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Die Sklavenkarawane
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Die Sklavenkarawane

4

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Die Sklavenkarawane

Mancher Dschelabi wagt sich in den tiefsten Sudan hinein und kommt erst nach Jahren als ein gemachter Mann zurück. Mancher andre ist früher vielleicht ein angesehener Beamter gewesen und hat zum Esel greifen müssen, um im Sumpflande am Fieber oder anderswo am Hunger zu Grunde zu gehen. Niemand erfährt, wo seine Gebeine und diejenigen seines Esels bleichen. Vielleicht hat er den letztern vorher noch aufgezehrt.

Eine solche Dschelaba war es, welche der Karawane jetzt begegnete. Sie kam den Arabern höchst ungelegen, und der Schech murmelte einen Fluch zwischen die Lippen. Dem Fremden aber waren diese Leute sehr willkommen. Er ritt auf sie zu, rief ihnen einen freundlichen Gruß entgegen und fragte:

»Wohin geht euer Weg? Die Sonne ist gesunken. Wollt ihr nicht bald Lager machen?«

Die Leute waren nur sehr notdürftig gekleidet. Die meisten trugen nichts als nur die Lendenschürze; aber alle waren guten Mutes. Sie schienen gute Geschäfte gemacht zu haben. Sie gehörten nicht einer und derselben Rasse an. Es gab mehrere Schwarze unter ihnen. Voran ritt ein kleiner, dünner und, so viel man bei dem scheidenden Tageslichte sehen konnte, blatternarbiger Bursche, dessen Schnurrbart aus nur einigen Haaren bestand. Er hatte Hosen an, war sonst unbekleidet und trug ein riesiges Schießgewehr am Riemen auf dem Rücken. Eine Kopfbedeckung schien für ihn überflüssig zu sein; sein Haar hing ihm dick und voll vom Haupte bis auf den Rücken herab, fast ganz in der Weise, wie die in Deutschland als Blechwarenhändler und Drahtbinder umherziehenden Slowaken das ihrige zu tragen pflegen. Er war es, der die Antwort übernahm:

»Wir kommen vom Dar Takala herab und wollen nach Faschodah.«

»Aber nicht heute?«

»Nein, sondern erst morgen. Heute bleiben wir am Bir Aslan.«

»Das wollen wir auch. So können wir uns also Gesellschaft leisten.«

»Herr, wie könnten wir armen Dschelabi es wagen, den Hauch deines Atems zu trinken? Wir machen uns ein Lager fern von Euch. Erlaube uns nur ein wenig Wasser für uns und unsre Tiere?«

»Alle Menschen sind vor Allah gleich. Ihr sollt bei uns schlafen. Ich wünsche es.«

Das sagte er in bestimmtem Tone. Dennoch fragte der Dschelabi:

»Du scherzest, Herr, nicht wahr?«

»Nein. Es ist mein Ernst. Ihr seid mir willkommen.«

»Und deinen Leuten auch?«

»Warum diesen nicht?«

»Ihr seid Beni Arab. Darf ich erfahren, von welchem Stamme?«

»Von dem der Homr.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig, aber die Homr sind es nicht. Erlaube, daß wir fern von Euch bleiben.«

»Warum ?«

»Weil wir euch nicht trauen dürfen.«

Er hielt den Fremden auch für einen Homr, ja für den Anführer derselben. Um so mutiger war es von ihm, daß er so aufrichtig sprach. Der Europäer antwortete:

»Hältst du uns für Diebe?«

»Die Homr sind Feinde der Schilluk, in deren Gebiete wir uns hier befinden,« meinte der Dschelabi ausweichend. »Wie leicht kann es zu einem Kampfe kommen, und da ziehen wir es vor, fern zu bleiben.«

»Dein Herz scheint keinen großen Mut zu besitzen. Wie ist dein Name?«

Der Kleine richtete sich im Sattel höher auf und antwortete:

»Ob ich furchtsam bin, das geht dich gar nichts an. Wenn du meinen Namen wissen willst, so steige ab und hole dir ihn!« Er sprang von seinem Esel, warf das Gewehr weg und zog das Messer. Die Homr waren weiter geritten. Die Dschelaba hielt noch am Platze. Hinter dem bisherigen Sprecher befand sich ein ebenso kleiner Bursche, welcher befürchten mochte, daß die Scene sich zum Schlimmen wenden könne. Er wollte dem vorbeugen, indem er sagte:

»Verzeihe, Herr, dieser Mann hat stets einen großen Mund und ist doch nur ein kleiner Mensch, der nichts versteht. Er wird von uns Ibn el dschidri oder wohl auch Abu el hadaschtscharin genannt.«

»Warum dieser letztere Name?« erkundigte sich der Fremde.

