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Satan und Ischariot I
»Wo liegt die Hazienda?«
»Jenseits Ures. Man fährt von hier per Schiff nach Lobos und hat dann bis zum Ziele einen herrlichen Landweg, eine kurze, sehr angenehme Reise, auf welcher Sie viel Unterhaltung und Belehrung finden werden, zumal es dabei zahlreiche Gesellschaft aus Ihrem Vaterlande geben wird.«
»Wieso das? Gesellschaft aus meinem Vaterlande?«
»Ja, aus Preußen, welches doch in Deutschland liegt. Der Indianer ist kein ausdauernder und zuverlässiger Arbeiter; darum mangelt es hier an Leuten, welche zu der Beschäftigung, wie eine Hazienda sie erfordert, tauglich sind. Sennor Timoteo hat sich deshalb Leute aus Deutschland verschrieben. Es sind gegen vierzig Arbeiter, welche morgen hier ankommen werden und zum großen Teile auch ihre Weiber und Kinder mitbringen. Sie haben die Kontrakte unterzeichnet und sind so gestellt, daß sie in kurzer Zeit wohlhabende Leute sein werden. Der Haziendero hat mich gesandt, sie hier zu empfangen und über Lobos ihm zuzuführen.«
»Aus welcher Gegend Deutschlands kommen sie?«
»Das weiß ich nicht genau, aber ich vermute, daß sie aus der Gegend von Polonia oder Pomerania sind. Ich glaube, die Stadt, aus deren Umgebung sie stammen, wird Cobili genannt.«
»Eine Stadt dieses Namens giebt es dort nicht. Hm! Pommern oder Polen! Meinen Sie vielleicht den Namen Kobylin?«
»Ja, ja, so wie Sie sagen, wird er richtig klingen. Unser Agent hat die Leute nach Hamburg auf das Schiff gebracht. Der große Dampfer hat sie in San Franzisko gelandet, von wo aus sie morgen auf einem kleinen Segelschiffe hier ankommen werden. Das Fahrzeug legt hier nur an, um mich aufzunehmen, und segelt dann wieder ab. Wenn Sie sich noch besinnen wollen, so kann ich Ihnen nur Zeit bis morgen früh geben. Haben Sie sich dann noch nicht entschieden, so ziehe ich meinen Antrag zurück, und Sie können dann solange hier sitzen bleiben, wie es Ihnen beliebt.«
»Hoffentlich würde der Kapitän mich mit bis Lobos nehmen?«
»Nein, selbst gegen die beste Bezahlung nicht, da das Schiff nur für diese Auswanderer gemietet ist und keine Passagiere aufnehmen darf. Warum also noch lange überlegen? Es wäre geradezu Verrücktheit von Ihnen, mich mit meiner Offerte abzuweisen.«
Er sah mich erwartungsvoll an, sichtlich überzeugt, eine zusagende Antwort zu bekommen. Ich befand mich in Verlegenheit. Es war meine Absicht gewesen, ihn erst reden zu lassen und dann auszulachen; davon mußte ich nun aber absehen. Wie wollte ich sonst von hier fortkommen? Schon aus diesem Grunde war es geboten, ihm keine abschlägige Antwort zu erteilen. Es gab aber außerdem noch eine Veranlassung für mich, die Fahrt mit ihm zu machen. Er erwartete Landsleute von mir, wahrscheinlich aus der Provinz Posen stammend und durch irgend eine Art Vertrag herübergelockt. Mußte mich der letztere Umstand schon lebhaft für sie interessieren, so kam noch dazu, daß mir die Route auffiel, welche er mit ihnen einschlagen wollte. Ich wußte, daß Ures, in dessen Nähe die