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Im Lande des Mahdi III
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Im Lande des Mahdi III

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Es läßt sich denken, daß uns diese Botschaft hoch erfreute. Die bisher so stillen, mißmutigen Menschen wurden lebhaft und gesprächig, doch auch die Tiere schienen zu wissen, daß das Ziel nahe sei; sie ließen ihre Stimmen hören und drängten nach vorwärts, so daß unsere bisherige Ordnung nicht mehr einzuhalten war. Nach einiger Zeit drang uns ganz plötzlich der hellste, vollste Sonnenschein entgegen. Nach der bisherigen langen Dämmerung war es, als ob uns ein förmliches Lichtmeer entgegenflute. Es war Mittag; aber wir fühlten die hier herrschende Glut nur als Wärme, welche unsere Körper wohlthuend durchdrang und alle unsere Sinne neu belebte.

Der Urwald hörte auf. Er stieß an einen Fluß, an dessen anderem Ufer nur Schilf, untermischt mit Büschen, stand. Der Fluß war zwar breit, aber nicht tief. Sein Wasser hatte eine dunkle Farbe, und unsere Ochsen zeigten keine Lust, davon zu trinken. Er wurde jedenfalls von dem Sumpfe gespeist, durch welchen wir gekommen waren. Die Bor fanden nach kurzem Suchen eine Stelle, an welcher wir ihn durchreiten konnten. Dann ging es in der bisherigen Richtung weiter, immer nach Westen zu. Das Schilf, welches ich erwähnte, verschwand, die Büsche aber blieben. Sie bildeten Inseln in einem grünen Meere von Gras, welches an Saftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ich bat den Häuptling, hier wenigstens eine kurze Zeit halten zu lassen, damit unsere Ochsen fressen könnten. Er ließ mir aber antworten, daß wir bald einen Ort erreichen würden, welcher noch viel geeigneter zum Halten sei.

Bald darauf begann das Terrain sanft anzusteigen, und wir gewahrten in der Ferne Höhen, welche mit Wald gekrönt waren. Dort entspringt, wie wir vom Häuptling erfuhren, ein Nebenfluß des Djau, an welchem die größeren Dörfer der Gohk liegen. Indem wir dieses Gelände emporritten, gelangten wir in ein muldenförmiges Thal, auf dessen Grunde eine Art Weiher lag, der durch ein Wasser, welches ich fast Bach nennen möchte, Abfluß fand. Im Nu sprangen die Schwarzen von ihren Reittieren, und ebenso rasch nahmen sie den andern Ochsen die Lasten ab, damit dieselben nicht beschädigt werden sollten, denn die Tiere waren nicht zu halten; sie rannten nach dem Weiher und liefen so weit wie möglich hinein, um nach langer Wanderung durch den Sumpf, dessen Wasser nicht zu genießen gewesen war, sich satt zu trinken. Die Menschen hatten vollauf zu thun, den Bach für sich frei zu halten.

Den Bach? Das klingt so heimatlich! Freilich mache ich, indem ich dieses Wort anwende, mich einer Unrichtigkeit schuldig. Was wir Weiher und Bäche nennen, giebt es in jenen Gegenden nicht. Und die Höhen, von denen ich sprach, waren noch lange keine Berge. Aber nach einer dreitägigen Wanderung durch fieberstinkenden Sumpf kommt man leicht in die Gefahr, eine Bodenanschwellung als Höhe und ein Wasser, welches nicht ganz still steht und leidlich durchsichtig ist, als Bach zu bezeichnen.

Nach ungefähr einer Stunde wurde wieder aufgebrochen. Wir folgten dem Wasser abwärts, wo es sehr bald in einen schmalen Fluß lief, dessen Ufer unser Führer wurde. Er brachte uns an hohe Felder von Zuckerrohr und Durrha, aus denen wir die runden Dächer einzelner Hütten ragen sahen. Wir näherten uns einem kleinen Dorfe der Gohk und blieben halten, um einen Boten voranzuschicken, damit die Bewohner desselben nicht bei unserem Anblicke erschrecken und fliehen möchten.

Als er zurückkehrte, kam hinter ihm alles, was im Dorfe »leibte und lebte«, dreingelaufen, Väterlein und Mütterlein, Männlein und Weiblein, Bürschlein und Mägdelein, jeder und jede im besten Staate und Schmucke, welcher in dieser Schnelligkeit zu haben gewesen war.

Ein alter, grauköpfiger Mann, welcher uns als Dorfgebieter bezeichnet wurde, trug nur den Lendenschurz, hatte aber auf seinem Haupte ein walzenförmiges Flechtwerk sitzen, welches wohl drei Fuß hoch und mit bunten Federn besteckt war. Eine junge Dorfschöne hatte ihr Haar in Löckchen gedreht und dieselben mit Fett und Ocker so steif gemacht, daß es aussah, als ob ihr ein halbes Gros roter Korkzieher von innen heraus durch den Schädel gebohrt worden seien. Ein Bursche, jedenfalls der Flaneur des Dorfes, hatte sein Haupt mit einer abgerissenen Hutkrämpe geschmückt. Wie mochte sie hierher ins tiefe Afrika gekommen sein! Sein rechter Fuß steckte in einem sohlenlosen Lederschuh, während an dem linken eine Sandale befestigt war. Sein bester Schmuck aber, vielleicht die größte Kostbarkeit des ganzen Dorfes, bestand aus einem gläserlosen, verbogenen uralten Brillen- gestell [Brillengestell] aus Messing, welches er mit Hilfe eines dünnen Riemens um den Hals befestigt hatte.

Gern hätte ich diese Studien fortgesetzt, aber der erwähnte Alte nahm den jungen Inhaber der Brillenstellage bei der Hand, zog ihn zu dem Reis Effendina, welcher ihm als unser Anführer bezeichnet worden war, hin und hielt unter lebhaften Gestikulationen eine Rede, von welcher ich zwar kein Wort verstand, deren Inhalt ich aber dennoch erriet. Der Alte deutete nämlich wiederholt auf die Brille und dann gegen Westen, welche Pantomime ich mir folgendermaßen ins Deutsche übersetzte:

»Ihr seid fremde, sehr hohe Herren und wollt nach Wagunda. Dieser junge Adonis ist der Besitzer dieser Brilleneinfassung und also allein würdig, euch den Weg zu zeigen.«

Es stellte sich heraus, daß ich ganz richtig geraten hatte. Der Dolmetscher übersetzte uns die Rede. Wir beschenkten den Alten mit einigen kleinen, für uns unbrauchbaren, für ihn aber höchst wertvollen Gegenständen und ritten dann weiter. Der famose Besitzer der mangelnden Brillengläser schritt als unser Führer stolz voran.