»Weil sein Schnurrbart nur aus elf Haaren besteht, rechts sechs und links fünf. Und doch ist er außerordentlich stolz auf ihn, so daß er ihn gerade so sorgfältig pflegt wie eine Nuer-Negerin ihr Durrhafeld.«

Er bemühte sich, dem drohenden Konflikte eine heitere Bahn zu brechen, kam aber bei seinem Kollegen schlecht an, denn dieser rief ihm zornig zu:

»Schweig, du Vater des Unverstandes! Mein Schnurrbart ist hundertmal mehr wert als dein ganzer Kopf. Du selbst hast den großen Mund. Du rühmst dich deines Stammbaumes, aber niemand glaubt an ihn!«

Das war eine Beleidigung, welche den andern nun auch in Harnisch brachte. Er antwortete:

»Was weißt du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, und wie klingt der deine!«

Und sich zu dem Fremden wendend, fuhr er fort:

»Herr, erlaube mir, dir zu sagen, wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadschi Ali ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu ‚l Ascher ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd‘ Allah el Sandschaki.«

Je länger der Name eines Arabers, desto mehr ehrt ihn derselbe. Von berühmten Vätern abzustammen, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und bringt so eine Riesenschlange fertig, über welche der Europäer heimlich lächelt.

Dieser Hadschi Ali blickte den Fremden erwartungsvoll an, was er zu dem berühmten Namen sagen werde.

»Also Hadschi Ali heißt du?« fragte der ‚Vater der vier Augen‘. »Dein Vater war Hadschi Ishak al Faresi?«

»Ja. Hast du von ihm gehört?«

»Nein. Dein Großvater hieß also Hadschi Otaiba Abu ‚l Oscher?«

»So ist es. Ist dieser dir bekannt?«

»Auch nicht. Und dein Urgroßvater war Hadschi Marwan Omar el Gandesi?«

»So ist es. Von ihm hast du doch jedenfalls vernommen?«

»Leider nicht! Und endlich war dieser letztere der Urenkel und Nachkomme von Jacub Abd‘ Allah el Sandschaki, also des Fahnenträgers?«

»Ja, er trug den Sandschak des Propheten in den Kampf.«

»Diesen Namen habe ich allerdings gelesen. Jacub Abd‘ Allah soll ein mutiger Streiter gewesen sein.«

»Ein Held war er, von dem noch heute die Lieder erzählen!« stimmte Ali stolz bei.

»Aber dein Ahne ist er nicht!« fiel der erste Dschelabi ein. »Du hast ihn dir unrechtmäßigerweise angeeignet!«

»Bringe mir nicht immer diesen Vorwurf! Ich muß doch besser als du wissen, von wem ich stamme!«

»Und mit eben solchem Unrechte nennst du dich Hadschi Ali. Wer da sagt, daß er ein Hadschi sei, der muß doch Mekka zur Zeit der Pilgerfahrt besucht haben. Du aber warst nie dort!«

»Etwa du?«

»Nein. Ich rühme mich dessen nicht, denn ich mache keine Lügen.«

»Du könntest dich auch gar nicht rühmen, denn du bist ein Christ, und Christen ist der Zutritt in Mekka bei Todesstrafe verboten!«

»Wie? Du bist ein Christ?« fragte der Fremde den ersten Dschelabi.