Hazienda zu suchen sein sollte, am Rio Sonora liegt; der kürzeste und bequemste Weg hätte also zunächst nach Hermosillo und dann den Sonorafluß aufwärts geführt; der Mormone wollte aber bis Lobos, also wohl dreißig Leguas weitersegeln. Den Landweg von dort aus hatte er mir zwar als reizend beschrieben, doch vermutete ich, obgleich ich denselben gar nicht kannte, daß er mich damit belogen habe. Selbst wenn er die Wahrheit gesagt hatte, so handelte es sich um einen so bedeutenden Umweg, daß ich einen besonderen Grund dahinter ahnte, und da man einen solchen Umweg nicht mit Leuten macht, welche Frauen und Kinder bei sich haben, so glaubte ich, annehmen zu müssen, daß dieser Grund kein lauterer sei. Es war mir infolgedessen der Gedanke gekommen, daß den Auswanderern irgend eine Gefahr drohe, und ich fühlte das Bedürfnis, dieselbe zu erforschen und sie dann zu warnen. Dies konnte ich aber nicht, wenn ich in Guaymos sitzen blieb. Ich mußte also mit. Aber wie? Binden konnte ich mich unmöglich, am allerwenigsten durch einen schriftlichen Kontrakt. Ueberdies war mir selbstverständlich auch der Umstand im höchsten Grade verdächtig, daß der Mormone mir, den er für einen heruntergekommenen oder gar nichtsnutzigen Menschen hielt, eine so gute Anstellung förmlich an den Hals werfen wollte. Schon dies setzte eine Absicht voraus, welche ich leider jetzt noch nicht durchschauen konnte. Es gehörte Zeit dazu, dieselbe kennen zu lernen, und diese Zeit mußte ich zu gewinnen suchen. Darum antwortete ich auf seine letzte Bemerkung:
»Sie haben recht, Sennor. Es würde nicht nur eine Dummheit von mir, sondern auch die abscheulichste Undankbarkeit gegen Sie sein, wenn ich Ihre Güte zurückweisen wollte. Ich würde darum augenblicklich ja sagen, wenn ich mich nicht gezwungen sähe, ein sehr begründetes Bedenken dagegen zu hegen.«
»Ein Bedenken? Möchte doch wissen, welcher Art dies sein könnte. Wollen Sie sich aussprechen?«
»Natürlich! Ich habe noch nie ein Buch geführt und noch nie auf einer Hazienda gelebt. Ich zweifle also den Ansprüchen des Haziendero genügen zu können.«
»Schweigen Sie doch damit!« unterbrach er mich. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es eine wahre Kinderarbeit ist, die Sie zu leisten haben, eine reine Spielerei. Sie tragen ein, was in den Apfelsinengärten und auf den Feldern geerntet wird, und welchen Preis Sennor
Timoteo dafür bekommt. Sie schreiben ferner auf, wieviel junge Füllen und wieviel Kälber zu Welt kommen. Das ist die ganze Arbeit, die man von Ihnen verlangt.«
»Und dafür soll ich vollständige freie Station und monatlich hundert Pesos erhalten?«
»Wenigstens hundert!«
»So möchte ich allerdings augenblicklich in Ihre Hand schlagen; aber ich möchte doch lieber erst sehen, ob ich eine solche Gage auch verdiene.«
»Damit beweisen Sie, daß Sie ein Deutscher sind. Als einem Heiligen der letzten Tage geht mir Gottesfurcht und Rechtschaffenheit über alles; Sie aber treiben die Ehrlichkeit gar zu weit. Ihr Deutschen seid doch merkwürdige Leute!«
