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Im Lande des Mahdi III
Er stand auf und gab mit der Hand ein Zeichen, auf welches sich alle andern Sitzenden auch erhoben, um zum Aufbruche zu rüsten. Da in diesem Augenblicke niemand scharf auf uns achtete, benutzte ich denselben, mich an Selim zu wenden:
»Du hast Ibn Asl wirklich kommen sehen?«
»Ja, Effendi«, antwortete er. »Es waren fünf weiße Asaker bei ihm.«
»Und bist doch sitzen geblieben!«
»Natürlich! Hast du vergessen, daß du mir befahlst, zu bleiben? Und hast du vergessen, daß ich dir versprach, allen deinen Befehlen zu gehorchen?«
Da übermannte mich denn doch der Zorn, und es entfuhr mir der Ausruf:
»O du Heupferd aller Heupferde! So eine Dummheit ist noch nie dagewesen! Konnte ich wissen, daß Ibn Asl kommen werde? Ich wußte es wohl, daß du uns ins Unglück bringen werdest! Wärest du beim Anblicke Ibn Asls schnell in das Gebüsch gesprungen, um nicht gesehen zu werden und uns zu warnen, so wäre er jetzt unser Gefangener, anstatt daß wir uns in seinen Händen befinden. Und wie kommst du dazu, ihm ein so offenes und ausführliches Geständnis über alles, was geschehen ist und was wir beabsichtigten, zu machen?«
»Du hast ja von ihm selbst gehört, daß er mich mit dem Tode bedrohte!«
»Dummkopf! Wenn ich dich nicht rette, wirst du ermordet trotz deines Geständnisses.«
»Meinst du, daß du uns zu retten vermagst, mein lieber Effendi?« fragte er kleinlaut.
»Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Bete zu Allah, daß er dich und uns in – —«
Ich wurde unterbrochen, denn es traten mehrere weiße Asaker zu uns, um uns zum Marsche fertig zu machen. Ibn Asl schien es überhaupt zu vermeiden, uns mit schwarzen Asakern oder gar den Djangeh in nähere Berührung zu bringen. Er befürchtete, wir würden verraten, daß der Häuptling der letzteren Freundschaft mit uns geschlossen hatte. Ich mußte aufstehen und bekam eine schwere Schebah angelegt. Unter Schebah versteht man einen starken Gabelast, in dessen Gabel der Hals des Sklaven oder Gefangenen gesteckt und dann durch ein Querholz festgehalten wird. Hierdurch behält der Gefangene den freien Gebrauch der Hände und Füße, während er durch den langen Ast, den er vor sich hertragen muß, am Entrinnen und an jedem Mißbrauche der Hände verhindert wird. Man hatte, wie es schien, den schwersten aller vorhandenen Aeste für mich ausgesucht. Aber das genügte noch nicht, denn es wurden mir noch zwei eiserne Handschellen angelegt, welche durch eine kurze Kette miteinander verbunden waren. Dann erst nahm man mir die bisherigen, nun überflüssigen Fesseln ab. Ben Nil und Selim wurden nur durch je eine Schebah unschädlich gemacht.
Beim Anlegen der Handschellen war ich darauf bedacht, keine sehr engen zu bekommen. Ich drückte die Ellbogen an den Leib und ballte die Finger fest zusammen, wodurch das Handgelenk sich verkürzte und einen größern Umfang bekam. Die beiden Kerls, welche mir die Schellen anlegten, ließen sich dadurch wirklich täuschen. Sie wollten mir zunächst Schellen anlegen, welche mir paßten und sich eng um meine Handgelenke gelegt hätten; infolge meiner Manipulation aber brachten sie die Schlösser nicht zusammen, und so suchten sie ein paar weitere aus, welche sich zwar schlossen, mir jedoch scheinbar nicht den geringsten Spielraum ließen. Dies gab mir die Hoffnung, mich von den Fesseln befreien zu können. Von der Schebah hoffte ich, dann auch bald loszukommen.
