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Interviews Aus Dem Kurzen Jahrhundert
Ich glaube, der Grund hierfür liegt darin, dass die chinesischen Regisseure eine optimale Kinotechnik mit jener einzigartigen Kombination von Faszination und Stil verbinden, die Teil unserer Kultur ist.
Wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Aus purem Zufall. Als Kind habe ich gerne gesungen. Eines Tages nahm mich mein Gesangslehrer mit in ein Fernsehstudio in Shandong, wo gerade eine TV-Sendung aufgenommen wurde. Ich erinnere mich noch, dass der Regisseur eine Frau war. Als sie mich sah, beschloss sie, mir eine Rolle zu geben, also gab sie mir ein Drehbuch zum Lesen. Es war eine kleine Rolle. Aber in ihren Augen war ich die geborene Schauspielerin. Sie sagte also zu meiner Mutter: «Lassen Sie Ihre Tochter Schauspielerin werden». Es gelang mir, sie zu überzeugen und zwei Monate später ging ich auf die Schauspielschule nach Peking. Ich erinnere mich noch, dass es harte Arbeit war. Begonnen habe ich mich kleinen Rollen und später â¦
Ihr Leben spielt sich zwischen Hongkong und Peking ab und die Zeitungen schreiben von einer neuen Liebesaffäre mit einem Geschäftsmann aus Hong Kong. Werden Sie endgültig dort hinziehen?
Ich glaube nicht. Hong Kong gefällt mir, weil es eine quirlige Stadt ist und man dort gut shoppen kann. Aber ich langweile mich dort. Peking ist anders. Man trifft Menschen auf der StraÃe, spricht mit ihnen, wird angesprochen. In Hongkong dreht sich alles nur ums Geld.
Stört Sie das Interesse der Presse in Ihrem Privatleben?
Man kann es vermutlich nicht verhindern. Insbesondere die asiatische Presse schreibt oft diskriminierende oder erfundene Geschichten. Westliche Zeitungen sind da korrekter.
Ist es auch in China für eine Darstellerin wichtig, schön zu sein?
Finden Sie mich schön?
Im Westen gelten Sie als Sexsymbol .
Ach ja, das freut mich zu hören. Ich fühle mich aber weder sexy noch als Sexsymbol. Vielleicht gelingt es mir, die Persönlichkeit und den Charme der chinesischen Frau zu verkörpern. Die Chinesinnen sind anders, als die Frauen im Westen.
Welches sind Ihre künftigen Projekte?
Ich würde gerne heiraten und Kinder haben, weil ich denke, dass die Familie im Leben einer Frau eine wichtige Rolle spielt. Ohne eine Familie kann man bei der eigenen Arbeit die Realität des täglichen Lebens nicht umsetzen.
Gibt es Leinwandprojekte?
Im Augenblick nicht. Ich lese viele Drehbücher, aber keins kann mich überzeugen. Ich bin nicht eine von der Sorte, die glaubt, eine Rolle annehmen zu müssen, nur um etwas zu tun.
Würden Sie für einen westlichen Regisseur arbeiten?
Wenn er eine passende Rolle für mich hat, eine, die für eine Chinesin geeignet ist, warum nicht?
Gibt es einen Italiener, unter dem Sie gerne arbeiten würden?
Aber sicher, Bernardo Bertolucci!
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Ingrid Betancourt
Die Pasionaria der Anden
Liebe Dina, anbei das Stück, die Box wird nachgeliefert. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung. Heute (Montag den 11.) nehme ich das Flugzeug nach Tokyo via Buenos Aires, wo ich morgen, am 12. Februar ankomme. Danach bin ich ständig per Satellitentelefon erreichbar, auch an den Tagen der antarktischen âSeereiseâ. Am 24. Februar bin ich zurück in Argentinien und reise weiter nach Bogotá, wo ich die Betancourt in den ersten Märztagen treffen werde.
Sag mir, wennâs dich interessiert.
