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Im Lande des Mahdi III
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Im Lande des Mahdi III

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»Warum diese Worte? Ich weiß, daß du dich nicht fürchtest.«

»Aus Sorge für dich, nicht für mich. Ich gehe mit dir bis an das Ende der Welt; aber es ist meine Pflicht, dich darauf aufmerksam zu machen. Der Dolmetscher sagte, daß Foguda drei volle Tagreisen von hier entfernt sei. Bedenke, daß wir keine Reittiere haben und also laufen müssen, durch Urwald und Sumpf, den wir nicht kennen.«

»Er hat die genaue Richtung angesagt und den Weg kurz beschrieben. Das genügt mir.«

»Du willst die Bewohner von Foguda aufbieten, mit uns hierher zu ziehen?«

»Ja. Foguda liegt seitwärts des Weges, auf welchem Ihn Asl hierher kommen wird. Wir legen uns mit den dortigen Gohk auf die Lauer, lassen ihn vorüber und folgen ihm. Hier stellen wir uns hinter ihm auf und fallen, wenn er das Dorf angreift, über ihn her.«

»Diesen Plan willst du den Leuten in Foguda erklären? Aber du kennst ja deren Sprache ebensowenig, wie ich sie kenne. Und einen Dolmetscher haben wir nicht mit!«

»Ich rechne auf mein gutes Glück. Vielleicht giebt es einen unter ihnen, der ein wenig Arabisch versteht und wenn nicht, so hoffe ich, mit der Zeichensprache und einigen Worten, die mir doch bekannt sind, auszukommen.«

»Und du glaubst, daß die Fogudakrieger uns hierher begleiten werden?«

»Ich bin überzeugt davon, da sie zu demselben Stamme mit den Bewohnern von Wagunda gehören.«

»Nun wohl! Du hast stets die besten Gedanken, und so wird der jetzige wohl auch der richtige sein. Laß uns aufbrechen, denn wir müssen drei Tage lang tüchtig marschieren. Aber wovon leben wir?«

»Von Früchten, welche wir finden werden, und von dem, was wir schießen. Uebrigens haben wir gestern so viel gegessen, daß ich für heute und morgen wohl nichts brauchen werde.«

Wir verließen den See und schritten in der Richtung, nach welcher wir gestern geritten waren, fort, ohne daß es mir einfiel, noch einen Blick hinauf nach dem Dorfe zu richten, wo alles noch zu schlafen schien. Wir waren ungefähr zehn Minuten gegangen und durchquerten gerade ein leichtes Gebüsch, als ich hinter uns ein Schnaufen hörte, ähnlich demjenigen eines Hundes, welcher seinen Herrn verloren hat und nun ängstlich nach der Spur desselben sucht. Ich drehte mich um und hielt das Gewehr zum Schusse bereit. Wir wurden verfolgt, hatten aber, wie ich bald sah, nichts zu fürchten, denn unser Verfolger war kein anderer, als der lange Selim, der mit Riesenschritten, so daß sein langes Gewand hinter ihm flog, uns nachgeeilt kam.

»Halt, Effendi, halt!« rief er, als er mich erblickte. »Wo wollt ihr hin?«

»Sage erst, wohin du selber willst?«

»Mit euch!« antwortete er, indem er keuchend bei uns stehen blieb.

»Bleib‘ in Gottes Namen hier; wir können dich nicht gebrauchen!«

»Nicht? Mich, den tapfersten der Helden?«

»Dich, den Unglücksbringer! So oft ich dich mit mir nahm, hast du mir Unheil gebracht.«

»Allah, Allah! Sprich doch nicht so, Effendi! Allen meinen Schritten folgt Heil und Segen nach. Warum wollt ihr nicht bleiben? Warum habt ihr gestern abend das Dorf verlassen?«

»Weil ich Undank fand.«

»Ich habe es gehört, und die Asaker bedauern es, weil sie dich lieb gewonnen haben. Sie hofften, daß du heute zurückkehren werdest. Ich erhob mich früh vom Lager, um nach dir zu suchen, weil ich dein natürlicher Beschützer und Behüter bin. Ich nahm mein Messer und mein Gewehr, um das Dorf zu verlassen. Eben als ich in das Freie trat, sah ich euch. Ich rief, aber ihr konntet es nicht hören; so bin ich euch also nachgerannt.«

