mir beliebt, so schleppe ich ein Sofa mit mir herum, um mich in der Prairie oder im Urwalde gelegentlich darauf ausruhen zu können. Wer da über mich lacht, dem gebe ich einen Nasenstüber, daß ihm alle möglichen Fixsterne vor den Augen funkeln. Man hat sich nur dann zu schämen, wenn man ein Unrecht oder eine Albernheit begeht. Gesetzt, Gibson ist mit William irgendwo ausgestiegen, hat Pferde gekauft und ist davongeritten, so sollt Ihr sehen, wie vorteilhaft es für Euch ist, sofort einen Sattel zur Hand zu haben. Tut, was Ihr wollt. Wenn Ihr aber wirklich wünscht, daß ich bei Euch bleibe, so folgt meinem Rate. Entscheidet Euch also schnell!«

Er sagte das, ohne aber meine Entscheidung abzuwarten, faßte mich vielmehr am Arme, drehte mich um, deutete auf ein Haus mit einem großen Laden, über welchem in ellenhohen Buchstaben zu lesen war: » Store for all things«, und zog mich fort nach dem Eingang, gab mir einen Stoß, daß ich in den Laden und an ein offenstehendes Heringsfaß schoß, und schob sich dann schmunzelnd hinterdrein.

Die Firmenschrift enthielt keine Lüge. Der Laden war sehr groß und enthielt wirklich alles, was man unter den hiesigen Verhältnissen nötig haben konnte, sogar Sättel und Gewehre.

Die nun folgende Szene war einzig in ihrer Art. Ich glich geradezu einem Schulbuben, welcher mit seinem Vater vor der Jahrmarktsbude steht, seine Wünsche nur unter Zagen äußern darf und vielmehr das nehmen muß, was der erfahrene Vater für ihn aussucht. Old Death stellte gleich anfangs die Bedingung, daß der Besitzer des Ladens meinen gegenwärtigen Anzug und auch den ganzen Inhalt meines Koffers mit an Zahlungsstatt anzunehmen habe. Der Mann ging gern darauf ein und schickte sofort seinen Storekeeper fort, den Koffer zu holen. Als derselbe ankam, wurden meine Sachen taxiert, und nun begann Old Death, für mich auszusuchen. Ich erhielt: eine schwarze Lederhose, ein Paar hohe Stiefel, natürlich mit Sporen, ein rotwollenes Leibhemd, eine Weste von derselben Farbe mit unzähligen Taschen, ein schwarzwollenes Halstuch, einen hirschledernen Jagdrock, ungefärbt, einen ledernen Gürtel, zwei Hände breit und innen natürlich hohl, Kugelbeutel, Tabaksblase, Tabakspfeife, Kompaß und zwanzig andere notwendige Kleinigkeiten, Fußlappen anstatt der Strümpfe, einen riesigen Sombrero, eine wollene Decke mit einem Schlitze in der Mitte, um den Kopf hindurch zu stecken, einen Lasso, Pulverhorn, Feuerzeug, Bowiemesser, Sattel mit Taschen und Zaumzeug. Dann ging es zu den Gewehren. Old Death war kein Freund von Neuerungen. Er schob alles, was neueren Datums war, beiseite und griff nach einer alten Rifle, die ich jedenfalls gar nicht beachtet hätte. Nachdem er sie mit der Miene eines Kenners untersucht hatte, lud er sie, trat vor den Laden hinaus und schoß nach der Giebelverzierung eines sehr entfernten Hauses. Die Kugel saß.

»Well!« nickte er befriedigt. »Die wird‘s tun. Dieses Schießeisen hat sich in famosen Händen befunden und ist mehr wert als aller Krimskrams, den man jetzt mit dem Namen Büchse beehrt. Ich kalkuliere, daß dieses Gewehr von einem sehr tüchtigen Meister angefertigt worden ist, und will hoffen, daß Ihr ihm Ehre macht. Nun noch eine Kugelform dazu. Dann sind wir fertig. Blei können wir hier auch haben; so gehen wir nach Hause und gießen einen Kugelvorrat, vor welchem die da drüben in Mexiko erschrecken sollen.«

Nachdem ich mir noch einige Kleinigkeiten, wie Taschentücher u. s. w., welche Old Death natürlich für ganz überflüssig hielt, ausgesucht hatte, mußte ich in einen kleinen Nebenraum treten, um mich umzuziehen. Als ich in den Laden zurückkehrte, betrachtete der Alte mich wohlgefällig.