Der Aufbruch begann. Eine Anzahl guter Läufer wurde vorangeschickt, um die bereits vorausgegangenen Kundschafter zu verstärken. Dann kam eine Abteilung der Djangeh, welchen Ibn Asl mit seinen weißen Sklavenjägern folgte. Den Beschluß machten die übrigen Djangeh. Die meisten dieser Leute ritten auf Ochsen. Zwei von den Lasttieren trugen das Zelt, welches, wie ich erfuhr, allabendlich für Ibn Asl aufgerichtet wurde. An die Spitze meiner Schebah wurde ein mehrfach zusammengeflochtener Riemen befestigt, dessen anderes Ende Ibn Asl an seinen Sattel band. Mein Hals steckte in der Gabel der Schebah, deren Ast ich vor mir hertragen mußte. So trollte ich gerade wie ein Sklave seitwärts neben oder hinter meinem Todfeinde her. Die Gabeläste von Selim und Ben Nil waren in derselben Weise mit den Sätteln zweier anderer Reiter verbunden.
Ich sagte mir natürlich, daß die Djangeh, falls sie den wirklichen Sachverhalt gekannt hätten, ihrem jetzigen Anführer wohl nicht so bereitwillig gefolgt wären. Es stand vielmehr mit Gewißheit zu erwarten, daß sie sich in diesem Falle gesträubt hätten, ihm zu gehorchen. Ich war sogar überzeugt, daß sie dann wenigstens den Versuch gemacht hätten, uns zu befreien. Darum war ich entschlossen, die erste Gelegenheit, sie warnen zu können, trotz der Gefahr, welche mir dabei drohte, nicht vorübergehen zu lassen.
Aber wie das fertig bringen, da ich mich nicht so, wie es notwendig war, verständlich machen konnte! Ich suchte in Gedanken meinen geringen Wortvorrat zusammen und fand auch bald Gelegenheit, ihn in Anwendung zu bringen.
Wir waren über eine Stunde lang über offenes Land gezogen und sahen dann draußen am Horizonte wieder Wald vor uns liegen. Aus diesem kehrte einer der Kundschafter zurück, um dem Anführer der ersten Djangeh-Truppe eine Meldung zu machen. Dieser letztere kam zu Ibn Asl, um ihm dieselbe mitzuteilen. Es geschah dies in der Djangeh-Sprache, welche Ibn Asl, wie ich jetzt sah und hörte, gut verstand. Sie sprachen eine kleine Weile miteinander. Als sich der Djangeh dann zu seiner Abteilung zurückbegeben wollte, rief ich ihm zu:
»Ibn Asl anadsch rehm, badd ginu Scheik kador, Scheik and wirt, afod rahn – —«
Diese der Djangeh- und Nuehrsprache entnommenen Worte bedeuteten soviel wie: Ibn Asl ist ein schlechter Kerl; er wollte deinen Scheik ermorden; der Scheik ist jetzt als unser Freund bei uns. – – Weiter kam ich nicht, denn Ibn Asl griff nach meiner Schebah, riß daran, daß ich zu Boden stürzte, und schrie mir grimmig zu:
»Schweig, du Hund, du armseligster aller Lügner! Soll ich dein Maul mit der Peitsche verstopfen?«
Er zog die Nilpferdpeitsche aus dem Gürtel und schlug mich, der ich mich wieder aufrichten wollte, mit dem Knopfe derselben so auf den Kopf, daß ich fast wieder niedergesunken wäre. Dann erteilte er dem Djangeh den Befehl, sich zu entfernen, und dieser gehorchte, und zwar in einer Weise, daß ich wohl merkte, er lege meinen Worten nicht die von mir beabsichtigte Bedeutung bei.
»Wenn du nur noch ein einziges Mal mit einem Djangeh redest«, fuhr Ihn Asl drohend fort, »so gebe ich dir einen Knebel!«
Diese Drohung machte er gewiß wahr, und da es auf keinen Fall ein Vergnügen ist, einen Tag oder gar noch länger einen Knebel im Munde zu haben, so nahm ich mir vor, ihn nicht wieder auf diese Weise zu reizen.
Bald erreichten wir den erwähnten Wald. Es war ziemlich düster in demselben, denn die Bäume standen dicht, und der Nachmittag ging zu Ende. Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir ihn durchquert hatten; dann gelangten wir wieder auf offenes Land. Nach einer Viertelstunde brach der Abend herein; unser Zug blieb trotzdem in Bewegung, bis es vielleicht acht Uhr geworden war. Da hielten wir an, weil wir auf die Kundschafter gestoßen waren, welche uns hier erwartet hatten. Ich schloß daraus, daß wir uns in der Nähe des Dorfes Foguda, welches zerstört werden sollte, befanden.