»Um gleich wieder umzukehren!«

»Nein, Effendi. Ich gehe mit euch.«

»Und ich befehle dir, zum Reis Effendina zurückzukehren! Wir gehen Gefahren entgegen und haben dich nicht nötig.«

»Das denkst du nur. Und wenn du mich wirklich fortjagst, laufe ich euch von weitem nach!«

Da stellte sich Ben Nil auf seine Seite und bat für ihn. Was sollte ich machen! Treu war der alte Kerl; aber Pech, Pech und immer wieder Pech, hatte er mir stets und überall gebracht. Sollte ich mich hier unnütz mit ihm herumstreiten? Ich wußte, daß er uns doch nachlaufen werde. Darum entschied ich, freilich höchst ungern:

»Nunwohl, so gehe mit! Ich weiß, daß du uns Unglück bringst, will es aber trotzdem noch einmal mit dir versuchen, falls du mir versprichst, allen meinen Anordnungen auf das genaueste nachzukommen.«

»Allen, allen, Effendi!« beteuerte er, indem er die Hand auf das Herz legte. »Verlange von mir, was du willst, ich thue es; nur verlange nicht, daß ich dich verlasse.«

Wir setzten, nun zu dreien, unsern Weg fort, welcher uns zunächst nach der erwähnten Furt führte. Selim blieb, da er die längsten Beine hatte, nicht hinter uns zurück, obgleich er sehr bald über heftiges Leibweh und Magendrücken klagte. Nach dem, was er im Essen geleistet hatte, war dieses Unwohlsein sehr leicht zu erklären.

Gestern waren wir durch die Furt geritten, heute mußten wir sie durchwaten, wobei uns das Wasser bis an die Brust ging. Nachdem wir noch eine Stunde im Winkel, den die beiden Quellflüsse des Tonj bildeten, zurückgelegt hatten, wendeten wir uns von der Route, auf welcher Ihn Asl zu erwarten war, um ein weniges nach Süden ab. Ich richtete mich dabei weniger nach der Beschreibung des Weges, welche der Dolmetscher mir geliefert hatte, als nach meinem Kompaß, auf welchen ich mich lieber verließ. Auch ist der Instinkt eines erfahrenen Reisenden ein besserer Führer als das Wort eines jungen Negers, dem es fast stets schwer wird, verwandte Begriffe nicht zu verwechseln. Ich wußte, in welcher Richtung Foguda lag, und wenn ich diese Richtung einhielt, mußten wir unser Ziel unbedingt erreichen.

Das, was ich soeben Instinkt genannt habe, bewährte Sich, wenigstens am ersten Tage. Wir kamen durch keine der Sumpflandschaften, welche wir gefürchtet hatten, sondern durch einen ungeheueren Tamarindenwald, welcher ohne Ende zu sein schien. Die Bäume desselben standen soweit auseinander, daß der Boden ziemlich trocken war und wir leichtes Wandern hatten, und doch auch wieder so dicht, daß die Kronen derselben uns einen sehr wohlthätigen Schatten gewährten.

An einer großen Wasserlache, an welcher wir vorüberkamen, gab es allerlei gefiederte Tiere, und es gelang mir, einige Vögel zu schießen, welche wir am Abende braten konnten. Als die Sonne sich dem Horizonte näherte, war der Wald zu Ende, und wir kamen auf eine vollständig ausgedorrte Prairie, welche wir in derselben Richtung weiter wanderten. Sie konnte hier in dieser flußreichen Gegend nicht groß sein, und wirklich tauchten, eben als die Sonne ihre letzten Strahlen aus dem Westen sandte, gerade vor uns die Umrisse eines zweiten Waldes auf.

Wir waren müde, hielten aber nicht am Rande dieses Waldes an, weil von demselben aus unser Feuer weit in die Prairie hinaus zu sehen gewesen wäre, sondern drangen trotz der Dunkelheit tiefer ein und machten erst nach angemessener Zeit den ersehnten Halt. Dürres Holz gab es hier genug; bald brannte das Feuer, und wir waren eifrig mit dem Rupfen und Ausnehmen unserer Jagdbeute beschäftigt. Der Braten geriet ganz nach den Verhältnissen unserer nicht sehr luxuriös eingerichteten Küche. Auch schien er etwas bejahrt zu sein; da aber weder Geburts- noch Impfzeugnis vorhanden war, verzehrten wir ihn als jung und legten uns dann schlafen. Aber wir schliefen nicht alle drei zugleich. Einer mußte wachen, um nach zwei Stunden den nächsten zu wecken; das gab in Summa sechs Stunden, welche wir für die Ruhe bestimmt hatten.

