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Die Enkel des Kolumbus
7 “Hindukush” bedeutet “Hindutöter. Die Inder gaben den Bergen diesen Namen.
Gymnasien nach Deutschland zu schicken, damit sie dort das Abitur machen und danach gleich inDeutschland bleiben um zu studieren. Einer unserer Projektdolmetscher war mit solch einer Klasse in Deutschland. Er begrüßte uns mit den Worten: “na alter Junge, alles in Butter? Prima dass ihr hier seid. Wirklich dufte!” Er hatte in Berlin studiert, und sich vor seiner Rückkehr nach Afghanistan etwas Geld als Taxichauffeur verdient.König Amanullah hätte wohl damals auch einen Assoziierungsvertrag mit Deutschland unterschrieben, wenn es jemandem eingefallen wäre so etwas vorzuschlagen. Das wäre für die Afghanen deshalb akzeptabel gewesen, weil ja alles “in der Familie” geblieben wäre. Wir, die Deutschen, sind nämlich nach Meinung der Afghanen ihre Brüder. In unseren Adern fließt das Blut dergleichen Rasse. Afghanen und Deutsche sind beide Arier. Ein Stamm der, wie sie sagen, vor langer Zeit in Afghanistan lebte.
Hierzu möchte ich eine Geschichte erzählen:
Eine der Aufgaben welche wir uns seinerzeit im Rahmen unserer Arbeit im Forstprojekt Paktia stellten waren Aufforstungen in der Nähe der Gebirgsdörfer, weil die Wälder wegen der laufenden Brennholznutzung um die Dörfer herum inzwischen verschwunden waren, und die Frauen zum Brennholz holen Stunden und Stunden unterwegs waren, mit Körben auf dem Kopf, oder mit Eseln als Lasttiere.
Da blieb eigentlich kaum noch Zeit für die Kleinkinder, die Feld- und Hausarbeit. Und Holz ist in dieser abgeschiedenen Gebirgswelt die einzige Energiequelle zum Kochen, oder zum Wärmen in den bitterkalten kontinentalen Wintern. Die Menschen in den Hindukushtälern leben heute, wie schon vor Tausenden von Jahren, von der Viehzucht und vom Ackerbau. Die Felder in den Tälern werden mit “Djuis” (Wassergräben) bewässert die von den Bergflüssen abgeleitet werden. Ihre Viehherden bestehen hauptsächlich aus Ziegen und Schafen, mit denen sie zur Futtersuche weite Strecken unterwegs sind. Für die Ziegen hauptsächlich wären unsere Aufforstungen Leckerbissen gewesen, wenn man sich nicht um ihren Schutz gekümmert hätte. Was wir im Rahmen unseres Dorfpflanzungsprogramms machten war den “Chan” (der von allen respektierte Chef im Dorf) zu bitten eine “Djirga” (Versammlung) der Dorfältesten einzuberufen, um über den Plan Dorfpflanzungen anzulegen zu sprechen. Ziel der Absprache war mit dem Dorf einen Vertrag abzuschließen, worin das Projekt sich verpflichtete das Pflanzmaterial und die Pflanzgeräte zu stellen sowie den Transport der Pflanzen und die Pflanzarbeit selbst zu organisieren. Das Dorf stellte die Arbeiter zur Durchführung der Pflanzungen, übernahm den Schutz der Pflanzungen und hatte dafür später das exklusive Recht der Holznutzung. Für die Viehherden wurden “Korridore” belassen, um die Möglichkeit zu haben mit den Tieren in die Weidegründe abseits der Pflanzungen zu ziehen. Solche Verträge abzuschließen war einfach, den die Dorfpflanzungen waren begehrt! Es hatte sich im übrigen ja spätestens nach der ersten Djirga in den Gebirgstälern herumgesprochen was wir machten, und die Leute fanden das wirklich gut. Manchmal war es so, dass der Chan im Nachbardorf schon mit den Dorfältesten gesprochen hatte. Wenn wir kamen erhielten wir eine Einladung beim Chan, und ohne spezielle Djirga wurde am gleichen Tag der Pflanzvertrag unterschrieben. Mit Stempelkissen und Daumenabdruck.