Noch leuchteten die Sterne nicht in der Weise, daß ich weit genug hätte sehen können, um zu erfahren, welcher Art die Gegend war, in welcher wir uns befanden. Doch bemerkte ich wenigstens soviel, daß wir uns zwischen Büschen lagerten, welche den Sklavenjägern ein gutes Versteck gewährten.
Wir drei Gefangenen wurden von den Sätteln losgebunden. Dafür aber fesselte man uns die Füße wieder. Wir waren also gezwungen, uns zu legen, was uns große Unbequemlichkeiten verursachte, da es niemanden einfiel, uns die Schebahs abzunehmen. Außerdem ließen sich drei Männer bei uns nieder, welche uns zu bewachen hatten.
Das Thun und Treiben um uns her war ein sehr reges und doch beinahe geräuschloses. Man pflockte die Ochsen an oder band sie an die Sträucher fest. Feuer wurden nicht angezündet, doch sagte mir der Klang der Waffen und das Klirren der Ketten, daß man sich auf den Ueberfall des Dorfes vorbereite.
Ich zermarterte mir das Gehirn mit der Frage, ob es nicht möglich sei, die armen Schwarzen zu retten, sie wenigstens zu warnen. Hin zu ihnen konnte ich nicht; aber vielleicht war das Dorf so nahe, daß die Bewohner desselben meinen Warnungsruf zu hören vermochten. Ich wollte schreien, sagte mir dabei aber freilich, daß ich mein Leben auf das Spiel setze. Ein einziges Menschenleben gegen dasjenige so vieler! Hätte ich nur gewußt, daß ich den beabsichtigten Erfolg wirklich erreichen würde, dann hätte ich mein Leben gern in die Schanze geschlagen. Doch hing ja an demselben noch mehr, viel mehr. Ich wollte doch die Gohk in Wagunda retten, und mit diesen den Reis Effendina mit seinen Scharen. Dies war mir aber nicht möglich, wenn ich hier ermordet wurde. Was also thun?
Diese Gedanken und Erwägungen peinigten mich. Ich bemerkte, daß die Djangeh abzogen; ihnen folgten kurze Zeit später die weißen Asaker. Nur einige von diesen letzteren blieben, unsere drei Wächter ausgenommen, zur Beaufsichtigung der Ochsen zurück. Die Zeit drängte. Meine Angst um das bedrohte Dorf wuchs von Minute zu Minute. Hätte ich nur eine Hand, eine einzige, frei gehabt! Ich versuchte zwar in der Dunkelheit, die Schellen abzustreifen, aber es gelang mir nicht. Meine Hände waren infolge der Tageshitze und des beschwerlichen Marsches so schweißig, so geschwollen, daß alle meine Bemühungen vergeblich blieben.
Ungefähr eine Viertelstunde nach dem Abmarsche der Sklavenjäger hatte meine innere Unruhe einen solchen Grad erreicht, daß ich es nicht länger aushalten konnte. Ich mußte warnen, mochte darauf mit mir geschehen, was da wolle. Ich legte also die Hände hohl an den Mund, holte tief Atem, um meinem Rufe die nötige Stärke und Länge geben zu können, und stieß jenes Geheul aus, mit welchem wilde Völkerschaften ihre kriegerischen Angriffe zu begleiten pflegen. Ich that das zwei, drei Male hintereinander, ohne daß unsere Wächter mich daran hinderten. Einer von ihnen stieß ein höhnisches Gelächter aus und sagte:
»Dummkopf! Meinst du, daß Ibn Asl sich nicht vorgesehen hat? Er kennt dich. Er dachte daran, daß du so albern sein werdest, die schwarzen Hunde warnen zu wollen. Darum hat er hier halten lassen. Von hier bis zum Dorfe hat man fast eine Stunde zu gehen. Also schrei in Allahs Namen, wenn es dir Vergnügen macht! Ich gönne es dir, da es das letzte Vergnügen ist, welches du erlebst.«
Beinahe schämte ich mich. Und doch war ich froh, daß mein Beginnen keine schlimmeren Folgen hatte. Zu retten war Foguda also nicht; aber ich hatte meine Pflicht gethan und konnte in dieser Beziehung also ruhig sein. Nicht so in Beziehung auf die unglücklichen Menschen, denen jetzt das Verderben heimlich nahte. Ich lag wie im Fieber. Eine Viertelstunde nach der andern verging. Nach dem Stande der Sterne, welche jetzt heller leuchteten, mochte es zwischen zehn und elf Uhr sein; da begann der Himmel im Süden sich zu röten.