Nach dieser Zeit verzehrten wir den Rest der zähen Poularden, welche eigentlich Ibisse waren, und machten uns dann wieder auf den Weg, gerade als der Tag zu grauen begann. Er war nicht so glücklich für uns wie der vorhergehende. Wir kamen durch sumpfige Gegenden und mußten sehr vorsichtig sein und oft von der geraden Richtung abweichen, um gefährliche Stellen zu umgehen. Hier schien alles Leben erstorben zu sein. Es war jedenfalls vorhanden, floh uns aber, und so kam es, daß der Abend hereinbrach, ohne daß wir irgend ein jagdbares Tier zu Gesicht bekommen hatten. Darum mußten wir uns »ungespeist« niederlegen, was dem hungrigen Selim einige sehr gewichtige Seufzer entlockte. Als ich ihm versicherte, daß wir jedenfalls morgen mehr Glück haben würden, schlief er beruhigt ein.

Ich hatte diesen Ausspruch im besten Glauben gethan, konnte aber leider mein Versprechen nicht halten. Es gab auch am nächsten Vormittage nur Sumpf und wieder Sumpf. Von unschädlichen oder eßbaren Früchten oder Wurzeln war da keine Rede, und von irgend einem Wilde war, wie der Jäger sich auszudrücken pflegt, auch kein Schwanz zu sehen. Hatte gestern nur Selims Magen geknurrt, so begann heute er selbst zu murren und zu klagen, und das in einer Weise und Tonart, welche es sehr geraten erscheinen ließ, diesem höchst ungesättigten Zustande möglichst schnell ein Ende zu machen.

Hätte ich den unglückseligen Urian doch nur murren lassen; es wäre uns viel Unheil erspart geblieben! Aber er war ein starker Esser; Hunger thut weh, und darum dauerte er mich. Es war schon Mittag, und nach meinem Vermuten mußten wir Foguda noch vor Abend erreichen. Das sagte ich ihm, aber der Erfolg war nur das eine Wort: Hunger, Hunger und Hunger! Auch Ben Nil sah erschöpft aus. Auch er hatte natürlich seit gestern früh nichts genossen, und ebensolang war unsere Wanderung durch die Sümpfe eine sehr anstrengende gewesen. Er sagte nichts, sehnte sich aber jedenfalls ebenso wie Selim nach der notwendigen Stärkung. Was machen, hier mitten im Urwalde, wo es gewiß genug Tiere gab, von denen sich aber keines sehen ließ? Wie eine Antwort auf diese stille Frage erklang von links der Ruf zu uns herüber »Karnuk, Karnuk, Karnuk!« Das war Hilfe.

»Ihr sollt zu essen haben, und zwar sofort!« sagte ich.

»Was und woher?« fragte Selim.

»Von dort her,« antwortete ich, indem ich nach der angegebenen Richtung deutete. »Habt ihr den Vogelruf nicht gehört? Es ist ein Karnuk, und wo es einen Karnuk giebt, da giebt es auch noch andere Vögel. Kommt, aber so leise wie möglich!«

Karnuk ist der Kronkranich, Grus pavonia, Sein Ruf klingt wie »Karnuk, Karnuk – nuk – nuk«, und daher sein arabischer Name. Ich vermutete, daß da, wo er sich befand, Wasser sei, und nahm daher an, dort auch noch andere Sumpf- und Wasservögel zu finden. Wir schwenkten also nach links ab und schlichen uns unter den Bäumen hin, bis sich zwischen denselben ein dichtes Oschergebüsch zeigte. Als wir durch dasselbe geschlüpft waren, befanden wir uns im Freien. Der Wald lag an dieser Stelle hinter uns. Zu unserer Linken bildete er einen rechten Winkel. Der Rand, an welchem wir standen, lief genau von Süd nach Nord. Der andere Winkelschenkel bog gerade nach Ost. Rechts, ungefähr hundert Schritte von uns, gab es einen Sumpf, dessen mit hohem, dichtem Schilfe bestandene Ufer bis nahe an den Wald reichten. Dort war der Ruf erklungen, und dorthin wendete ich mich, indem ich das Gewehr vom Rücken nahm.

