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Die Sklavenkarawane
»Ist der Weg, den wir reiten, ein vielbesuchter Handelsweg?«
»Nein,« antwortete der Schech. »Wenn wir den Karawanenweg hätten einschlagen wollen, so hätten wir einen Bogen reiten müssen, auf welchem uns zwei Tage verloren gegangen wären.«
»Hier ist also keine Karawane zu erwarten?«
»Nein, weil es in der trockenen Jahreszeit auf dem Pfade, den wir ritten, kein Wasser gibt. Das unsrige ist auch bereits zur Neige gegangen. Die Schläuche sind leer.«
»Aber am Bir Aslan werden wir sicher welches finden?«
»Ganz gewiß, Effendi.«
»Hm! Sonderbar!«
Er machte dabei ein so bedenkliches Gesicht, daß der Schech ihn fragte:
»Woran denkst du, Herr? Gibt es etwas, was dir nicht gefällt?«
»Ja.«
»Was?«
»Du behauptest, daß wir uns auf keinem Karawanenwege befinden, und doch reiten hinter uns Leute.«
»Hinter uns? Unmöglich! Dann müßten wir sie ja sehen!«
»Das ist nicht notwendig.«
»Wie kannst du es dann für so gewiß behaupten?«
»Weil ich zwar nicht sie, aber doch ihre Spur sehe.«
»Effendi, du scherzest!« meinte der Schech in überlegenem Tone.
»O nein. Es ist im Gegenteil mein vollständiger Ernst.«
»Wie ist es einem Menschen möglich, die Spuren von Personen, die Darb und Ethar von Personen zu sehen, welche hinter ihm reiten!«
»Du denkst nur an die Spuren, welche durch die Füße der Menschen und die Hufe der Tiere dem Sande eingedrückt werden. Aber es gibt auch Spuren, welche sich in der Luft befinden.«
»In der Luft? Allah akbar – Gott ist groß; er kann alles, denn ihm ist alles möglich. Aber daß er es uns erlaubt hat, Spuren in der Luft zurückzulassen, davon habe ich noch nichts gehört.«
Er musterte den Fremden mit einem Blicke, als ob er ihn nicht für ganz zurechnungsfähig halte.
»Und doch ist es so. Die Spuren sind da. Man muß nur Augen für sie haben. Denk an den Hedj, welchen ich geschossen habe!«
»Was hat er mit den Darb und Ethar zu thun?«
»Sehr viel, denn er selbst konnte unter Umständen die Ethar von uns sein. Hast du ihn schon bemerkt, bevor ich ihn schoß?«
»Ja. Das Pärchen folgte uns seit dem Morgen. Und als wir am Steine ruhten, schwebte es immer über uns. Der Hedj hält sich, wenn er kein andres Futter findet, zu den Kamelen, um dann alles, was die Reiter während der Ruhe beim Essen fallen lassen, aufzuzehren. Auch lauert er auf die Vögel, auf die Madenhacker, welche den Karawanen folgen, um den Tieren das Ungeziefer abzulesen.«
»Also du gibst zu, daß an der Stelle, über welcher der Hedj schwebt, sich eine Karawane befindet?«
»Ja.«
»Nun, da hinter uns fliegt ein zweites Paar, zu welchem sich jetzt unser verwitwetes Weibchen gesellt hat. Siehst du sie?«
Der Schech blickte rückwärts. Seinen scharfen, wohlgeübten Augen konnten die Vögel nicht entgehen.
»Ja, ich sehe sie,« antwortete er.
»Dort muß eine Karawane sein?«
»Wahrscheinlich .«
»Und doch befinden wir uns auf keinem Wege. Das hast du selbst gesagt. Die hinter uns reitenden Leute folgen unsren Spuren .«
»Sie werden den Weg nicht kennen und sich also an unsre Fährte halten.«
»Eine Karawane hat stets einen Schech el Dschemali und auch noch andre Männer bei sich, welche den Weg genau kennen.«
»Aber der beste Khabir kann sich einmal verirren!«
»In der großen Sahara, ja, aber nicht hier in dieser Gegend, südlich von Dar Fur, wo von einer wirklichen Wüste streng genommen gar nicht die Rede sein kann. Der Schech der Karawane, welcher hinter uns kommt, kennt die Gegend ebenso gut wie du; er muß sie kennen. Wenn er trotzdem vom Karawanenwege abgewichen ist, um uns zu folgen, so hat er es auf uns abgesehen.«
»Auf uns abgesehen! Effendi, welch ein Gedanke! Du denkst doch nicht etwa, daß diese Leute zu einer . . .«
Er sprach das Wort nicht aus. Er hatte Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen.