»Hamdulillah, es geht los!« meinte der vorige Sprecher in freudigem Tone. »Die Ratten werden ausgeräuchert.«
»Wollt ihr sie verbrennen?« fragte ich entsetzt.
»Verbrennen?« lachte er. »So weißt du also nicht, wie es bei einer Sklavenjagd zugeht?«
»Ich bin kein Menschenjäger.«
»So werde ich es dir beschreiben.«
»Schweig! Ich mag nichts hören.«
»Du mußt es hören. Du hast mir nicht Schweigen zu gebieten. Wenn ich sprechen will, so spreche ich, und dabei ist es meine Sache, wovon ich reden will. Gerade weil ich weiß, daß es dich quält und peinigt, werde ich dir sagen, wie man es macht, wenn man Sklaven fangen will.«
Ich gab ihm natürlich keine Antwort. Er fuhr fort:
»Du weißt, daß alle diese Negerdörfer von hohen Stachelzäunen umgeben sind. Die Dornen sind meist vertrocknet und brennen außerordentlich gut. Sobald man am Abende das Dorf umzingelt hat, brennt man den Zaun an verschiedenen Stellen an. In der Zeit von einigen Minuten brennt er überall; die Funken fliegen auf die Negerhütten, deren Dächer aus Schilf bestehen und sofort auch in Brand geraten. Die Schwarzen erwachen und wollen sich retten. Die kleinen Kinder und die Alten sind zu schwach dazu; sie müssen verbrennen. Den Starken aber, und gerade diese sind es, die man haben will, gelingt es, in kräftigen Sprüngen durch den brennenden Zaun zu brechen. Draußen ist es dunkel; sie sind geblendet und sehen nicht, wen und was sie vor sich haben; sie werden ergriffen und gefesselt. Wer von ihnen sich wehrt, wird niedergestochen, erschossen oder erschlagen!«
»Schweig mit deiner Beschreibung!« sagte Ben Nil. »Ihr seid keine Menschen, sondern wahre Teufel!«
»Da hast du recht,« lachte der andere. »Daß wir Teufel sind, werdet auch ihr sehr bald erfahren. Euch wird es noch viel schlimmer ergehen als den Negern, die wir soeben fangen. Sie haben nicht zu klagen. Wird einer erschossen, erschlagen, oder ins Feuer geworfen, so ist er schnell tot. Und wer Sklave wird, der braucht nicht mehr zu sorgen, denn sein Herr sorgt für ihn.«
»Ins Feuer geworfen?« fragte Ben Nil entsetzt. »Kommt das auch vor?«
»Sehr häufig! Alte Weiber mit kleinen Kindern, denen es gelungen ist, sich aus dem Brande zu retten, treibt man einfach in das Feuer zurück. Wer unter fünf und über dreißig Jahre alt ist, den können wir nicht brauchen, da niemand einen solchen Sklaven kauft. Und indem man solche unbrauchbare Schwarze in das Feuer zurücktreibt, erspart man das Pulver, welches sie nicht wert sind.«
In dieser Weise sprach der Kerl weiter und weiter. Ich konnte ihn nicht zum Schweigen bringen. Im Süden wurde es immer heller; der Himmel glühte; das Dorf brannte. Das Feuer warf seine Helle sogar bis her zu uns, woraus ich schloß, daß Foguda ein ungewöhnlich großes Dorf sei.