Man glaube aber ja nicht, daß er der einzige war, der uns voranging. Der Dorfälteste hatte nach Empfang unseres Boten und ehe er dann zu uns kam, eine Person nach Wagunda gesandt, um dort die baldige Ankunft so vieler Fremden pflichtschuldigst zu melden. Den Erfolg davon bemerkten wir später.

Unser Führer war ein sehr guter Läufer, trotzdem seine Füße so ungleich ausgerüstet waren. Er hielt mit unseren Ochsen, welche sehr behend liefen, gleichen Schritt. Es ging immer abwärts an dem erwähnten Flusse hin, dann in einer Furt quer durch denselben und eine Stunde lang über sonndurchglühtes, ödes Land. Hierauf sahen wir in der Ferne einen langgestreckten Belut-Wald liegen, welcher auf die Nähe von Wasser schließen ließ.

Während wir auf denselben zuritten, sprach der Führer unausgesetzt auf uns ein. Wir erfuhren von Agadi, daß er uns eine Beschreibung von Wagunda lieferte, die ich freilich lieber in einer andern mir geläufigen Sprache gehört hätte. Um zu erfahren, ob er wisse, was für ein Ding er eigentlich um seinen Hals hängen habe, winkte ich ihn zu mir und gab ihm zu verstehen, daß er mir das Brillengestell einmal geben möge. Er erschrak außerordentlich und weigerte sich durch Pantomimen ganz entschieden, meinem ebenso unkultivierten wie räuberischen Verlangen Folge zu leisten. Der Dolmetscher machte ihm sanfte Vorstellungen und wurde dann, als dies nichts fruchtete, grob, wie ich aus seinem Tone hörte. Das wirkte, denn der mißtrauische Gentleman band seinen unbezahlbaren Schatz los und gab ihn mir in die Hand, verwendete aber sein Auge nicht von demselben, bis er ihn wieder hatte. Ich setzte die Brille auf, nachdem ich ihre Knillen und Kniffe gerade gebogen hatte, zog mein Notizbuch aus der Tasche und machte die Gebärde des Lesens und des Schreibens. Er hatte keine Ahnung von dem, was ich meinte. Aber als ich verschiedene Male erst ohne und dann durch die Brille nach dem vor uns liegenden Walde sah und ihm durch die Veränderungen meines Gesichtsausdruckes zu erkennen gab, daß es etwas ganz anderes sei, ob man einen Gegenstand durch diese Stellage ansehe oder nicht, schien er mich zu begreifen. Als ich ihm nun die Brille zurückgab, setzte er sie sogleich auf und sah hindurch. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er schien die Gegend tausendmal schöner als vorher zu finden. Von jetzt an verzichtete er auf jede fernere Beschreibung von Wagunda und schaute unausgesetzt durch die Stellage. Meine Unterweisung, daß das Gestell nicht am Halse, sondern auf der Nase zu tragen sei, hatte mir sein ganzes Herz gewonnen, wofür er mir später die überzeugendsten Beweise lieferte.

Wir erreichten den Wald und ritten quer hindurch, um an das Ufer eines langgestreckten, seeartigen Wasserbeckens zu kommen. Ein Blick belehrte uns, daß wir uns in der Nähe des Zieles befanden. Die Ufer des Sees waren von Fruchtfeldern umgeben, von denen aus sich Weideplätze bis hin zum Horizonte zogen. Am Rande des Wassers hingen Kähne.

Rechts von uns gab es einen Berg, ja wirklich, eine Anhöhe, welche im Verhältnisse zu der sonst ganz platten Gegend recht gut als ein Berg bezeichnet werden konnte. Er führte ziemlich steil empor, und seine Kuppe war von einer hohen, dichten Dornenhecke umgeben, hinter welche wir nicht sehen konnten.

Diese Hecke hatte jetzt eine schmale Oeffnung, aus welcher zahlreiche Menschen strömten, die paarweise hintereinander herniederstiegen und uns entgegenkamen. Nun erst erfuhren wir mit Hilfe des Dolmetschers, daß die Einwohner von Wagunda von unserer Annäherung durch einen Boten unterrichtet worden seien. Auch hatte derselbe erzählt, aus welchem Grunde wir unsern Ritt überhaupt unternommen hatten. Aus Freude darüber kam man jetzt, uns feierlichst willkommen zu heißen.

Der Häuptling der Bor, welcher die Sitten des Landes kannte, gab uns an, wie unser Zug sich zu ordnen hatte. Wir hatten uns in zwei Treffen aufzustellen, nämlich im ersten die Reiter und im zweiten die Lasttiere mit ihren Treibern. Vor die Front hatten die Anführer zu kommen, also der Reis. Effendina, der Häuptling und – – ich. In dieser Ordnung sollten wir stetig vorrücken und soviel schießen und Lärm machen wie nur irgend möglich. Das übrige hatten wir den Gohk zu überlassen.

Glücklicherweise war das Terrain einer solchen Aufstellung günstig, denn gerade zwischen uns und dem Berge lag ein freier Plan, welcher, wie wir später hörten, nach Art unserer Vogelwiesen der Belustigungsort der Bevölkerung von Wagunda war. Wir fanden Zeit, uns da in der beschriebenen Weise aufzustellen, voran der Reis Effendina, links von ihm der Häuptling und rechts ich. Neben dem Reis hielt der Dolmetscher Agadi, um nötigenfalls sofort bei der Hand zu sein. Ich bekam auch einen Adjutanten, denn der Brillenjüngling trieb seinen Ochsen an die Seite des meinigen und nickte mir so verheißungsvoll zu, daß ich überzeugt war, er habe eines für mich sehr wichtigen und vorteilhaften Amtes zu walten. Er war eigentlich unberitten, hatte sich aber eines ledigen Packochsen bemächtigt, um seiner heutigen Würde gemäß zu erscheinen.