»Daß sie zu einer Gum gehören, wolltest du wohl sagen?« fuhr der Fremde fort. »Ja, das ist meine Meinung.«
»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Welch ein Gedanke, Effendi! Hier in dieser Gegend gibt es keine Gum. Die ist nur im Norden von Dar Fur zu suchen.«
»Pah! Ich traue diesen Leuten nicht! Warum folgen sie uns?«
»Sie folgen uns, aber verfolgen wollen sie uns nicht. Können sie nicht denselben Zweck haben wie wir?«
»Den Weg abzukürzen? Das ist freilich möglich.«
»Das ist nicht nur möglich, sondern es wird wirklich sein. Mein Herz ist ferne davon, Befürchtungen zu hegen. Ich kenne diese Gegend und weiß, daß man in derselben so sicher ist wie im Schoße des Propheten, den Allah segnen wolle.«
Der Fremde warf ihm einen forschenden Blick zu, welcher dem Schech nicht gefallen wollte, denn er fragte:
»Warum blickst du mich an?«
»Ich sah dir in die Augen, um in deiner Seele zu lesen.«
»Und was findest du darin? Doch die Wahrheit?«
»Nein.«
»Allah! Was denn? Etwa die Lüge?«
»Ja.«
Da griff der Schech nach dem Messer, welches in seinem Gürtel steckte, und rief:
»Weißt du, daß du soeben eine Beleidigung ausgesprochen hast? So etwas darf ein braver und tapferer Ben Arab nicht dulden!«
Das Gesicht des Fremden hatte plötzlich einen ganz andern Ausdruck bekommen. Es schien, als ob die Züge schärfer, gespannter geworden seien. Es glitt ein stolzes Lächeln über sein männlich schönes Gesicht, und er sagte in fast wegwerfendem Tone:
»Laß das Messer stecken! Du kennst mich nicht. Ich vertrage es nicht, wenn ein andrer mit der Hand am Messer von Beleidigung spricht. Läßt du die Klinge sehen, so erschieße ich euch binnen einer Minute!«
Der Schech nahm die Hand vom Gürtel. Er war ebenso zornig wie verlegen und antwortete:
»Soll ich es mir gefallen lassen, daß du mich der Lüge zeihst?«
»Ja, denn ich habe wahr gesprochen. Erst machte mich die uns folgende Karawane besorgt, jetzt aber traue ich auch dir nicht mehr.«
»Warum ?«
»Weil du die Gum, wenn es eine ist, gegen mich verteidigst und dir Mühe gibst, mich in Sicherheit zu lullen.«
»Allah yak fedak – Gott schütze dich, Effendi, denn deine Gedanken gehen irr. Was gehen mich die Leute an, welche hinter uns kommen!«
»Sehr viel, wie es scheint, sonst hättest du es nicht unternommen, das Mißtrauen, welches ich gegen sie hege, durch eine Unwahrheit zu zerstreuen.«
»Aber ich sage dir, daß ich mir keiner Lüge bewußt bin!«
»Nicht? Behauptetest du nicht, diese Gegend sei so sicher wie der Schoß des Propheten?«
»Ja, und so ist es auch.«
»Das sagst du, weil du weißt, daß ich ein Fremder bin. Du bist der Überzeugung, daß ich die Verhältnisse des Landes nicht kenne. Ja, die Reitpfade desselben sind mir unbekannt, obwohl ich sie mit Hilfe meiner Karten wahrscheinlich ohne deine Hilfe auch finden würde, aber das übrige kenne ich jedenfalls besser als du. In meiner Heimat gibt es Bücher und Bilder über alle Länder und Völker der Welt. Durch diese lernt man die Völker zuweilen besser kennen als diejenigen, welche zu ihnen gehören. So weiß ich auch ganz genau, daß man hier keineswegs so sicher ist wie im Schoße des Propheten. Hier ist viel, viel Blut geflossen. Hier, wo wir uns befinden, haben die Nuehr-, Schilluk- und Denkavölker miteinander gestritten. Hier sind die Dschur und Luoh, die Tuitsch, die Bahr, Eliab und Kiëtsch, die Abgalang, die Agehr, Abugo und Dongiol aufeinander getroffen, um sich zu ermorden, zu zerfleischen und auch gar wohl – aufzufressen.«
Der Schech war ganz steif vor Erstaunen.