Wieder vergingen einige Stunden. Es war nach Mitternacht. Da kamen zwei weiße Asaker und meldeten den dreien, welche uns bewachten:
»Ibn Asl will diesen gefangenen Hunden zeigen, welchen Fang wir gemacht haben. Folgt uns mit ihnen nach Foguda!«
Man nahm uns die Riemen von den Füßen; wir mußten gehorchen, mußten mit fort. Der Feuerschein war jetzt nicht mehr so hell wie vorher, erleuchtete die Gegend aber doch noch so, daß wir sehr gut sehen konnten. Wir gingen erst zwischen Büschen hin, dann über offenes Land. Nach einer halben Stunde kamen wir an Feldern vorüber, deren Besitzer die kommende Ernte nun wohl nicht einzuheimsen vermochten. Dann erreichten wir das Dorf. Es brannte nicht mehr; es bildete nur noch einen rauchenden Aschenhaufen. Aber außerhalb des frühern Dornenzaunes hatten die Sklavenjäger einige große Feuer angebrannt, in deren Nähe sie ihre Beute umzingelt hielten. Diese letztere bestand aus Menschen und Tieren.
Die Neger haben nämlich ihre Herden stets außerhalb der Dörfer auf einem zwar eingefriedigten sonst aber freien Platze. Daher kommt es, daß bei einem Ueberfalle die Rinder, Schafe usw. niemals mit verbrennen, sondern dem Sieger in die Hände fallen. Diese Herden sind dem Sklavenjäger noch weit lieber als die erbeuteten Schwarzen, da hier im Lande eine Kuh wenigstens doppelt soviel wert ist, als selbst ein junger und kräftiger Sklave.
Ibn Asl hatte reiche Beute gemacht. Ich sah über hundert Rinder beisammenstehen, und die Zahl der Schafe schätzte ich wenigstens auf das vierfache, soweit ich nämlich in dem Helldunkel eine ungefähre Schätzung vornehmen konnte.
Und Menschen, Gefangene? Nun, ich sage, wenn ich meine Hände frei gehabt hätte, so wäre es jetzt um Ibn Asl geschehen gewesen. Es ist verboten, Menschenblut zu vergießen; aber bei dem Anblicke, den ich jetzt hatte, wäre es eine Wonne für mich gewesen, dem Sklavenjäger eine gute Klinge in das Leben zu stoßen.
Zwischen zwei der größten Feuer lagen sie, die unglücklichen Menschen, welche vor kurzer Zeit noch so ruhig, so ahnungslos geschlafen hatten. Sie lagen lang ausgestreckt, in Reihen eng nebeneinander. Die Männer waren von den Frauen und Mädchen, diese wieder von den Kindern getrennt. Zwischen diesen Reihen gingen Wächter auf und ab, mit Peitschen in den Händen. Die Gefangenen waren alle gebunden; wenn sich trotzdem einer von ihnen nur einigermaßen bewegte, bekam er Hiebe, daß, wie ich bei einem deutlich sah, sofort die Haut aufplatzte. Ich wendete mich von dieser Scene ab; Ben Nil und Selim thaten desgleichen.
Ibn Asl stand bei den Kindern. Er befühlte ihre Gliedmaßen, um die Beschaffenheit derselben zu untersuchen. Er hatte uns kommen sehen; er sah auch, daß wir uns abwendeten. Da kam er herbei, deutete auf einige starke Pfähle, welche den Negern zum Anbinden der Schlachtochsen gedient hatten, und befahl:
»Die Hunde wollen nicht sehen, was sie sehen sollen! Bindet sie an die Pfähle, so daß ihre Blicke auf die Neger gerichtet sein müssen, und wenn sie etwa die Augen schließen, so gebt ihnen die Peitsche solange, bis sie dieselben wieder öffnen!«
Dieser Befehl wurde ausgeführt. Man band uns in der Weise an, daß wir die ganze grauenhafte Scene vor uns hatten. Zu meiner Rechten lag das niedergebrannte Dorf. Ich sah zwischen den glimmenden und qualmenden Trümmern zahlreiche Ueberreste halbverkohlter Menschen liegen. Links hielten die Herden, von einer Anzahl Djangeh zusammengehalten und bewacht. Und gerade vor mir lagen die Reihen der Neger, zwischen denen sich die Wächter mit ihren drohenden Peitschen bewegten.
