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Im Reiche des silbernen Löwen IV
»Sie gaben ihre langen Gewehre dem vierten, ehe sie sich entfernten. Alles andere aber haben sie noch bei sich.«
»Hast du dich sehen lassen?«
»Nein.«
»Was thatest du?«
»Ich schlich mich auf dem Boden hin, den dreien nach. Sie verließen den Weg. Sie huschten quer hinüber, um hinter den Duar zu kommen. Ich konnte ihnen nicht so schnell folgen, denn wenn ich mich aufgerichtet hätte, so wäre ich von ihnen gesehen worden. Darum verlor ich sie aus den Augen.«
»Und bist dann nicht weiter gefolgt?«
»Nein. Ich ging zum Vater und erzählte es ihm.
Hierauf sind wir sofort zum »hohen Hause« gekommen, um es zu melden.«
»Welche Zeit ist vergangen, seit du sie von ihren Pferden steigen sahst?«
»Bis jetzt kaum eine halbe Stunde.«
Da klopfte ich ihm auf die Schulter und sagte:
»Du hast deine Sache gut gemacht. Ich muß dich loben!«
Dann fuhr ich, zu den andern gewendet, fort:
»Wir haben Zeit. Der Multasim wartet hinter dem Duar, bis hier oben bei uns kein Licht mehr brennt. Für mich steht es fest, daß er sich nicht eher heranwagt. Was er vorhat, ist verwegen, so verwegen, daß ich ihn bemitleiden muß. Ist dieser Mensch denn ein im Wildnisleben so erfahrener und gewandter Mann, daß er, ohne einen Wahnsinn zu begehen, sich zumuten kann, mit seinem Dolche hier im »hohen Hause« ganz unentdeckt und unbestraft mein Herz zu finden?«
»Dein Herz?« sagte der Ustad. »Ich halte es noch immer für eine Unglaublichkeit!«
»Und dennoch ist es wahr!«
»Du mußt dich täuschen!«
»Nein. Ich wollte diese Angelegenheit als Geheimnis behandeln; aber da der Bluträcher nicht wartet, bis ich dich verlassen habe, sondern dein Haus zum Schauplatze dieses Mordes machen will, schon heut, gleich an demselben Tage, so halte ich es für meine Pflicht, dir mitzuteilen, was zwischen ihm und mir vorgekommen und gesprochen worden ist.«
Ich erzählte es so kurz, wie ich es für geraten hielt, legte ihnen jedes Für und jedes Wider in Beziehung auf meine Ansicht vor und überzeugte sie derart, daß der Pedehr, als ich geendet hatte, ganz entrüstet sagte:
»Du hast recht, Effendi: Es gilt einen Mord, und zwar nur dir, nur dir! Ich werde sofort die Warnungsglocke erklingen lassen und alle Bewohner des Duar zusammen – – —«
»Halt!« unterbrach ich ihn. »Das wirst du nicht!«
»Ja, ich werde es!«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Soll der Blutgierige ohne Strafe bleiben?«
»Nein! Das freilich nicht!«
»Er wird es aber. Denn sobald er den Lärm hört, den er auf sich beziehen muß, versteht es sich ganz von selbst, daß er die Flucht ergreift. Dann ist er fort und lacht uns später wegen unserer Unbedachtsamkeit aus, weil wir ihm nicht einmal die Absicht des Mordes nachzuweisen vermögen.«
»Das ist wahr; das ist richtig, Effendi! Aber was können wir anderes thun?«
»Ihn fangen!«
»Maschallah!«
»Mit der Waffe in der Hand!«
»Du meinst also, daß wir ihn kommen lassen?«
»Ja.«
»Das ist zu gefährlich!«
»Hast du nicht auch die Soldaten herankommen lassen und gefangen genommen? Ihrer waren so viele; jetzt aber sind es nur drei!«
»Auch das ist wahr!«
»Und gewiß kommt er nur allein herein; die andern beiden sind seine Wachen.«
»Herein? Hier herein, meinst du?«
»Ja.«
»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«
»Auf die leichteste und zugleich sicherste Weise. Er will mich töten. Wann? Des Nachts. Was thue ich des Nachts? Ich schlafe. Wo? Droben in meiner neuen Wohnung, allerdings. Aber das weiß er nicht. Der heutige Wechsel ist ihm unbekannt. Er glaubt, daß ich noch hier schlafe, in der offenen Halle, in welche man sich des Nachts so leicht schleichen kann.«
»Was weiß er von deinem bisherigen Lager in dieser Halle?«
»Gewiß genug. Er hat heut am Nachmittage da drüben auf dem Berge mit mehreren Dschamikun gesprochen, doch wahrscheinlich hiervon nicht, denn seine Absicht gegen mich kann erst entstanden sein, nachdem ich die letzten Worte mit ihm gesprochen hatte. Tifl hat die Perser begleitet. Ich denke, daß er mir gar wohl eine Mitteilung machen kann, die sich hierauf bezieht.«
»Jawohl; das kann ich; das kann ich!« antwortete der Genannte.