Bis bald
Marco
Diese Mail, das ich auf einem alten PC fand, schrieb ich Anfang Februar 2002 an Dina Nascetti, eine meiner Vorgesetzten beim Espresso, um sie über meine Unternehmungen zu informieren. Ich war zuvor in Japan wegen einer Reportage am Grab von Jesus [1] und bereitete eine lange Reise vor, auf der ich fast zwei Monate weit weg von zu Hause sein würde. Endstation war die geografische AuÃengrenze: die Antarktis.
Unterwegs plante ich einen Zwischenstopp in Argentinien, zu einer Reportage über die schwere Wirtschaftskrise, die das südamerikanische Land in jenen Monaten erschütterte, danach in Kolumbien, wo ich Ingrid Betancourt Pulecio interviewen sollte, die kolumbianische Politikerin und Vorkämpferin für die Menschenrechte. Tatsächlich kam ich einige Tage früher als geplant nach Bogotá. Das war â wenigstens für mich â ein Glücksfall. Ich traf die Betancourt am zweiundzwanzigsten Februar und genau vierundzwanzig Stunden später verschwand Ingrid Betancourt, die im Auto unterwegs in Richtung Florencia war spurlos und zwar in der Gegend von San Vicente del Caguan. Von den FARC-Rebellen entführt, war sie mehr als sechs Jahre in Geiselhaft.
Wäre ich nur einen Tag später in Kolumbien angekommen, wäre ich ihr nie begegnet.
*****
Das braune schulterlange Haar trägt sie offen. Sie hat dunkle Augen, wie eine echte Kolumbianerin und trägt einen Armreif aus Bernstein. Ihre Lippen sind geschlossen; sie lächelt so gut wie nie.
Ingrid Betancourt hat auch wenig Grund zum Lachen. Ihre vierzig Jahre sieht man ihr nicht an, die fünfzig Kilo sind auf einen Meter siebzig gut verteilt. Aktuelle Kandidatin für den unbequemen Präsidentenposten in Kolumbien, einem der gewalttätigsten Länder der Erde. Ein Ort, an dem im Schnitt täglich siebzig Menschen umgebracht werden, Kriegsschauplatz seit vierzig Jahren mit 37.000 Opfern unter der Zivilbevölkerung von 1990 bis heute. Ein Land, in dem alle vierundzwanzig Stunden an die zehn Personen entführt werden. Ein Land, das als Kokainproduzent weltweit an der Spitze steht und aus dem in den letzten drei Jahren mehr als eine Million Menschen geflüchtet sind.
Es ist noch nicht allzu lange her und dieselbe Frau, die mir jetzt mit kugelsicherer Weste und nervösem Blick in einem anonymen, streng geheimen und Hochsicherheits-Apartment im Zentrum von Bogotà gegenübersitzt, lag mit einem glücklichen Lächeln am Strand der Seychellen, unter den nachsichtigen Blicken des Vaters, Gabriel de Betancourt, einem französischen Diplomaten. Schön, gebildet, intelligent, hatte man sie nach den schwierigen Jahren in Kolumbien in diesen Winkel des Paradieses geschickt hatte, um dort zu arbeiten.
Genau vierundzwanzig Stunden nach diesem Interview verschwand Ingrid Betancourt auf einer Autofahrt nach Florencia in der Gegend von San Vicente del Caguan, an der äuÃersten Grenze des Gebietes in dem kolumbianischen Truppen gegen die FARC-Rebellen kämpften. Mit ihr verschwanden ein Kameramann und ein französischer Fotograf, die sie auf ihrer riskanten Wahlkampagne begleiteten. Alles deutete auf eine Entführung hin.
Eine dramatische Wendung, die paradoxerweise â oder in einem so grausamen Land wie Kolumbien auch wieder nichts Ungewöhnliches â «schlagartig ihre Wahlchancen erhöht», wie es Gabriel Marcela pragmatisch ausdrückt. Er muss es wissen, denn er ist Professor an der Escuela de Guerra und das kolumbianische Tagesgeschehen ist sein Fachgebiet.
Ingrid Betancourt Pulecio ist 1990 freiwillig in dieses Inferno zurückgekehrt und zwar nicht am Ende ihres Lebens, sondern erst dreiÃigjährig.