Deshalb hatten unsere Versammlungen manchmal mehr den Sinn sich gegenseitig kennen zu lernen, zusammen Tee zu trinken und sich Geschichten zu erzählen. Aber das war mindestens genau so wichtig. Wir saßen in dem Gästezimmer gleich rechts hinter dem Haustor. Die zweite Eingangstür war verschlossen, damit die Gäste (Gäste sind immer Männer, weil Frauen nicht unterwegs sein können um Besuche zu machen) nicht in das Hausinnere schauen konnten, wo sich die Familie bewegt. Das Zimmer hatte die rötlich-braune Farbe des Lehms mit dem die Wand verputzt war. An den spiegelglatten Wänden entlang lagen große Kissen mit farbenfrohen Mustern, und ein großer roter Afghanteppich füllte den ganzen Raum aus. Durch ein kleines Fenster in der dicken Lehmwand fiel Sonnenlicht und erhellte kontrastreich einige Kissen. Wir saßen entspannt auf den riesigen Kissen und warteten auf das Erscheinen des Chans. Dann öffnete sich die grob geschnitzte Holztür, und er kam: ein alter Mann, gekleidet wie alle: ein langes Hemd über der Pluderhose, darüber eine kurze Weste, auf dem Kopf der Turban. Ein langer roter Bart zierte das spitze Gesicht. Natürlich gehörten auch über der Brust gekreuzte Patronengurte dazu, der dazu gehörige Revolver, und der riesige Pashtunendolch im Gürtel. Das war alles unabdingbarer Bestandteil der Kleidung und hatte nicht im mindesten etwas mit einem Misstrauen gegen uns zu tun.
Wir erhoben uns zur Begrüßung und erhielten einen warmen Händedruck. Ein klarer ruhiger Blick erfasste uns, ein unmerkliches Lächeln spielte in seinem faltigen Gesicht. Alle Bewegungen waren gemessen, würdig und stolz. Nach den rituellen Begrüßungsformeln (salemaleikum, zangai, djurli, chai, bachai…) bedeutete uns der Chan mit einer leichten Handbewegung wieder Platz zu nehmen. Mein Counterpart, Herr Navor Shah, sprach fließend Deutsch. So ging die Unterhaltung flüssig; die Übersetzungspausen empfand ich manchmal sogar als angenehm, da man Zeit hatte nachzudenken und zu beobachten während Paschtu gesprochen wurde, und es war leicht eine klare Antwort zu formulieren. Nach einem Jahr hatte ich mich so gut auf Paschtu eingehört, dass ich durchaus mitbekam, wenn etwas nicht gut übersetzt wurde (was bei Navor Shah nie der Fall war), obwohl ich nicht Paschtu sprechen konnte.
Und dann erzählte uns der Chan die viele tausend Jahre alte Geschichte, die alle Afghanen kennen. Wie das mit uns Afghanen war, damals, vor langer, sehr langer Zeit: „.. Die Zeiten waren schwer, weil die Berge nicht mehr alle ernähren konnten. Schnee und Eis kamen immer tiefer die Hänge herab, bedeckte alle Weidegründe, und die Viehherden litten Hunger. Auch das Volk litt Hunger, konnte so in den Bergen nicht mehr überleben. Da beschloss ein Teil des Volkes fortzuwandern, mit den Herden andere Weidegründe zu suchen, um zu überleben. Mehr als die Hälfte von uns wanderte los, nach Nord-Westen. Sie wanderten durch Steppen, Berge, Täler, Wälder, weiter, und weiter.
Das seid ihr, die Deutschen, unsere Brüder, die damals fortgingen. Ihr seid Arier, wie wir. Ihr seid Afghanen. Heute nennt ihr euch “Almaneidas” (Deutsche), aber ihr seid unsere Brüder. Und nun kommt ihr zurück zu uns, um uns zu helfen. Das ist wunderbar, das ist das Schönste, seid willkommen, wir freuen uns sehr!“
Ich war sprachlos. Wir schauten uns an. Das ist also die Geschichte, so wie sie von Generation zu Generation weitergegeben wurde, von Mund zu Mund, in den Hindukuschbergen, abgeschnitten von der Welt, in diesen Tälern die nie ein Ausländer je vor uns betreten hatte. Ich dachte an die letzte Eiszeit. So war es wohl gewesen, damals, vor 10.000 Jahren, in Afghanistan. Die Berge versanken Jahr für Jahr tiefer in Schnee und Eis, alles erstarrte in Kälte und Frost, und nur die tiefer gelegenen Talsohlen blieben frei.
