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Der Oelprinz
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Der Oelprinz

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»O, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!«

»Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Scenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.«

»Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer

besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.«

»Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.«

»Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amte bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.«

»Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?«

»Nein; aber sie spielt.«

»Was?«

»Ziehharmonika.«

»Alle Wetter, das ist freilich etwas andres! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! Ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.«

»Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Thaler damit verdient.«

»Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?«

»Nein, zum Tanze aufgespielt.«

»Oeffentlich?«

»Ja.«

»Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?«

»Das thue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern —«

»Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.«

»Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg —«

»Verwitwete Leiermüllerin,« nickte Sam Hawkens lächelnd.

»Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaale. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich desselben annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanze aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsacke saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!«

»Und den hatte man auch?«

»Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorfe, verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preise und wurde hierauf die Frau unsres Schmiedemeisters —«

»Welcher auch Respekt vor ihr hat!«

»Warum sollte er nicht?«

»Wie aber und aus welchem Grunde kommt sie jetzt nach Amerika?«

»Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.«

»Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.«

»So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?«

»Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.«

»War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim. Als sie nun hörte, was der Hobble-Frank mir alles gesagt und erzählt hatte, und daß ich meine Helden hier in Amerika suchen wollte, da war sie ganz Feuer und Flamme und wollte mit.«

»Wie kamen Sie denn zu ihr, die in Heimberg wohnt, während Sie aus Klotzsche sind? Liegen diese beiden Orte nahe beisammen?«

»Nein, Heimberg liegt oben im Gebirge, Klotzsche aber nahe bei Dresden. Aber ich war doch in Heimberg Kantor, meine letzte Anstellung, und zog des besseren Klimas wegen, sobald ich emeritiert worden war, nach Klotzsche, blieb aber mit Heimberg in stetem Briefwechsel und war auch öfters dort. Trotz alledem wäre ihr der Gedanke, nach Amerika zu gehen, nicht mit solcher Gewalt gekommen, wenn die Wolfsche Angelegenheit nicht gewesen wäre.«

»Welche Angelegenheit?«

»Das wissen Sie noch nicht?«

»Nein.«

»Wolf, der Heimberger Förster, hat einen kinderlosen Bruder in Amerika, welcher vielen, vielen Wald, große Herden und ich glaube gar auch Silbergruben besitzt. Dieser Bruder hat ihn gebeten, ihm seinen Sohn hinüberzuschicken, den er zu seinem Nachfolger und Universalerben machen will, wenn er ihm gefällt. Der Förster fragte seinen Sohn, welcher sich auf der Tharandter Forstakademie befand, und dieser hatte sogleich Lust, dem Rufe zu folgen, nachdem er sein Examen bestanden haben würde.«

»War das nicht Leichtsinn oder Lieblosigkeit gegen seine Eltern?«

»Gott bewahre! Nicht im geringsten, sondern gerade das Gegenteil. Der Förster hat eine zahlreiche Familie und ein geringes Gehalt. Da ist Schmalhans Küchenmeister, und die Opfer, welche das Studium des Aeltesten gekostet hat, sind ihm außerordentlich schwer geworden; es war unmöglich, die andern Söhne auch eine bessere Carriere betreten zu lassen, obwohl sie sehr begabt dazu waren. Da hat denn Adolf den Ruf des Oheims mit Freuden vernommen. Er mußte zwar die Heimat und die Eltern verlassen, sagte sich aber, daß er als Nachfolger des reichen Pflanzers seinen Geschwistern schnell emporhelfen könne.«

»Diese Gesinnung ist freilich ehrenwert. Und hat er dem Rufe gefolgt?«

»Ja.«

»Wann?«

»Eben jetzt. Sie haben ihn ja gesehen.«

»Ich? Wo denn?«

»Hier bei uns. Da vorn reitet er ja!«

»Der ist’s, der? Dieser junge Mann? Der kann doch unmöglich die Forstakademie schon vollständig absolviert haben?«

»Doch, und zwar hat er sie mit sehr guten Zeugnissen verlassen. Sie mögen daraus ersehen, was für ein tüchtiger junger Mann er ist. Er wird, da sein Onkel große Waldungen besitzt, diesem mit seinen Kenntnissen Nutzen bringen. Allerdings gab es für ihn auch noch einen andern Grund, sich so schnell und willig für Amerika zu entscheiden, und dieser Grund kann mit dem indianischen Worte Schi-So bezeichnet werden.«