»Darf ich mit?« fragte Ben Nil. »Du weißt, Effendi, daß ich dir die Jagd nicht verderbe.«

»Ja, komm!« antwortete ich, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Er wollte gern auch etwas schießen.

»Ich möchte auch mit,« meinte Selim. »Vor meiner Kugel erzittert jedes Wild.«

»Und fliegt sodann unverletzt davon,« fügte ich hinzu. »Du Unglückskind würdest uns alles verscheuchen. Du bleibst zurück, hier am Rande des Gebüsches, damit wir dich dann nicht zu suchen brauchen. Lauf‘ nicht etwa davon! Verstanden?«

»Ja, ich bleibe stehen, Effendi. Ich habe ja versprochen, alles zu thun, was du verlangst. Nur schaffe recht bald etwas zu essen!«

Er setzte sich nieder, und wir entfernten uns und huschten am Waldesrande nach der Spitze des Sumpfes. Ich drang vorsichtig in das Schilf ein und sah zwei Kronenkraniche im Wasser stehen. Die schönen grauen Vögel nahmen sich mit ihren hohen Kopfbüschen prächtig aus, waren aber alt, also nicht zu essen. Dagegen bemerkte ich weiter oben eine Gesellschaft von Sporengänsen, nämlich am jenseitigen Ufer, während am diesseitigen Ufer ein Sporenkibitzpaar im Wasser hockte. Der Sudanese nennt diese letzteren, sehr wachsamen Vögel nach ihrer Stimme Siksak. Da eine Gans einen besseren Braten als ein Kibitz giebt und auch leichter zum Schusse kommt als dieser, wendeten wir uns um die Spitze des Maijeh hinum dem andern Ufer zu, an welchem wir in gebückter Stellung hinter dem Schilfe entlang schlichen. Da klang es plötzlich und ängstlich »Sik-sak, sik-sak!« Die Kibitze hatten sich drüben erhoben, kamen über den Maijeh herüber und flogen über uns hinweg.

»Was ist das?« fragte ich leise, indem ich stehen blieb. »Die Kibitze sind drüben aufgescheucht worden. Von wem?«

»Von uns,« meinte Ben Nil. »Sie haben uns gesehen.«

»O nein. Das Schilf deckte uns ja. Wären wir es gewesen, vor denen sie flohen, so wären sie doch nicht herüber nach unserer Seite gekommen.«

»Sie werden Selim bemerkt haben.«

»Das ist allerdings möglich. Komm also weiter!«

Als wir die Stelle erreichten, wo ich jenseits des Schilfes die Gänse gesehen hatte, drangen wir langsam und leise in das letztere ein. Es gelang uns, die Gesellschaft zu sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.

»Nimm die junge, fette links!« flüsterte ich Ben Nil zu, indem ich meinen Lauf auf eine andere richtete. Die beiden Schüsse krachten fast zu gleicher Zeit; die Schar stob schnatternd auseinander; die beiden Opfer aber waren so gut getroffen, daß sie sich kaum noch bewegten. Wir drangen vollends durch das Schilf und langten sie mit unseren Gewehren aus dem Wasser.

»So, jetzt giebt‘s zu essen,« lachte Ben Nil befriedigt. »Nun wird Selim wohl nicht mehr wimmern.«

Jeder seine Gans in der Hand, kehrten wir um den Maijeh nach der andern Seite zurück. Es war, seit wir Selim verlassen hatten, doch über eine Viertelstunde vergangen. Als wir den Sumpf umschritten hatten und ich am schnurgeraden Waldesrande hinblickte, sah ich Selim nicht. Auch Ben Nil vermißte ihn, denn er sagte:

»Dieser Mensch ist doch nicht da geblieben, wo er bleiben sollte! Er wird auch nach dem Maijeh gegangen sein. Jedenfalls war er es, der die Kibitze vertrieb.«

Da dies sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich war, fühlte ich, der ich sonst so vorsichtig bin, mich nicht beunruhigt, und so schritten wir langsam der Stelle zu, an welcher Selim gesessen hatte. Dort angekommen, sah ich zunächst, daß keine Spur von hier aus nach dem Sumpfe führte. Er war also nicht dort; aber mehrere Zweige des Gebüsches waren abgebrochen.