Ibn Asl war zu den Kindern zurückgekehrt. Er setzte seine Untersuchung fort. Diejenigen von ihnen, die er für kräftig genug fand, den weiten Transport auszuhalten, blieben liegen; die andern, die er mit einem verächtlichen Winke seiner Hand bezeichnete, wurden zur Seite getragen und dort niedergeworfen. Noch ahnte ich nicht, was er mit diesen Unglücklichen vornehmen werde. Da sie ihm als unbrauchbar erschienen, so war ich überzeugt, daß er sie ihrer Fesseln entledigen und einfach laufen lassen werde. Aber wie hatte ich mich da geirrt!
Als seine Untersuchung zu Ende war, hörte ich ihn einen Befehl aussprechen, und sogleich eilten mehrere seiner Leute zu den ausgeschiedenen Kindern – die Messer dieser Unmenschen blitzten – ich schrie laut auf und schloß die Augen – mehrere Peitschenhiebe zwangen mich, sie wieder zu öffnen – – als ich dort hinübersah, lebte keines von den Kindern mehr.
Die Mütter und Väter der Ermordeten schrieen und heulten vor Schmerz; sie sträubten sich gegen ihre Fesseln; sie wollten auf, um den Tod ihrer Kinder zu rächen. Die Armen! Man brachte sie durch Peitschenhiebe zum Schweigen, und einige, bei denen dieses Mittel nicht fruchten wollte, wurden einfach erschossen.
Ich fühlte eine Wut in mir, welche gar nicht zu beschreiben ist. Meine Glieder zitterten förmlich, nicht aus Schwäche, sondern infolge des inneren Grimmes. Wie oft hatte ich Ibn Asl und mehrere, ja alle seiner Mitschuldigen geschont! In diesem Augenblicke bereute ich dies auf das bitterste. Ich machte mir die schwersten Vorwürfe und nahm mir fest und heilig vor, nun nicht wieder so schwach und nachsichtig zu sein, falls ich in die Lage kommen Sollte, diesen Massenkindermord zu rächen.
Leider hatte ich noch nicht alles gesehen; es sollte, wenn auch nicht noch schlimmer, aber doch auch nicht besser kommen. Es ging nämlich jetzt an die Untersuchung der Erwachsenen. Dabei wurden die als untauglich erscheinenden gar nicht erst entfernt, sondern an Ort und Stelle getötet. Um nicht aufzubrüllen, preßte ich die Zähne zusammen; aber ich behielt die Augen offen, jetzt nicht aus Furcht vor der Peitsche, sondern ich wollte nun Augenzeuge dieser Schlächterei bis zum letzten Ende derselben sein.
Als sie vorüber war, wurden die Schebahs und Eisenketten gebracht. Die Gefangenen waren bis jetzt nur mit Stricken und Riemen gebunden gewesen; nun aber bekamen sie die Handschellen und Gabeläste angelegt, und es wurde einer immer in der Weise an den andern gefesselt, daß sie alle nur auf der einen Seite liegen konnten und, wenn sie dessen müde waren, sich alle zugleich auf die andere Seite legen mußten. Sie verhielten sich jetzt still; sie sahen ein, daß offener oder auch nur heimlicher Widerstand ihr Schicksal nur verschlimmern konnte.
Als Ibn Asl diese seine Arbeit vollbracht hatte, kam er wieder zu mir, grinste mir höhnisch in das Gesicht und fragte:
»Nun, wie gefällt es dir? Meinst du nicht, daß wir einen guten Fang gethan haben und ausgezeichnete Geschäfte machen werden?«
Ich drückte alle meine Empörung nieder und antwortete, wie ich glaube, im ruhigsten Tone:
»Der Fang ist allerdings ein sehr reichlicher. Ich schätze die Schwarzen, welche du leben ließest, auf wenigstens zweihundert. Laß unterwegs auch den vierten Teil zu Grunde gehen, so sind es doch hundertfünfzig, für welche du Bezahlung bekommst. Dazu die Herden. Ich beneide dich!«
Wäre die Scene eine andere gewesen, so hätte ich im stillen über das Gesicht lachen müssen, welches er mir bei diesen meinen Worten zeigte. Er fuhr förmlich um einige Schritte zurück, staunte mich an und meinte:
»Du beneidest mich? Allah thut Wunder über Wunder! Es muß ganz plötzlich ein anderer Geist in dich gefahren sein.«