»Mag sein, Sennor, doch wollen Sie bemerken, daß ich Ihr Anerbieten nicht zurückweise. Ich gehe mit, wenn auch um mich erst dann vollständig zu binden, wenn ich zu der Einsicht gelange, daß ich das, was man mir zahlt, auch wirklich verdiene.«
»Das ist eine Albernheit. Aber wenn Sie nicht anders wollen, so mag es auch in dieser Weise sein. Aber wie steht es denn mit Ihrer Kasse, auf deren Boden Sie wohl angelangt sein werden? Da Sie nur bedingungsweise mitgehen, sind Sie nicht fest engagiert, und ich habe nicht die Pflicht, für Sie zu zahlen. Freie Fahrt auf dem Schiffe ist alles, was ich Ihnen unter diesen Umständen bieten kann.«
»Ich bin zufrieden damit und habe glücklicherweise noch einige Pesos, welche wohl ausreichen werden, bis wir auf der Hazienda eintreffen.«
»Aber in Ihrem jetzigen Aufzuge kann ich Sie unmöglich mitnehmen. Können Sie einen neuen Anzug erschwingen?«
»Ja, denn bei der jetzigen Hitze kauft man nur, was leicht und billig ist.«
»So besorgen Sie das morgen mit dem Frühesten, damit ich nicht auf Sie zu warten brauche. Jetzt gute Nacht!«
Er nickte mir kurz zu und ging, ohne mir die Hand zu reichen, nach seiner Hängematte. Die Kinder schliefen schon; Sennorita Felisa schnarchte; Donna Elvira pustete, und der kleine Geronimo gab im ersten Schlummer Töne von sich, welche ganz genau denen einer nicht geölten Thürangel glichen. Ich blies also das Licht aus, und suchte den Hof und mein liebes Maisstrohlager auf, wo mich der Hund, welcher sich an mich gewöhnt hatte, mit freundlichem Händelecken empfing. Obgleich ich am andern Morgen sehr zeitig erwachte und in das Gastzimmer kam, als die liebe Wirtsfamilie noch schlief und in der angegebenen Weise sich akustisch beschäftigte, konnte ich den Mormonen weder sehen noch sprechen, denn er hatte das Hotel bereits verlassen. Wo hielt er sich während des ganzen Tages auf? Niemand wußte es. Auch das war auffällig, denn wer auf ehrlichen Wegen geht, braucht sein Thun nicht in ein solches Dunkel zu hüllen.
Nachdem ich Sennorita Felisa geweckt hatte, um zu der berühmten Morgenschokolade zu kommen, machte ich, der ich heute die dreißigste Tasse trank, die nun leider zu spät kommende Entdeckung, daß die Liebliche das Getränk mit demselben Wasser bereitete, mit welchem sie ihre zarten Finger und ihr reizendes Gesicht gewaschen hatte. Ich zollte dieser häuslichen und ganz im Verborgnen blühenden Sparsamkeit meine Anerkennung, indem ich vorgab, Magenweh zu haben und darum auf die Schokolade verzichten zu müssen; die Sennorita beglückte mich mit einem zärtlichen Augenaufschlage, führte die Tasse an den Mund, trank sie aus, wischte sich mit der Außenseite der Hand die blühenden Lippen und sagte in tief zu Herzen dringendem Tone:
»Sennor, Sie sind der nobelste, der feinste Kavalier, der mir vorgekommen ist, und werden, wenn Sie heiraten, Ihre Sennora sehr glücklich machen. Jammerschade, daß Sie abreisen. Könnten Sie denn nicht hier bleiben?«
»Wünschen Sie das vielleicht?« fragte ich neckisch.
»Ja,« antwortete sie unter einem leichten Erröten.