»Das ist doch der Name des Häuptlingssohnes?«

»Allerdings. Sie sind, wie ich gehört habe, ein Bekannter dieses Häuptlings. Wissen Sie vielleicht, weshalb dieser seinen Sohn nach Deutschland geschickt hat?«

»Ja.«

»Das ist mir lieb. Können Sie es mir einmal prima vista vorgeigen, oder ist vielleicht ein Geheimnis dabei?«

»Es gibt keinen Grund, die Sache geheim zu halten; es ehrt vielmehr den Häuptling und kennzeichnet ihn als einen Mann, der den Bildungsgrad von seinesgleichen weit, weit überragt. Nämlich als er noch jung war, überfiel ein feindlicher Stamm einen Auswandererzug; es wurde alles niedergemetzelt und nur ein Mädchen verschont und mitgenommen, welches eine Deutsche war. Der Häuptling rettete sie und brachte sie zu seinem Stamme. Sie sollte sich dort zunächst von ihrem Unglücke und Leide erholen, und dann wollte er sie nach der nächsten weißen Ansiedelung bringen. Sie wurde gut gepflegt und noch besser behandelt; ihre Verwandten waren ermordet worden; sie hatte nirgends Bekannte; die Ansiedelung, wohin sie gebracht werden sollte, war ihr fremd; es gefiel ihr bei den Navachos, und sie gewann den Häuptling Nitsas-Ini (großer Donner) lieb, der sie gerettet hatte – sie blieb und wurde seine Frau. Sie hat es nie zu bereuen gehabt und lebte außerordentlich glücklich mit ihm.«

»Ist das die Möglichkeit!« rief der Kantor aus. »Ein roter Mensch mit einer weißen Frau!«

»Ein roter Mensch, sagen Sie? Das klingt wie verächtlich! Ich sage Ihnen, daß Gott der Vater und Schöpfer aller Menschen ist; die Farbe der Haut macht keinen Unterschied. Ich habe Indianer kennen gelernt, vor denen sich tausend und hunderttausend Weiße schämen müßten. Nitsas-Ini war ein solcher. Seine weiße Frau war kein hochgebildetes Fräulein, sondern ein gewöhnliches Mädchen gewesen, aber als Deutsche überragte sie doch in jeder Beziehung alle roten Frauen und Mädchen. Das gereichte dem ganzen Stamme zum Segen. Sie wurde das Vorbild aller Squaws und Töchter. Es trat ein andrer Ton ein; es bildeten sich andre Formen; ihr Mann, der Häuptling, war ihr erster und ihr eifrigster Schüler und hatte später nichts dagegen, daß sie mit den Kindern, die sie ihm schenkte, deutsch sprach, sie unterrichtete und ihnen Bücher kaufte. Da lernten sie Winnetou, den großen Apachen kennen; mit ihm kam Old Shatterhand, der berühmte Freund und Beschützer aller gutgesinnten roten Männer. Sie sahen mit Freuden, was die weiße Squaw geleistet, welchen Segen sie gestiftet hatte; sie blieben längere Zeit bei dem Stamme und kehrten oft zu demselben zurück, um dem Werke Festigkeit und Ausbau zu geben. Nie hat dieser Stamm wieder Krieg geführt, sondern nur, wenn er sich verteidigen mußte, zu den Waffen gegriffen. Seine Angehörigen sind Freunde der Weißen, wurden infolgedessen von diesen nie vertrieben, sondern durften ihr Gebiet behalten, wenn sie sich auch in Beziehung auf die Abgrenzung und Einteilung desselben nach den vorgeschriebenen Gesetzen richten mußten. Diese Navachos befinden sich im Besitze fruchtbarer Weideländereien und ungeheurer Wälder; ihr Reichtum ist von Jahr zu Jahr gewachsen, und so sehnsüchtig die weißen Squatter und Landfresser nach demselben blicken, es ist für keinen dieser Männer etwas zu holen. Denn infolge von Old Shatterhands Bemühungen betrachtet die Regierung der Vereinigten Staaten das Gebiet nicht als Indianerreservation, sondern als in berechtigten Händen befindliches Privateigentum, dessen Besitzer das Gesetz gegen jeden Eingriff zu schützen hat. Man könnte sich bewogen fühlen, dieses Gebiet ein zivilisiertes zu nennen. Der “große Donner” war einsichtig genug, zu erkennen, daß er für die Zukunft nicht die nötigen Kenntnisse besitze, und daß sein Nachfolger mehr, viel mehr lernen müsse, als er selbst gelernt hatte. Er faßte, beeinflußt durch seine kluge weiße Frau, den Entschluß, seinen Erstgeborenen in eine Schule der Weißen zu schicken. Old Shatterhand kam und stimmte lebhaft bei. Er war ein Deutscher und die Squaw eine Landsmännin von ihm, und beide brachten den Häuptling dahin, den Sohn nach Deutschland zu senden, um ihn dort einer berühmten Erziehungsanstalt anzuvertrauen. Old Shatterhand schlug eine solche vor, und sein Vorschlag wurde angenommen.«