»Er ist wieder in den Wald gegangen,« sagte ich. »Warum, wozu?«

Kaum hatte ich diese Frage ausgesprochen, so bekam ich die Antwort, aber auf eine ganz und gar unerwartete Weise. Es richteten sich nämlich jenseits des Strauches mehrere Gestalten auf, welche mit den Kolben ihrer Gewehre zum Schlage ausholten. Ich wollte zurückspringen, aber es war bereits zu spät. Ein Hieb streckte mich nieder; ich versuchte, mich aufzurichten, bekam aber einen zweiten Hieb, der mir die Besinnung raubte.

Als ich später erwachte, war es mir ganz eigentümlich vor den Augen. Ich sah wie durch einen dichten Nebel, hinter welchem Gestalten saßen. Mein Kopf that entsetzlich weh. Ich wollte nach demselben greifen, konnte aber nicht, denn meine Arme waren fest an den Leib gebunden.

»Der Hund hat die Augen offen,« ertönte es gerade vor mir. »Er lebt also noch. Welch eine Freude für uns!«

Auch diese Stimme klang wie durch einen Nebel, wie aus der Ferne oder vielmehr wie durch eine Wand an mein Ohr. Dennoch kam sie mir bekannt vor. Ich sann und sann, wo ich sie schon gehört haben mochte – vergeblich; meine Sinne waren noch halb gelähmt von den zwei Kolbenhieben.

»Hättet ihr ihn gegen meinen Befehl zu Tode getroffen,« hörte ich dieselbe Stimme wieder, »so wäre uns ein großer Genuß entgangen. Nun er aber lebt, werden ihm endlich, endlich die Qualen werden, die ich ihm schon oft vergeblich angedroht habe. Dieses Mal entkommt & uns nicht wieder!«

Jetzt, ja jetzt wußte ich, wer der Sprecher war. Ibn Asl, mein Todfeind! In seiner Hand befand ich mich! Ich schloß die Augen, nicht etwa vor Angst, vor Entsetzen, o nein! Es giebt keine Lage, in welcher der Mensch zu verzweifeln braucht. Aber mir war vor allen Dingen Ruhe nötig, Ruhe, damit meine Sinne vollständig erwachen, mein Denkvermögen sich erholen könne. Und kaum hatte ich die Augen zu, so wußte ich nichts mehr von mir. War es tiefer Schlaf, in den ich verfiel, oder eine abermalige Bewußtlosigkeit, die mich erfaßte, ich weiß es nicht; aber als ich zum zweiten Male erwachte, schmerzte mich mein Kopf zwar noch ebenso, übrigens jedoch fühlte ich mich äußerlich so kräftig und innerlich so klar, als ob vorher gar nichts geschehen sei.

Ich öffnete die Wimpern ein klein wenig, um verstohlen hindurchzublicken. Was ich sah, konnte keineswegs tröstlich genannt werden. Es war noch Tag. Ich lag am Waldesrande, genau an der Stelle, an welcher ich niedergeschlagen worden war. Neben mir lagen rechts Ben Nil und links Selim, beide mit offenen Augen und beide ebenso an Händen und Füßen gebunden wie ich. Gerade vor mir saß Ibn Asl, welcher den Blick mit haßerfülltem Ausdrucke auf mich gerichtet hielt. Um ihn saßen die ihm Näherstehenden seiner Untergebenen, etwas entfernter die weißen Sklavenjäger. Weiter draußen folgten die Djangeh, welche teils auch ruhten und teils beschäftigt waren. Diese Beschäftigung bestand in dem Zäumen und Satteln der Ochsen, welche zwischen dem Walde und dem Sumpfe geweidet hatten. Eine ganze Anzahl dieser Tiere war dazu bestimmt, die Stricke, Ketten und Halsbäume zu tragen, mit denen die einzufangenden Sklaven gefesselt werden sollten. Von diesen Werkzeugen war eine Menge vorhanden.