»Und was ist die Ursache dieses Wunsches, Sennorita? Das Glück, von dem Sie soeben sprachen, oder die Schokolade, welche ich Ihnen so gern abgetreten habe?«
»Beides,« hauchte sie mit entzückender Wahrheitsliebe,
Wahrscheinlich erwartete sie, daß ich den Anfang dieses Morgengespräches zu einem glücklichen Ende führen werde, leider aber hielt ich die Anschaffung eines neuen Anzuges für weit dienlicher, als eine Stegreifverlobung, und ging, um einen Baratillero[4], aufzusuchen. Der Laden desselben glich einer wahren Trödelbude, doch fand ich glücklicherweise, was ich suchte, Hose, Weste und Jacke von ungebleichtem Linnen und einen Strohhut, dessen Krämpe so breit war, daß, falls ich auf die Absicht der Sennorita Felisa eingegangen wäre, ich mit ihr und sämtlichen Hochzeitsgästen darunter Platz gefunden hätte. Auch kaufte ich ein Stück billigen Stoffes, um mir mit Hilfe von Nadel und Zwirn, welch beides ich stets bei mir führte, ein Futteral für meine Gewehre anzufertigen. Das hatte einen guten Grund: Der Mormone sollte mich noch für einige Zeit für den Menschen halten, für den er mich bisher gehalten hatte. Da er viel von Old Shatterhand gehört zu haben schien, war es leicht möglich, daß er auch wußte, was für Gewehre derselbe bei sich führte, und darum sollte er sie wenigstens nicht genau zu sehen bekommen. Auch ein Paar derbe Lederschuhe kaufte ich mir. Als ich dann, mit solcher Eleganz ausgestattet, in das Hotel zurückkehrte, schlug Don Geronimo vor Verwunderung die Hände zusammen und rief aus:
»Was erblicke ich! Sind Sie plötzlich reich geworden? Sie können sich ruhig an der Seite jedes altkastilianischen Edelmannes sehen lassen, Sennor. Leider sind Sie fest entschlossen, abzureisen; aber hätte ich Sie eher in dieser Kleidung gesehen, so hätte ich Ihnen eine Stelle als Majordomo meines Hauses angeboten und vielleicht wären Sie sogar Kompagnon geworden!«
Mein Anblick schien wirklich bezaubernd zu sein, denn Sennorita Felisa legte die Hand auf das Herz und ließ einen tiefatmigen Puster hören, und selbst Donna Elvira richtete sich ein wenig in ihrer Hängematte auf, um mir einen Blick zu schenken und dann mit einem beifälligen Seufzen wieder niederzusinken, Ich schien ein der Damenwelt höchst gefährliches Individuum geworden zu sein, und da ich dies unmöglich auf Rechnung meiner innern oder äußern Vorzüge setzen konnte, so war ich geneigt, dem Leinenanzuge, welcher nach deutschem Gelde elf Mark gekostet hatte, Zauberkraft zuzuschreiben. Leider blieb er mir nur kurze Zeit treu, da er sehr bald aus den Nähten ging und sich in den verschiedensten Fetzen und Stücken nach den verschiedensten Windrichtungen verlor. Ich hätte mir sicher etwas Besseres und Haltbareres angeschafft, wollte aber Harry Melton nicht wissen lassen, daß ich dazu die Mittel besaß.
Es war gegen Mittag, als dieser in das Gasthaus kam, um mich abzuholen, denn das Schiff war angekommen. Es hatte ohne in den Hafen einzusegeln, draußen vor demselben beigedreht, um ihn aufzunehmen. Wir mußten uns also eines Bootes bedienen, um an Bord zu kommen.
Der Abschied von meinen freundlichen Wirtsleuten war rührend. Don Geronimo beging die Heldenthat, mir sein Dominospiel als Andenken anzubieten, und schluchzte beinahe vor Wonne, als ich dieses Opfer nicht annahm. Die drei Buben sagten mir Ade, indem sie meine Beine umschlangen und ihre Nasen an meine neue Hose wischten. Sennorita Felisa wollte ihr Taschentuch an die Augen führen, da sie aber an Stelle eines solchen augenblicklich gerade nur den schwarzen Herdlappen in der Hand hatte, so rieb sie sich die Traurigkeit mit Ruß ins thränende Gesicht, was auf mich einen weit tiefern Eindruck machte, als wenn sie sich eines wirklichen Nastüchleins bedient hätte. Und Donna Elvira richtete sich soweit auf, daß ich beinahe ihr Gesicht deutlich gesehen hätte, und winkte mir mit der müden Rechten ein Lebewohl zu. Für den Hund hatte ich ein Stück Wurst mitgebracht, welches ich ihm zum Abschiede verehren wollte, da ich Gründe hatte, anzunehmen, daß er nie im Leben so etwas gekostet hatte. Geronimo und Felisa gingen mit in den Hof. Als ich die Wurst aus der Tasche zog und sie dem Hunde hinhielt, schnappte aber die Sennorita noch eher zu als er. Sie riß mir die Liebesgabe aus der Hand und sagte:
»Was thun Sie da, Sennor! Ich glaube gar, Sie wollen diese Delikatesse an das Tier verschwenden! Sie gehört mir, und ich werde sie in der Erinnerung an Sie verspeisen.«
Sie gab der Erinnerung aber keine Zeit, in ihr Recht zu treten, sondern biß sofort höchst tapfer ein, was ihren Vater veranlaßte, einen schnellen Griff nach ihrer
Hand zu thun, um ihr die Wurst zu entreißen und an der Erinnerung teilzunehmen. Sie entfloh mit einem Schreckensrufe, und er rannte hinter ihr her, was mir Gelegenheit gab, das gastliche Haus nun ohne weitere Angriffe auf meine Wurst und auf mein Herz zu verlassen. Der Hund mußte sich freilich nun mit einem Streicheln begnügen, was wahrscheinlich weniger nahrhaft war, als das ihm so räuberisch entzogene Abschiedsgeschenk. Dann eilte ich zu Melton, der vor dem Hause auf mich wartete, und schritt mit ihm dem Hafen zu, wo wir ein Boot bestiegen, um uns nach dem Schiffe rudern zu lassen.