»Ja, Herr,« antwortete dieser. »Ich mache kein Hehl daraus, denn es ist eine Sünde, seinen Glauben zu verleugnen. Ich bin allerdings Christ und werde es bleiben bis an mein Ende.«

Bis jetzt hatte der »Vater der vier Augen« dem Konflikte der beiden mit stillem Behagen zugehört. Sie schienen sich in den Haaren zu liegen und doch die besten Freunde zu sein. Jetzt aber wurde er plötzlich ernst, und es lag eine tiefe Betonung auf seinen Worten, als er sagte:

»Daran thust du ganz recht. Kein Christ soll seinen Glauben aus irgend einem Grunde verleugnen. Das wäre eine Sünde wider den heiligen Geist, von welcher das Kitab el mukkadas sagt, daß sie nicht vergeben werden könne.«

»Sünde wider den heiligen Geist?« fragte der Dschelabi erstaunt. »Davon hast du gehört?«

»Jawohl.«

»Und die heilige Schrift kennst du also auch?«

»Ein wenig.«

»Und als Moslem rätst du mir, fest an meinem Glauben zu halten!«

»Ich bin kein Moslem, sondern auch ein Christ.«

»Auch ein Christ! Wohl ein koptischer?«

»Nein.«

»Aber was sonst für einer? Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Beni Homr ein Christ sein könne.«

»Ich bin kein Homr, auch kein Araber, überhaupt kein Orientale, sondern ein Europäer.«

»Mein Gott, ist‘s möglich! Ich auch, ich auch!«

»Aus welchem Lande?«

»Aus Ungarn. Ich bin Magyar. Und —«

»Davon später. Meine Begleiter sind mir weit voran und ich habe alle Veranlassung, ihnen nicht zu trauen. Ich muß ihnen schnell nach. Nun du gehört hast, daß ich auch ein Europäer bin, wirst du wohl bereit sein, bei mir zu lagern?«

»Von ganzem Herzen gern! Welch eine Freude, welch eine Wonne für mich, dich hier getroffen zu haben! Nun können wir von der Heimat sprechen. Laßt uns schnell reiten, damit wir die Homr einholen und den Brunnen schnell erreichen!«

Es ging vorwärts, so schnell die Esel laufen konnten, und sie liefen sehr gut. Diese Tiere sind in südlichen Gegenden ganz andre Geschöpfe als bei uns. Ein ägyptischer Esel trägt den stärksten Mann und galoppiert mit ihm so lange Zeit, als ob er gar keine Last zu tragen habe. Nach einer Viertelstunde waren die Araber erreicht. Sie sagten zu den Dschelabi kein Wort, nicht einmal eine Silbe der Begrüßung. Da diese acht Männer jetzt zugegen waren, war es unmöglich, den Fremden niederzuschießen, wie man vorher gewillt gewesen war.

Still ging es weiter. Der kleine Ungar machte keinen Versuch, sich mit dem »Vater der vier Augen« zu unterhalten. Es wäre das nicht gut gegangen, da der eine auf dem hohen Hedschin und der andre auf dem kleinen Esel saß.

Die Sterne des Äquators waren aufgegangen, und ihr intensives Licht leuchtete fast so hell wie der Mond, welcher jetzt nicht zu sehen war, da er in der Phase der Verdunkelung stand.

Nach einiger Zeit sah man eine Bodenerhebung liegen, welche schroff aus der Erde stieg. Der Sternenschimmer verlieh ihr ein gespenstiges Aussehen.

»Dort ist der Bir Aslan,« sagte der Ungar. »In fünf Minuten werden wir dort sein.«

»Schweig, Dschelabi!« fuhr der Schech ihn an. »Wann du dort sein willst, das kommt allein auf uns an. Noch haben wir dich nicht eingeladen, uns zu begleiten!«

»Dessen bedarf es gar nicht. Wir gehen ohne Einladung hin.«

»Wenn wir es euch erlauben!«

»Ihr habt gar nichts zu erlauben. Der Brunnen ist für alle da, und übrigens befindet ihr euch in Feindes Land.«

»Allah iharkilik – Gott verbrenne dich!« murmelte der Homr, sagte aber weiter nichts.

Der Dschelabi schien von Haus aus kein furchtsames Kerlchen zu sein, und seit er wußte, daß der erst für einen mohammedanischen Schech gehaltene Fremde ein europäischet Christ sei, fühlte er sich noch weniger geneigt, sich von den Arabern bevormunden zu lassen.

