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Der moderne Knigge
Man esse von den angebotenen Kleinigkeiten nicht viel, denn es sieht erstens nicht gut aus und zweitens sehr schlecht. Auch vermehrt es nicht die Sättigung, wenn man schon gegessen hat, und verdirbt den Appetit, wenn man erst zu Tisch gehen will.
Wird man einem dekorierten Herrn vorgestellt, so nenne man ihn Exzellenz. Er ist es nicht, aber er nimmt den Titel nicht übel. Er ist überhaupt liebenswürdig.
Dies sei man auch. Man höre alles mit lebhaftem Interesse an, namentlich das Gleichgültige, das erzählt wird. Wird eine Verlobung gemeldet, so gebärde man sich, als habe man endlich ein langerstrebtes Glück gefunden, auch wenn man die Verlobten nicht kennt. Stößt man unverschuldet auf eine Dame, welche eine halbe Stunde lang ohne Pause sprechen kann, so sage man sich: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er, und lasse die Dame über sich ergehen. Lautes Murren ist unschicklich und wird von der Dame auch als ein Zeichen des Wohlbehagens aufgefaßt. Im übrigen ist nach meinen Beobachtungen das Geschlecht der Rasch- und Vielsprecherinnen in Berlin im Aussterben begriffen. Es existieren nur noch einige guterhaltene Exemplare, wie von den echten Möpsen. Das Telephon und die bunten Postkarten, welche die Menschen zwangen, sich kurz zu fassen, haben unter den Plaudertaschen furchtbar aufgeräumt.
Man bleibt nur ganz kurze Zeit. Das ist das Bezaubernde des Jour fixe. Alle anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen könnten von ihm lernen, thun es aber nicht. Ein halbwegs beweglicher Jourfixer kann in einigen Nachmittagstunden rund ein halbes Dutzend solcher Besuche zurücklegen. Allerdings giebt es Besucher, welche den Jour fixe bis zur Nagelprobe auskosten und nicht wanken und weichen, bis das letzte Kaviarbrötchen verschwunden ist. Solche Besucher gehen mit dem Fluch der Gesellschaft beladen umher, sind auf das Tiefste verabscheut, können nach der allgemeinen Ansicht kein gutes Ende nehmen und merken es nicht. Sie sind in Jour fixe-Kreisen schon deshalb sehr gefürchtet, weil sie niemals fehlen. Alle Hoffnung auf eine starke Erkältung, die sie ans Bett fesseln würde, ist eitel, es sind auffallend starke, gesunde Leute. Andeutungen, daß der Jour fixe nur eine Station des gesellschaftlichen Lebens sei, verstehen sie nicht. Werden sie in der kommenden Saison nicht wieder aufgefordert, so halten sie dies für ein dem Hause sehr unangenehmes Versehen, das sie durch ihr Wiedererscheinen auszugleichen suchen. Bei dieser Gelegenheit wird ihnen voll Abscheu die Hand gedrückt, was sie für große Beliebtheit halten. Diese dauerhaften Besucher sprechen sich gewöhnlich sehr wegwerfend über den Jour fixe aus und lassen durchschimmern, daß sie ihn nur aus Gefälligkeit mitmachen, um dem Hause ein angenehmes Gesellschaftsmitglied zuzuführen. Sie werden es dahin bringen, daß der Zutritt zum Jour fixe nur gegen Vorzeigung der Einladung gestattet wird. Völlige Sicherheit vor ihnen wird dies aber auch nicht gewähren. »Herr,« würden sie den Portier anschreien, »sehe ich aus wie ein Mensch, den man nicht einlädt?« Hui, und sie sind drinnen, und herausgeworfen wird nicht. Diese Mitteilungen werden genügen, jedem Besucher eine kurze Anwesenheit zur Pflicht zu machen.
Man nehme keine Cigarre an. Die Jour fixe-Cigarre gehört zu den menschenfeindlichen Sorten, da das Rauchen am Jour fixe nicht Sitte ist und der Hausherr, der nicht anwesend zu sein pflegt, jede Verantwortlichkeit für die Cigarre ablehnt.
Es kommt vor, daß die Dame des Hauses ein ganz kleines Töchterchen in die Arena sprengen läßt. Man sei entzückt. Ist das Kind ein Affe, so nenne man es eine künftige Venus von Milo. Giebt die Mutter Zeichen der Unzufriedenheit, so lege man noch eine der drei Grazien zu, man gehe aber nicht höher. Wird das Kind dann wieder hinausgeführt, so gebe man seiner Freude durch bedauernde Worte Ausdruck.