Als die Gohk den erwähnten Plan erreichten, stellten sie sich auch in zwei Treffen auf und kamen dann, ihren Häuptling voran, waffenschwingend und schreiend auf uns zugerannt. Sie waren natürlich zu Fuße. Ihre Waffen bestanden in Spießen, Säbeln, Messern, Keulen, Bogen und Pfeilen. Einige von ihnen, selbstverständlich auch der Häuptling, hatten Flinten. Sobald sie sich gegen uns in Bewegung setzten, thaten wir dasselbe gegen sie. Die nun folgenden Evolutionen bestanden darin, daß sie zwischen unsern Gliedern durchrannten und wir zwischen den ihrigen hindurchritten. Hauptsache dabei war natürlich der Lärm. Wer ein Gewehr hatte, schoß es möglichst oft ab; die andern schwangen unter entsetzlichen Gebärden ihre Waffen, alle aber schrieen, riefen und heulten, als ob sie verrückt geworden seien. Ich trug zu diesem schönen Konzerte meinen Teil in so ehrlicher Weise bei, daß ich dann einige Tage lang an einer rauhen Kehle laborierte. Wer so reist wie ich, der muß mit den Nachtigallen singen und mit den Wölfen heulen können, sonst erregt er Anstoß allerorten.

Als wir uns diesen Bewegungen und dieser Vokal-Kunstleistung eine Viertelstunde lang mit edler Begeisterung hingegeben hatten, blieben beide Parteien auf ein gegebenes Kommando einander gegenüber halten. Dann kam der Häuptling der Gohk mit vielen Verbeugungen auf den Reis Effendina zu, wand den Leib bald nach rechts und bald nach links, als ob er an einer höchst energischen Pferdekolik leide, verdrehte die Augen, rang die Hände, sprang einige Schritte vor, dann wieder zurück, bewegte den Hals schraubenmäßig, wie eine Henne, welche mit dem Schnabel Eier legen will, druckte und schluckte, als ob er an einem mit hinuntergefahrenen Knochen ersticken wolle, und brachte endlich, endlich das zum Vorscheine, was zum Vorscheine kommen sollte, nämlich eine Rede, welche wohl über eine Viertelstunde dauerte und mich besonders durch die eine ihrer vielen und auffälligen Eigenschaften entzückte, daß sie uns ihrer Länge wegen nicht übersetzt werden konnte. Als das letzte Wort verklungen war, brachen seine Gohk in ein wahrhaft tolles Jubelgeschrei aus, in welches wir aus Leibeskräften und mit Aufbietung aller Körperstärke einstimmten.

Nun kam der bedeutungsvolle Moment, in welchem unser kommandierender Generalissimus zu antworten hatte. Er schickte sich dazu mit einem wohltönenden Räuspern an, ließ seinem Munde einen kurzen, edel klingenden Satz entfahren und schaltete darauf eine weise Pause ein, um Agadi Zeit zur Uebersetzung zu lassen. Daran schloß er, immer in lieblicher Abwechslung, einige andere Sätze und Pausen, bis er zu der wohlbedachten Ueberzeugung gelangte, daß es mit seiner Beredsamkeit zu Ende sei. Er gab, um Ende und auch alles gut zu machen, mit der erhobenen Hand ein Zeichen, um uns zu einer frenetischen Anstrengung unserer Stimmwerkzeuge aufzufordern. Leider aber hatte der gute Reis Effendina weder sich noch eine andere Person zu begeistern vermocht, weshalb das Resultat dieser Aufforderung eine ebenso allgemeine wie auffällige Stille war.

Wir sahen uns dadurch, sozusagen, vor den Gohk blamiert. Ihr Anführer hatte den unsrigen um alle Pferdelängen geschlagen. Wie war dem abzuhelfen? Sollte der peinliche Eindruck, welchen das Schweigen hervorbrachte, verwischt werden, so mußte schnell und augenblicklich etwas geschehen. Dies sagte mir mein Taktgefühl, ein Gefühl, welches mein schwarzer Adjutant ganz in demselben Maße wie ich besaß, denn er trieb sein Packtier, noch ehe ich zu einem Entschlusse gekommen war, vor, hielt vor dem Häuptlinge der Gohk an, deutete auf mich und rief, ihn zwei- oder dreimal wiederholend, einen langen Satz aus, von welchem ich nichts zu verstehen vermochte. Glücklicherweise klärte mich der Dolmetscher rasch auf, daß ich jetzt auch sprechen solle.

Ich, eine Rede! Dieser Gedanke war ganz vortrefflich. Ja, die Gohk sollten eine Rede hören! Je toller, desto besser; denn je unsinniger ich mich gebärdete, desto tiefern Eindruck mußte ich hervorbringen. Ich trieb also meinen Ochsen, ohne lange zu überlegen, zum raschesten Laufe an, jagte zehn-, zwanzigmal um den Anführer der Gohk herum und stieß dabei das wilde, schrille Kriegsgeheul der Komantschen und Apatschen aus, welches ich in Amerika so oft gehört hatte, sprang aus dem Sattel, ließ dann den Ochsen laufen, wohin er wollte und blieb vor dem ganz entzückt beobachtenden schwarzen Anführer stehen, schlug die Arme empor und begann mit weithin schallender Donnerstimme:

»Festgemauert in der Erden Steht die Form aus Lehm gebrannt.

Heute muß die Glocke werden;

Frisch, Gesellen, seid zur Hand!«

So deklamierte, oder vielmehr schrie ich weiter, das ganze, lange Lied von der Glocke, bis zum Schlusse. 0 Schiller, du begeisterndster unter den Sängern, wäre es dir vergönnt gewesen, mich zu hören, so wärest du endlich, endlich einmal zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich der einzige Sterbliche bin, der dich richtig verstanden hat und deine herrliche Dichtung durch die nötigen Kehl- und Gaumentöne aufs unvergleichlichste wiederzugeben vermag!

Ich blieb während der Deklamation keineswegs stehen, sondern ich sprang hin und her, warf bald das eine, bald das andere Bein empor, kauerte mich nieder, schnellte wieder auf, drehte mich wie ein Kreisel um mich selbst, raffte, als ich die letzten Zeilen »Freude dieser Stadt bedeute; Friede sei ihr erst Geläute« in das Weltall hineingeschrieen hatte, mein Gewehr wieder auf, rannte zu meinem Ochsen, welcher unfern stehen geblieben war, sprang auf seinen Rücken und jagte ihn, das vorhin erwähnte Kriegsgeheul wieder ausstoßend in wildem Laufe zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Parteien einige Male hin und her, worauf ich endlich wieder an meinen erst eingenommenen Platz zurückkehrte.