»Mach die Augen weiter auf, du Hund!« fuhr mich Ibn Asl an. »Meinst du, ich sei blind, um nicht zu sehen, daß du durch deine verfluchten Wimpern blickst?«

Um ihn nicht zu weiteren, zwecklosen Beleidigungen zu veranlassen, hielt ich es für geraten, die Augen vollends zu öffnen. Er hatte eine Nilpferdpeitsche in der Hand, versetzte mir einen Hieb mit derselben und fuhr fort:

»Allah hat endlich mein Flehen erhört und dich in meine Hand gegeben, wo ich es gar nicht mehr für möglich hielt. Weißt du, was dich erwartet?«

»Ja,« antwortete ich ruhig. »Die Freiheit.«

»Hund, wagst du es, mich zu verhöhnen!« fuhr er auf, indem er mir einige weitere Hiebe gab. Ich hatte infolge der leichten, dünnen Kleidung die Schwielen derselben dann längere Zeit zu fühlen. »Die Qualen, welche dich erwarten, habe ich dir schon einige Male aufgezählt.

Es glückte dir, mir zu entkommen. Dieses Mal aber sollst du mir nicht entfliehen. Das erste wird sein, daß ich dir die Augenlider abschneiden lasse, damit du die Segnungen des Schlafes entbehrst und unter der Folter der Ruhelosigkeit langsam dahinstirbst!«

»Du wirst eher sterben als ich, und Allah wird deine Seele unter diejenigen Martern stellen, welche du für mich bestimmt hast und doch nicht an mir auszuführen vermagst.«

Ich sagte das, weil eine innere Stimme mir versicherte, daß ich auch dieses Mal entkommen werde. Ich verzweifelte keineswegs, sondern vertraute auf Gott, auf mein so oft erprobtes Glück, auf meinen Scharfsinn und meine Körperkraft. Uebrigens wußte ich, daß er sich hüten werde, schon jetzt meinen Körper zu verletzen. Eine Erkrankung meinerseits hätte seinen Marsch aufgehalten, und es lag doch jedenfalls in seiner Absicht, mich für längere Martern aufzubewahren.

»Nicht auszuführen?« schrie er mich an. »Es bedarf nur eines Wortes von mir, so wird mein Befehl erfüllt; aber ich habe jetzt weder Zeit noch Lust dazu. Zu allererst werde ich dich mit dem Anblicke derer peinigen, welche du zu retten gekommen bist. Ihre Schmerzen werden auch dich elend machen. Du meinst, ich werde eher sterben als du? Hüte dich, zu glauben, daß man dich befreien werde! Ich weiß, auf wen du rechnest; aber deine Hoffnungen werden zu schanden gemacht.«

»Nichts, gar nichts weißt du!« behauptete ich, um ihn zu reizen, mir das, was er wußte, zu sagen.

»Alles, alles weiß ich«, antwortete er in höhnischem Tone, »Du hast meinen Boten, den Scheik der Djangeh, abgefangen und von ihm meinen Plan erfahren. Ihr habt meine Seribah genommen und seid dann mit den Bor, die ihr am Maijeh Semkat traft, aufgebrochen, um die Gohk in Wagunda zu warnen.«

»Du träumst!« lachte ich, um ihn zu weiterer Mitteilung zu verführen.

»Ich träume nicht, sondern der Gewährsmann, den ich habe, ist ein sicherer. Dein kluger Selim hier hat mir alles sehr ausführlich gestanden. Du hast dich mit dem Reis Effendina veruneinigt und infolgedessen Wagunda verlassen, um auf eigene Faust die Leute von Foguda zur Hilfe zu holen. Glücklicherweise habe ich meinen Marsch abgekürzt, indem ich nicht ganz bis Aguda gegangen bin, und befinde mich infolgedessen um mehrere Tage eher hier, als du erwartetest. Ich kam auf den klugen Gedanken, nicht nur Wagunda zu nehmen, sondern schon vorher auch Foguda zu überfallen. In der Nähe dieses Ortes angekommen, mußten wir, um die Nacht abzuwarten, Halt machen und uns verbergen. Ich ritt mit einigen Asakern voran, einen dazu passenden Ort zu suchen, und kam hierher, als Selim am Waldesrande stand und ihr euch jenseits des Schilfes befandet. Dieser Selim ist ein solcher Ausbund von Schlauheit, daß es ihm gar nicht einfiel, zu entfliehen. Er hatte uns gesehen; er mußte auch bemerken, daß wir unsere Tiere schnell unter die Bäume zogen und uns dann durch die Büsche schlichen, um an ihn zu kommen; er entfloh trotzdem nicht. Wenn die Krieger, welche ihr bei euch habt, alle so klug sind, wie er ist, werde ich sehr leichtes Spiel mit ihnen haben. Wir ergriffen ihn, und als ich ihn im Weigerungsfalle mit dem Tode drohte, erzählte er mir alles, was ich zu wissen nötig hatte. Dann kamt ihr zurück und wurdet von uns niedergeschlagen. Du siehst, daß ich alles weiß. Du bist verloren. Jetzt werden wir nach Foguda aufbrechen, um dir den Anblick einer Sklavenjagd zu verschaffen. Das, was du da siehst, mag dir einen kleinen Vorgeschmack dessen geben, was ihr zu erwarten habt.«