Zu anderen häuslichen Gesellschafts-Episoden ist nur wenig zu bemerken.
Die Geburtstage vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.
Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.
Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.
Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort: Gartula! Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.
Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.
Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.
Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch gestern wurde davon gesprochen. So möchte man selber aussehen. Auch könnte man das Geburtstagskind, wenn es Frau und Mutter ist, für eine Schwester der Tochter halten. Hat das Geburtstagskind keine Tochter, so bearbeite man den Satz passend durch Heranziehung ihres Sohnes oder ihrer jüngsten Schwägerin. »Eine jüngere Schwester ihres Mannes« aber sage man nur im äußersten Notfall.
Vorsichtig sei man bei älteren Geburtstagskindern mit dem Wunsch: bis zum hundertsten Wiegenfest. Manchen ist dies zu wenig, da sie nicht weit genug von demselben entfernt sind.
Alle auf dem Geburtstagstisch ausgestellten Geschenke finde man blendend, selbst die fürchterlichen gestickten Sofakissen. Sind die aus guten Delikatessenhandlungen abgesandten »Stillleben« mit dem ganzen Komfort der Friandise ausgestattet, so nehme man vertrauensvoll die Einladung zum morgigen Mittagessen an.
Als Gatte des Geburtstagskindes esse man möglichst viele von den auf den Schüsseln ausliegenden belegten Butterbrötchen, sonst muß man sie am anderen Tage essen. Dann sind sie aber vertrocknet.
Von den öffentlichen festlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen sind etliche zu betrachten, welche mancherlei Gefahren und Unbequemlichkeiten bergen, auf die warnend und ratend hinzuweisen ist. Hier ist in erster Linie der Bazar zu nennen.
Der Bazar ist eine Wohlthätigkeits-Unthat, welche sich bis jetzt der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen gewußt hat, obschon die beliebte Frage bei jeder bekannt werdenden Unthat: Où est la femme? jedesmal sofort keine Frage ist. In jeder Bude, an jedem Tisch, hinter jedem Buffet des Bazars stehen zwei bis mehrere.
Man nähere sich ihnen vorsichtig. Nur wer gewöhnt ist, für eine Cigarette, eine Rose, oder ein Glas Bier bis zu zehn Mark zu bezahlen, trete vertrauensvoll näher.
Man unterlasse das Flirten. Jede Artigkeit, und sei sie auch ehrlich gemeint, treibt die Preise in die Höhe.
Man zeige keine Hundertmarkscheine. Die blaue Papierfarbe reizt die Damen.
Wenn man verheiratet ist und hat etwas billig gekauft, so nehme man den Gegenstand nicht mit nach Hause. Die Gattin pflegt ihn ärgerlich hinauszuwerfen und den unglücklichen Käufer vorwurfsvoll daran zu erinnern, daß er Familienvater sei. Ist dieser vorsichtig, so giebt er den Gegenstand dem Taxameterkutscher als Trinkgeld und verschweigt seiner Gattin, daß er den Bazar besucht habe.
Man bestimme vor dem Bazarbesuch genau eine größere Summe, die man verausgaben will, damit man nachher bestimmen kann, wieviel mehr man losgeworden ist.Man nehme von den Verkäuferinnen keinen Kredit, denn sie geben keinen.
Giebt man für einen Gegenstand aus dem Fünfzigpfennigladen der schönen Verkäuferin eine Mark und sie sagt: »Danke bestens,« so heißt dies: »Mein Herr, das ist sehr lumpig!« Hieraus mache man sich nichts.
Läßt man sich ein Gläschen deutschen Sekt für fünf oder zehn Mark einschenken, so kann man überzeugt sein, nicht betrogen zu werden. Es ist dann sicher kein französischer.
Rosen sind sehr teuer. Man stecke also eine ins Knopfloch, bevor man den Bazar betritt.
Wenn man in einem Bazar von den Damen sehr liebenswürdig behandelt wird, so daß man allgemein beneidet wird, so sei man Millionär, je mehrfacher, desto besser.
Bei Einkäufen und Zahlungen hat man zu wählen, ob man als Knauser oder als Potsdamer (wienerisch: Wurzen) gelten will. Das erstere ist billiger.