Was nun erfolgte, ist ganz unbeschreiblich. Erst tiefe, lautlose Stille; dann heulte mein geistesgegenwärtiger, schwarzer Adjutant mir zu. Das brachte die Stimmen aller gegenwärtigen Schwarzen, Braunen, Gelben und Weißen in Aufruhr. Und was für Stimmen waren das! Was ist der Föhn, der Sirocco, der Samum, der nordamerikanische Blizzard, ja was ist selbst die rasende, hochasiatische Wjuga gegen den Sturm, welcher sich nun erhob! Wer eine Stimme hatte, und die hatte doch ein jeder, ließ dieselbe hören, als ob er hundert Stimmen hätte. Wäre die ganze Hölle losgewesen, vor diesem Lärm hätte sie sich augenblicklich wieder verkrochen. Die ganze, bisherige Ordnung war mit einem Male aufgelöst. Das Entzücken trieb jeden von seinem Platze. Unsere Reiter warfen sich von ihren Tieren. Alles, alles, Körper, Arme, Beine, Köpfe schwebten, glitten, tanzten, sprangen und flogen in tollem Wirrwarr auf dem Platze herum und hin und her. Unsere sonst so einsichtsvollen Ochsen erschraken darüber und kniffen brüllend aus. Kurz und gut, ich hatte einen so unbeschreiblichen Erfolg, daß es mir selbst heute, wenn ich daran denke, angst und bange wird; denn hatte ich mich vorhin wie wahnsinnig gebärdet, so thaten dies meine Zuhörer noch viel mehr. Sie glichen wirklich Tollen; selbst die verständigsten unserer Asaker wurden angesteckt, und auch Ben Nil tanzte und jubelte mit, als ob er es bezahlt bekäme.

Ein einziger nur war es außer mir, der ruhig blieb, nämlich der Reis Effendina. Er kam zu mir, um mir kopfschüttelnd zu sagen:

»Glaubst du, Effendi, daß ich beinahe dachte, du seist übergeschnappt? Was fiel dir ein? Du, der bedächtigste und ruhigste von uns allen, gebärdest dich ganz plötzlich wie einer, der den Verstand verloren hat! Was sollte ich da denken! Ich wäre am liebsten gleich auf und davon gerannt!«

»So hat meine Leistung also deinen Beifall nicht?« fragte ich lachend.

»Nein, ganz und gar nicht! Du hast unsere Würde geschädigt. Für was für Menschen müssen diese Schwarzen uns halten!«

»Für ganz tüchtige Kerle; darauf kannst du dich verlassen! Wenn man die Menschen nimmt, wie sie sind, wird man nie bei ihnen anstoßen, sondern vielmehr Anerkennung finden. Ich denke, daß du dich für mein Auftreten noch bei mir bedanken wirst.«

»Schwerlich! Ich bin der Vertreter des Vicekönigs, dessen Ansehen durch solche Tollheiten leiden muß.«

»Ich habe freilich nicht an das Ansehen des Vicekönigs, sondern zunächst daran gedacht, uns hier ein solches zu verschaffen. Die Folge wird zeigen, ob der Khedive durch mein Verhalten seinen Thron verliert oder nicht. Willst du tadeln, so prüfe erst.«

»Aber du mußt doch unbedingt zugeben, daß meine Rede viel würdiger war als die deinige!«

»In meinen Augen, ja. Aber hast du sie denn mir gehalten?«

»Den Gohk natürlich.«

»So sind sie es, welche zu entscheiden haben. Es fragt sich, wessen Rede nicht uns beiden, sondern ihnen besser gefallen hat. Eigentlich haben sie durch ihren Beifall die Antwort auf diese Frage schon gegeben.«

Diese Antwort sollte gleich auch in noch anderer Weise kommen. Der Häuptling der Gohk war ebenso wie jeder seiner Untergebenen mit herumgesprungen; jetzt entfernte er sich aus dem Gewühl und hielt eine Art Banner empor, welches aus einer Stange bestand, an welche ein graues Affenfell befestigt war. Dies war das Zeichen zum sammeln, denn als die Seinen es erblickten, löste sich der Wirrwarr, und jeder begab sich an den von ihm eingenommenen Platz. Der Anführer hielt eine kurze Beratung mit einigen Männern, welche nach unsern Begriffen wohl als Gemeinderäte zu bezeichnen waren. Dann schritt er mit ihnen auf den Häuptling der Bor zu, welcher sich auch wieder auf seinem vorigen Platze befand, denn auch unsere Leute hatten ihre frühere Stellung jetzt wieder eingenommen. Er sprach längere Zeit mit ihm, jedenfalls von dem Reis Effendina und mir, da sein Auge uns immer wieder aufsuchte. Darauf kam er auf uns beide zu, verneigte sich vor dem Reis Effendina und sagte zu diesem, natürlich durch den Dolmetscher:

»Herr, ich habe vernommen, was euch zu uns führt. Ihr seid gekommen, uns aus einer großen Gefahr zu erretten. Wir werden noch weiter über dieselbe sprechen und über die Art und Weise, in welcher sie abzuwenden ist. Vor allen Dingen heißen wir euch willkommen. Ich höre, daß du ein Liebling des Vicekönigs bist. Zwar sind wir demselben nicht unterthan, denn wir sind freie Gohk vom großen Volke der Djangeh; aber du wirst bei uns geachtet sein, wie du daheim geachtet wirst, Sei unser Gast, und bleibe, solange es dir bei uns gefällt!«

Dann wendete er sich mit folgenden Worten an mich:

»Herr, der Häuptling der Bor, welche unsere Brüder sind, erfuhr von deinen Thaten und hat mir einige in Kürze mitgeteilt. Du kommst aus einem Lande, in welchem lauter berühmte Männer wohnen. Du bläsest deine Feinde von dir wie Staub, und niemand kann dich je besiegen. Auch hörte und sah ich dich sprechen, wie ich noch keinen reden sah und hörte. Wer deine Stimme hört, wird wie von Merissah[2 - Gegorenes Getränk.] begeistert, und die Bewegungen deiner Arme und Beine zeugen von der Wahrheit deiner Worte. Sollte je ein Mensch deinem Messer widerstehen, so wirst du ihn durch deine Rede besiegen. Darum bist nur du der Mann, der uns zu retten vermag. Ibn Asl ist der größte Teufel unter den Sklavenjägern, und seine Leute sind wie böse Geister, vor denen es keine Rettung giebt. Wir vermöchten ihm und ihnen nicht zu widerstehen; aber da du dich bei uns befindest, brauchen wir keine Sorge zu haben, denn du allein bist soviel wie hundert meiner Krieger. Ich werde meine Leute ausrüsten und sie unter deinen Befehl stellen. Sage mir, ob du ihr Anführer sein willst!«