»Effendi,« rief er von seinem Kamele herüber, »das weißt du; diese Völker kennst du, sie alle!«
»Ja, genauer jedenfalls als du! Und ich weiß auch noch mehr. Ich weiß, daß gerade da, wo wir jetzt reiten, zu nächtlicher Zeit sich die entsetzliche Ghasuah vorüberschleppt, um dem Pascha zu entgehen, welcher in Faschodah ein Auge auf die Sklavenjäger hat. Da ist mancher arme Schwarze ermattet niedergesunken und durch einen Hieb, eine Kugel für immer stumm gemacht worden. Unten am Mokren el Bohur werden die Ärmsten aus den Schiffen geladen und quer über das Land geschafft, um oberhalb Faschodahs wieder eingeladen und vor Chartum verkauft zu werden. Da hat mancher seinen letzten Seufzer ausgehaucht; mancher hat hier den Todesschrei in die finstere Nacht hinausschallen lassen. Und das nennst du eine Gegend, welche man mit dem Schoße des Propheten vergleichen kann? Ist es möglich, eine größere Lüge auszusprechen?«
Der Schech blickte finster vor sich nieder. Er fühlte sich geschlagen und durfte es doch nicht eingestehen. Darum antwortete er nach einigen Augenblicken:
»An die Ghasuah dachte ich nicht, Effendi. Ich dachte nur an dich und daran, daß du hier sicher bist. Du befindest dich in unserm Schutze, und ich möchte den sehen, welcher es wagen wollte, ein Haar auf deinem Haupte zu krümmen!«
»Ereifere dich nicht! Ich sehe klar und weiß genau, was ich zu denken habe. Sprich nicht von Schutz! Ich habe euch gemietet, damit ihr meine Sachen auf euern Kamelen nach Faschodah bringen möchtet; auf euern Schutz aber habe ich nicht gerechnet. Ihr selbst bedürft vielleicht des Schutzes mehr als ich.«
»Wir?«
»Ja. Hast du vielleicht die Schillukneger gezählt, welche die Leute deines Stammes hier raubten und als Sklaven nach Dar Fur brachten? Besteht etwa nicht deshalb ein unersättlicher Haß, ja eine Blutrache zwischen euch und ihnen? Befinden wir uns jetzt nicht auf dem Gebiete der Schilluk, welche, wenn sie euch sähen, sofort über euch herfallen würden? Warum habt ihr den Karawanenweg verlassen und mich durch einsame Gegenden gebracht? Um den Weg abzukürzen, wie du vorhin sagtest? Nein, sondern um nicht auf die Schilluk zu treffen. Vielleicht gibt es auch noch einen andern Grund.«
»Welchen?« fragte der Schech, der sich durchschaut sah, ziemlich kleinlaut.
»Den, mich hier umzubringen.«
»Allah, Wallah, Tallah! Welche Gedanken werden in deiner Seele laut!«
»Du selbst bist schuld daran. Denke an die Karawane, welche uns folgt! Es ist vielleicht die Gum, welche mich überfallen soll. Es gelüstet euch nach meiner Habe, welche ihr nicht erhalten könnt, so lange ich lebe. Auf euerm Gebiete könnt ihr mich nicht töten, der Verantwortung wegen, die euch sicherlich nicht erspart bleiben würde. Darum führt ihr mich durch unwegsame Gegenden nach dem einsamen Bir Aslan, wo die That geschehen soll, ohne daß ein Zeuge die Mörder verraten kann. Findet man dann meine Leiche, so geschah der Mord auf dem Gebiete der Schilluk und wird diesen zur Last gelegt. Auf diese Weise habt ihr dann zwei Vorteile zugleich erreicht, nämlich meine Habe und die Rache an den Schilluk.«
Er hatte das in einem so gleichmütigen, ja sogar freundlichen Tone gesagt, als ob es sich um etwas ganz Alltägliches und Angenehmes handle. Seine Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf die Araber. Nach ihren Waffen zu greifen wagten sie nicht. Was waren ihre langen Feuersteinflinten gegen seine Waffen! In dieser Beziehung war er, der einzelne, ihnen überlegen. Aber sie mußten doch etwas thun, um sich den Anschein zu geben, als ob sie sich durch seine Anklage ganz unschuldig beleidigt fühlten. Darum hielten sie ihre Kamele an und erklärten, daß sie keinen Schritt weiterreiten, sondern die Lasten abladen und heimkehren würden.