Ist mit dem Bazar eine Lotterie verbunden, so kaufe man Lose und verschenke sie. Man kennt ja immer den Einen und die Andere, denen man gern einen Schabernack spielt. Denn die Gewinne, welche solche Lotterie bringt, erschrecken selbst den Anspruchslosen. Es sind Ladenhüter von ehrwürdigem Aussehen, die einer längst verschwundenen Epoche der Industrie angehören und selbst nicht mehr die Kraft haben, die bescheidene Stellung eines Ladenhüters auszufüllen. Auch Abreißkalender eines verflossenen Jahres werden gewonnen, oder man gewinnt im Glücksfall einen solchen Kalender vom laufenden Jahr im Dezember, so daß man, um ihn noch ausnützen zu können, erst etwa 350 Tage abreißen muß. Allgemein gefürchtet werden auch Partituren durchgefallener Opern, welche von solchen Damen für die Verlosung gestiftet worden sind, die sich nicht sicher fühlen, daß sie sie dennoch eines Tages wieder durchspielen. Auch Bücher werden gewonnen, deren Titel lautet: »Tisch für Diabetiker«, oder »Der Klumpfuß heilbar«. Ja, ich habe sogar einen Herrn gekannt, der von einem Makartbouquet[Einer allgemeinen, aber nicht lange andauernden Beliebtheit erfreute sich der nach dem Wiener Maler Hans Makart benannte Makartstrauß aus getrockneten Gräsern, Palmwedeln und Blüten- wie Fruchtständen mancher Kompositen, die man schließlich auch noch färbte, vergoldete und versilberte.] erreicht worden ist. Er hat lange daran gelitten. Verlassen wir dies düstere Bild!
Selbst nehme man natürlich kein Bazarlos geschenkt. Niemals gewinnt man etwas Brauchbares, denn unter den größeren Gewinnen befindet sich weder eine Zehnpfennigmarke, noch ein Pferdebahnbillet.
Bedeutend weniger tumultuarisch und gefahrvoll gestaltet sich das in irgend einem städtischen Prunk-, Pracht- oder Festsaal stattfindende Vereinsfest.
Wer Mitglied eines Vereins ist, hat auch schon eines der Gründungs- und Jubiläumsfeste dieses Vereins mitgemacht, und es giebt wohl heute keinen Deutschen, der nicht Mitglied eines oder mehrerer Vereine ist.
Man hüte sich, in das Festkomitee gewählt zu werden. Es ist dies das einzige Mittel, vor dem Vorwurf bewahrt zu bleiben, daß man nichts gethan, aber alle vorkommenden Fehler verschuldet habe.
Ist man aber Mitglied des Festkomitees geworden, so versäume man deshalb alle Geschäfte, widme sich ganz den Aufgaben des Festes, arbeite unausgesetzt, komme nicht zu Atem, stürze sich in Unkosten und thue, was man kann. Man wird dennoch nicht das Wohlgefallen des Vereins erringen.
Im Festkomitee befinden sich einige Mitglieder, welche absolut nichts thun. Vor diesen nehme man sich in Acht, denn sie haben an der Thätigkeit der Eifrigen immer etwas auszusetzen Man zeige ihnen nicht, daß man thätig ist, denn man wird sonst von ihnen als ein aufdringlicher Streber und als ein Mensch bezeichnet, der sich fortwährend vordrängt.
Will man recht vernünftig sein, so mache man sich als Mitglied eines Vereins niemals verdächtig, ein organisatorisches Talent zu besitzen. Dann entgeht man mit ziemlicher Sicherheit jeder Wahl in das Festkomitee. Wird man aber gewählt, so erkranke man und lehne mit großem Bedauern die Wahl ab.
Wenn man kein Redner ist, so weiche man bescheiden, aber energisch der Aufforderung aus, eine Festrede zu halten. Dies geschieht allerdings selten, aber es ist doch zum Gelingen des Festes nützlich, wenn dann und wann eine Rede von einem wirklichen Redner gehalten wird.
An die Festtafel setze man sich so, daß man von den Rednern sehr weit entfernt sitze. Wird dann gesprochen, so hat man sich nur zu erheben, wenn alles zum Hochrufen und Anstoßen sich erhebt, und sich wieder zu setzen. Dies vereinfacht die Tafelpflichten wesentlich.