Im stillen hatte ich mich der Hoffnung hingegeben, daß er den Sattel tragen werde; aber das fiel ihm gar nicht ein; er packte mir die Geschichte auf und schob mich hinaus.

»So!« schmunzelte er draußen. »Jetzt seht einmal, ob Ihr Euch wirklich zu schämen habt! jeder verständige Mensch wird Euch für einen sehr vernünftigen Gentleman halten, und was die unverständige Welt sagt, das geht Euch den Teufel an.«

Jetzt hatte ich nichts mehr vor Old Death voraus und mußte mein Joch geduldig nach dem Gasthofe schleppen, während er stolz nebenher schritt und es ihm jedenfalls heimlichen Spaß machte, mich als meinen eignen Packträger in Tätigkeit zu sehen.

Als wir im »Hotel« ankamen, legte er sich nieder; ich aber ging, um nach Winnetou zu suchen. Es läßt sich denken, wie entzückt ich über dieses Wiedersehen war. Es hatte meiner ganzen Selbstbeherrschung bedurft, ihm nicht um den Hals zu fallen. Wie kam er nach Matagorda, und was wollte er hier? Warum hatte er so getan, als ob er mich gar nicht kenne? Das mußte einen Grund haben; aber welchen?

Er hatte jedenfalls ebenso die Absicht, mit mir zu sprechen, wie ich mich sehnte, mit ihm reden zu können. Wahrscheinlich wartete er irgendwo auf mich. Da ich seine Art und Weise kannte, war es mir nicht schwer, ihn zu finden. Er hatte uns gewiß beobachtet und in das Hotel gehen sehen und war also in der Nähe desselben zu suchen, Ich ging nach der hintern Seite des Hauses, welche an das freie Feld stieß. Richtig! Ich sah ihn in der Entfernung von einigen hundert Schritten an einem Baume lehnen. Als er mich bemerkte, verließ er seinen Standort und ging langsam dem Walde zu; ich folgte ihm natürlich. Unter den Bäumen, wo er auf mich wartete, kam er mir mit freudestrahlendem Gesicht entgegen und rief:

»Scharlieh, mein lieber, lieber Bruder! Welche Freude hat dein unverhoffter Anblick meinem Herzen bereitet! So freut sich der Morgen, wenn nach der Nacht die Sonne erscheint!«

Er zog mich an sich und küßte mich. Ich antwortete:

»Der Morgen weiß, daß die Sonne kommen muß; wir aber konnten nicht ahnen, daß wir einander hier sehen würden. Wie glücklich bin ich, deine Stimme wieder zu hören!«

»Was führt deinen Fuß in diese Stadt? Hast du hier zu tun, oder bist du in Matagorda gelandet, um von da aus zu uns nach dem Rio Pecos zu gehen?«

»Ich habe eine Aufgabe zu lösen, welche mich hierher führte.«

»Darf mein weißer Bruder mir diese Aufgabe sagen? Wird er mir erzählen, wo er sich befunden hat, seit wir droben am Red River voneinander schieden?«

Er zog mich ein Stückchen tiefer in den Wald hinein, wo wir uns niedersetzten. Hand in Hand an seiner Seite, erzählte ich ihm meine Erlebnisse. Als ich zu Ende war, nickte er ernst vor sich hin und sagte:

»Wir haben den Pfad des Feuerrosses vermessen, damit du das Geld bekommen solltest; der Hurrikan hat es dir wieder genommen. Wolltest du bei den Kriegern der Apachen bleiben, die dich lieben, so würdest du des Geldes nie bedürfen. Du tatest klug, nicht nach St. Louis zu gehen und bei Henry auf mich zu warten, denn ich wäre nicht gekommen.«

»Hat mein Bruder den Mörder Santer ergriffen?«

»Nein. Der böse Geist hat ihn beschützt, und der große, gute Manitou ließ es geschehen, daß er mir entkam. Er ist zu den Soldaten der Südstaaten gegangen, wo er unter so vielen Tausenden mir entschwand. Aber mein Auge wird ihn wiedersehen, und dann entkommt er mir nicht! Ich kehrte nach dem Rio Pecos zurück, ohne ihn bestraft zu haben. Unsere Krieger haben während des ganzen Winters den Tod Intschu tschunas und meiner Schwester betrauert. Dann mußte ich viele und weite Ritte Machen, um die Stämme der Apachen zu besuchen und sie von übereilten Schritten abzuhalten, denn sie wollten nach Mexiko, um sich an den dortigen Kämpfen zu beteiligen. Hat mein Bruder von Juarez, dem roten Präsidenten, gehört?«