Er stand auf und gab mit der Hand ein Zeichen, auf welches sich alle andern Sitzenden auch erhoben, um zum Aufbruche zu rüsten. Da in diesem Augenblicke niemand scharf auf uns achtete, benutzte ich denselben, mich an Selim zu wenden:

»Du hast Ibn Asl wirklich kommen sehen?«

»Ja, Effendi«, antwortete er. »Es waren fünf weiße Asaker bei ihm.«

»Und bist doch sitzen geblieben!«

»Natürlich! Hast du vergessen, daß du mir befahlst, zu bleiben? Und hast du vergessen, daß ich dir versprach, allen deinen Befehlen zu gehorchen?«

Da übermannte mich denn doch der Zorn, und es entfuhr mir der Ausruf:

»O du Heupferd aller Heupferde! So eine Dummheit ist noch nie dagewesen! Konnte ich wissen, daß Ibn Asl kommen werde? Ich wußte es wohl, daß du uns ins Unglück bringen werdest! Wärest du beim Anblicke Ibn Asls schnell in das Gebüsch gesprungen, um nicht gesehen zu werden und uns zu warnen, so wäre er jetzt unser Gefangener, anstatt daß wir uns in seinen Händen befinden. Und wie kommst du dazu, ihm ein so offenes und ausführliches Geständnis über alles, was geschehen ist und was wir beabsichtigten, zu machen?«

»Du hast ja von ihm selbst gehört, daß er mich mit dem Tode bedrohte!«

»Dummkopf! Wenn ich dich nicht rette, wirst du ermordet trotz deines Geständnisses.«

»Meinst du, daß du uns zu retten vermagst, mein lieber Effendi?« fragte er kleinlaut.

»Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Bete zu Allah, daß er dich und uns in – —«

Ich wurde unterbrochen, denn es traten mehrere weiße Asaker zu uns, um uns zum Marsche fertig zu machen. Ibn Asl schien es überhaupt zu vermeiden, uns mit schwarzen Asakern oder gar den Djangeh in nähere Berührung zu bringen. Er befürchtete, wir würden verraten, daß der Häuptling der letzteren Freundschaft mit uns geschlossen hatte. Ich mußte aufstehen und bekam eine schwere Schebah angelegt. Unter Schebah versteht man einen starken Gabelast, in dessen Gabel der Hals des Sklaven oder Gefangenen gesteckt und dann durch ein Querholz festgehalten wird. Hierdurch behält der Gefangene den freien Gebrauch der Hände und Füße, während er durch den langen Ast, den er vor sich hertragen muß, am Entrinnen und an jedem Mißbrauche der Hände verhindert wird. Man hatte, wie es schien, den schwersten aller vorhandenen Aeste für mich ausgesucht. Aber das genügte noch nicht, denn es wurden mir noch zwei eiserne Handschellen angelegt, welche durch eine kurze Kette miteinander verbunden waren. Dann erst nahm man mir die bisherigen, nun überflüssigen Fesseln ab. Ben Nil und Selim wurden nur durch je eine Schebah unschädlich gemacht.