»Das ist allerdings der Fall, und ich denke, daß du diesen Geist sehr bald kennen lernen wirst.«
»Willst du etwa auch Sklavenjäger werden?«
»Nein, das nicht. Sklaven suche und mag ich nicht. Es sind nur einige ganz besondere Menschen, welche ich fangen will und hoffentlich auch fangen werde.«
»Wer ist das?«
»Ich könnte es verschweigen, will es dir aber doch sagen, damit du mich nicht für feig oder hoffnungslos hältst. Wen ich fangen will? Zunächst vor allen Dingen dich und sodann deine weißen Asaker.«
Er schlug ein schallendes Gelächter auf und rief:
»Mich und meine weißen Asaker! Warum nicht auch meine schwarzen Soldaten?«
»Weil diese getäuscht, belogen und verführt worden sind. Darum wird die Strafe, die dich und deine Weißen erwartet, nicht auch sie mittreffen.«
Er starrte mir eine ganze Minute lang in das Gesicht, trat dann näher zu mir heran, untersuchte meine Schebah und die Handschellen sehr sorgfältig und sagte, als er diese ganz in Ordnung fand:
»Fast glaubte ich, du habest dich deiner Fesseln schon halb entledigt und seist also der Hoffnung, wieder freizukommen; da ich aber sehe, daß dies nicht der Fall ist, so kann ich nur annehmen, daß du plötzlich verrückt geworden bist.«
»Ich bin vollständig bei Sinnen und weiß ganz genau, was ich sage.«
»So? Nun, ich werde dir jetzt zeigen, wie ich solche – —«
Er hielt inne und betrachtete mich abermals mit stechendem Auge, während ich seinen Blick ruhig aushielt. Er hatte die letzten Worte im zornigsten Tone gesprochen und dabei das Messer aus dem Gürtel gerissen, als ob er es mir in die Brust stoßen wolle. Aber er besann sich eines andern, fletschte mir mit überlegenem Lachen seine Zähne entgegen, steckte das Messer wieder zurück und fuhr fort:
»Doch nein! Mich überrumpelst du nicht! Ich bin klug genug, zu wissen, was du beabsichtigst.«
»Dazu gehört keine besondere Klugheit. Ich beabsichtige, dir meine Meinung, die Wahrheit zu sagen. Das ist alles.«
»O nein! Verstelle dich, so sehr du nur willst, mich täuschest du doch nicht. Du giebst dich verloren; du weißt, daß du meiner Rache hoffnungslos verfallen bist und daß dich Martern erwarten, die noch niemand vor dir erlitten hat. Um diesen Qualen zu entgehen, um leicht und schnell zu sterben, hast du dir vorgenommen, mich zu reizen. Du meinst, daß ich dich im Zorne rasch töten werde; aber da hast du dich verrechnet; ich bin klüger als du denkst. Ich werde dich schonen, bis ich Wagunda auch überfallen und verbrannt habe. Dann befindet sich dein geliebter Freund, der Reis Effendina, auch in meinen Händen, und ich werde euch die Freude bereiten, euch gegenseitig in Schmerzensschreien und Jammertönen überbieten zu können.«
Nun legte er mir in höhnischer Freundlichkeit die Hand auf die Achsel und fügte noch hinzu:
»Du siehst also, wie überlegen ich dir bin. Dich kann weder Allah noch der Satan aus meiner Hand erretten. Du bist verloren. Und solltest du vielleicht von dem Reis Effendina Hilfe erwarten und der Ansicht sein, daß ich diesen nicht ergreifen werde, so will ich dir hiermit sagen, daß ich noch in dieser Nacht nach Wagunda aufbrechen werde. Er erwartet mich jetzt noch nicht; er kann mich noch nicht erwarten, und je mehr ich mich beeile, desto sicherer überrasche ich ihn. Ihr drei werdet jetzt zu essen und zu trinken bekommen, nicht etwa aus Mitleid, o nein, sondern damit ihr stark genug seid, die schnelle Reise auszuhalten.«
Er wendete sich von mir ab und erteilte einige Befehle, welche seine letzten Worte betrafen. Ich hatte meine Absicht erreicht und war von dem, was er mir mitgeteilt hatte, sehr befriedigt. Daß er annahm, ich wolle ihn reizen, gab mir die Gewißheit, daß er sich wenigstens zunächst hüten werde, gegen unser Leben oder unsere Gesundheit etwas zu unternehmen.