»Nun?« fragte ich ihn.
»Ich ritt voran. Ich hatte mir vorgenommen, mit diesen Persern gar nicht zu sprechen. Das habe ich auch gehalten. Meine Leute ritten hinterher. An diese hat sich Ahriman Mirza gemacht und sich mit ihnen unterhalten. Erst über den Duar; hierauf über das »hohe Haus«, und dann über die jetzigen Gäste desselben. Als ich das später erfuhr, war ich sehr zornig darüber, daß man ihm Auskunft gegeben hat.«
»Was hat er erfahren?«
»Wo Hadschi Halef liegt; wo du schläfst; wann du dich niederlegst, und wer des Nachts noch außerdem sich in der Halle befindet. Die, welche es sagten, wußten nicht, daß du vom heutigen Abend an bei unserm Ustad wohnen werdest. Darum ist zu Ahriman Mirza gesagt worden, daß du in der Ecke rechter Hand in der Halle schläfst.«
»Was wohl noch?«
»Ob du im Schlafe Waffen in der Nähe habest.«
»Ah! Also! Was hat man geantwortet?«
»Daß sie am Fußende deines Lagers aufgehängt seien.«
»Wo sind sie jetzt? Ich habe sie in meiner neuen Wohnung nicht gesehen.«
»Erlaube, daß ich dir das später selbst mitteile!« fiel da der Ustad ein.
Ich nickte ihm zu und fuhr, zu Tifl gewendet, fort:
»Gab es noch weitere Erkundigungen?«
»Nein,« erklärte er.
»So ist das ganze Material beisammen, welches nötig war, mich zu überzeugen, daß ich mich nicht geirrt habe. Wer soll nun bestimmen, was zu geschehen hat?«
»Du,« antwortete der Ustad.
»Ja, du,« stimmte der Pedehr ein.
»So ist meine Ansicht die folgende: Der Bluträcher wird gefangen genommen, und zwar auf eine für uns möglichst ungefährliche Weise. Werden die gefangenen Soldaten bewacht?«
»Ja,« sagte der Pedehr.
»Von wieviel Personen?«
»Es sind zwei, welche vor dem verschlossenen Thore stehen. Das genügt vollständig.«
»Für heut genügt es nicht.«
»Warum?«
»Weil der Multasim jedenfalls die Absicht hat, diese Gefangenen zu befreien. Er kann mit zwei Begleitern die beiden Wachen, da sie so etwas nicht erwarten, leicht überraschen und überwältigen. Wir stellen also jetzt mehr Leute hin, damit er sich gar nicht nach dieser Seite wagen kann. Um so sicherer wendet er sich dann der Halle zu. Es wird an der Stelle, wo ich schlief, ein Lager errichtet. Doch niemand liegt darauf. Selbst wenn jemand so mutig wäre, diese Rolle zu übernehmen, so ist so ein Dolch oder Messer selbst für den stärksten Mann ein immerhin gefährliches Ding.«
Kara Ben Halef war von dem Lager seines Vaters herbeigekommen, um zuzuhören. Jetzt, bei diesen Worten, sagte er:
»Aber wenn du nicht so angegriffen von der Krankheit wärest, da wüßte ich, was geschähe, Effendi!«
»Nun, was?«
»Du würdest dich ruhig hinlegen, um die aufgehobene Hand des Mörders, wenn er zustoßen will, zu ergreifen und festzuhalten, damit er vollständig zu überführen sei.«
»Hm! Vielleicht thäte ich es! Davon kann aber jetzt keine Rede sein. Der Bluträcher darf nicht ahnen, daß er sich vollständig verraten hat. Es muß alles sorgfältig vermieden werden, was den Gedanken in ihm erwecken könnte, daß man seine Anwesenheit kenne und auf ihn vorbereitet sei. Darum dürfen wir nur so viel Personen in das Vertrauen ziehen, wie unumgänglich nötig sind. Kein weiterer darf etwas erfahren. Wie viele Wege giebt es nach hier herauf?«
»Nur den einen durch das Thor,« antwortete der Pedehr.