Was wissen wir über die Geschichte in dieser Zeit in Deutschland? Nichts. Die Mund zu Mund Überlieferung ging bei uns verloren. Andere Hinweise gibt es nicht.
Die Sprache vielleicht: Paschtu ist eine der wenigen Sprachen in der Welt die drei Artikel hat: wie im Deutschen. Beide Sprachen zählen zum Indogermanischen Sprachraum.
Noch etwas verblüffendes: Deutsche und die Afghanen sehen sich ziemlich ähnlich. Blaue und graue Augen sind keine Seltenheit, der Körperbau ist ähnlich. Die Gesichtszüge sind manchmal ziemlich grob, manchmal jedoch sehen sie ausgesprochen gut aus -, ein Umstand der auch für die Deutschen gelten kann. Wenn man von Deutschland mit dem Auto nach Afghanistan fährt sieht man bereits im Balkan völlig andere Gesichter. Auch die kantigen Züge der Türken und dann die glutäugigen Perser sind uns nicht gerade aus dem Gesicht geschnitten. Aber mit den Paschtunen in Afghanistan ist das anders: nach ca. 9000 km Reise!
Und da ist noch was -, so etwas wie ein Volkscharakter: die Afghanen sind direkt, ernst und zuverlässig. Das Wort zählt. Ein Versprechen ist mehr wert als ein Vertrag. Auch das ist in vielen Teilen Deutschlands heute noch der Fall.
Auch hierzu eine Episode:
Ich war mit dem Auto unterwegs im Norden von Afghanistan. In Mazar-i-Sharif entdeckte ich in einem Teppichladen einen herrlichen alten Kelim: ein gewebter Teppich, mit warmen, harmonischen Farbmustern. Er gefiel mir sehr gut, aber er war recht schmal und ziemlich lang. Ich war mir nicht sicher ob die Maße stimmten für den Platz den ich vor Augen hatte in meiner Wohnung in Kabul. Inzwischen konnte ich gut genug Farsi um mich mit dem Teppichhändler zu unterhalten. Wir saßen auf einem Stapel von Teppichen und tranken grünen Tee mit Kardamom. Ich hatte erzählt, dass ich in Paktia in einem Projekt arbeite, und gerade auf Rundreise bin um Afghanistan kennen zu lernen. Da machte mir der Teppichhändler den Vorschlag, ich solle den Teppich mitnehmen, und wenn er mir gefiele in der Wohnung könne ich das nächste mal bezahlen, wenn ich wieder nach Mazar-i-Sharif käme. Ich fragte nach Papier, um ihm meine Adresse zu geben: die bräuchte er nicht.
Ich fragte ob ich etwas anzahlen sollte, – nichts von alledem. Zum Abschied gaben wir uns die Hand und wiederholten noch mal kurz wie wir verblieben waren. Das war alles an Sicherheiten. Erst nach Monaten fand ich Zeit wieder nach “Mazar” zu fahren, mit
Geld um den Teppich zu bezahlen. Der Teppichhändler, das wurde mir klar, hatte nie einen Zweifel dass ich kommen würde um den Kelim zu bezahlen, oder um den Teppich gegebenenfalls zurückzugeben. Er hatte mein Wort. Das genügte ihm vollauf.
Aber, dass sollte man auch wissen: die Afghanen werden zu unversöhnlichen Feinden, wenn sie betrogen und hintergangen werden. Sie finden, wen sie finden wollen. Und sie sind hart, mutig und unerbittlich… .