Der Fremde lachte laut auf.
»Das werdet ihr nicht thun,« meinte er. »Wie wollt ihr ohne Wasser zurückkehren? Ihr müßt unbedingt nach dem Brunnen des Löwen. Übrigens habe ich euch mit Absicht nicht vorher bezahlt. Ihr sollt erst in Faschodah euer Geld erhalten, und wenn ihr mich nicht bis dorthin bringt, so bekommt ihr keinen einzigen Piaster. Was meinen Verdacht betrifft, so habe ich denselben ehrlich ausgesprochen, um euch zu beweisen, daß ich euch nicht fürchte. Ich habe es mit weit schlimmeren Gesellen zu thun gehabt, als ihr seid, und es ist euch gar nichts als der kleine Fehler vorzuwerfen, daß ihr mich nicht kennt. Ist meine Vermutung falsch, so bitte ich euch um Verzeihung. Aus Erkenntlichkeit werde ich in Faschodah ein Rind schlachten lassen und es unter euch allein verteilen. Und zu der Bezahlung, welche wir für eure Dienste festgesetzt haben, werde ich ein Bakschisch fügen, welches ihr zum Schmucke eurer Frauen und Töchter verwenden könnt.«
Das war eine nach hiesigen Verhältnissen sehr gute Aussicht, welche er ihnen eröffnete; aber ihr Groll wurde durch dieselbe keineswegs beseitigt, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie sein Versprechen mit ihm versöhnt habe. Sie wußten ja genau, daß er den kommenden Morgen nicht erleben werde. Um ihn sicher zu machen, erklärten sie, ihn weiterbegleiten zu wollen, wenn er seinen Verdacht fallen lasse und sein Versprechen zu halten beabsichtige. Er war damit einverstanden, bewies aber schon im nächsten Augenblicke, daß sein Mißtrauen noch fortbestehe, denn er ritt von jetzt an als letzter in der Reihe, während er sich bisher mit dem Schech stets an der Spitze befunden hatte.
Sie thaten, als ob sie das nicht beachteten, aber einige Zeit, nachdem der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, that der Schech so, als ob er dem jetzt an seiner Seite reitenden Homr die Gegend erkläre; er deutete mit dem erhobenen Arme bald nach vorn, bald nach rechts oder links, sagte aber dabei in verbissenem Tone:
»Dieser Hund ist weit klüger, als es den Anschein hatte. Er kennt dieses ganze Land, alle Bewohner desselben und auch alle Ereignisse, welche hier geschehen sind.«
»Und hat alles, was wir beabsichtigen, ganz genau erraten,« fügte der andre hinzu. »Möge der Schetan ihn beim Schopfe nehmen!«
»Am liebsten möchte ich das thun!«
»Wer verwehrt es dir?«
»Seine Waffen.«
»Kann nicht einer von uns zurückbleiben und ihm von hinten eine Kugel in das Herz jagen?«
»Versuche es! Das Beste wäre es. Wir brauchten nicht bis früh zu warten und hätten die Beute nicht mit Abu el Mot zu teilen. Seine Leiche ließen wir liegen, ritten nach dem Brunnen, füllten unsere Schläuche und kehrten während der Nacht zurück. Morgen wären wir schon weit von hier, und kein Mensch wüßte, wessen Kugel den Hund getroffen hat.«
»Soll ich ihn erschießen?«
»Ich wollte nicht, daß er von uns getötet werde; nun er uns aber das Gesicht in solcher Weise schamrot gemacht hat, mag er von deiner Kugel sterben.«
»Was erhalte ich dafür?«
»Die goldene Kette an seiner Uhr.«
»Natürlich außer dem Beuteanteil, welcher überhaupt auf mich kommt?«
»Natürlich.«
»So mag es geschehen. Ich drücke das Gewehr so nahe hinter ihm ab, daß ihm die Kugel zur Brust herauskommt.«
Er hielt sein Kamel an und stieg ab; dann schnallte er an dem Sattelgurte herum, als ob derselbe sich gelockert habe. Die andern ritten an ihm vorüber. Der Fremde aber hielt bei ihm an und sagte in freundlich mahnendem Tone:
»Du mußt dir merken, daß man das stets vor dem Aufbruche thut. Durch das Absteigen verminderst du unsre Eile. Folge uns also, wenn du fertig bist, schnell nach. Dein Tüfenk ist fast unter das Kamel geraten; es könnte leicht zerbrochen werden, und ich will es lieber einstweilen an mich nehmen.«
Er langte von seinem hohen Sitze mit dem Metrek herab, steckte denselben unter den Riemen der am Sattelknopfe hängenden Flinte und hob dieselbe zu sich herauf. Dann ritt er lächelnd weiter.