Letzteres war ein kleiner Schuner, wie ihn, wenigstens damals, nur die Yankees zu bauen verstanden, ein schneller Segler und mit soviel Leinwand an den Masten, daß er selbst bei der flauesten Luft nicht festzuliegen brauchte. Als wir an der Seite des Schuners anlegten und man uns von oben die Fallreepen zuwarf, sahen viele Köpfe über Bord, um uns in Augenschein zu nehmen. Wir stiegen empor. Als ich das Deck betrat, war die erste Person, welche ich erblickte, ein vielleicht achtzehnjähriges, äußerst schmuck gekleidetes Mädchen mit orientalischen Zügen von ungewöhnlicher Schönheit. Der Anzug, welchen es trug, bestand aus Schnürstiefeln, weißen Strümpfen, rotem, mit dunklem Sammet umsäumtem Rocke und einem blauen Mieder, welches mit silbernen Hefteln und einer ebensolchen Kette geschmückt war. Ein kleines, mit einer Feder verziertes Hütchen saß auf dem vollen, in zwei Zöpfen hinten weit herabhängenden Haare. Diese Kleidung paßte wohl mehr auf einen Maskenball als hierher auf das Deck eines amerikanischen Transportschiffes für Auswanderer. Neben dem Mädchen stand ein hagerer, ältlicher Mann, dessen Gesicht den ausgesprochensten jüdischen Typus zeigte. Sein Anzug ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er ein polnischer Hebräer sei. Als sein Blick auf den Mormonen fiel, entfuhr ihm der halblaute, unwillkürliche Ausruf »Djabel!« Obgleich ich der polnischen Sprache nicht mächtig bin und nur wenige Worte derselben kenne, wußte ich, daß dieser Ausruf »der Teufel!« bedeutete. Der Mormone brachte also auf diesen Juden ganz denselben Eindruck hervor, den er auf mich gemacht hatte, obgleich sein Gesicht keine Spur von dem besaß, was der gewöhnliche, ungebildete Mann sich unter »teuflisch« denkt.
Die andern Passagiere waren arme Leute, wie man gleich auf den ersten Blick bemerken konnte. Sie wußten, daß ihr nunmehriger Führer an Bord kam, und betrachteten Melton mit neugierigen Augen, denn es fiel ihnen nicht etwa ein, mich für den Erwarteten zu halten; mein Aeußeres war viel zu anspruchslos dazu. Der Kapitän kannte ihn jedenfalls, denn er kam ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem Händeschütteln, welches man nicht für Unbekannte hat. Das sah ich, weil ich scharf aufpaßte, denn ich hielt es für erforderlich, selbst auf die geringste Kleinigkeit achtzugeben. Sie begaben sich beide nach dem Hinterdeck, um sich die für den ersten Augenblick nötigen Mitteilungen zu machen. Ich schlenderte zur Seite, lehnte meine im leinenen Ueberzuge steckenden Gewehre an den Mast und setzte mich auf eine Taurolle, welche in der Nähe lag. Als ich die Passagiere zählte, fand ich, daß es achtunddreißig Männer und Burschen, vierzehn Frauen und erwachsene Mädchen und elf Kinder, also in Summa dreiundsechzig Menschen waren.