Das ein Versprechen mehr wert ist als ein Vertrag lernten wir bald auch bei der Projektarbeit:
Für die Dorfpflanzungen schlossen wir mit den Dorfältesten immer schriftliche
Verträge ab. Wäre ja auch komisch gewesen, wenn wir der GAWI in Deutschland in unseren Halbjahresberichten mitgeteilt hätten wir würden Dorfpflanzungen machen, weil uns die Dorfältesten versprochen hätten die Pflanzungen zu schützen! Nein, in unseren Berichten klang das so: “im Berichtszeitraum schlossen wir soundsoviele Verträge mit soundsovielen Dörfern ab zur Durchführung von dorfnahen Aufforstungen auf soundsoviel Hektar. Dabei kamen die Unterzeichnenden zu folgender Übereinkunft: …“, und so weiter. Das klang gut, so musste das sein, und auch von der Paktia Development Authority (PDA) in Kabul, unserer afghanischen Counterpartbehörde, wurden wir bestärkt so zu verfahren.
Eines schönen Tages bekamen wir jedoch einen Brief vom Landwirtschaftsministerium in Kabul, worin uns knapp mitgeteilt wurde, dass alle Aufforstungen die das Projekt durchführt dem Landwirtschaftsministerium unterstehen. Erlöse aus dem Verkauf des Holzes gehen als Einnahme an das Finanzministerium… .
Das war für das Forstprojekt ein Schlag ins Gesicht, weil in Absprache mit der PDA in allen unseren Verträgen für die Holznutzung und die Einnahmen aus Holzverkauf die Dorfgemeinschaft zuständig war.
Ich dachte ich kann mich nun sicher nicht mehr ins Projektgebiet trauen. Wenn die Paschtunen das erfahren denken sie vielleicht wir seien wortbrüchig und wir hätten sie getäuscht, hintergangen, doppeltes Spiel gemacht mit dem Landwirtschaftsministerium. Nach den ungeschriebenen Regeln der Paschtunen (das Paschtunwali) hätte das bedeuten können, das sie das Projekt nicht mehr akzeptieren und uns das Gastrecht entziehen, wenn nicht noch schlimmeres. Ich besprach das Problem mit meinem Counterpart, Herrn Navor Shah. „Was nun?“ Das war meine bange Frage.
Nun, Herr Navor Shah sah das schon gelassener. Er meinte: keine Angst. Wir fahren in die Dörfer, wir reden mit ihnen. Es wird nichts passieren.
Die erste Dorfversammlung begann, wir zogen den Brief des Landwirtschaftsministeriums heraus und Herr Navor Shah teilte den Dorfältesten mit, dass der vom Projekt mit ihnen abgeschlossenen Aufforstungsvertrag vom Landwirtschaftsministerium ignoriert wird. Der Wald gehöre nicht ihnen, sondern dem Landwirtschaftsministerium. Ein langes Schweigen folgte. Wir schauten uns gegenseitig an. Dann sprach der Chan. Navor Shah übersetzte mir Satz für Satz.
“Hört mir gut zu”, sagte er. “Was bedeutet für uns der Vertrag? Er bedeutet uns nichts. Das ist ein Stück Papier, sonst nichts. Aber wir haben versprochen die Pflanzungen zu schützen. Die Zedern und Kiefern die dort wachsen sind uns. Unsere Kinder und Kindeskinder werden die Bäume für sich nutzen, das gute Holz verkaufen, die Äste und das schlechte Holz als Brennholz nutzen. Dazu fragen wir nicht das Landwirtschaftsministerium. Die Leute die diesen Brief geschrieben haben sind längst gestorben, wenn die Bäume 70 oder 80 Jahre alt sind. Aber unser Dorf wird existieren. Und die Bäume werden existieren, weil wir sie schützen werden.
Wir wissen, dass das Projekt mit uns ist. Wir wissen, das sie nichts mit dem Brief des Landwirtschaftsministeriums zu tun haben.
Was werden wir also tun? Wir wissen von diesem Brief, und das ist alles. Wir werden nichts weiter tun als das was wir beschlossen haben”.
In diesem Moment wurde ich ein Paschtune!