»Ich weiß, ich weiß,« fiel da der Kantor ein. »Ich kenne diese Anstalt.«

»Wirklich? Nun, welche?«

»Es ist die höhere Lehr- und Erziehungsanstalt, kurz und gut, das berühmte Institut Direktor Arno Kriegers in Kötzschenbroda bei Dresden.«

»Woher wissen Sie das?«

»Schi-So sagte es mir, und auch Adolf Wolf ist dort für die Tharandter Akademie vorgebildet worden.«

»So brauche ich nicht viel mehr hinzuzufügen, denn das weitere scheinen Sie besser zu wissen, als ich es weiß.

»Old Shatterhand,« fuhr Sam fort zu erzählen, »ebnete den Weg zur Aufnahme in das Institut, und die Häuptlingssquaw brachte dann ihren Sohn hinüber, bei welcher Gelegenheit sie die große Freude hatte, ihre Heimat wiederzusehen. Später lernte ich den “großen Donner” kennen und erfuhr zu meinem Erstaunen von ihm, daß er einen Sohn in Kötzschenbroda bei Direktor Krieger habe. Der Knabe rechtfertigte die Empfehlungen Old Shatterhands; seine Zensuren lauteten ohne Ausnahme auf “Eins”, und als er von dort nach Tharandt ging, gestanden sich seine Lehrer, daß dieser rote Schüler von keinem der bisherigen weißen übertroffen worden sei. Uebrigens darf man ihn nicht in dem Sinne “rot” nennen, in welchem dieses Wort gewöhnlich gebraucht zu werden pflegt. Sie kennen ihn und haben also gesehen, daß seine deutsche Abstammung mütterlicherseits von Einfluß auf die Farbe seines Haares und seiner Augen gewesen ist. So, das ist das, was Sie über ihn zu wissen wünschten. Und nun ahne ich auch, auf welche Weise der Försterssohn zu ihm gekommen ist. Sie sagten ja, daß dieser auch bei Direktor Krieger vorgebildet worden sei?«

»Ja, sie waren dort Klassenbrüder und sind auch zu gleicher Zeit nach Tharandt gegangen. Eigentümlich war es, daß der Ruf von Wolfs Oheim gerade zu der Zeit eintraf, zu welcher der Abgang Schi-Sos beschlossen wurde. Warum hat der letztere denn eigentlich gerade Tharandt besuchen müssen?«

»Der großen Wälder wegen, welche sein Stamm besitzt. Er soll als späterer Häuptling die nötigen Kenntnisse besitzen, die Reichtümer, welche in diesen Forsten stecken, nicht nur zu erhalten, sondern womöglich noch zu vermehren. Man weiß, daß die Vereinigten Staaten sich durch die schlechteste Forstwirtschaft auszeichnen; vor den daraus folgenden großen Schäden soll Schi-So einst seinen Stamm bewahren. Doch weiter! Sie wollten mir doch wohl sagen, welchen Einfluß diese beiden Zöglinge von Kriegers Institut auf die frühere Leiermüllerin ausgeübt haben, Herr Kantor?«

»Ja; aber zunächst haben Sie doch endlich die Güte, darauf zu achten, daß ich nicht mehr im Amte bin und daß Sie also der Vollständigkeit wegen Herr Kantor emeritus zu sagen haben. Ich darf mich nicht mit Federn schmücken, welche ich längst abgelegt habe, und das immerwährende Weglassen dieses höchst notwendigen Wortes erregt in mir den sehr begründeten Verdacht, daß Sie mich noch immer im Amte stehend glauben und an meiner musikalischen Begabung zweifeln, welche allein mich veranlaßt hat, mich emeritieren zu lassen! Oder lassen Sie diese lateinische Bezeichnung vielleicht deshalb stets fallen, weil ich Sie nicht bei Ihrem Namen und vollständigen Titel nenne? Sie müssen bedenken, daß mir eigentlich noch keins von beiden bekannt ist!«

»Nicht deshalb, sondern nur aus reiner Vergeßlichkeit. Was meinen Namen betrifft, so hieß ich drüben Samuel Falke, werde aber hier hüben Sam Hawkens genannt. Es genügt vollständig, wenn Sie einfach Sam zu mir sagen.«