Das war nun freilich im Superlativ gesprochen. Nach den Worten dieses guten Schwarzen zu urteilen, hätte ich ja wirklich die Bezeichnung, welche Selim so oft unrechtmäßigerweise für sich in Anspruch nahm, mit vollem Rechte verdient und wäre der »größte Held des Weltalls« gewesen. Also General en chef sollte ich werden? Nun, ich hatte keinen Grund, diese Würde von mir zu weisen. Wenn ich sie annahm, so war ich wenigstens sicher, daß in der Leitung keine groben Fehler gemacht wurden, und so erklärte ich denn dem Häuptlinge, daß ich bereit sei, auf seinen Vorschlag einzugehen.

Als er diese Antwort seinen Leuten verkündigte, erhob sich ringsum ein lautes Jubelgeschrei, und es wurde abermals eine Phantasie ins Werk gesetzt, welche darin bestand, daß alles, was Beine hatte, im Kreise um mich zu tanzen begann. Sodann wurden wir eingeladen, mit hinauf in das Dorf zu kommen. Die Schwarzen stellten sich in Reih und Glied, nahmen uns in die Mitte, worauf sich der Zug in Bewegung setzte und sich auf demselben Wege bergaufwärts bewegte, auf welchem die Schwarzen uns vorher entgegengekommen waren. ich ritt dabei neben dem Emir, aber nur wenige Schritte; dann machte sich mein famoser Brillenträger an meine andere Seite, und es war geradezu spaßhaft, die stolze Haltung, welcher er sich dabei befleißigte, zu beobachten. Der ganze Abglanz derjenigen Hoheit, welche er mir beilegte, schimmerte auf seinem Gesichte.

Auf der Höhe des Berges angekommen, sahen wir erst, welchen Umfang derselbe hatte. Wir befanden uns auf einem ebenen Plateau, welches auf den andern drei Seiten so steil abfiel, daß es nur auf derjenigen, von welcher wir gekommen waren, erstiegen werden konnte. Die Verteidigungsverhältnisse dieses Ortes waren also sehr gute. Das Dorf nahm ungefähr die Hälfte des Plateaus ein und bestand aus lauter runden Hütten von der Art, wie ich sie wiederholt beschrieben habe, und war von einem hohen, sehr dichten Dorngestrüpp umgeben. Die Fläche außerhalb des Dorfes war mit kurzem Grase bewachsen. Es gab da mehrere Einzäunungen, um die Herden des Nachts und zur Zeit eines Ueberfalles in Sicherheit zu bringen.

Der Eingang der Dornumfassung war geöffnet. Wir stiegen da von unseren Tieren, welche auf die Grasweide getrieben wurden, und zogen in das Dorf ein, festlich empfangen von allen denjenigen Bewohnern, welche vorher aus irgend einem Grunde hatten zurückbleiben müssen. Die größte der Hütten wurde für den Reis Effendina und mich bestimmt; alle andern wurden einzeln bei den Dorfbewohnern einquartiert. Dann schlachtete man mehrere Ochsen und brannte Feuer an, um das Fleisch derselben zu braten. Ich hatte nicht die Absicht, in der Hütte zu wohnen; die »wibbelnde« und »kribbelnde«, stechende und beißende Bevölkerung solcher Logements pflegt so zutraulich zu sein, daß ich es für geratener hielt, selbst des Nachts im Freien zu bleiben.

Zunächst unternahm ich mit dem Emir, dem Häuptling und dem Dolmetscher einen Gang durch und um das Dorf, um die Oertlichkeiten in Beziehung auf ihre Verteidigungsfähigkeit zu prüfen. Ich fand, daß ein momentaner Angriff leicht abzuschlagen war; anders aber stand es im Falle einer Belagerung. Es gab nämlich hier oben kein Wasser; dieses mußte vielmehr aus dem kleinen Flüßchen, welches unten den bereits erwähnten See speiste, heraufgeholt werden. Ein längere Zeit reichender Vorrat konnte unmöglich im Dorfe aufbewahrt werden, denn erstens mangelte es an den hierzu nötigen Gefäßen und Behältern, und zweitens war bei der hier herrschenden Hitze die Verdunstung eine so bedeutende, daß gar nicht daran gedacht werden konnte, uns von Ibn Asl auf dem Berge einschließen zu lassen. Er hätte unten am Flusse Wasser in Hülle und Fülle gehabt und sicher darauf rechnen können, daß der Durst uns bald zur Uebergabe zwingen würde. Um ihn nicht in diesen Vor- und uns in diesen Nachteil zu bringen, war es notwendig, unsere Stellung weiter vorzuschieben, ihn gar nicht an den See, an den Fluß zu lassen. Es galt, ihn an einem Orte zu empfangen, welcher uns die Aussicht bot, ihn ohne große Verluste und schnell zu überwältigen. Da wir ihn aus Südost erwarteten, mußte dieser Ort in dieser Richtung von dem Dorfe liegen. Es war also nötig, zu rekognoszieren, um ein passendes Terrain aufzufinden. Dazu aber hatten wir heute keine Zeit, da es eine Beleidigung für die Gohk gewesen wäre, wenn ich mich ihrer Gastlichkeit entzogen hätte.

Diese Angelegenheit war übrigens keine dringende, da wir Ibn Asl jetzt noch nicht zu erwarten hatten. Wir waren, seit wir seinen Boten ergriffen hatten, neun Tage unterwegs gewesen, während er bis Aguda acht und dann bis Wagunda zwölf, in Summa also zwanzig Tage zuzubringen gedacht hatte. Aus diesem Grunde stand zu vermuten, daß er von heute an in zehn oder elf Tagen ankommen werde, eine genügend lange Zeit, ihm einen niederschmetternden Empfang und seinem Treiben ein für allemal ein Ende zu bereiten. Die Pflichten eines Generalissimus verhinderten mich also nicht, die Freundschaftsbeweise der Gohk heute über mich ergehen zu lassen.