Das Projekt führte Forstwirtschaft auf breiter Ebene ein. Es hatte folgende Komponenten:
– eine Forstschule, zur Ausbildung von Waldarbeitern und Forstfachleuten;
– ein Pflanzennachzuchtprogramm, zur Produktion von Jungpflanzen für die ausgedehnten Aufforstungen;
– eine Forsteinrichtungseinheit, um die vorhandenen Wälder auf ihre Vorräte hin zu erfassen;
– eine Betriebsdienstkomponente: Einrichtung eines Musterforstbetriebes im Waldgebiet “Mandaher”;
– Aufbau eines Sägewerkes, um durch die Vermarktung verkaufsfertiger Holzsortimente Einnahmegewinne zu erzielen;
– Aufbau einer Zentralwerkstatt;
All das war vollkommen neu in Paktia. Nach cirka 5 Jahren waren die vorstehenden Komponenten zufriedenstellend installiert und wurden von qualifizierten afghanischen Fachkräften geleitet. In diese Zeit fiel ein Projektbesuch von seiner Majestät, König Sahir Shah.
Die afghanische Regierung reagierte sehr wohlwollend auf die Projektaktivitäten und beantragte die Erweiterung des Projektes auf die gesamte Provinz Paktia. Paktia ist etwa so groß wie ein durchschnittliches Bundesland in Deutschland.
Eine neue Komponente wurde hierbei erforderlich: agroforstliche Aktivitäten im subtropischen Süden der Provinz Paktia, im Raum von Khost.
Die Forsteinrichtung wurde auf Nuristan ausgedehnt: eine waldreiche Provinz entlang der pakistanischen Grenze, nördlich von Paktia.Wesentlich erweitert wurden die Aufforstungsprogramme in verschiedenen Waldzonen von Paktia.
Und es war nunmehr unumgänglich eine Forstabteilung im Landwirtschaftsministerium in Kabul einzurichten, um die Forstwirtschaft definitiv in Afghanistan zu verankern. Damit kam das Projekt an seine Leistungsgrenze. Insbesondere der letzte Punkt gestaltete sich zähflüssig, denn die Afghanen kamen jetzt in Zugzwang in ihrem Haushalt ein Forstbudget einzuplanen. Bei der knappen Finanzlage hätten hierzu teilweise Mittel der PDA (Paktia Development Authority) abgezweigt werden müssen, was auf Schwierigkeiten stieß. Das Finanzministerium forderte dann die deutsche Seite auf seine Projektmittel über den offiziellen afghanischen Haushalt einzubringen, zur Stärkung des Forsthaushaltes. Das hätte bedeutet, dass die deutschen Steuergelder in den Sumpf der undurchsichtigen Verteilungskanäle des afghanischen Haushalts gelangt wären. Auszahlungen auf der Basis von genehmigten Haushaltsplänen erfolgten meist erst spät im Jahr und hätten sich letztendlich überhaupt nur auf einem Bruchteil dessen eingependelt was an Barem von der deutschen Seite geleistet wurde.
All das führte nach 10 Projektjahren zu einem Patt zwischen den Wünschen der afghanischen Regierung und den Erfordernissen der deutschen Entwicklungshilfe.
Es kam dann so, dass das Paktiaprojekt noch ein Jahr in Eigenregie gezielt besonders förderungswürdige Aktivitäten komplett finanzierte, diese mit Erfolg abschloss und sich dann einvernehmlich im Jahr 1976 aus dem Projekt zurückzog.