»Das ist nicht höflich genug. Ich will Ihnen also einen Vorschlag machen. Da Sie früher Samuel Falke waren, es jetzt aber nicht mehr sind, gerade so, wie ich nicht mehr Kantor bin, so wäre es gewiß ganz richtig und den Umständen gemäß, wenn ich entweder Samuel emeritus oder auch Falke emeritus zu Ihnen sagte. Welches von beiden ist Ihnen lieber?«

»Keins. Ein Name ist kein Amt. Nennen Sie mich also Sam oder Hawkens.«

»Schön, ganz wie Sie wollen! Aber warum durften die Finders nicht erfahren, daß Sie Sam Hawkens sind?«

»Weil ich unter diesem Namen weit bekannt bin. Man hat mir, Dick Stone und Will Parker den Namen “das Kleeblatt” gegeben, weil wir drei stets beisammen sind. Man rechnet uns nicht zu den gewöhnlichen Westläufern, sondern zu den erfahrenen Männern, welche wissen, was sie wollen, und sich weder besiegen noch betrügen lassen. Ich will die Finders überlisten; dies würde mir aber nicht gelingen, wenn sie wüßten, wen sie vor sich haben; sie würden entweder ganz von uns lassen oder doch wenigstens sich so in acht nehmen, daß ich meine Absicht nicht erreichte. Und es liegt mir doch viel daran, diese Menschen für ehrliche Leute unschädlich zu machen.«

»Sehr wohl; jetzt weiß ich, woran ich bin, und kann nun wieder nach Tharandt übergehen. Schi-So und Wolf kamen nämlich von Tharandt oft nach Heimberg herauf, welches ein vielbesuchter Luftkurort ist, und kehrten in der Leiermühle, später auch in der Schmiede ein, als die Müllerin den Schmied geheiratet hatte. Sie waren also mit beiden gut bekannt. Gerade als mich der Hobble-Frank bestimmt hatte, nach Amerika zu gehen und seine Helden aufzusuchen, kam der Brief des Onkels und auch die Nachricht, daß Schi-So zu seinem Stamme zurückkehren werde. Dieser Onkel war ungeheuer reich und wohnte, wie man bald heraus hatte, in der Nähe der Navachos; das ging rasch im Dorfe herum, welches meist blutarme Einwohner hat; da fiel es mir denn nicht schwer, einige von ihnen zu vermögen auszuwandern und mit mir hinüber zu ziehen.«

»Also haben Sie, sozusagen, diese armen Leute verführt!« meinte Sam in vorwurfsvollem Tone.

»Verführt? Was für ein Ausdruck! Ein Kantor emeritus, welcher tausendmal beim Gottesdienste die Orgel gespielt hat, gehört halbwegs zur Geistlichkeit, also zu demjenigen Stande, in welchem man nicht nach Verführern suchen darf. Führer bin ich ja, aber doch nicht Verführer, denn ich will diese Leute zum Glücke führen. Ich bin überzeugt, daß der Onkel Wolfs sie sehr gut aufnehmen wird. Und Geld, sich Land zu kaufen oder ein Geschäft anzufangen, ist auch vorbanden.«

»Ich denke, diese drei sind arm!«

»Ja, Schmidts, Strauchs und Uhlmanns hatten nichts; aber Ebersbachs sind, wie Sie gehört haben, wohlhabend und Frau Rosalie hat ihnen das nötige Geld vorgeschossen. Sie ersehen daraus, was für eine brave Frau sie ist. Sie konnte recht wohl im Vaterlande bleiben und hat sich nur aus Teilnahme für diese drei, aus Freundschaft für mich und infolge ihres Dranges nach der Fremde entschlossen, mitzugehen. Besonders entzückt war sie darüber, daß in Amerika die Damen so außerordentlich geachtet und berücksichtigt werden.«

»Ach so,« lächelte Sam vergnügt; »und Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin ist eben auch eine Dame! Das erklärt mir freilich das vorher Unerklärliche. Sie haben also alle die Absicht, sich bei dem Oheime Wolfs anzusiedeln?«

»Sie wollen ihn fragen. Gibt er es nicht zu, so ziehen sie weiter.«

»Und Sie? Was beginnen denn Sie?«

»Ich? Ich suche natürlich Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou auf. Natürlich werde ich auch den Hobble finden.«