»Keinen verborgenen Schleichweg?«
»Keinen. Niemand kann über die Riesenmauer.«
»Also ist es auch für niemand möglich, anders als durch das Thor zu entfliehen?«
»Für keinen Menschen. Und das Thor wird ja geschlossen.«
»Man lasse es heut offen, damit der Multasim nicht darüberzuklettern braucht. Wir wollen ihm und seinen Begleitern das Kommen möglichst erleichtern, damit sie dann um so sicherer nicht ohne unsern Willen wieder fortgehen können. Ich meine, daß sie sich alle drei durch das Thor schleichen werden. Die beiden andern verstecken sich an einem passenden Orte, dem Multasim erforderlichen Falles beispringen zu können. Dieser setzt seinen Weg allein fort. Am Thore müssen sich handfeste Leute verbergen, welche die Perser zwar herein, aber nicht wieder hinaus lassen dürfen. Doch haben sie alles so still zu unternehmen, daß sie es uns nicht etwa verderben, hier oben den Multasim zu ergreifen. Hier bei uns genügen fünf bis sechs Personen, welche sich in den dunkeln Hintergrund der Halle zurückziehen, um den Mörder, sobald er sich hereingeschlichen und das Lager erreicht hat, zu packen. Wir haben schon um des Hadschi Halef willen das Geräusch zu vermeiden. Ich möchte gern haben, daß der Multasim in lautloser Stille überwältigt wird. Ich bin natürlich auch da, wenn ich auch nicht mit zugreifen werde. Wollt Ihr dabei sein, so ist es recht, denn da werden Eure Leute sich doppelte Mühe geben, alles richtig zu machen. Dort hinter der Thür müssen im Hausgange einige Personen mit brennenden Lichtern postiert sein, damit die Halle im gegebenen Augenblick sofort erleuchtet werden kann. Das ist es, was ich zu sagen habe. Hat jemand einen andern Wunsch?«
»Nein,« antwortete der Pedehr. »Denkst du, daß der Bluträcher uns lange warten lassen wird?«
»Gewiß nicht. Seine heutigen Begleiter kennen sicher alle seine Unternehmungen. Sie warten mit größter Neugierde auf seine Rückkehr. Auch den Mann mit den vier Pferden läßt er wohl nicht gern lange Zeit allein, weil jeden Augenblick sich eine Störung oder gar Entdeckung ereignen kann. Wie ich schon gesagt habe, so denke ich auch noch jetzt: Wenn kein Licht mehr hier oben brennt, wird der Multasim annehmen, daß wir schlafen, und sich unverzüglich an das Werk machen.«
»Wohlan, so wollen wir uns beeilen. In zehn Minuten soll alles zu seinem Empfange bereit sein. Gehst du einstweilen wieder hinauf in deine Wohnung, Effendi?«
»Nein. Ich bleibe hier.«
»So erlaubt, daß ich euch verlasse, die Vorbereitungen zu treffen!«
Er entfernte sich. Der Ustad ließ zwei Kissen bringen, auf welche wir uns an der Hinterwand niedersetzten, doch so, daß ich die drei Bogenöffnungen an den Säulen im Auge hatte und den Multasim, wenn er kam, sehen konnte. Kara war wieder zum Bette seines Vaters gegangen. Der Bote und sein Sohn hockten sich in unserer Nähe nieder, um im gegebenen Augenblicke mit zuzufassen. Dann kam der Pedehr mit noch vier kräftigen Männern, die sich in der hintern Ecke versteckten. Jenseits der Thür hielten einige Personen brennende Lichter. Dann wurden die unsern alle ausgelöscht. Da dachte ich an meine Lampe oben. Sie brannte ja, und ihr Schein mußte unten im Duar gesehen werden. Ich sagte das dem Ustad, der sich sofort erhob, um hinaufzugehen und sie selbst auszulöschen. Als er dann wieder kam, war alles bereit, denn der Pedehr hatte dafür gesorgt, daß sogar in der Küche alles finster war. Es schien sich jedermann im »hohen Hause« niedergelegt zu haben. Der Bluträcher konnte erscheinen!