Sie langten bei dem Felsen an, an dessen Fuß sich der Bir befand. Dieser war kein laufendes Wasser; er bestand in einem kleinen, von dichtem Mimosengebüsch umgebenen Weiher, welchen eine nicht sichtbare Wasserader speiste. Man stieg ab. Während einige die von ihren Lasten befreiten Tiere tränkten, sammelten die andern dürres Geäst, um ein Feuer zu machen. Als es brannte, setzten sich die Homr so um dasselbe, daß für die Dschelabi kein Platz blieb. Der Ungar verlor kein Wort darüber. Er trug Holz nach der andern Seite des Wassers, brannte dort ein Feuer an und rief dem »Vater der vier Augen« zu:

»Nun magst du dich entscheiden, bei wem du sitzen willst, bei ihnen oder bei uns.«

»Bei euch,« antwortete er. »Nehmt dort die Satteltasche, welche meinen Proviant enthält! Ihr seid meine Gäste. Wir können alles aufessen, da wir morgen nach Faschodah kommen.«

»Da irrt er sich,« flüsterte der Schech den Seinen zu. »Er verachtet uns und zieht diese Erdferkel vor. Wir wollen so thun, als ob wir es nicht beachteten. Aber beim Anbruche des Tages wird er in der Dschehenna heulen. Mag er jetzt noch einmal, zum letztenmal im Leben, essen!«

Er suchte auch seine Vorräte vor, dürres Fleisch und trockenen Durrhakuchen, wozu das Wasser des Bir mit den Händen geschöpft wurde.

Indessen rekognoszierte der Fremde die Umgebung des Brunnens. Der kleine Berg stand vollständig isoliert in der Ebene. Er war mit Gras bewachsen, eine Folge der Verdunstung des Brunnenwassers. Auf seiner nördlichen und westlichen Seite gab es kein Strauchwerk; aber am östlichen und südlichen Fuße, wo der Brunnen lag, kletterten die Mimosen ein Stück am ausgewitterten Felsen empor und liefen auch eine ganze Strecke in die Ebene hinein. Menschliche Wesen waren nicht zu sehen; die Gegend schien vollständig sicher zu sein, auch in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geist des hier vergifteten »Herrn mit dem dicken Kopfe« hier in nächtlicher Stunde sein Wesen trieb.

Als er nach der Quelle zurückkehrte, hatten die Kamele und Esel sich satt getrunken und fraßen von den jungen Zweigen der Mimosen. Er ließ sein ganzes Gepäck in die Nähe des zweiten Feuers tragen und dort am Felsen niederlegen, so daß er es im Auge haben konnte.

Der Ungar hatte die Tasche geöffnet und den Inhalt derselben vor sich ausgebreitet. Derselbe bestand aus Durrhabrot, Datteln und mehreren Perlhühnern, welche der »Vater der vier Augen« gestern früh jenseits der Sandstrecke geschossen hatte.

Es gibt im Sudan ganze Stämme, welche keinen Vogel essen. Die Dschelabi gehörten nicht zu diesen Verschmähern eines guten Geflügels. Sie rupften die Hühner, nahmen sie aus und zerlegten das Fleisch in kleine viereckige Stücke, welche, an zugespitzte Äste gespießt, über dem Feuer gebraten wurden. In dieser Form und Weise zubereitet, wird das Fleisch Kebab genannt.

Während dies geschah, zog der Ungar die ihm am Herzen liegenden Erkundigungen ein. Bei dem Ritte hatte er nur notgedrungen geschwiegen, nun aber fragte er, als der Fremde sich neben ihm am Feuer niedergelassen hatte, immer noch in arabischer Sprache, wie bisher:

»Darf ich nun erfahren, Herr, aus welchem Lande du bist? Bitte!«

»Sage mir vorher erst, aus welcher Gegend Ungarns du stammst!«

»Ich bin ein Magyar aus Nagy Mihaly bei Ungvar.«

»Von dort? Dann aber bist du wohl kein Magyar, sondern ein Slowak. Du hast dich dessen jedoch gar nicht zu schämen.«

»Ich schäme mich auch nicht; aber da ich in Ungarn geboren bin, bin ich doch auch Magyar. Du kennst meine Heimatsgegend? Warst du dort?«