Beim Anlegen der Handschellen war ich darauf bedacht, keine sehr engen zu bekommen. Ich drückte die Ellbogen an den Leib und ballte die Finger fest zusammen, wodurch das Handgelenk sich verkürzte und einen größern Umfang bekam. Die beiden Kerls, welche mir die Schellen anlegten, ließen sich dadurch wirklich täuschen. Sie wollten mir zunächst Schellen anlegen, welche mir paßten und sich eng um meine Handgelenke gelegt hätten; infolge meiner Manipulation aber brachten sie die Schlösser nicht zusammen, und so suchten sie ein paar weitere aus, welche sich zwar schlossen, mir jedoch scheinbar nicht den geringsten Spielraum ließen. Dies gab mir die Hoffnung, mich von den Fesseln befreien zu können. Von der Schebah hoffte ich, dann auch bald loszukommen.

Der Aufbruch begann. Eine Anzahl guter Läufer wurde vorangeschickt, um die bereits vorausgegangenen Kundschafter zu verstärken. Dann kam eine Abteilung der Djangeh, welchen Ibn Asl mit seinen weißen Sklavenjägern folgte. Den Beschluß machten die übrigen Djangeh. Die meisten dieser Leute ritten auf Ochsen. Zwei von den Lasttieren trugen das Zelt, welches, wie ich erfuhr, allabendlich für Ibn Asl aufgerichtet wurde. An die Spitze meiner Schebah wurde ein mehrfach zusammengeflochtener Riemen befestigt, dessen anderes Ende Ibn Asl an seinen Sattel band. Mein Hals steckte in der Gabel der Schebah, deren Ast ich vor mir hertragen mußte. So trollte ich gerade wie ein Sklave seitwärts neben oder hinter meinem Todfeinde her. Die Gabeläste von Selim und Ben Nil waren in derselben Weise mit den Sätteln zweier anderer Reiter verbunden.

Ich sagte mir natürlich, daß die Djangeh, falls sie den wirklichen Sachverhalt gekannt hätten, ihrem jetzigen Anführer wohl nicht so bereitwillig gefolgt wären. Es stand vielmehr mit Gewißheit zu erwarten, daß sie sich in diesem Falle gesträubt hätten, ihm zu gehorchen. Ich war sogar überzeugt, daß sie dann wenigstens den Versuch gemacht hätten, uns zu befreien. Darum war ich entschlossen, die erste Gelegenheit, sie warnen zu können, trotz der Gefahr, welche mir dabei drohte, nicht vorübergehen zu lassen.

Aber wie das fertig bringen, da ich mich nicht so, wie es notwendig war, verständlich machen konnte! Ich suchte in Gedanken meinen geringen Wortvorrat zusammen und fand auch bald Gelegenheit, ihn in Anwendung zu bringen.

Wir waren über eine Stunde lang über offenes Land gezogen und sahen dann draußen am Horizonte wieder Wald vor uns liegen. Aus diesem kehrte einer der Kundschafter zurück, um dem Anführer der ersten Djangeh-Truppe eine Meldung zu machen. Dieser letztere kam zu Ibn Asl, um ihm dieselbe mitzuteilen. Es geschah dies in der Djangeh-Sprache, welche Ibn Asl, wie ich jetzt sah und hörte, gut verstand. Sie sprachen eine kleine Weile miteinander. Als sich der Djangeh dann zu seiner Abteilung zurückbegeben wollte, rief ich ihm zu:

»Ibn Asl anadsch rehm, badd ginu Scheik kador, Scheik and wirt, afod rahn – —«

Diese der Djangeh- und Nuehrsprache entnommenen Worte bedeuteten soviel wie: Ibn Asl ist ein schlechter Kerl; er wollte deinen Scheik ermorden; der Scheik ist jetzt als unser Freund bei uns. – – Weiter kam ich nicht, denn Ibn Asl griff nach meiner Schebah, riß daran, daß ich zu Boden stürzte, und schrie mir grimmig zu:

»Schweig, du Hund, du armseligster aller Lügner! Soll ich dein Maul mit der Peitsche verstopfen?«

Er zog die Nilpferdpeitsche aus dem Gürtel und schlug mich, der ich mich wieder aufrichten wollte, mit dem Knopfe derselben so auf den Kopf, daß ich fast wieder niedergesunken wäre. Dann erteilte er dem Djangeh den Befehl, sich zu entfernen, und dieser gehorchte, und zwar in einer Weise, daß ich wohl merkte, er lege meinen Worten nicht die von mir beabsichtigte Bedeutung bei.

»Wenn du nur noch ein einziges Mal mit einem Djangeh redest«, fuhr Ihn Asl drohend fort, »so gebe ich dir einen Knebel!«