Als ehemalige Abgeordnete und heutige Senatorin gründete sie eine Partei namens Oxigeno Verte , «um die korrupte kolumbianische Politik mit sauberer Luft zu versorgen», wie sie ernsthaft erläutert. Daraus entsteht der Slogan: «Ingrid es oxigeno». Auf dem Foto ist sie abgebildet, mit Antismog-Maske und bunten Luftballons. Mit einhundertsechzigtausend Anhängern hat sie im Land den gröÃten Zuspruch. Allerdings würde heute wohl niemand mehr über sie sprechen, wenn sie nicht ihre Autobiografie geschrieben hätte, die gerade in diesen Tagen auch in Italien erscheint. Der Titel lässt keinen Zweifel am Charakter der Autorin: âProbabilmente domani mi uccidonoâ (in Deutsch: «Möglich, dass ich morgen umgebracht werde»).
Vielleicht etwas zu theatralisch?
«Die französische Fassung hat den Titel La rage au cÅur â (deutscher Titel) die Wut in meinem Herzen» sagt sie zu ihrer Verteidigung. «Die italienischen Verleger wollten aber einen stärkeren Titel, so haben wir diesen gewählt. AuÃerdem entspricht das meinen Gefühlen und mit diesem Gedanken wache ich jeden Morgen auf und schlafe jeden Abend ein. Ich glaube nicht, dass das in irgendeiner Form etwas mit Heldenmut zu tun hat. Die Möglichkeit, morgen umgebracht zu werden ist eine sehr reale Perspektive und in einer breiten Bevölkerungsschicht dieses Landes äuÃerst präsent.»
Die Zeitungen haben Sie quasi in den Status einer Heiligen erhoben. Paris Match nannte Sie âDie Frau im Fadenkreuzâ. Libération âEine Heldinâ. Le Figaro , âDie Pasionaria der Andenâ. Le Nouvel Observateur schrieb «hätte Simon BolÃvar, der libertador Lateinamerikas eine Nachfolgerin auswählen können, er hätte Sie gewählt».
Die Kolumbianischen Zeitungen haben sich dagegen etwas über sie lustig gemacht. Die Semana , das wichtigste Informationsblatt
des Landes hat sie auf der Titelseite als âJeanne dâ Arcâ abgebildet und auf der Fotomontage sind Sie als Jungfrau von Orleans dargestellt, zu Pferd, mit Rüstung und Lanze, bereit zum Angriff. In Wirklichkeit ist das Buch sehr gemäÃigt und nicht so reiÃe-
risch wie sein Titel; das gilt auch für die Rezensionen. Ingrid
verhehlt nicht, dass sie Privilegien genoss. Auf Grund Ihres Status in der Oberschicht hatte sie sich einen gewissen Luxus bewahrt: sie ging beispielsweise einmal die Woche auf einem Gestüt von Freunden zum Reiten.
Ansonsten fehlt es ihr nicht an Ideen, und sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, diese zum Ausdruck zu bringen. «Die farc , die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, wichtigste Guerillagruppe des Landes konnten vorsichtigen Schätzungen zufolge 1998 mit jährlichen Finanzierungen in Höhe von dreihundert Millionen Dollar rechnen, vorwiegend aus âFinanzmittelnâ aus Drogenschmuggel und Lösegeldeinnahmen aus Entführungen und Erpressungen. Heute wissen wir, dass sie jährlich auf Finanzmittel zurückgreifen können, die annähernd eine halbe Milliarde Dollar betragen, während ihre Truppen von fünfzehntausend auf einundzwanzigtausend Mann angewachsen ist. Dies» so erklärt sie, «bringt den kolumbianischen Staat in ein totales Kräfteungleichgewicht gegenüber der Guerilla. Um entscheidende Ergebnisse erzielen zu können müsste nach unserer Kalkulation die Regierung zwischen drei und viertausend gut ausgebildete Militärs pro Kopf eines jeden Guerillas einsetzen, während heute höchstens proportional ein, höchstens zwei Soldaten auf ein FARC-Mitglied kommen. All das zudem verbunden mit wirtschaftlichen Anstrengungen, die für mein Land fast als unmenschlich zu bezeichnen sind. Man kalkuliert, dass sich ab 1990 die Kosten zur Bekämpfung des Terrorismus beinahe verzehnfacht haben. Wenn sie am Anfang noch ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrugen, so übersteigt die Quote heute schon zwei Prozent und hat inzwischen bereits die astronomische Summe von einhundert Millionen US-Dollar erreicht».