»Ueber mich ergehen zu lassen!« Ja, das ist der richtige Ausdruck für das, was ich bezeichnen will, denn ich war bei dieser Sache der wahrhaft Leidende, nicht aber der Thätige. Meine einzige Aktivität bestand im Kauen, im immerwährenden Verschlingen des Fleisches und der säuerlichen Merissah, welche mir fast buchstäblich immer und immer wieder eingezwungen wurde. 0 Allah, wieviel so ein Neger zu essen und zu trinken vermag! Und da er wohl weiß, daß der Weiße hoch über ihm steht, so erwartet er von diesem unbedingt eine ebenso überlegene Magenweite und Verdauungsfähigkeit. Ich mußte aus Höflichkeit bis an die fernste Grenze meines Leistungsvermögens gehen und hatte infolgedessen, als ich mich nach Mitternacht vor dem Dorfe ins Gras niederstreckte, das Gefühl, daß ich im Leben niemals wieder zu essen brauchen werde. Ich fiel trotz des Lärmes, welcher noch im Dorfe herrschte, sofort in tiefen Schlaf und erwachte aus demselben erst dann, als die Sonne so hoch stand, daß ihre stechenden Strahlen mich weckten. Als ich durch die Umzäunung das Dorf betrat, sah ich – —die Neger und auch unsere Asaker schon wieder beim Essen sitzen. Der Leistungsfähigste von ihnen allen schien mein langer Selim zu sein, denn als er mich erblickte, rief er mir zu:

»Effendi, wie schön ist‘s hier! Hier bleibe ich für alle meine Tage. Ich habe gar nicht geschlafen, sondern immerfort gegessen und erzählt. Und diese lieben, guten Leute, welchen Allah tausend Jahre schenken möge, haben auch fortwährend gegessen und mir zugehört. Setz‘ dich her zu uns, und iß! Ich habe hier ein Rippenstück, dessen Saftigkeit alle Genüsse der Erde überstrahlt.«

Er hielt mir das Stück mit beiden Händen entgegen und drückte es, um mir die Wahrheit seiner Worte zu beweisen, so, daß der Saft ihm von den Fingern tropfte. Ich dankte natürlich und ging weiter, um den Reis Effendina aufzusuchen, welcher in der uns zugewiesenen Hütte saß und den Häuptling der Gohk als lieben Besuch vor sich hocken hatte. Soll ich verraten, was der letztere that? Er aß! Als ich eintrat, hatte er eben einen Wirbelknochen, von welchem er mit seinem elfenbeinernen Gebisse das Fleisch abschabte, vor dem Munde. Bei beiden, doch in der ehrerbietigen Entfernung von einigen Schritten, standen zwei junge Neger, welche zu meinem Erstaunen – – nicht aßen, obgleich der Häuptling soviel Braten vor sich liegen hatte, daß zehn Männer meiner Konstitution sich damit vollständig hätten sättigen können. Der Emir deutete, nachdem ich ihn begrüßt hatte, auf diese beiden und sagte:

»Diese Jünglinge werden uns von großem Nutzen sein. Sie stammen aus diesem Dorfe und kehren zufälligerweise gerade jetzt von einem zweijährigen Aufenthalte drüben in Hasab Allaba am Gasellenflusse zurück. Sie sind als Asaker dort gewesen und haben das Arabische soweit gelernt, daß sie uns als Dolmetscher dienen können.«

Diese Mitteilung erfreute mich, da es mir nun möglich war, mich freier zu bewegen. Ich bat den Häuptling, mir einen dieser Dolmetscher zur unausgesetzten Hilfe zuzuweisen, was er auch sofort that. Dann erklärte ich dem Reis Effendina, daß und warum es nötig sei, schon heute einen Ritt zu unternehmen, um die südöstliche Gegend kennen zu lernen, und fragte ihn, ob er mich begleiten wolle. Er lehnte ab. Wie ich später wohl bemerkte, geschah dies aus einer Art von Eifersucht. Er fühlte sich dadurch zurückgesetzt, daß gestern nicht ihm, sondern mir der Befehl über die Krieger der Gohk übertragen worden war. Verletztes Ehrgefühl kann leicht die beste Freundschaft in das Gegenteil verwandeln.

Nur der Dolmetscher und mein treuer Ben Nil sollten mich auf dem erwähnten Ritte begleiten. Der Brillenjüngling wollte mit; ich gestattete es ihm nicht. Auch Selim meldete sich. Er hatte soviel gegessen, daß er nicht gerade stehen, viel weniger noch auf einem Ochsen reiten konnte. Davon auch abgesehen, hätte ich ihn nicht mitgenommen, denn dieser Unglücksvogel wäre mir noch hinderlicher als jeder andere gewesen und hätte mich durch seine Dummheiten nur in Schaden bringen können.

Mein junger Dolmetscher war ein sehr brauchbarer Mann. Er sprach zwar nur das sogenannte Bahr-Arabisch, doch verstanden wir uns leidlich, da ich mich bemühte, meine Ausdrücke demselben anzubequemen. Vor allen Dingen war ihm die Gegend, um welche es sich handelte, genau bekannt. Er war früher mit seinem Vater einige Male drüben in Aguda, von woher wir Ibn Asl erwarteten, gewesen und konnte meine Fragen zur Zufriedenheit beantworten. Er beschrieb mir genau die Route, welche Ihn Asl von Aguda nach Wagunda einzuschlagen hatte. Infolge seiner Erklärungen und meiner Rekognoszierung, von welcher wir erst am Abende zurückkehrten, entwarf ich einen Plan, von welchem ich mit Sicherheit erwartete, daß er Ibn Asl und alle seine Asaker ohne großes Blutvergießen in unsere Hände liefern werde.