»Sie scheinen, wie bereits gesagt, sich das als außerordentlich leicht vorzustellen, und doch können Sie jahrelang im Westen herumreiten, ohne auch nur auf einen von diesen Männern zu treffen.«

»So muß man fragen, sich erkundigen!«

»Denken Sie, es sei hier geradeso wie in einem deutschen Dorfe oder Städtchen, in welchem man sofort berichtet wird, wenn man nach dem Herrn Müller, Meier oder Schulze fragt? Die Gesuchten können leicht zehnmal ganz nahe an Ihnen vorüberreiten oder in sehr geringer Entfernung von Ihnen lagern, ohne daß Sie es ahnen.«

»Oho! Ich ahne es; darauf können Sie sich verlassen. Einem Tonkünstler ist nichts zu schwer. Wer von den Musen ausgezeichnet und bevorzugt wird, bei dem sammeln alle Töne sich zu Accorden. So werden auch die gesuchten Männer sich um mich zusammenfinden, wie wohlgeschulte Musici um ihren Dirigenten.«

»Will es Ihnen wünschen. Was ich dabei thun kann, da wir dieselbe Route haben, das wird natürlich geschehen. Jetzt aber sollten Sie sich in einen der Wagen legen, um zu schlafen.« .

»Schlafen? Warum?«

»Weil wir morgen abend wahrscheinlich nicht schlafen können; wir müssen wachen, da die Finders uns überfallen wollen.«

»Sie sind davon also wirklich überzeugt, Herr Hawkens?«

»Ja. Irgend jemand, der am frühen Morgen nach der Schenke kommt oder an derselben vorübergeht, wird ihr Rufen hören und sie befreien. Dann setzen sie sich auf die Pferde, um uns nachzureiten.«

»Nach Tucson?«

»Fällt ihnen nicht ein. In dieser Stadt lassen sie sich ganz gewiß nicht sehen. Sie werden Tucson umreiten und dann unsern Wagengeleisen folgen, bis sie bemerken, daß wir Lager gemacht haben. Um von uns nicht bemerkt zu werden, halten sie an und warten, bis es Nacht geworden ist. Um ja nichts zu verabsäumen, habe ich ihnen die Munition genommen; doch sind sie gewiß so klug, sich in San Xavier del Bac mit neuer zu versorgen, was ihnen freilich nicht leicht werden wird, da ich nicht glaube, daß dort viel zu haben ist. Also, folgen Sie meinem Rate und steigen Sie in einen Wagen!«

»Danke! Ich schlafe nicht.«

»Warum aber nicht?«

»Weil während eines solchen nächtlichen Rittes die schönsten musikalischen Gedanken kommen. Ich mache da Studien für meine Oper. Vielleicht lasse ich gleich im ersten Akte einen solchen Ochsenwagenzug über die Bühne gehen, was beim Scheine einer kleinen Mondessichel einen ganz besonderen Eindruck machen muß, zumal die Instrumente dabei das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und das Knarren der Räder nachzuahmen haben.«

»Möche dabei sein!« sagte Sam im ernsthaftesten Tone. »Muß ein außerordentlicher Kunstgenuß sein! Also machen Sie Ihre Studien und bleiben Sie meinetwegen wach. Aber werfen Sie sich denn immerwährend so bald nach vorn und bald nach hinten? Das muß Sie doch ungeheuer ermüden!«

»Allerdings; aber es ist leider nicht zu umgehen.«

»Nicht zu umgehen? Unbegreiflich! Wieso denn? Es strengt natürlich auch das Pferd an und macht es kaput.«

»Kann nicht anders, bester Herr Sam. Ich komponiere immerwährend und immerfort, selbst jetzt, während ich mit Ihnen spreche. Indem mir nun die Melodien durch das Gehirn erklingen, muß ich sie nach ihrer Taktart prüfen. Dazu gehört eigentlich ein sehr empfindliches Instrument, welches Mälzels Metronom oder Taktmesser genannt wird. Da ich dasselbe aber unmöglich durch den wilden Westen mit mir führen kann, so habe ich ein weit bequemeres und praktischeres Metronom erfunden, indem ich mich in ganz regelmäßigen Intervallen im Sattel hin und her schwinge. Freilich wird das Pferd dadurch zuweilen irre, denkt, ich will herunter, und hält im Laufen an; aber das thut mir nichts, denn sobald ich die Komposition dann fertig habe, treibe ich es wieder an.«

»Aber dadurch bleiben Sie doch jedenfalls oft zurück!«

»Das kommt freilich vor.«

»Das kann aber höchst gefährlich für Sie werden, Sie unvorsichtiger Mann!«