»Ja.«

»Wer hat recht, er oder Napoleon?«

»Juarez.«

»Mein Bruder denkt grad so wie ich. Ich bitte dich, mich nicht zu fragen, was ich hier in Matagorda tue! Ich muß es selbst gegen dich verschweigen, denn ich habe das Juarez versprochen, den ich in EI Paso del Norte traf. Du wirst, obgleich du mich hier getroffen hast, den beiden Bleichgesichtern folgen, welche du suchst?«

»Ich bin dazu gezwungen. Wie würde ich mich freuen, wenn du mich begleiten könntest! Ist dir das nicht möglich?«

»Nein. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, welche ebenso groß ist wie die deinige. Heut muß ich noch bleiben; aber morgen fahre ich mit dem Schiffe nach La Grange, von wo aus ich über Fort Inge nach dein Rio Grande del Norte muß.«

»Wir fahren mit demselben Schiffe, nur weiß ich nicht, wie weit. Wir werden also morgen noch beieinander sein.«

»Nein.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil ich meinen Bruder nicht in meine Sache verwickeln möchte; darum habe ich vorhin getan, als ob ich dich nicht kenne. Auch wegen Old Death habe ich nicht mit dir gesprochen.«

»Warum wegen ihm?«

»Weiß er, daß du Old Shatterhand bist?«

»Nein. Dieser Name ist zwischen uns gar nicht gefallen.«

»Er kennt ihn dennoch ganz gewiß. Du bist bisher im Osten gewesen und weißt also nicht, wie oft im Westen von dir gesprochen wird. Old Death hat sicher auch von Old Shatterhand gehört; dich aber scheint er für ein Greenhorn zu halten?«

»Das ist allerdings der Fall.«

»So wird es später eine große Überraschung geben, wenn er hört, wer dieses Greenhorn ist; die möchte ich meinem Bruder nicht verderben. Wir werden also auf dem Schiffe nicht miteinander sprechen. Wenn du Ohlert und seinen Entführer gefunden hast, dann werden wir um so länger beisammen sein, denn du wirst doch zu uns kommen?«

»Ganz gewiß!«

»So wollen wir jetzt scheiden, Scharlieh. Es gibt hier Bleichgesichter, welche auf mich warten.«

Er stand auf. Ich mußte sein Geheimnis achten und nahm Abschied von ihm, hoffentlich nur für kurze Zeit.

Am andern Morgen mieteten wir zwei Maultiere, auf denen wir hinaus nach der Raft ritten, wo der Dampfer auf die Passagiere wartete. Die Tiere erhielten unsere Sättel aufgelegt, wodurch es glücklicherweise vermieden wurde, daß wir dieselben tragen mußten.

Der Steamer war ein sehr flachgehendes Boot und ganz nach amerikanischer Manier gebaut. Es befanden sich bereits zahlreiche Passagiere auf demselben. Als wir, nun allerdings die Sättel tragend, über die Planke schritten und an Deck kamen, rief eine laute Stimme:

»Bei Jove! Da kommen ein paar zweibeinige, gesattelte Maulesel! Hat man schon so etwas gesehen? Macht Platz, Leute! Laßt sie hinab in den Raum! Solch Viehzeug darf doch nicht unter Gentlemen verweilen!«

Wir kannten diese Stimme. Die besten Plätze des mit einem Glasdache versehenen ersten Platzes waren von den Rowdies eingenommen, welche wir gestern kennen gelernt hatten. Der laute Schreier von gestern, welcher überhaupt ihren Anführer zu machen schien, hatte uns mit dieser neuen Beleidigung empfangen. Ich richtete mich nach Old Death. Da er die Worte ruhig über sich ergehen ließ, tat auch ich so, als ob ich sie gar nicht vernommen hätte. Wir nahmen den Kerlen gegenüber Platz und schoben die Sättel unter unsere Sitze.