Aber auch, wenn man die Rede deutlich gehört hat, lobe man sie. Denn jeder Tadel wird dem Redner hinterbracht und vermehrt die Zahl der Feinde um einen. Glaube man nicht, daß der Tadel verschwiegen bleibt. Denn am allerwenigsten schläft der Verräter bei Tisch.
Ist die Tafel sehr groß, so mache man keine Ansprüche an das Menu, sondern halte sich an den Käse, der immer gut ist.
Nehmen Damen an der Tafel teil, so sei man vorsichtig in der Wahl des Unterhaltungsstoffs, namentlich den Damen gegenüber. Ich rate dies aus trüben Erfahrungen an. So beging ich einmal die Unvorsichtigkeit, in einem unbewachten Augenblick den Namen Ulrike v. Levetzow in die Unterhaltung zu werfen und dabei Goethes zu erwähnen. Ich werde dies niemals wieder wagen. Auf das Antlitz meiner Dame lagerte sich alsbald die Furcht vor einem litterarischen Gespräch derart verzerrend und aus den schönen Augen blitzte es derart erschreckt, daß ich sofort über das Vanilleeis sprach, welches gerade herumgereicht wurde, und dadurch einer höchst peinlichen Scene ein Ende machte. Die Dame aber ist meine Gegnerin geblieben. Wie ich neulich hörte, hat sie behauptet, daß man ihr verraten habe, schon mein Großvater väterlicherseits sei ein Trinker gewesen. (Mein Großvater väterlicherseits hat nie getrunken.)
Was den Wein an der Tafel betrifft, so handelt es sich um eine Vertrauenssache, insofern man sicher vertrauen kann, daß er nichts oder wenig taugt. Man bestelle also Wein und trinke ihn nicht, dann richtet er keinen Schaden an. Unter den bei Tisch erscheinenden Getränken pflegen diejenigen Wässer, welche beim Öffnen des Patentverschlusses eine gewisse Unruhe verraten und mit Perlen um sich werfen, das Vertrauen zu verdienen, das man in sie setzt. Kann man aber nicht ohne Wein existieren, so sehe man sich nach einem alten Freund unter den Kellnern um und sage ihm etwas ins Ohr. Dies ist ein gutes Mittel, die Qualität des Weins zu verbessern.
Von den auf der Tafel stehenden Früchten das Folgende: Wer saure Trauben, Kochbirnen, recht trockene Datteln und alte Walnüsse liebt, greife munter zu, und er wird nicht enttäuscht werden.
Man bemühe sich, zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen. Thun dies dann auch andere, so belebt sich die Stimmung und es wird die Unterhaltung derart allgemein und laut, daß kein Toast mehr gehört wird. Diesen Moment benutze man selbst zu einem Toast, wenn man nichts zu sagen weiß.
Beginnt das Auseinanderreißen der Knallbonbons, so erzähle man die Geschichte von einem bei solcher Gelegenheit ausgeschossenen Auge. Es nützt aber nichts. Dagegen kann man die Unsitte und Geschmacklosigkeit dieses Bombardements dadurch mildern, daß man die Damen in der Nähe bittet, die Knallbonbons den lieben Kinderchen mitzubringen, nachdem man zu deren Besten die Patronen aus den Papierhüllen herausgezogen und weggeworfen hat. Nützt auch dieses nicht, sondern wird das Kanonieren verlangt, so füge man sich, verzichte aber darauf, sich die Papierkappe aufzusetzen, die nach dem Schuß zum Vorschein kommt, es sei denn, daß man das dringende Bedürfnis habe, sich lächerlich zu machen.
Erscheint der Kellner mit dem letzten Gang, mit den Zahnstochern, so sei man gentil, lege einen Thaler auf den Teller und lasse sich nicht mehr als zwei Mark fünfzig Pfennig herausgeben. Will man aber sehr vornehm sein, so giebt man gar nichts, sondern dankt herablassend.
Wird ein Tischlied gesungen, so lobe man den Text als geistvoll, der Gelegenheit vortrefflich angemessen und hervorragend gereimt. Erst wenn man festgestellt hat, daß der Dichter nicht nebenan oder gegenüber sitzt und seine Gattin oder andere nahe Verwandte nicht in der Nähe sich befinden, sage man die Wahrheit.