Ihre Feinde bezeichnen Sie als Fanatikerin, oder ist sie â nach eigenen Aussagen â eine Frau, die etwas für ihr Land tun will? Politische Kreise in Bogotà boykottieren ihre Kandidatur. Insgeheim fürchten sie sie jedoch. Omar, der Chef ihrer Leibwächter sagt: «Wenn du in diesem Land ehrlich bist, riskierst du dein Leben». Sie kontert: «Ich habe keine Angst zu sterben. Die Angst schärft nur meine Sinne».
Punkt eins ihrer Wahlcampagne ist der Kampf gegen Korruption. An zweiter Stelle steht der Bürgerkrieg: «Der Staat muss mit den linken Guerillas verhandeln und zwar ohne Wenn und Aber» sagt sie abschlieÃend «und sich vom AUC, den rechtsgerichteten para-militärischen Gruppen distanzieren, die für die meisten Morde in diesem Land verantwortlich sind».
Aber wie kann man tagtäglich ein Leben unter Bedrohung und in Angst führen?
«Möglicherweise wird auch das zur Gewohnheit. Eine schreckliche Gewohnheit. Erst kürzlich» sagt sie abschlieÃend mit ruhiger Stimme, «fand ich beim Ãffnen der Post das Foto eines abgeschlachteten Kindes. Darunter stand: âSe ñ ora Senatorin, auch Ihr ist schon bezahlt. Für Ihren Sohn haben wir eine Sonderbehandlung reserviertâ¦â»
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Aung San Suu Kyi
Friedensnobelpreisträgerin 1991
Frei von Angst
Auf Druck der UNO wurde Aung San Suu Kyi am sechsten März 2002 freigelassen. Die Nachricht ging um die Welt, auch wenn ihre Freiheit nur von kurzer Dauer war. Am dreiÃigsten Mai 2003 eröffnete eine Gruppe Militärs das Feuer auf ihren Konvoi, in dem sie sich zusammen mit vielen Anhängern befand. Es gab viele Tote und nur den Reflexen ihrer Fahrers Ko Kyaw Soe Lin war es zu verdanken, dass Aung San Suu Kyi sich retten konnte; allerdings wurde sie erneut unter Hausarrest gestellt.
Am Tag nach ihrer Freilassung im Mai 2002 gelang es mir auf Grund einiger Kontakte zu birmanischen Dissidenten, ihr eine Reihe von Fragen für ein âFerninterviewâ per Mail zukommen zu lassen.
*****
Die Wachen, die vor der Residenz von Aung San Suu Kyi, Leader der demokratischen Opposition von Birma Posten bezogen hatten, waren um zehn Uhr des gestrigen Tages still und heimlich wieder in ihre Kaserne zurückgekehrt. Durch diesen überraschenden Schachzug hatte die Militärjunta von Rangun die Restriktionen aufgehoben, die die Anführerin der Pazifisten oder âdie Ladyâ, wie sie von der birmanischen Bevölkerung genannt wurde, in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten. Die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 stand nämlich bereits seit Juli 1989 unter Hausarrest.
Seit gestern Morgen zehn Uhr stand es Aung San Suu Kyi nach fast dreizehn Jahren frei, das Haus am See zu verlassen; sie durfte reden, mit wem sie wollte, sich politisch betätigen, sie durfte ihre Kinder sehen.
Aber ist die schreckliche Isolation der âpassionierten Birmaninâ wirklich vorbei? Die im Exil befindliche Opposition glaubt noch nicht an die hochtrabenden Worte der Militärjunta, die erklärt hatte, sie ohne Bedingungen freizulassen.