Der Alte machte es sich bequem, zog seinen Revolver hervor, spannte ihn und legte ihn neben sich hin; ich folgte seinem Beispiele und legte den meinen auch bereit. Die Kerls steckten die Köpfe zusammen und zischelten unter sich, wagten es aber nicht, wieder eine laute Beleidigung hören zu lassen. Ihre Hunde, von denen nun freilich einer fehlte, hatten sie auch heute bei sich. Der Sprecher betrachtete uns mit ganz besonders feindseligen Blicken. Seine Haltung war gebeugt, jedenfalls infolge des Fluges durch das Fenster und der nachfolgenden nicht eben sanften Behandlung durch Winnetou. Sein Gesicht zeigte die noch frischen Spuren der Fensterscheiben.

Als der Conductor kam, uns zu fragen, wie weit wir mitfahren wollten, gab Old Death den Ort Kolumbus an, bis wohin wir bezahlten. Wir konnten ja dort weitere Passage nehmen. Er war der Ansicht, daß Gibson nicht ganz bis Austin gefahren sei.

Die Glocke hatte bereits das zweite Zeichen gegeben, als ein neuer Passagier kam —Winnetou. Er ritt einen auf indianische Weise gezäumten Rapphengst, ein prachtvolles Tier, stieg erst an Bord aus dem Sattel und führte sein Pferd nach dem Vorderteile des Deckes, wo für etwa mitzunehmende Pferde ein schulterhoher Bretterverschlag angebracht worden war. Dann setzte er, scheinbar ohne jemand zu beachten, sich daneben auf die Brüstung des Schiffgeländers. Die Rowdies nahmen ihn scharf in die Augen. Sie räusperten sich und husteten laut, um seine Blicke auf sich zu lenken, doch vergebens. Er saß, sich auf die Mündung seiner Silberbüchse stützend, halb abgewendet von ihnen und schien kein Ohr für sie zu haben.

Jetzt läutete es zum letzenmal; noch einige Augenblicke des Wartens, ob vielleicht noch ein Reisender kommen werde; dann drehten sich die Räder, und das Schiff begann die Fahrt.

Unsere Reise schien ganz gut verlaufen zu wollen. Es herrschte vollständige Ruhe an Bord bis Wharton, wo ein einziger Mann ausstieg, dafür aber zahlreiche Passagiere an Bord kamen. Old Death ging für einige Minuten an das Ufer, wo der Commissioner stand, um sich bei demselben nach Gibson zu erkundigen. Er erfuhr, daß zwei Männer, auf welche seine Beschreibung paßte, hier nicht ausgestiegen seien. Dasselbe negative Resultat hatte seine Erkundigung auch in Kolumbus, weshalb wir dort bis La Grange weiter bezahlten. Von Matagorda bis Kolumbus hat das Schiff einen Weg von vielleicht fünfzig Gehstunden zurückzulegen. Es war also nicht mehr zeitig am Nachmittage, als wir uns am letzteren Orte befanden. Während dieser langen Zeit hatte Winnetou seinen Platz nur ein einziges Mal verlassen, um seinem Pferde Wasser zu schöpfen und ihm Maiskörner zu geben.

Die Rowdies schienen ihren gegen ihn und uns gerichteten Ärger vergessen zu haben. Sie hatten sich, sobald neue Passagiere anlangten, mit diesen beschäftigt, waren aber meist abweisend behandelt worden. Sie brüsteten sich mit ihrer antiabolitionistischen Gesinnung, fragten einen jeden nach der seinigen und schimpften auf alle, die nicht ihrer Meinung waren. Ausdrücke wie »verdammter Republikaner«, »Niggeronkel«, »Yankeediener« und andere noch schlimmere flossen nur so von ihren Lippen, und so kam es, daß man sich von ihnen zurückzog und nichts von ihnen wissen wollte. Das war jedenfalls auch der Grund, daß sie es unterließen, mit uns anzubinden. Sie durften nicht hoffen, von andern gegen uns unterstützt zu werden. Hätten sich jedoch mehr Sezessionisten an Bord befunden, so wäre es ganz gewiß um den Schiffsfrieden geschehen gewesen.