Das Forstprojekt Paktia war als technisches Projekt konzipiert worden, hatte als solches Erfolg, und wuchs dann in eine Dimension hinein der es nicht mehr gewachsen war. Das war eine der bitteren Erfahrungen aus der “Gründerzeit” der deutschen Entwicklungshilfe. Das Forstprojekt Paktia war dabei nur eine Komponente des Regionalentwicklungsprojektes Paktia. Bis heute ist es das größte Projekt geblieben welches je im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe durchgeführt wurde. Die Idee dahinter war: klotzen, nicht kleckern. Die Entwicklungshilfe war beseelt von dem Wunsch wirklich etwas ausrichten zu wollen, wirklich dem Land zu helfen. So kam man folgerichtig dazu große Projekte zu konzipieren, da „Entwicklung“ ja ein umfassender Prozess ist, der auf möglichst breiter Ebene das Entwicklungspotenzial der Region abdecken muss, um nicht wie der berühmte Tropfen auf heißem Stein zu verdampfen. Die größte Teilkomponente des Regionalentwicklungsprojektes Paktia war das Landwirtschaftsprojekt, mit Schwerpunkt Obst- und Gemüseanbau. Weitere Komponenten waren ein Schulprojekt, ein Krankenhaus, ein Hoch- und ein Tiefbauprojekt, ein “Wasserprojekt” (Trinkwasserversorgung, Bewässerungsvorhaben, Pumpentechnik) und eine Werkstatt.
Der Fehler in der Projektkonzeption war sicherlich, dass bezüglich der Nachhaltigkeit der Projektwirkungen zwar peinlich darauf geachtet wurde dass jeder deutsche Experte einen möglichst gut ausgebildeten Counterpart hatte der dann später in der Lage war den Experten in der Projektarbeit zu ersetzen. Die institutionelle Verankerung des Projektes durch die lokale Verwaltung und die Ministerien lag jedoch im argen.
Die Projektkonstruktion war auf das afghanische Ansinnen sowohl die Projektsteuerung wie auch die Projektfinanzierung über die Ministerien abzuwickeln in keiner Weise vorbereitet. Das führte dann zu dem knirschenden Kollaps des Regionalprojektes Paktia. Nun darf man aber nicht in den Fehler verfallen zu unterstellen, dass es dem deutschen Projektkoordinator in Kabul, den Verantwortlichen in Eschborn (GAWI) und in der Bundesstelle für
Entwicklungshilfe (BfE) in Frankfurt sowie dem Ressortchef im BMZ an dem notwendigen Überblick gemangelt habe. Man kannte sehr wohl die Ministerien in Kabul. Man kannte sie so gut, das man davor zurückscheute sich in diesen Sumpf zu begeben. Das Personal in den Ministerien wurde so schlecht bezahlt, dass sie davon nicht leben konnten. Folge: Korruption. Es gab keine Schreibmaschinen, kein Papier, auch kein Kohlepapier für Kopien, kein Geld für Aktenordner. Die Vorgänge wurden zwischen zwei Pappdeckeln abgelegt die mit einer Schnur umwickelt waren. Es gab kein Telefon, außer beim Minister. Dort stand auch die afghanische Fahne auf dem Schreibtisch. Eine Fachausbildung auf Verwaltungsebene existierte nicht. Es gab keine Heizung im Winter, – bei minus 20 Grad Außentemperatur. Die Fensterscheiben waren häufig zerbrochen. Die Löcher waren mit Pappstücken oder Brettern oder mit Lappen zugestopft. Die Elektro-Heizspiralen, die eigentlich einmal zum Essenwärmen vorgesehen waren, standen zwar unter einigen Schreibtischen und hätten vielleicht geholfen, – wenn es nicht die Stromausfälle gegeben hätte. Aus ein paar Räumen drang Qualm. Dort glühte auf einem Stück Blech etwas Holzkohle. Da der Strom nicht funktionierte gab es auch kein Licht. Aus den Wasserhähnen lief kein Wasser. Die Toiletten funktionierten natürlich auch nicht. Zu essen gab es nirgends etwas mittags. Zu Jahresbeginn gab es einige Monate auch kein Geld. Die Leute kamen zwar ins Büro, aber ohne Bezahlung, weil das Budget noch nicht freigegeben war. War insofern nicht so tragisch, als der Lohn sowieso ein Witz war. Über all das sprach man wenig. War ja sowieso bekannt. Man sagte nur: oh, das Ministerium! Vergiss es. Da läuft überhaupt