War es nicht vielleicht sonderbar, daß ich herzlich wünschte, daß er kommen möge? Man soll doch nicht das Verlangen in sich tragen, daß sich einem das Verbrechen nahe! Aber nicht bloß das Denkvermögen, sondern auch das Gefühl hat seine Erwägungen, wenn man die logische Folgerichtigkeit derselben auch nicht so deutlich nachzuweisen vermag. Und wenn ich die Empfindung in mir trug, daß ich den Multasim herbeiwünschen müsse, so hatte sie jedenfalls ihren guten Grund. Der Bluträcher lebte; er war vorhanden. Seine Absichten richteten sich gegen mich. Sie konnten mir nur dann gefährlich werden, wenn ich auf seinen Angriff nicht gefaßt war. Ich hatte nicht ihn selbst, sondern nur die plötzliche Ueberrumpelung zu fürchten. Heut nun, jetzt, war ich auf ihn vorbereitet. Führte er seinen gegenwärtigen Plan nicht aus, so entwand er sich der Gewißheit, festgenommen zu werden, und zog alle meine Vorsicht, welche ich zu üben hatte, mit sich in die Ungewißheit hinaus. Darum mußte ich wünschen, daß nichts eintreten möge, was ihn verhindern könne, jetzt bei seinem Vorhaben zu bleiben.
Es war still in der Halle, und so dunkel, daß keiner den andern sehen konnte, obgleich wir uns so nahe waren. Der leise Schimmer der Nacht lag draußen auf den Stufen. Er konnte nicht bis zu den Säulen heran, weil er von dem Vordache über ihnen aufgefangen wurde. Darum hoben sich die drei Bogenöffnungen des Einganges zwar ganz bemerklich von dem Dunkel ab, aber der Fußboden war dem Sternenlichte so entzogen, daß ich mir sagen mußte, der Perser wäre sicher ganz unbemerkt hereingekommen, wenn wir seinen Anschlag nicht erfahren hätten. Bemerken muß ich da freilich, daß ich keinen Grund hatte, ihm diejenige Fertigkeit im Anschleichen zuzutrauen, welche zwar auch der geübte Beduine besitzt, in der aber nur die Indianer und Jäger des »fernen Westens« von Nordamerika wirklich Meister waren. Ich sollte bald erfahren, daß ich mich da geirrt hatte. Der Haß ist auf dem Schleichwege immer Meister. Er kann sich da in Beziehung auf seine Arglist und Ausdauer rühmen, unübertrefflich zu sein.
Der neben mir sitzende Ustad hatte zu mir herübergegriffen und meine Hand in die seinige genommen. Er hielt sie fest.
»Wie lieb ich dich habe, Effendi!« flüsterte er mir zu. »Ich habe es gar nicht gewußt. Aber als ich hörte, daß es sich um einen Angriff gegen dein Leben handle, erhob sich ein Gefühl in mir, als ob wir leiblich und geistig so eng verbunden seien, daß wir miteinander eine gleich denkende und gleich empfindende, vollständig unzertrennliche Einheit bilden.«
»War es wirklich ein Gefühl? Oder doch vielleicht etwas anderes?« fragte ich. »Wenn sich verwandte Geister küssen, fließen die Pulse ihrer körperlichen Herzen zu einem einzigen zusammen. Das Wort Geisterliebe klingt gespensterhaft, aber sie ist die höchste und die mächtigste, welche das Hier mit dem Dort verbindet. Indem sie das Eine zu dem Anderen emporhebt, bringt sie die Seligkeit.«
Vielleicht hätte ich noch etwas hinzugefügt, da ich mit diesem Gedanken mein Lieblingsthema berührte, aber ich verzichtete darauf, denn es war mir, als ob ich soeben etwas gehört und auch etwas gesehen habe. Es war nichts Bestimmtes, nichts für die Augen und Ohren fest Greifbares, sondern nur ein leises Rauschen oder Wehen wie von einem leichten Gewande, das schnelle Vorüberhuschen von etwas sich Bewegendem, aber gestaltlos und haltlos, von keinem wirklich existierenden Wesen rührend.