Nachdem sich ihre Augen genugsam mit dem Mormonen beschäftigt hatten, richteten sie ihre Aufmerksamkeit nun auch auf mich. Ich sah, daß sie sich ihre ver- verschiedenen Meinungen über meine Person mitteilten; sie wußten nicht, für wen oder was sie mich nehmen sollten, und beauftragten, um ins reine zu kommen, den Juden, mich zu fragen. Er kam zu mir, lüftete die schwarzseidene Kappe, welche sein spärliches Haar bedeckte, und redete mich mit einem Gemisch von jedenfalls während der Reise aufgelesenen, spanischen und englischen Worten an, welche ich in dieser Zusammenstellung nicht zu verstehen vermochte, darum unterbrach ich seine Bemühung, sich mir begreiflich zu machen, durch die Frage:
»Kommen Sie vielleicht aus der Gegend von Kobylin in Posen?«
»Ja, ja!« antwortete er rasch, indem sein Gesicht den Ausdruck der Ueberraschung annahm.
»So werden Sie wahrscheinlich der deutschen Sprache mächtig sein und haben es nicht nötig, sich in fremden Zungen abzuquälen.«
»Gott meiner Väter!« rief er aus, indem er die Hände zusammenschlug. »So werde ich also haben die Freude neben der Ehre, in Ihnen kennen gelernt zu werden einen Herrn von der Abstammung germanischer Hergekommenheit?«
»Ja, ich bin ein Deutscher,« nickte ich, ein wenig verwundert über die Art und Weise, in welcher er sich meiner Muttersprache bediente.
»Das freut mich in der Tiefe meiner Seele! Darf ich nehmen mir zu ergreifen die Erlaubnis der Frage, in welchem Lande und Regierungsbezirk Sie haben erlebt das Vergnügen der Geburt Ihrer werten Persönlichkeit?«
»Ich bin jetzt Sachse.«
»Sehr gut, sehr schön! Ich kenne und habe lieb Ihr Vaterland, da ich bin gewesen zu reisen oft nach
Leipzig zur Messe, um zu ergreifen auf dem Brühle und vielen andern Straßen die Konjunkturen des Handels und des Wandels. Nehmen Sie die veranlaßte Gewogenheit, daß ich bin Handelsmann von Kindesbeinen an, und haben Sie die Güte, mir zu machen die mitgeteilte Aufklärung, welcher Art von Geschäft Sie haben gehabt zu ergreifen die Freundlichkeit!«
»Ich bin das, was Sie im Polnischen mit Uczony prywatny bezeichnen. Ein Geschäft treibe ich nicht, sondern bin in die Fremde gegangen, um Studien zu machen. Dabei kann es vorkommen, daß einem die Mittel ausgehen; dies ist gegenwärtig bei mir der Fall, sodaß ich mich veranlaßt sehe, nach der Hazienda del Arroyo zu gehen, um mir dort Arbeit und Verdienst zu suchen.«
Ich sagte so, weil ich es nicht für nötig hielt, ihm sofort die eigentliche Wahrheit mitzuteilen.