Wagunda liegt in der Nähe des obern Tonj-Flusses, da, wo dieser sich in die beiden Arme teilt, aus denen er entspringt. Der eine ist gerade nördlich nach Awek gerichtet, während der andere aus Südosten kommt. Beide bilden einen stumpfen Winkel, in dessen offene Arme Ibn Asl laufen mußte; beide fließen durch sumpfiges Land, welches in der Nähe der Ufer geradezu ungangbar ist. Ueber den Südarm ist aus diesem Grunde nicht zu kommen, und der Nordarm bietet nur eine einzige Stelle, an welcher der Boden so fest ist, daß man sich ihm nähern und ihn überschreiten oder, je nach der Jahreszeit, durchschwimmen kann. Nach dieser Stelle mußte Ibn Asl, um nach Wagunda zu kommen, seinen Marsch unbedingt richten. Mein Plan war nun folgender:

Die Furt mußte auf beiden Seiten des Flusses mit genügender Mannschaft besetzt werden. Die Abteilung jenseits des Flusses hatte sich zu verstecken, bis Ibn Asl an ihr vorübergezogen war und den Fluß erreicht hatte. Folgte sie ihm dann, so hatte er sie im Rücken, rechts und links den Sumpf und vor sich die Furt. Von ihr ins Wasser getrieben, mußte er das diesseitige Ufer zu erreichen suchen, an welchem ihn die andere Abteilung zu erwarten hatte. So stak er im Wasser, hatte vor und hinter sich Sumpf und Feinde und war aller Voraussetzung nach gezwungen, sich ohne Gegenwehr zu ergeben. Dabei rechnete ich auf die Djangeh-Krieger, welche bei ihm waren und deren Häuptling sich bei uns befand. Rief dieser ihnen von weitem zu, daß sie von Ibn Asl betrogen worden seien und zu uns übergehen sollten, so thaten sie dies sicher, und er war dann mit seinen wenigen Asakern so ohnmächtig, daß es Wahnsinn von ihm gewesen wäre, sich zur Wehr zu setzen. Um des Gelingens vollständig sicher zu sein, nahm ich mir vor, an der Furt einige Gräben und Verhaue anzulegen, in und hinter denen wir sicheren Schutz vor feindlichen Kugeln finden würden.

Mit diesem Plane kehrte ich heim und rief sofort nach meiner Ankunft eine Art Kriegsrat zusammen, welcher aus dem Reis Effendina, den Häuptlingen der Djangeh, Bor und Gohk und mir bestand. Als ich mit Hilfe des Dolmetschers meine Absicht vorgetragen und begründet hatte, trat zu meinem Erstaunen ein Schweigen ein, welches mich stutzig machen mußte. Die drei Häuptlinge sahen sich untereinander an, richteten ihre Augen auf den Reis Effendina und senkten dann die Blicke vor sich nieder. Es war klar, sie wagten nicht, mir beizustimmen. Hatte der Reis ihnen Grund gegeben, sich so schüchtern zu verhalten? Ich richtete also an diesen die Aufforderung, sein Gutachten auszusprechen.

»Das sollst du hören,« antwortete er mir. »Bist du Offizier, Effendi?«

»Nein.«

»Nun, ich bin einer, und zwar als Reis Effendina einer von nicht gewöhnlichem Range; das weißt du ja. Daraus magst du ermessen, wer von uns beiden, du oder ich, befähigt ist, einen Kriegsplan zu entwerfen. Zwar hat der Häuptling der Gohk dir das Kommando übergeben; das kann er in Beziehung auf seine Leute thun; aber meinst du, daß ich dem Oberbefehle über die andern alle, die mit uns gekommen sind, entsage?«

Er sprach in einem geradezu unfreundlichem Tone; er war eifersüchtig auf mich geworden; er fühlte sich beleidigt. Ich hatte ihm manchen Dienst erwiesen und durfte wohl auf seine Dankbarkeit rechnen; also war eigentlich ich es, welcher Grund hatte, sich gekränkt zu zeigen. Ich that dies nicht, sondern antwortete in meiner gewöhnlich ruhig freundlichen Weise:

»Wie kommst du zu dieser Frage? Habe ich dich aufgefordert, deinen Rechten zu entsagen? Als der Häuptling mich bat, der Anführer zu sein, hast du zu meiner Antwort geschwiegen, und ich durfte also annehmen, daß du einverstanden seist. Da ich jetzt höre, daß dies nicht der Fall ist, so bin ich gern bereit, mein Versprechen zurückzunehmen. Ich bin ein Abendländer, und es kann mir sehr gleichgültig sein, was hier im Sudan geschieht. Was ich gethan und vorgeschlagen habe, habe ich zu eurem Wohle gethan und gesprochen. Gefällt euch mein Plan nicht, nun, so habt ihr ja das Recht, ihn zurückzuweisen. Sinnt euch einen andern, bessern aus! Ist es euch dann recht, über denselben mein Urteil zu hören, so sollt ihr es haben. Wollt ihr aber ohne den Einfluß eines Fremden handeln, so wird es mir gar nicht einfallen, mich beleidigt zu fühlen. Ich bin gar nicht lüstern darnach, Anführer zu sein oder durch Vorlegung eines Planes Verantwortung auf mich zu laden; aber aus Interesse an der Sache und aus Freundschaft für dich, bitte ich, in euren Reihen kämpfen zu dürfen, falls es zum Kampfe kommen sollte.«

Ich erwartete, daß diese Worte ihn umstimmen würden, hatte mich aber getäuscht, denn er meinte in ganz gereiztem Tone:

»Du hast sehr richtig gesprochen. Du bist ein Fremdling, und unsere Angelegenheiten gehen dich eigentlich nichts an. Du hast durch deinen gestrigen Tanz diese guten Leute verwirrt; heute aber sind sie zur Ansicht gekommen, daß mein Verhalten ein würdigeres war, und der Häuptling der Gohk hat den Oberbefehl über seine Krieger dir entzogen und mir übergeben. Dagegen, daß du mit uns kämpfest, wird kein Mensch etwas haben.«

»Das befriedigt mich. Wie aber steht es mit deinem Plane? Darf ich ihn hören?«

»Hören? Ja. Aber etwaige Einwendungen werden an demselben gar nichts ändern. Er ist ebenso einfach, wie er untrüglich zum Ziele führt.«

»So bitte, sprich!«

»Er gleicht dem deinigen, wie ein Haar dem andern. Du willst den Ibn Asl in den Fluß, ich hingegen will ihn in den See werfen.«

»In den See da unten am Berge?«

»Ja. Wir haben das viel bequemer. Infolge deines Planes müßten wir einen weiten Marsch nach dem Flusse machen und dort in den Sümpfen kampieren; der meinige erlaubt uns, hier zu bleiben. Wir verstecken uns hier oben. Ibn Asl hat keine Ahnung davon, daß wir uns hier befinden, daß die Gohk gewarnt worden sind. Er wird kommen und sich natürlich zwischen dem Berge und dem See aufstellen. Sobald er das gethan hat, stürmen wir hinab und drängen ihn in das Wasser.«