»Sahst du etwas? Hörtest du etwas?« fragte ich den Ustad.
»Nein. – Du?« antwortete er.
»Es war, als ob ein halbsichtbarer Gedanke quer durch die Halle gehuscht sei.«
»Wohin?«
»Nach der Ecke, wohin der Multasim kommen wird.«
»Den haben wir von draußen zu erwarten. Der ist nicht hier in dem Raume versteckt. Es wird eben, wie du sagtest, ein Gedanke gewesen sein.«
Das schien mir so richtig, daß ich annahm, mich wirklich getäuscht zu haben. Der, den wir erwarteten, konnte doch jedenfalls nicht aus der Ecke kommen, in welcher mein Hadschi Halef schlief. Wir hatten unsere Aufmerksamkeit nur nach dem Eingange zu richten, und das thaten wir in einer Weise, welche erwarten ließ, daß wir den Bluträcher trotz des allervorsichtigsten Anschleichens ganz gewiß und sofort sehen würden.
Es verging aber Zeit um Zeit, Viertelstunde um Viertelstunde, ohne daß wir etwas bemerkten. Da – – es mochte wohl nach einer Stunde sein – – gab es irgendwo ein leises Kratzen oder Scharren und hierauf ein ziemlich lautes, hastiges Atemholen, welches fast wie Röcheln klang. Der Ort, woher es kam, war nicht zu bestimmen. Ich nahm an, daß einer der versteckten Dschamikun so unvorsichtig gewesen sei, diesen lauten Atemzug zu thun, der uns sehr leicht verraten konnte; da aber erklang Kara Ben Halefs helle Stimme:
»Sihdi, laß die Lichter hereinbringen!«
Ich war natürlich außerordentlich überrascht, zumal dieser Ruf nicht von dem Bette seines Vaters her, wo er sich doch befunden hatte, erschollen war.
»Wo befindest du dich?« fragte ich ihn, selbstverständlich ebenso laut.
»Hier an deinem angeblichen Lager.«
»Welche Unvorsichtigkeit!«
»Sag lieber, welche Pfiffigkeit! Denn wenn ich nicht vorsichtiger gewesen wäre als ihr, so hätte er sich wieder fortgeschlichen. Ich habe ihn!«
»Maschallah! Ist das wahr?«
»Würde ich es sagen, wenn es anders wäre? Bringt Licht!«
Wir sprangen alle auf. Die Thür zum Hausgange wurde geöffnet, und die da draußen stehenden Leute kamen mit ihren brennenden Kerzen und Oellampen herein. Was wir nun sahen, das war allerdings verwunderlich. Ganz nahe an dem Bette, welches als das meinige gegolten hatte, lag ein Mensch, mit dem Rücken nach oben, vollständig bewegungslos. Er war nur mit der Hose bekleidet, sonst aber nackt, und hatte den Oberkörper und die Arme mit Oel eingerieben. Das ist eine Gepflogenheit der beduinischen Anschleicher, welche sich dadurch so schlüpfrig machen, daß sie, falls man sie entdeckt, nicht festgehalten werden können, weil das Oel oder Fett dem Körper eine Glätte verleiht, die jeden festen, ehrlichen Griff vergeblich macht. Bei ihm kniete Kara, welcher ihm beide Hände so fest um den Hals gelegt hatte, daß dem Ertappten die Möglichkeit der Gegenwehr vollständig genommen worden war.
»Schnell, bindet ihn!« sagte ich, alle Fragen auf später verschiebend. »Hinaus mit ihm und den Lichtern, die seinen Begleitern verraten, daß sein Vorhaben schlecht abgelaufen ist!«
Aber noch ehe man dieser Weisung nachgekommen war, traten die Folgen dieser plötzlichen Erleuchtung der Halle ein: Auf dem Vorplatze ließen sich laute Schritte hören, hierauf einige unterdrückte Rufe. Nun wurde es wieder still. Dann kam einer der dortigen Dschamikun die Stufen herauf und meldete:
»Sie sind ergriffen worden. Als sie die Lichter sahen, wollten sie schnell fort. Da nahmen wir sie fest!«
»Bringt sie uns!« sagte ich. »Ihr findet uns im Gange dort hinter der Thür.«
»Dürfen wir nicht hier bleiben, da wir sie nun doch haben?« fragte der Pedehr.