»Ja.«

»Sprichst du ungarisch? Ich bin auch des Slowenischen mächtig.«

»Mir ist beides fremd, also können wir uns leider nicht in deiner Muttersprache unterhalten. Aber wie bist du nach Afrika, nach Ägypten und gar nach dem Sudan gekommen?«

»Durch meinen Herrn.«

»Wer war das?«

»Matthias Wagner, auch ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitat.«

»Den kenne ich, wenn auch nicht persönlich. Er hat sehr viel erlebt. Er ging nach Ägypten, Arabien und Abessinien, war Begleiter des Herzogs von Gotha, bereiste später den ganzen Ostsudan und ist vor ungefähr einem Jahre gestorben, ich glaube in Chartum. Nicht?«

»Ja, Herr, so ist es. Du kennst alle seine Erlebnisse. Ich war zuletzt mit ihm nach Kordofan, um Straußfedern zu handeln. Nach unsrer Rückkehr mußten wir uns trennen. Er starb, und über mich brach ein Unfall nach dem andern herein, so daß ich endlich gezwungen war, das Leben eines armen Dschelabi zu führen.«

»Hast du da Glück gehabt?«

»Was nennst du Glück? Ich begann vor sechs Monaten mit fünf Mariatheresienthalern, und was ich jetzt besitze, ist vielleicht dreißig wert. Großwesier wird man nicht dabei.«

»Dazu hat Allah dir ja auch den Verstand gar nicht gegeben,« fiel der zweite Dschelabi jetzt ein.

»Schweig, Abu Dihk!« fuhr der Ungar ihn an. »Mich hat Allah für so einen hohen Posten eigentlich ausgerüstet. Du aber könntest nicht einmal Hamal werden, trotz deines falschen Stammbaumes!«

»Er ist echt und nicht gefälscht. In mir fließt das Blut vom Fahnenträger des Propheten. Hör‘ meinen Namen an! Soll ich ihn dir nennen?«

»Um Allahs willen, nein! Du trompetest ihn so unaufhörlich aus, daß ihn bereits im ganzen Sudan jeder Vogel pfeifen kann.«

»Das darf ich wohl, da er ein hoch berühmter ist. Höre ihn an, und höre auch, was meine Ahnen thaten! Wie aber heißt du? Ich habe es vergessen?«

»Uszkar.«

»Wie lautet das auf Arabisch?«

»Kelb.«

»Welch ein Name! Wie kann ein Mensch sich nach einem so verachteten Tiere nennen! Wie hieß dein Vater?«

»Auch Uszkar oder Kelb.«

»Dein Großvater?«

»Ebenso.«

»Und deine andern Ahnen?«

»Auch nicht anders.«

»Allah, welch ein Stammbaum ist das! Kelb ben Kelb Ibn Kelb Hafid Kelb, Kelb und nichts als Kelb! Es ist ein Wunder, daß du nicht bellst, sondern sprichst. Mein Name aber lautet Hadschi Ali ben Hadschi Ishak el Faresi Ibn Otaiba Abu – – —«

»Still, still, still!« rief der Ungar, indem er mit beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. »Ich mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird er sich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein Name gegen meine Erfahrungen und Kenntnisse bedeuten! Ihn hast du ohne alles Verdienst von deinen Vorfahren; sie aber habe ich mir selbst angeeignet. Wisse, daß ich sogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, verstehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt.«

»Und wisse,« schrie der andre, welcher sich ernstlich zu ereifern begann, »daß ich alle Länder und Völker der Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und beim Namen nenne.«

»Das ist Geographie, deine Leidenschaft. Wo aber willst du sie studiert haben?«

»Bei meinem Oheim, welcher erst in Stambul wohnte und dann in das Land der Nemtsche nach Lipsik ging, wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Asal ‚l abiad handelte. Dort wurde er wohlhabend und kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausstudiert hatte, ging ich nach Ägypten als Asker und bin so nach und nach bis in den Sudan gekommen.«

»O du Vater des Gelächters,« lachte der Slowak, »willst du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein studiert?«

»Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab‘s dann von ihm. Allah allein kennt die Millionen Länder und Dörfer, welche sich in meinem Kopfe befinden. Du aber weißt gar nichts. Du bist der Sohn der Blattern und der Vater der elf Haare. Du hast meinen Namen gehört. Wie kannst du mich den Vater des Gelächters nennen?«

Sie waren beide zornig geworden und griffen sich bei ihren gegenseitigen körperlichen Schwächen an. Die Spitznamen, welche man ihnen gegeben hatte, waren sehr bezeichnend. Das Gesicht des Slowaken war geradezu abschreckend pockennarbig, und es mußte fast als ein Wunder erscheinen, daß die zerstörende Krankheit ihm die wenigen Haarkeime übrig gelassen hatte. Freilich zählte sein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über dreißig waren es gewiß nicht. Und diese zerstreut und unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlichkeitsbeweise hatte er so lieb, daß seine Hände während jedes freien Augenblickes bemüht waren, sie zu sammeln und ihnen die Form eines echt ungarischen Schnurrwichses zu geben.

Was den »Vater des Gelächters« betraf, so litt er an einer Krankheit, welche sein Gesicht in fast regelmäßigen Pausen, besonders aber bei Seelenerregungen und wenn er sprach, zur schrecklichen Fratze verunstaltete, nämlich am Gesichtskrampfe. Diese Verzerrungen brachten nie einen ernsten, sondern stets nur einen solchen Ausdruck des Gesichtes hervor, daß man meinte, Ali wolle sich über irgend etwas totlachen. Es ist ganz gewiß höchst verwerflich, sich über körperliche Gebrechen eines andern lustig zu machen, aber die Gesichter des Mannes, welcher Millionen Länder und Dörfer in seinem Kopfe hatte, wirkten so unwiderstehlich, daß der ärgste Melancholikus, der rücksichtsvollste Mensch geradezu gezwungen war, mitzulachen. Übrigens genierte ihn das keineswegs; er schien sich im Gegenteile ganz glücklich zu fühlen, stets lustige Gesichter um sich zu sehen.

»Und wenn du alle Völker und Inseln der Erde im Kopfe hast, so kennst du doch gewiß nicht ein einziges Wort Latein!« behauptete der Slowak. »Herr, verstehst vielleicht auch du lateinisch?«

»Ja, ein wenig,« nickte der »Vater der vier Augen« lächelnd. »Wo hast du es denn gelernt?«

»Auch in Leipzig.«

»Aber doch nicht an der Ecke bei dem Honigkasten?«

»Nein, sondern von meinen Professoren.«

»Professoren? Hast du etwa studiert?«

»Ja.«

»Was?«

»Medizin.«

»So bist du Doktor?«

»Allerdings. Auch war ich drei Jahre lang Lehrer an einer deutschen Medresse.«

Da sprang der Kleine auf und rief:

»So bist du ein Deutscher?«

»Ja. Wenn du deutsch verstehst, können wir uns dieser Sprache bedienen.«

»Natürlich verstehe ich es, und zwar ganz ausgezeichnet! Allah! Ein Ra-is et tibb! Und ich habe dich du genannt! Wo habe ich da meine Augen gehabt! Das soll sofort gut gemacht werden; ich werde höflicher sein. Darf ich deutsch reden?«

»Das versteht sich!« antwortete der Gelehrte, sehr neugierig darauf, wie der Ungar, welcher des Magyarischen, des Slowakischen und sogar des Lateinischen mächtig sein wollte und wirklich gar nicht übel arabisch sprach, sich im Deutschen ausdrücken werde. »Versuchen Sie es, und sagen Sie mir da einmal gleich, was Ihr Vater gewesen ist!«

Der Gefragte antwortete mit strahlendem Gesichte, nun in deutscher Sprache:

»Vatterr meiniges hatt Musika gewest. Macht dilideldum, dilideldei.«

»Auf welchem Instrumente?« fragte der Arzt, der sich nur schwer des Lachens erwehren konnte.

»Hatt blaste Klarniett: Viviviva viviviva!«

Er hielt die beiden Hände vor den Mund und ahmte die Klänge der Klarinette täuschend nach.