nichts. Es war nur folgerichtig zu sagen: wir machen unsere eigene Infrastruktur und machen unser Projekt, Punkt. Hätte man angeboten mit dem Ministerium zu arbeiten hätten allein die Material- und Dienstwagenanforderungen bereits einen wesentlichen Teil des Projektbudgets aufgezehrt, ohne dass bis dahin im Gelände auch nur ein Schritt gemacht worden wäre bezüglich Projektarbeit. Man hätte bei Licht besehen das Ministerium abreissen und neu bauen müssen, die Leute ausbilden -, vernünftige Gehälter und das Budget für das Ministerium bezahlen müssen. So stellte sich seinerzeit die Zusammenarbeit mit dem Ministerium dar. Trotzdem war in der Projektkonzeption, so wie sie war, ein Denkfehler. Logisch durchdacht hätte man sehen müssen, dass die Projektarbeit am Geldtropf der deutschen Entwicklungshilfe hing, und nur solange funktionierte wie dieser Geldtropf zur Verfügung stand. Alle anderen Schlussfolgerungen waren blauäugige Schönfärberei. Wenn aber dieser Verdacht nicht auszuräumen ist, dann darf man nicht auf anderslautenden Annahmen ein riesiges Regionalentwicklungsprojekt aufbauen. Dieses Projekt kostete viel Geld, und es konnte nicht unterstellt werden, dass nach erfolgreicher Übergabe der gut funktionierenden Projektkomponenten aus der Regionalentwicklung ein
“Selbstläufer” wird, dass sich daraus eine Dynamik entwickelt die zu einer blühenden Provinz Paktia führt, mit Modellkarakter für die afghanische Regierung, um dann auf andere Provinzen übertragen zu werden! Wenn ich mit meinen Counterparts über dieses Thema sprach sah ich skeptische Gesichter. Sie arbeiteten gerne mit dem Projekt und fanden es gut.
Sie hatten zum Teil Stipendien in Deutschland erhalten, sie wussten worum es ging. Aber sie sagten, dass ihre Autorität im Projekt direkt mit der aktiven Rolle des Projekts zusammen hing. Sie fürchteten, dass sie keinen Einfluss mehr auf die Dinge haben werden wenn die Deutschen nicht mehr im Projekt arbeiten. Im Gegenteil: da würde ihnen das Leben sauer gemacht, von denen in den Amtsstuben, die insgeheim neidisch auf sie waren, die sich auch Hoffnungen gemacht hatten einen Dienstwagen vom Projekt benutzen zu können.
Die Counterparts sagten, sie seien dann nicht mehr mobil, weil sie keinen Einfluss darauf haben werden was mit den Dienstwagen passiert. Sicherlich sei es so, dass sich das Ministerium die Dienstwagen holen würde. Aber das sei letztlich auch egal, denn die Dienstwagen wären dann binnen kurzem sowieso nicht mehr einsatzfähig. Wer würde Ersatzteilbestellungen machen, wer würde die Ersatzteile mit welchem Geld bezahlen, wer wird das Benzin bezahlen für die Dienstfahrten? Und überhaupt, die Durchführung der Programme ist doch vollständig von den Deutschen finanziert. Die Arbeiter, die Werkzeuge, die Lastwagen, die Erdbaumaschinen, die Betonmischer, der Zaun, alles! Die ganze Projektinfrastruktur bezahle doch das Projekt. Zum Beispiel das Krankenhaus, die Medikamente, die Gehälter des Pflegepersonals.
“Nein nein, das funktioniert nicht mehr nach der Projektübergabe”, meinten meine Counterparts. Nun, vielleicht war dieser Standpunkt etwas übertrieben. Die Aufforstungen des Projektes haben durchaus eine Chance zu wachsen, und alles was an Ausbildung getan wurde hat sicherlich eine Langzeitwirkung. Das Sägewerk war so konzipiert, dass es sich selbst finanziert. Die Produktion von Obstbäumchen in den Pflanzgärten erfreute sich großer Nachfrage: die Pflanzgärten konnten sich aus Einnahmen vom Pflanzenverkauf selbst finanzieren. Biologischer Flussverbau, Erosionsschutz und viele andere Maßnahmen wurden von den Bauern gerne übernommen und von Ihnen später selbst praktiziert werden. Die Dorfanpflanzungen haben durchaus eine gute Chance zu bestehen, weil die Frauen dafür kämpfen werden sie zu schützen.
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