Der Araber machte ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht. Die Flinte war fort und eine Pistole hatte er nicht. Ein Überfall mit dem Messer vom hohen Kamelsattel aus war aber ganz unmöglich.
»Ob er es ahnt, dieser Sohn und Enkel des Teufels!« knirschte er. »Dieser Versuch ist mißglückt; aber bald wird es Nacht. Dann sieht er es nicht, wenn man auf ihn zielt, und ich kann ihn doch noch erschießen, ehe wir den Brunnen erreichen.«
Er folgte, nachdem er wieder aufgestiegen war, den Vorangerittenen. Als er an dem Fremden vorüberkam, reichte ihm dieser die Flinte mit den Worten zurück:
»Der Feuerstein ist ja zerbrochen und ausgefallen. Du kannst also heute nicht schießen. Morgen aber werde ich dir einen neuen geben. Ich habe welche im Gepäck.«
Es war klar, daß er den Stein heraus geschraubt hatte. Der Schech erkannte nun abermals, daß er durchschaut sei, und brannte nun förmlich darauf, dem Giaur die tödliche Kugel geben zu lassen oder auch selbst zu geben. Dieser aber ritt mit dem gleichmütigsten Gesicht hinterdrein, doch hatte er das eine Gewehr, welches vorher am Sattelknopfe hing, schußbereit in der Hand und beobachtete jede Bewegung seiner Begleiter mit scharfem Auge.
Die Zeit verging, und das Land wurde hügelig. Eine wenn auch unbedeutende Höhenkette zog sich hier von Norden nach Süden und brachte einige Abwechselung in das Landschaftsbild. Als sie durchquert war, kamen die Reiter wieder in die Ebene, wo, wie sie sahen, ein spärliches Gras gestanden hatte, welches aber von der Sonne vollständig versengt war. Mehr und mehr neigte sich diese dem Horizonte zu. Als sie ihn erreichte, hielt der Schech sein Tier an und rief im Tone eines Muezzin:
»Haï es sala – auf zum Gebete! Die Sonne taucht in das Meer des Sandes, und die Zeit des Moghreb ist gekommen!«
Sie stiegen alle ab und beteten in der bereits beschriebenen Weise. Fünfmal täglich hat der Moslem seine Andacht zu verrichten und sich dabei zu waschen, mag er sich nun zu Hause oder sonstwo befinden. Diese Gebete sind: el Fagr früh beim Aufgange der Sonne, el Deghri um die Mittagszeit, el Asr drei Stunden später, die Aufbruchszeit aller strenggläubigen Reisenden, el Moghreb beim Sonnenuntergange und endlich el Aschia eine Stunde später.
Es versteht sich, daß diese Zeiten nicht stets und überall streng eingehalten werden, und je weiter die abendländische Kultur im Osten vorschreitet, desto schwerer wird es dem Muselmann, diesen Vorschriften Folge zu leisten.