»Da haben Sie wohl auch ein Instrument zu blasen gelernt?«

»Nein. Mund meiniger hatt nicht paßte dazu.«

»Und wie ist Ihr eigentlicher Name?«

»Hab ich heißte Uszkar Istvan.«

»Also zu deutsch Stephan Pudel, wenn ich mich nicht irre, da ich zufälligerweise das Wort Pudel kenne. Ein ominöser Name hier in einem mohammedanischen Lande, wo das Wort Hund als größte Beschimpfung gilt. Sie hätten dieses Uszkar Ihren Gefährten nicht übersetzen sollen.«

»Serr richtig! Aber wie heißten Sie, Pane Doktorrr?«

»Ich heiße Emil Schwarz und bin hier, um die Fauna und Flora des Landes zu studieren und in möglichst vielen Präparaten mit nach Hause zu nehmen.«

»Fauna und Florrra! O, das seinte gut Latein! Auch ich verstehnte Latein. Latein meiniges ich hatt lernte bei Pane Wagner. Fauna heißte Pflanz, und Flora heißte Vieh.«

»Oder umgekehrt,« lachte Schwarz.

»Umkehrte auch richtig, beides richtig! Ich bin viel geweste in Sudan. Ich hatt sehnte das ganze Florrra und Fauna. Wenn Sie brauchte ein Dienerrr, ich sehr gern wernte Dienerrr Ihriges.«

»Wirklich?«

»Ja, Pane Doktorrr. Ich nicht willnte mehr handeln im Sudan, und ich nicht mehr magte sein ein Dschelabi. Sie mich könnte brauchte sehr gut. Ich Sie wollte unterrrstützte mit Latein meiniges und machte kleb an die Etiquetten an Präparaten Ihrige.«

»Dieses Anerbieten ist mir nicht unwillkommen, und ich werde – – —«

Er hielt inne. In der Ferne war ein Ton erklungen, welcher sofort die Aufmerksamkeit aller in Anspruch nahm.

»Was war das?« fragte Schwarz, sich in arabischer Sprache an die Dschelabi wendend. »Doch unmöglich Donner! Jetzt im Sef gibt es doch wohl keine Gewitter.«

»Nein, Donner war es nicht,« antwortete der Slowak, auch in arabischer Sprache, welche er nicht so schlimm radebrechte wie die deutsche.

»Was war es sonst?«

»Es war Aslan, der Herr der Herden.«

»Der Löwe? Also gibt es hier doch welche!«

»Es scheint so, und der Herr mit dem dicken Kopfe wird hierher kommen, denn er hat unsre Feuer gesehen.«

»So zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erst um oder gar nach Mitternacht sein Lager verlasse.«

»Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.«

Diese Fragen und Antworten waren mit lauter, vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und sagte mit leiser Stimme und in ängstlichem Tone:

»Um Allahs willen, sprecht nicht so laut, sonst hört er es und kommt herbei. Dann sind wir alle verloren. Horcht!«

Es erscholl derselbe Laut wieder. Er klang dem Rollen eines schweren Wagens, welcher über eine hölzerne Brücke fährt, sehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die Esel drängten sich zusammen.

»Das also, das ist der Löwe!« sagte Schwarz, mehr zu sich als zu den andern. »Endlich, endlich höre ich seine Stimme in der Freiheit.«

»O, das ist seine volle und richtige Stimme noch nicht,« meinte der Slowak. »Er versucht sie erst. Er hat Hunger und ist mißmutig; er knurrt einstweilen.«

»Hast du ihn auch schon gehört?«

Er bediente sich, dem arabischen Sprachgebrauche angemessen, wieder des Du.

»Gehört und auch gesehen, und zwar sehr oft.«

»Ohne von ihm angefallen zu werden?«

»Er hat mir nie etwas gethan. Es gibt viel feige und wenig wirklich stolze und kühne Löwen. Die feigen kommen heimlich geschlichen und führen den Raub so leise aus, daß man erst am Morgen den Tod oder das Fehlen seines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber tritt gleich laut aus seinem Lager. Er sagt es aufrichtig, daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. Er nähert sich dem Orte, dem er seinen Besuch zugedacht hat, nur langsam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, damit man sich genau berechnen könne, wann er erscheinen wird. Einen Löwen, der das thut, hält keine Gefahr ab, den Überfall auszuführen.«

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