»Das klingt allerdings verlockend, will aber dennoch überlegt sein. Draußen an der Furt ist der Feind so von uns, dem Sumpfe und dem Wasser umgeben, daß er nach keiner Seite ausbrechen kann und Rettung einzig nur darin findet, daß er sich ergiebt. Hier aber hat er euch vor sich, den See hinter sich und zu beiden Seiten offenes Land; er kann also, selbst wenn es euch gelingt, ihn zu schlagen, entweichen. Jedenfalls fließt Blut, viel Blut. Dein Trachten muß darauf stehen, vor allen Dingen Ibn Asl persönlich in die Hände zu bekommen; ich glaube aber, wetten zu können, daß – —«

»Gieb dir keine Mühe!« unterbrach er mich, »du bist stark, tapfer und listig, aber doch kein Offizier; deine Kugel fehlt nie ihr Ziel, aber von der Strategie verstehst du nichts; das habe ich wiederholt erfahren. Mein Plan ist gut und wird ausgeführt. Die Erlaubnis, mitzukämpfen, sollst du haben, natürlich unter der Voraussetzung, daß du zu gehorchen weißt!«

Das war ganz im Tone eines Vorgesetzten zu seinem Untergebenen gesprochen. Wie oft hatte ich die Fehler seiner Leute, sogar seine eigenen, gut gemacht, und jetzt wollte er wiederholt erfahren haben, daß ich nichts von Strategie verstand! Ja gewiß, ein Stratege war und bin ich nicht im mindesten; aber Ibn Asl zu fangen, dazu glaubte ich ebensoviel Geschick wie er zu haben. Seine letzten Worte waren geradezu grob; darum stand ich auf und sagte, jedoch im ruhigsten Tone:

»Es giebt keinen Menschen, dem ich zu gehorchen habe, und es wird wahrscheinlich auch nie einen geben. Allah isallamak – Gott behüte dich!«

Bei diesen Worten wendete ich mich um und verließ die Hütte des Häuptlings, in welcher diese eigenartige Beratung stattgefunden hatte. Vor derselben stand Ben Nil. Er sah mir besorgt in das Gesicht und sagte:

»Hamdulillah, es ist besser verlaufen, als ich dachte! Ich glaubte, du werdest hocherzürnt herauskommen. Dein ruhiges Gesicht aber sagt mir, daß man doch nicht so dumm gewesen ist, dir zu widersprechen.«

»Woher weißt du, daß man dies beabsichtigt hat?«

»Vom anderen Dolmetscher, der mir sagte, daß der Reis Effendina während unserer Abwesenheit gedroht habe, Wagunda seinem Schicksale zu überlassen, falls nicht er allein es sei, der zu gebieten habe.«

»Und du hast geglaubt, daß ich ein grimmiges Gesicht dazu machen werde?«

»Natürlich! Eine solche Undankbarkeit muß doch erzürnen!«

»Sie kränkt mich zwar, aber sie erzürnt mich nicht.«

»Kränkt? Also hat man es doch gethan?«

»Ja. Man hat meinen Rat zurückgewiesen, doch ist man so gnädig gewesen, mir zu erlauben, mitzukämpfen, aber unter der Bedingung, daß ich gehorche.«

»Gehorchen? Du?« rief er aus. »Effendi, bleib‘ hier stehen, bis ich wiederkomme! Ich muß fort, hinein zu ihnen, um ihnen zu sagen, was sie sind gegen dich!«

Er wollte fort; ich hielt ihn am Arme zurück und gebot ihm:

»Bleib‘! Du machst es nicht anders. Sie hören nicht auf dich, da sie nicht auf mich gehört haben. Sie werden nur von den Ereignissen eines andern belehrt werden.«

»Aber was willst du thun?« fragte er eifrig. »Es dir ruhig gefallen lassen und dich als gewöhnlicher Askari neben die andern stellen, dich einem dieser Neger gleichachten lassen?«

»O nein. Geh nur in deine Hütte; hole deine Sachen, und komm dann nach der meinigen!«

Er eilte von dannen. Ich begab mich nach der mir und dem Reis Effendina zugewiesenen Hütte, um mein Eigentum an mich zu nehmen. Bald kam Ben Nil. Wir verließen das Dorf und stiegen den Berg hinab, um uns jenseits des See‘s am Waldesrande schlafen zu legen. Ben Nil sprach kein Wort; er war ein braver, feinfühlender Bursche. Er hatte sich über mein ruhiges Gesicht gewundert; ich war auch innerlich ruhig; aber diese Ruhe war keine wohlthuende. Ich ärgerte mich nicht und grämte mich nicht; es war mir nur eine Kränkung widerfahren, und doch konnte ich während dieser ganzen Nacht nicht schlafen. Die Sorge um das Schicksal derer, welche ich verlassen hatte, ließ mir keine Ruhe.

Ich sann und sann, wie ihnen doch zu helfen sei, und kam endlich auf einen Gedanken, welcher mir zwar nicht den Schlaf, aber doch innere Beruhigung brachte. Es gab zwar gegen die Ausführung desselben mancherlei Bedenken, aber nach reiflicher Ueberlegung kam ich, gerade als es Tag wurde, zu der Ueberzeugung, daß ich nichts Besseres thun könne, als diesem Vorsatze treu zu bleiben. Da erwachte Ben Nil aus seinem Schlafe, welcher auch ziemlich unruhig gewesen war. Wir wuschen uns im See, und nachdem wir uns abgetrocknet hatten, fragte er mich:

»Was nun, Effendi? Steigen wir wieder hinauf in das Dorf?«

»Nein, wir werden uns nach Foguda.«

»Nach Foguda? Das ist das Dorf der Gohk, von welchem uns der Dolmetscher gestern erzählte, als er uns die Umgegend erklärte. Was wollen wir dort?«

»Hilfe für Wagunda holen.«

»So willst du diese Undankbaren nicht ihrem Schicksale überlassen?«

»Nein. Ich weiß, daß sie in ihr Unglück rennen, wenn ich ihnen nicht helfe, und da sie meine Hilfe von sich weisen, muß ich sie zwingen, sie anzunehmen.«

»Sie sind es nicht wert, Effendi! Und bedenke die Gefahren des Weges, den wir zurückzulegen haben!«