Die birmanischen Exilanten warten ungläubig und beten. Seit gestern hat nämlich die birmanische Diaspora in allen buddhistischen Tempeln Thailands und Ostasiens zu Gebetszeremonien aufgerufen.
Sie, die Lady , hat nach ihrer Freilassung keine Zeit verloren und sich sofort im Auto zu ihrer Parteizentrale begeben, zum
Hauptquartier der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die bei den Wahlen von 1990 (mit achtzig Prozent aller Stimmen) eine überwältigende Mehrheit gewinnen konnten, während die Regierungspartei der Nationalen Einheit sich nur zehn der 485 Sitze sichern konnte. Die Militärregierung annullierte das Wahlergebnis, verbot alle Aktivitäten der Opposition, unterdrückte gewaltsam alle StraÃendemonstrationen und die Oppositionsführer wurden ins Gefängnis geworfen oder ins Exil verbannt. Das neue Parlament wurde nie einberufen.
Die italienische Ausgabe ihrer Autobiographie trägt den Titel âLibera dalla pauraâ. [frei von Angst] Entspricht das ihren aktuellen Gefühlen?
Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal nach über zehn Jahren frei, frei im physischen Sinne. Insbesondere frei zu handeln und zu denken. Wie ich in meinem Buch schreibe fühle ich mich schon seit etlichen Jahren âfrei von Angstâ. Seit ich begriffen habe, dass der in meinem Land herrschende Machtmissbrauch mich verletzen und demütigen konnte, ja mich sogar hätte umbringen können, aber das konnte mir keine Angst mehr machen.
Heute, kaum in Freiheit, haben Sie sofort erklärt, dass man keinerlei Bedingungen an Ihre Freilassung geknüpft hat und dass die an der Macht befindliche Militärjunta Ihnen gestattet hat, auch ins Ausland zu reisen. Glauben Sie das wirklich?
Ein Sprecher der Junta hat in einer gestern veröffentlichten schriftlichen Verlautbarung angekündigt, dass «für das Volk von Myanmar und für die internationale Gemeinschaft eine neue Seite im Buch der Geschichte aufgeschlagen werden soll». In den letzten Monaten wurden hunderte von politischen Häftlingen freigelassen und die Militärregierung hat mir versichert, dass man auch weiterhin diejenigen freilassen wird, die â wie sie es ausdrücken â âkeine Gefahr für die Gemeinschaft darstellenâ. Alle Menschen hier wollen das nur allzu gerne glauben und hoffen, dass dies echte Anzeichen für einen Wandel sind. Die Rückkehr auf diese StraÃe in Richtung Demokratie, die mit dem Staatsstreich von 1990 plötzlich und gewaltsam unterbrochen wurde, aber im Herzen des birmanischen Volkes stets präsent war.
Jetzt, da Sie frei sind, befürchten Sie da nicht ausgewiesen- und von ihren Anhängern getrennt zu werden ?
Es sollte jedem klar sein, dass ich nicht gehe. Ich bin Birmanin und habe die britische Staatsbürgerschaft ausgeschlagen, um dem Regime keinen Angriffspunkt zu bieten. Ich habe keine Angst. Das gibt mir Kraft. Aber das Volk hungert, daher die Angst, die die Menschen schwach werden lässt.
Sie haben mehrfach und mit Nachdruck die Einschüchterungsversuche des Militärregimes gegenüber den Sympathisanten für die Demokratische Liga angeprangert. Gibt es die auch heute noch?
Wir sind in Besitz von Daten, die besagen, dass allein im Jahr 2001 über tausend militante Kämpfer der Opposition auf Geheià der Generäle des slorc [ State Law and Order Restauration Council/Name der Spitze der Militärjunta] festgenommen wurden. Viele andere sahen sich gezwungen, der Liga abzuschwören, nachdem sie eingeschüchtert und bedroht wurden. Für diese Art von illegalen Pressionen gibt es keine Rechtfertigung. Die Strategie erfolgt flächendeckend nach demselben Muster: Man setzt Einheiten staatlicher Funktionäre auf sie an, die âvon Tür zu Türâ gehen und die Bürger auffordern, die Liga zu verlassen. Den Familien, die sich weigern, droht man mit Repressalien wie dem Verlust des Arbeitsplatzes und oftmals sind es offene Drohungen. Viele Parteizentren wurden geschlossen und tagtäglich kontrollieren die Militärs die Zahlen der ausgetretenen Mitglieder. Das beweist, wie groà die Angst vor der Liga ist. Die Hoffnung, die wir alle im Augenblick haben ist die, dass dies alles wirklich und wahrhaftig ein Ende gefunden hat.