Als die Fathha gesprochen worden war, stiegen alle wieder auf, und der Ritt wurde fortgesetzt. Der Fremde war im Sattel geblieben. Es war ihm nicht zuzumuten, an ihrem Gebete teilzunehmen oder auch nur nach europäischer Sitte durch Entblößung des Hauptes ein Zeichen der Ehrfurcht zu geben. Er hätte sich damit entehrt, da der Mohammedaner es für eine Schande hält, den Kopf unbedeckt sehen zu lassen. Nur allein der Mezaijin hat das Vorrecht, den Anblick frommer, kahl geschorener Schädel, auf denen nur die mittelste Locke stehen bleiben darf, zu genießen. Diese Locke ist für den Muselmann sehr notwendig, weil ihn, wenn er auf dem Pfade strauchelt, welcher nach dem Tode in das Paradies führt und der nur so breit ist wie die Schärfe eines Barbiermessers, der Engel Gabriel bei diesem Haarschopfe faßt, um ihn fest zu halten und nicht in die Hölle hinabstürzen zu lassen.
Wenn die Sonne in südlichen Gegenden hinter dem Horizonte verschwunden ist, so tritt die Nacht sehr schnell herein. Eine Dämmerung wie bei uns ist dort unbekannt. Darum trieb Abu ‚l arba ijun, der Vater der vier Augen, die Araber jetzt zu größerer Eile an. Noch waren sie nicht weit gekommen, so sahen sie einen kleinen Reiterzug von Norden her sich im spitzen Winkel auf ihre Richtung zu bewegen. Es war eine Dschelaba, eine Handelskarawane, und zwar eine der anspruchslosesten, ja ärmlichsten Art.
Die acht Männer, aus denen sie bestand, saßen nicht etwa auf stolzen Rossen, auf hohen, langbeinigen Hedschins oder wenigstens auf gewöhnlichen, ordinären Lastkamelen, o nein, sondern sie hingen in den verschiedensten und keineswegs eleganten Stellungen auf jener Art von Tieren, deren Abbild früher unfleißigen Schuljungen als abschreckende Auszeichnung auf Holz gemalt um den Hals gehängt wurde – auf Eseln .
Der Zug glich also keiner jener großen, aus mehreren hundert Kamelen bestehenden Handelskarawanen, welche die Mittelmeerstaaten mit den großen Oasen der Sahara verbinden; es war vielmehr eine echt sudanesische Dschelaba, deren Anblick meist geeignet ist, Mitleid zu erwecken. Diese Handelszüge entstehen folgendermaßen:
Der Sudanese ist kein Freund der Arbeit und Anstrengung. Hat er sich als Matrose, als Diener oder in irgend einer andern leichten und vorübergehenden Stellung einige Mariatheresiathaler verdient, so wird er Handelsherr, welcher schöne Beruf ihm am meisten zusagt. Dazu ist vor allem andern der Ankauf eines Esels notwendig, welcher nur einen Teil des Kapitals verschlingt. Dann müssen zwei Gurab, lederne Säcke, angeschafft werden, welche die Handelsartikel aufzunehmen haben und auf der Reise zu beiden Seiten des Esels am Sattel hangen. Und drittens werden die im Lande gangbarsten Waren, durch welche der Handelsherr Millionär werden will, eingekauft. Diese bestehen in Khol, der bekannten Augenschwärze, in kleinen Stücken Rindstalg, mit denen sich die Stutzer des Sudans die Adonisgestalt einschmieren, um ein glänzendes Aussehen zu erhalten, in ebenso kleinen Salzwürfeln, die in Gegenden, wo es kein Salz gibt, eine sehr gesuchte und gut bezahlte Ware bilden, in einigen Stecknadeln, dem höchsten Schatze der Negerinnen, in wohlriechenden Sächelchen, bei deren Duft wir uns aber die Nase zuhalten würden, in andern ähnlichen Kleinigkeiten und vor allen Dingen in einigen Ellen Baumwollenzeug, da dies im Süden als Münze gilt. Je weniger man zu bezahlen hat, desto kleiner ist das Stückchen, welches von dieser Münze abgeschnitten wird.