»So haben Sie die Absicht des Willens, zu reisen nach derselben Hazienda, welcher ist der gezielte Endpunkt unserer Fahrt und wo wir haben genommen eine engagierte Anstellung auf eine Reihe von Jahren des Verdienstes und der Sparsamkeit. Hat man auch Ihnen gegeben festes Engagement und gesagt die Mitteilung, welcher Art wird sein Ihre berufliche Thätigkeit?«
»Man hat mir die Stelle eines Buchhalters angeboten, doch habe ich noch nicht fest zugesagt. Ich werde mich erst dann entscheiden, wenn ich die dortigen Verhältnisse kennen gelernt habe.«
»Buchhalter? Das ist eine feine Anstellung. Sie werden da gehören zu den Vorgesetzten der Arbeiter, und ich werde mir erlauben, Ihnen zu geben, hochgeehrter Herr, ein Perzent, zwei Perzent, ja sogar drei Perzent Sconto bei allem, was Sie werden kaufen zu entnehmen aus meinem Geschäfte.«
»Wie? Sie wollen ein Geschäft, vielleicht einen Laden auf der Hazienda anlegen?«
»Ja. Fällt doch ab drüben im alten Lande ein so geringer Gewinn, daß man muß schnallen den Leibriemen von Tag zu Tag immer enger, wogegen in Amerika, was hier Mexiko und Sonora heißt, die Pesos und Dollars liegen geradezu auf der Straße für den, welcher Augen hat, sie zu finden, um sie zu entdecken.«
»Hm! Von wem haben Sie das gehört?«
»Von dem Agenten, welcher ist gekommen, uns zu engagieren und ist gewesen ein Mann von großer Erfahrung und kenntnisreicher Geisteskraft.«
»So! Nun ja, der Agent muß ja die Verhältnisse kennen; dagegen läßt sich nichts sagen. Hat er mit jedem von Ihnen schriftlichen Kontrakt gemacht?«
»Er hat ausgefertigt zu schreiben für jeden einzelnen ein Papier mit Stempel und unterschriftlichen Namenszügen. Er hat uns gebracht nach dem Hafen, um zu besteigen das Schiff als Fahrzeug für das große Meer der Welt. Wir sind gefahren um die amerikanische Spitze der südlichen Globushälfte, was gewährt hat viele, viele Wochen lang, bis wir gekommen sind einzulaufen und anzulegen in San Franzisko, wo man uns hat gebracht auf dieses kleinere Schiff, hier aufzunehmen den Führer und dann zu landen in Lobos, wo anfangen wird zu beginnen ein neues, besseres Leben der Ansammlung von Vermögen, Zins und Zinseszins.«
»Was sind Ihre Reisegefährten drüben gewesen?«
»Sie haben gehabt entweder den Beruf eines Handwerkes oder den Besitz eines kleinen Pachtes oder Häuschens mit Feld- und Gartenbeeten. Wenn vergangen sein werden einige Jahre, wird jeder besitzen eine Hazienda mit großmächtigen Plantagen und Weideplätzen. Das hat gesagt und beschworen der Agent, und hat mir gegeben ein Buch, worin es steht deutlich gedruckt mit schwarzen Buchstaben auf weißem Papier. Die Gesellschaft ist getreten zusammen, um zu wählen und zu erklären mich als ihr Oberhaupt, was später wird werden genannt der Bürgermeister der Hazienda del Arroyo. Wenn Sie dann empfinden einen Wunsch oder eine Bitte, so dürfen Sie getrost sich wenden an mich, worauf ich werde sein Ihnen gern zu Diensten mit Bereitwilligkeit.«
»Haben Sie Familie mit?«
»Nur meine Tochter. Rebekka, meine Traute, ist schon vor vier Jahren gegangen, zu sterben von der Erde hinweg, sodaß ich nur noch habe Judith, das Kind unserer Ehe und die einzige Tochter meiner Seele. Dort steht sie, um herzuschauen nach uns beiden. Sie ist ein Mädchen schön von Gestalt und lieblich von Gemüt. Den Körper hat sie geerbt von der Mutter, und die Stärke des Geistes vom Vater. Sie ist schon jetzt die Erbin meiner Habe, und wird bald sein eine so reiche Dame, daß die Kavaliere werden ausstrecken alle Hände und Finger, um zu werden der Bräutigam meines schönen Kindes. Sie wird sich heraussuchen den Feinsten und Vornehmsten, welcher besitzt den Adel der Familie und des Vermögens. Was wird sein gegen einen solchen Eidam der Herkules, welcher ihr ist gefolgt, ihr nachzulaufen bis nach Mexiko, obgleich er ist andern Glaubens und kaum besitzt den zehnten Teil des Geldes, welches ich könnte geben Judith, meiner Seele, schon am heutigen Tage, wenn ich wollte.«