In Kolumbus nun stiegen viele von den friedlich gesinnten Leuten aus, und es kamen dafür andere an Bord, welche das gerade Gegenteil zu denken schienen. Unter anderen taumelte eine Bande von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Betrunkenen über die Planke, welche nichts Gutes ahnen ließen und von den Rowdies mit stürmischer Freude bewillkommnet wurden. Andere der neu Eingestiegenen schlossen sich ihnen an, und bald konnte man sehen, daß das unruhige Element sich jetzt in der Übermacht befand. Die Unholde flegelten sich auf die Sitze, ohne zu fragen, ob sie andern unbequem wurden oder nicht, stießen sich zwischen den ruhigen Passagieren hin und her und taten alles, um zu zeigen, daß sie sich als Herren des Platzes fühlten. Der Kapitän ließ sie ruhig rumoren; er mochte meinen, daß es das Beste sei, sie nicht zu beachten. So lange sie ihn nicht in der Leitung des Schiffes störten, überließ er es den Reisenden, sich gegen Übergriffe selbst zu schützen. Er hatte keinen einzigen Yankeezug im Gesichte. Seine Gestalt war voll, wie man es beim Amerikaner selten sieht, und über sein rotwangiges Gesicht breitete sich ein immerwährendes gutmütiges Lächeln, welches, ich hätte darauf wetten wollen, echt germanischer Abstammung sein mußte.

Die meisten Sezessionisten waren nach der Schiffsrestauration gegangen. Von dort her erscholl wüstes Gejohle. Flaschen wurden in Scherben geschlagen, und dann kam ein Neger schreiend gerannt, jedenfalls der Kellner, kletterte zum Kapitän hinauf und jammerte ihm seine uns fast unverständlichen Klagen vor. Nur so viel hörte ich, daß er mit der Peitsche geschlagen worden sei und später am Rauchschlot aufgehangen werden solle.

Jetzt machte der Kapitän ein bedenklicheres Gesicht. Er schaute aus, ob das Schiff den richtigen Kurs habe, und stieg dann herab, um sich nach der Restauration zu begeben. Da kam der Conductor ihm entgegen. Ganz in unserer Nähe trafen die beiden zusammen. Wir hörten, was sie sprachen.

»Capt‘n,« meldete der Conductor, »wir dürfen nicht länger ruhig zusehen. Die Leute planen Arges. Laßt den Indianer dort an das Land! Sie wollen ihn aufhängen. Er hat sich gestern an einem von ihnen vergriffen. Außerdem sind zwei Weiße hier, ich weiß nur nicht, welche, die auch gelyncht werden sollen, weil sie gestern dabei waren. Sie sollen Spione von Juarez sein.«

»Alle Teufel! Das wird Ernst. Welche beiden Männer werden das sein!« Sein Auge schweifte forschend umher.

»Wir sind es, Sir,« antwortete ich, indem ich aufstand und zu ihnen trat.

»Ihr? Na, wenn ihr Spione von Juarez seid, so will ich mein Steamboot als Frühstück verzehren!« meinte er, indem er mich musterte.

»Fällt mir nicht ein! Ich bin ein Deutscher und bekümmere mich nicht im mindesten um eure Politik.«

»Ein Deutscher? Da sind wir ja Landsleute! Ich habe mein erstes fließendes Wasser im Neckar gesehen. Euch darf ich nichts tun lassen. Ich werde sofort am Ufer anlegen, damit Ihr Euch in Sicherheit bringen könnt.«

»Da mache ich nicht mit. Ich muß unbedingt mit diesem Boote weiter und habe keine Zeit zu verlieren.«

»Wirklich! Das ist unangenehm. Wartet einmal!«

Er ging zu Winnetou und sagte ihm etwas. Der Apache hörte ihn an, schüttelte verächtlich mit dem Kopfe und wendete sich ab. Der Kapitän kehrte zu uns zurück und meldete mit verdrießlicher Miene:

»Dachte es mir! Die Roten haben eiserne Köpfe. Er will auch nicht ans Land gesetzt werden.«

»Dann ist er mit diesen beiden Herren verloren, denn die Kerle werden Ernst machen,« meinte der Conductor besorgt. »Und wir paar Mann vom Steamer können gegen eine solche Übermacht nichts tun.«

Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann zuckte es lustig über sein gutmütiges Gesicht, als ob er einen vortrefflichen Einfall habe, und er wendete sich zu uns:

»Ich werde diesen Sezessionisten einen Streich spielen, an den sie noch lange denken sollen. Ihr müßt euch aber genau so verhalten, wie ich es von euch verlange. Macht vor allen Dingen keinen Gebrauch von der Waffe. Steckt eure Büchsen da unter die Bank zu den Sätteln. Gegenwehr würde die Sache verschlimmern.«