Zum Schutze dieses Kauf- und Spezereiladens ebenso wie zum Schutze seines hoffnungsvollen Besitzers wird nun irgend eine fürchterliche Waffe angekauft, ein Schleppsäbel ohne Schneide, eine alte, entsetzlich weite Luntenpistole, welche in der Rumpelkammer des Trödlers von Mäusen bewohnt wurde, die vergnügt zum Zündloche herausschauten, oder gar ein flintenähnliches Mordinstrument, welches neben unzählichen andern guten Eigenschaften auch diejenige hat, nicht loszugehen, selbst wenn man sie ganz mit Pulver füllt und in einen glühenden Ofen steckt. Notabene nimmt an diesem Erfolge das Pulver ebenso großen Anteil wie die Mordmaschine selbst. Diese Waffen werden von ihrem Besitzer natürlich für unbeschreiblich wertvoll gehalten, aber nie im Ernst gebraucht. Er ist ein Anhänger der Abschreckungstheorie und wünscht, daß der etwaige Feind beim Anblicke dieser lebensgefährlichen Gegenstände die Flucht ergreife; geschieht dies nicht, nun, so reißt er einfach selber aus, was in neunundneunzig unter hundert Fällen mit aller Energie geschieht.
Nun ist die Ausrüstung beendet und der Dschelabi, der Händler fertig. Er könnte beginnen; aber sich allein in die weite, schlimme Welt zu wagen, das fällt ihm gar nicht ein. Er sucht nach gleichgestimmten Herzen und gleichgesinnten Seelen, die er auch unschwer findet. Bald sind sechs, acht, zehn solcher zukünftigen Kommerzienräte beisammen. Jeder hat einen Esel, aber was für einen! Viel haben die Tiere nicht kosten sollen, und darum sind sie alle mehr oder weniger lädiert und ramponiert. Dem einen fehlt ein Ohr, dem andern der Schwanz, den dritten haben die Ratten angefressen, und der vierte wurde blind geboren. Diese äußerlichen Mängel werden aber durch innerliche, durch Seelen- und Charaktereigenschaften reichlich aufgewogen, welche den Besitzer zur Verzweiflung bringen können. Trotzdem ist er stolz auf sein Reittier und belegt es mit den schmeichelhaftesten Namen und Stockhieben.
Um die Reise antreten zu können, werden die berühmtesten Fuqara aufgesucht und um wunderthätige Amulette angegangen. Die Welt ist schlecht, und es hausen böse Geister überall in Menge; da muß man an Brust und Armen mit Amuletten behangen sein, um allen Gefahren ruhig entgegensehen und im geeigneten Augenblicke mutig den Rücken kehren zu können.
Nun werden die beiden Gurab dem Esel aufgeladen. Der Dschelabi nimmt einen tüchtigen Knüppel in die Hand, um mit demselben dem Langohr zuweilen einen beherzigenswerten Wink geben zu können, und steigt auch mit auf. Das Schwert wird mittelst eines Kamelstrickes umgeschnallt oder die Pistolenhaubitze beigesteckt, und dann setzt sich der imposante Zug in Bewegung, von sämmtlichen Freunden und Anverwandten bis vor den Ort hinaus begleitet.
Thränen fließen, Herzen zerrinnen. »Be ism lillahi – in Allahs Namen!« erklingen die schluchzenden Segenswünsche. Der Zug kommt zehn und hundertmal ins Stocken, denn hier bockt ein Esel und wirft Ladung und Reiter ab; ein andrer wälzt sich im tiefen Kote, um sich von der Last zu befreien, und ein dritter stemmt sich mit allen Vieren ein, schreit wie am Spieße und ist weder durch Liebkosungen noch durch Schläge von der Stelle zu bringen, bis sich zehn Anverwandte vorn anspannen, um ihn am Maule zu ziehen, und zehn Freunde hinten am Schwanze schiebend und schwitzend nachhelfen. So gelangt die Dschelaba endlich glücklich ins Freie und bockt, stolpert, rennt, schreit, heult und flucht ihrem Glücke entgegen.
Sie trennt sich von Zeit zu Zeit, um sich an gewissen Orten wieder zusammenzufinden. Glänzende Geschäfte werden gemacht, großartige Abenteuer erlebt; manche gehen auch zu Grunde, während andre ihr kleines Anlagekapital durch Schlauheit und Ausdauer schnell vervielfältigen und wirklich zu reichen Männern werden.