Wenn vor, während oder nach der Tafel ein Festspiel zur Aufführung kommt, so erkundige Dich rechts und links, sowie bei den vor und hinter Dir sitzenden Zuschauern nach dem Sinn der Anspielungen, die Du nicht verstehst. Damit geht die Zeit rascher vorüber. Langweilt Dich das Stück trotzdem und findest Du es schlecht, so unterlasse nicht, Dich an dem Applaus, dem Dacapo- und Hervorruf zu beteiligen, um nicht als Dummkopf oder als Störenfried bezeichnet zu werden. Ist das Stück von Dilettanten gespielt worden, so sage man ihnen aus demselben Grunde, wenn sie nach dem Schluß wieder in der Gesellschaft erscheinen, man habe selten so meisterhaft darstellen sehen, und man frage sie auch, weshalb sie nicht zur Bühne gehen.
Wird die Glocke von Schiller oder ein anderes unterhaltendes längeres Gedicht deklamiert, so beteilige man sich lebhaft an dem Schreien nach Ruhe. Dies macht gewöhnlich solchen Spektakel, daß man das bereits bekannte Gedicht nicht hört.
Ein Tänzchen pflegt den Abend zu beschließen oder, wie es offiziell heißt: das Fest zu krönen. Wenn man nun gewillt ist, nach dem bekannten lateinischen Lehrsatz, statt herumzustehen, tausend Schritte zu gehen, so wähle man eine Dame, welche das gleiche zu unternehmen wünscht, und schließe sich mit ihr der Polonaise an. Beginnen aber die Riesenunternehmen, welche nach Tisch sich besonders für gewissenhaft übende Akrobaten eignen, so namentlich das in gebückter Körperhaltung auszuführende Passieren des von den Paaren gebildeten Tunnels, so sage man seiner Dame, diese Tour mache korpulent, worauf sie sich gern auf einen der an der Wand stehenden Stühle transportieren läßt.
Ist man älter als ein halbes Jahrhundert und hat man das Bedürfnis, sich lächerlich zu machen, so tanze man nach der Polonaise einen Walzer mit einer jungen Dame. Ein einziger Walzer genügt zur Erreichung des angegebenen Zwecks. Dies merkt man sofort, wenn die junge Dame sagt: »Sie tanzen noch sehr gut.« Man soll aber überhaupt nicht tanzen, wenn man noch sehr gut tanzt.
Für den Kotillon engagiere man, wenn man kein Freund oder Meister der Unterhaltung sein sollte, eine Dame, deren Beliebtheit bekannt und die deshalb meist auf Extratouren unterwegs ist.
Ist man jung, in ernährender Position und nicht gerade von abschreckendem Äußeren, so sei man während des ganzen Abends vorsichtig und aufmerksam, sonst ist man bald verlobt. Von Vereinsfesten führt eine elektrische Bahn zu allen Standesämtern. Das junge Mädchen im Ballkostüm, das höchst bescheiden auftritt, nicht bis drei zählen zu können scheint, eine Knospe im Haar und die Augen zu Boden geschlagen trägt, ist mit der größten Vorsicht zu behandeln, weil es auf dem Ball ein ganz anderes Geschöpf zu sein pflegt, als nach demselben. Auf einem Ball hat noch kein Mensch ein junges Mädchen kennen gelernt. Man macht dort nur ihre Bekanntschaft.
Wird man im Tanzgewühl heftig angerannt, so entschuldige man sich. Der Anrenner pflegt dies nicht zu thun, und es ist immer hübsch, wenn wenigstens eine Entschuldigung erfolgt. Keinenfalls benutze man, wenn man ein Paar herantoben sieht, die eigene Dame als Pufferstaat, wie ähnliches in der Politik zu geschehen pflegt, denn in der Politik ist erlaubt, was sich in guter Gesellschaft verbietet.
Hat man sich gelangweilt, so warte man geduldig die Festberichte in den Zeitungen ab, von denen man eines Besseren belehrt wird, indem man erfährt, daß das Fest in ungetrübter Fröhlichkeit verlief und bis in die späte Morgenstunde hinein einen glänzenden Verlauf nahm. Man kann sich also unmöglich gelangweilt haben.
Kennt man einen Berichterstatter persönlich, so erfülle man die Bitte der Dame, ihn ihr vorzustellen, auch wenn sie ausdrücklich hinzufügt, sie möchte in dem Ballbericht sich nicht als besonders entzückende Erscheinung erwähnt finden. Unter uns gesagt, sie fürchtet dies gar nicht, sondern wünscht es.
Geht man gern erkältet nach Hause, so verlasse man sich auf den in den Garderobenräumen herrschenden Zug.