Hat Sie die heutige Wende, der Paukenschlag ihrer Befreiung, überrascht oder war es ein von den Militärs sorgfältig geplantes und vorbereitetes Manöver, das aus Gründen des âAnsehensâ in aller Welt erfolgte, quasi ein Vorhaben mit âAuÃenwirkungâ?
Von â95 bis heute kam es zu einer schrittweisen Lockerung der Isolation von Birma. Die Universität von Rangun wurde wieder geöffnet und möglicherweise haben sich die Lebensumstände leicht verbessert; dennoch wird der Gang der Geschichte von Birma im täglichen Alltag immer noch von Gewalt, Illegalität und Machtmissbrauch, sowohl gegen Dissidenten als auch gegen ethnische Minderheiten (Shan, We, Kajn) bestimmt, die sich nach Autonomie sehnen, sowie ganz generell, gegen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes. Die Militärs haben immer mehr Probleme, sowohl intern als auch international betrachtet. In der Zwischenzeit betreiben sie weiter Drogenhandel, sofern es ihnen nicht gelingt, eine andere, ebenso lukrative Einnahmequelle aufzutun. Nur welche? Die Nation gleicht praktisch einem groÃen Panzerschrank, von dem nur das Militär die Kombination kennt und es wird nicht leicht werden, die Generäle davon zu überzeugen, diesen Reichtum mit den anderen fünfzig Millionen Birmanen zu teilen.
Wie sehen aktuell die Bedingungen für eine Dialogbereitschaft aus ?
Wir werden so lange keine wie auch immer geartete Initiative akzeptieren - die Rede ist auch von Wahlen, die von den Generälen einberufen werden â bis das 1990 gewählte Parlament nicht zusammengetreten ist. In meinem Land herrscht auch weiterhin die Angst. Einen echten Frieden wird es so lange nicht geben, so lange es kein echtes Engagement gibt, im Namen aller, die für ein freies und unabhängiges Birma gekämpft haben, auch wenn ihnen bewusst war, dass es nicht möglich sein würde, Frieden und Versöhnung für alle Zeiten zu sichern und dass es daher notwendig sein würde, die Anstrengungen im Sinne von mehr Wachsamkeit zu verdoppeln, mehr Mut zu beweisen und den wahren, aktiven aber gewaltlosen Widerstand im eigenen Herzen zu entwickeln.
Was kann die Europäische Union tun, um dem birmanischen Volk zu helfen?
Weiterhin Druck machen, damit die Generäle merken, dass die Welt ihnen auf die Finger schaut und dass sie nicht ungestraft weitere Schändlichkeiten begehen können.
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Am dreizehnten November 2010 erlangte Aung San Suu Kyi endgültig die Freiheit. 2012 bekam sie einen Sitz im birmanischen Parlament und am sechzehnten Juni desselben Jahres konnte sie den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Nachdem die Regierung ihr endlich erlaubte hat, ins Ausland zu reisen, konnte sie nach England fahren, um nach vielen Jahren ihren Sohn wiederzusehen.
Am sechsten April 2016 wurde sie zur Staatsrätin (ziviles Staatsoberhaupt) von Myanmar ernannt.
Birma, die heutige Republik der Union Myanmar, ist noch immer kein völlig freies Land und seine Geschichte wird von der Diktatur der Vergangenheit belastet, die auch Auswirkungen auf die Zukunft der Nation hat, aber die Ãffnung des Landes der tausend Pagoden lässt Raum für mehr als nur die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie.
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Lucia Pinochet
â Asasinar, torturar y hacer desaparecir â
[Morden, foltern und verschwinden lassen]