»Der Herkules? Wen meinen Sie?«
»Den Vagabunden, welcher lehnt da vorn am Spriete des Buges und kein Auge verwendet von ihr, die doch nichts mehr von ihm wissen mag.«
»Nichts mehr? So ist sie also früher anders gesinnt gewesen?«
»Zum großen Leiden meines Herzens, ja. Sie ist gewesen auf Besuch in der Stadt Posen bei der Tochter des Bruders meiner Mutter; sie haben gekauft Billets, um zu gehen in die Vorstellung des Zirkus, wo man hat sehen können zu beschauen die gewaltige Kraft eines Herkules, welcher hat gespielt mit dem Gewichte von eisernen Stangen und Zentnerkugeln. Der Herkules und meine schöne Tochter haben einander gesehen und einander geliebt. Sie hat ihm versprochen ihre Hand ohne mein Wissen, und er hat gründen wollen nun selbst einen Zirkus, um zu werden selbständig und ein berühmter Direktor desselben. Als ich habe erfahren diese Angelegenheit, bin ich geworden beinahe gerührt vom Schlage meiner Nerven, und habe gegeben dem Kinde böse und gute Worte, um sie abzubringen von diesem Handel, der nichts bringen konnte als nur fünfhundert Perzent Verlust. Meine Bitten und Drohungen sind gewesen von fruchtloser Vergeblichkeit, denn sie hat gehangen an dem Herkules mit hartnäckiger Festigkeit, bis gekommen ist ein Reservelieutenant von eleganter Gestalt mit rotem Kragen und blitzenden Knöpfen. Vor seinem Namen ist gesessen ein großes »von«, und als er ihr angeboten hat seine Hand und sein Herz, ist gegangen pleite der Herkules mit seinen Hoffnungen. Als aber der Lieutenant immer hat verzögert die Verlobung und wir haben erfahren, daß er fast muß ersticken in Schulden, hat sie ihm gegeben den Abschied und sich stolz gewendet von ihm ab. Da kam der Agent der Auswanderung, und als er schilderte das herrliche Land Mexiko, wo die Minen stecken voller Gold und Silber und die Kaballeros reiten mit roten Schabracken auf prächtigen Pferden, wo die Damen liegen in Hängematten und rauchen duftende Cigaretten, da hat Judith, meine einzige, von nichts geträumt, als von diesem Lande, um zu werden auch eine Sennora in der Hängematte, und ich habe ihr gethan den Willen, zu verkaufen drüben mein Haus und mein Geschäft und hier zu werden ein Mann von Einfluß und großem Vermögen. Da Sie mitkommen nach der Hazienda del Arroyo, werden Sie sehen wachsen meine Bedeutung und mein Gewicht. Der Herkules aber, als er erfahren hat, daß wir fahren über die See, ist gegangen auch zum Agenten und hat unterzeichnet den Kontrakt, um zu bleiben in der Nähe seiner Angebeteten und sie zu bekommen doch vielleicht zum Weibe. Er hat genommen seine Ersparnisse, hat sich heimlich entfernt aus dem Engagement, und als wir gekommen sind auf das Schiff, haben wir uns geärgert, zu sehen diesen Menschen als Mitreisenden in das Land, wo nicht nur Milch und Honig, sondern sogar Gold und Silber fließt, um zu laufen in die Taschen dessen, welcher es versteht, sie zu öffnen am richtigen Orte und zur rechten Zeit. Wenn Sie wünschen, zu werden vorgestellt der Tochter meines Herzens, so können Sie jetzt kommen mit hin zu ihr, doch müssen Sie mir geben vorher im Vertrauen Ihr Versprechen, daß Sie leisten wollen Verzicht auf den Versuch, zu gewinnen ihr Herz und ihre Liebe, ihre Hand und ihr Vermögen.«