»Nein,« antwortete ich. »Die plötzliche Helligkeit dieses Raumes, auf den es abgesehen war, muß dem Perser, der sich bei den Pferden befindet, auffallen und ihn warnen. Schicke schnell deine Leute hinab, um auch ihn festnehmen zu lassen! Der junge Dschamiki, welcher weiß, wo der Ort liegt, mag sie führen!«
Während der Pedehr dieser Weisung folgte, wurde der Gefesselte hinausgetragen und die Thür hinter uns allen zugemacht, so daß es in der Halle nun wieder finster war. Erst jetzt fand ich Zeit, das Gesicht des Gefangenen zu betrachten. Wir hatten den Richtigen – – Ghulam el Multasim. Er lag mit geschlossenen Augen da. War er besinnungslos, oder stellte er sich nur so? Es giebt Menschen, welche zwar den Mut des gehässigen Angriffes besitzen, weil sie zu thöricht sind, die Folgen zu bedenken, und dann, wenn diese eintreten, die Augen zumachen, als ob das genüge, die wohlverdiente und unvermeidliche Strafe von sich abzuwenden. Was äußerlich dem Mute ähnlich war, ist dann in seiner eigentlichen Gestalt als Feigheit zu erkennen.
Jetzt brachte man seine beiden Genossen zu uns; auch sie waren gebunden. Sie hatten die abgelegten Kleider des Bluträchers bei sich gehabt, auch seine Pistolen. Er war nur mit dem Messer versehen gewesen. Dieses war ihm aus der Hand entfallen, als er von Kara beim Halse genommen worden war. Der Pedehr hatte es aufgehoben und zeigte es mir.
»Das ist die Klinge, mit welcher die Rose aufgebrochen werden sollte,« sagte er. »Was soll mit diesen drei Menschen geschehen, Effendi?«
»Wer hat darüber zu bestimmen?« erkundigte ich mich.
»Natürlich du. Der Angriff war ja gegen dich geplant.«
»Wird man das auch wirklich ausführen, was ich bestimme?«
»Gewiß!«
Als ich auch dem Ustad einen fragenden Blick zuwarf, erklärte dieser, seinem Scheike beistimmend:
»Es ist uns jeder verfallen, der sich ohne unsere Erlaubnis hier mit der Waffe treffen läßt. Aber wir pflegen nicht zu töten. Es ist zwischen uns und dem Multasim ausgemacht worden, daß die Frage der Rache, welche ihn hierher geführt hat, durch das Wettrennen beantwortet werden soll. Hast du mit ihm ein heimliches Abkommen getroffen, so geht das uns nichts an. Er erhalte die Folgen davon aus deiner Hand. Ich könnte ihn zwar dafür bestrafen, daß er sich mit dem Messer trotz unserer Vereinbarung in mein Haus geschlichen hat, trete aber dieses Recht hiermit an dich ab, Effendi. Thue mit ihm und seinen Helfershelfern, was dir beliebt. Er sei ganz nur in deine Hand gegeben!«
»So schafft diese drei Menschen einstweilen so, wie sie hier sind, zu den andern Gefangenen hinüber in das Gewölbe, und laßt sie dort bewachen! Morgen, wenn es Tag geworden ist, werden sie erfahren, was ich über sie beschlossen habe. Sie kamen bei Nacht; ich aber erwarte den Tag, denn ich will auf heimliche Anschläge keine lichtscheuen Antworten geben!«
Man kam dieser Weisung unverweilt nach. Als die Perser hinausgebracht worden waren, lagen die Kleider des Multasim noch am Boden. Der Pedehr forderte Tifl auf, nachzusehen, was sich in den Taschen befinde. Sie enthielten, wie es schien, nur die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände, und nur zuletzt entdeckte »das Kind« an einer verborgenen Stelle noch ein kleines Täschchen, aus dem er einen noch kleineren Lederumschlag hervorzog, in welchem einige beschriebene Papierblätter festgeheftet waren. Er gab das Büchelchen dem Pedehr, der es aufmerksam betrachtete und dann dem Ustad kopfschüttelnd mit den Worten hinreichte:
»Sonderbar! Das scheinen nur einzelne Buchstaben zu sein. Worte sind es nicht. Schau du zu, was es ist!«
Der Ustad nahm es in die Hand, sah es durch und sagte:
»Das ist das Täliq-Alphabet mit einer vorwärts gerückten Wiederholung. Ich würde glauben, es sei eine sogenannte Eselsbrücke für irgend einen Anfänger im Schreiben. Aber da auf der ersten Seite steht in derselben runden, stark nach links hängenden Schrift zu lesen: »Für Ghulam, den Dschellad[7]«. Es ist also für Ghulam ganz besonders bestimmt. Er wird »Henker« genannt. Weshalb? War es vielleicht ein Scherz? Dann hätte er es nicht so sorgfältig aufgehoben. Hat er es vielleicht selbst geschrieben? Was sagst du dazu, Effendi?«
»Ich kann nicht eher etwas sagen, als bis ich es gesehen habe,« antwortete ich ihm. »Ist es nur das Alphabet?«
»Dieses und die Ueberschrift, die ich vorgelesen habe. Denn die paar Buchstaben, die dann noch unter ihr stehen, können wohl kaum etwas zu bedeuten haben. Es ist ein Sa und ein Lam.«
»Weiter nichts?« fragte ich schnell.
»Noch das Verdoppelungszeichen dazwischen,« antwortete er. »Da, siehe selbst!«
Er gab es mir. Ja, das war das mir so wohlbekannte Erkennungszeichen der Sillan! Ich wußte sofort, daß dieses scheinbar ganz bedeutungslose Doppelalphabet gewiß von großer Wichtigkeit sei. Aber in welcher Weise wichtig, das war die Frage! Es enthielt zweimal alle persischen Buchstaben vom Aelyf bis zum Jäj und sogar Lam-Aelyf. Aber die gleichen Buchstaben standen nicht beieinander, sondern die zweite Reihe war weiter fortgeschoben, so daß die letzten sieben Buchstaben nicht hinten, sondern vorn ihr Ende fanden. Wenn ich versuchen will, dies durch das deutsche Alphabet zu verdeutlichen, so bekommt diese Probe folgendes Aussehen:
A b c d e f g h i k l m n o p q r s t u
t u v w x y z A b c d e f g h i k l m n
v w x y z. – – —
o p q r s. – – —
Es war mit Gewißheit anzunehmen, daß die bereits erwähnte Wichtigkeit dieser Zusammenstellung für die Sillan eine allgemeine, für den Multasim aber außerdem eine noch besondere sei. Ich wünschte sehr, hierüber Aufklärung zu erhalten. Aber von wem? Sie konnte mir nur durch eigenes Nachdenken werden. Jetzt aber gab es keine Zeit hierzu. Ich steckte also das Heftchen zu mir und sagte:
»Die Buchstaben sind wahrscheinlich das, wofür du sie hieltest, nämlich eine Eselsbrücke. Der Esel ist ohne Zweifel Ghulam selbst. Jetzt interessiert mich nur der Umstand, daß er »Henker« genannt wird. Ihr kennt ihn besser als ich. Habt Ihr vielleicht schon einmal diese oder eine ähnliche Bezeichnung seiner Person gehört?«
»Nein, nie;« antwortete der Pedehr. »Aber dadurch, daß er als Multasim sich mit seiner unersättlichen Habsucht an die Stelle des gütigen Beherrschers setzt, ist er wohl schon Unzähligen in Wirklichkeit zum Henker geworden.«
»Hier fällt mir eine Aehnlichkeit auf,« fügte der Ustad hinzu. »Steuerpächter des Schah-in-Schah und Paradiesespächter! Hier leibliches und dort seelisches und geistiges Henkertum! Wie manchen solchen Geist- und Seelenhenker mag es geben, der seines traurigen Amtes dadurch waltet, daß er an Stelle des einfachen und ehrlichen Alphabetes, welches uns der Herr gegeben hat, ein gefälschtes setzt! Was thun wir mit den Kleidern des Gefangenen?«