Während nun der Stiftungstag oder die Jubelfeier eines Vereins, wenn auch schon ziemlich verschwommen, einen noch immer deutlich erkennbaren intimen Charakter trägt, indem an solchen Veranstaltungen vor allem die Mitglieder und deren Familienmitglieder teilnehmen, welcher Kreis sich durch Nahestehende erweitert und verstärkt, giebt es jetzt eine Reihe von Ballfesten, die zum besten der Unterstützungskassen und anderer wohlthätiger Zwecke von litterarischen, künstlerischen, industriellen und verwandten Korporationen und Genossenschaften arrangiert werden. Hierher gehören das Ballfest der Presse, der Schriftsteller, der Bühnengenossenschaft, des Vereins der Künstler, der Juristen, des Vereins der Kaufleute und Industriellen, der großen Vereine Schlaraffia und Eulenspiegel und anderer Vereinigungen, welche alljährlich das Publikum einladen, seinen oft bewährten Wohlthätigkeitssinn abermals an den Tag zu legen, der bis zum anderen Morgen dauert.
Allen diesen Ballfesten ist es angeboren, daß sie alle anderen bisher gegebenen durch den Glanz der Arrangements, wie durch die Fülle der Überraschungen in den Schatten stellen werden. Auch ist jedesmal der Andrang zu den Einlaßkarten seitens der besten Gesellschaft viel bedeutender als in einem der vorangegangenen Jahre, so daß nur noch eine kleine Anzahl Billets zu haben sein dürfte. Man hat sich deshalb zu beeilen.
Wer dies glaubt, lese keine der vielen Zeitungen, welche diese Notizen verbreiten. Denn da man die gedruckten Nachrichten meist für unwahr hält, so würde man seinen guten Glauben erschüttert sehen.
Eilt man infolge der Ballfestnotiz, daß nur noch wenige Karten übrig seien, in das betreffende Bureau und findet noch viele hundert Billets vorrätig, so erzählt man überall, man habe das letzte Paar Karten gekauft, damit noch viele auf jene Notiz hineinfallen und man also nicht einer der wenigen bleibt.Wenn man das Schriftstellerfest besucht, so sage man sich, daß auch nicht ein einziger namhafter Schriftsteller anwesend sein werde, damit man sich auf das Angenehmste getäuscht sieht, wenn ein Namhafter anwesend sein sollte. Zu diesem Zweck nehme man im Notfall den Titel Namhafter nicht so genau, sondern bezeichne irgend einen Journalisten, von dem man weiß, er führt eine geistvolle Schere und ist ein Ritter aus dem Kleisterreich, als einen namhaften Schriftsteller. Man bitte ihn aber nicht um ein Autograph, denn er würde es geben.
Ähnlich verfahre man auf den Festen des Vereins Berliner Künstler.
Wer um keinen Preis Menzel und Begas sehen möchte, der besuche diese in ihrer Art einzigen Feste.
Auf den Festen der Presse und Schriftsteller bitte man niemals einen Zeitungsverleger um die Gefälligkeit, seine besten Mitarbeiter zu zeigen. Denn er würde dann auf mehrere Inserenten hinweisen, die er allein für seine besten Mitarbeiter hält, weil sie ihre Beiträge zeilenweis bezahlen.
Alle diese Feste besitzen eine reiche Einnahmequelle, welche den Namen Tombola hat. Zu derselben haben, wie die bereits erwähnten sämtlichen Blätter versichern, viele Künstler eine große Anzahl hervorragender Werke beigesteuert. Die Niete kostet nur eine Mark. Dafür kann man die ausgestellten hervorragenden Werke ansehen. So kostet also die Niete nichts.
Wer Glück hat, kaufe ein Los. Der Pechvogel unterlasse es, denn es könnte doch sein, er habe einmal Glück. Alsdann gewinnt er sicher eine größere Photographie, die ihn während des ganzen Festes belästigt, bis sie ihm endlich abhanden kommt.Auf Theaterfesten werden gewöhnlich die Porträts der Künstlerinnen und Künstler verkauft, welche mit eigenhändig unterschriebenen Gedankensplittern geschmückt sind. Meistens findet man den Schillerschen Gedanken: »Ernst ist das Leben heiter ist die Kunst« gesplittert. Am beliebtesten sind Schauspieler und Sänger im Kostüm und Künstlerinnen im Gegenteil.