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Winnetou 4
Von jetzt an war es mir klar, daß diese sechs Personen weder Künstler noch sonst etwas Anständiges seien, und es tat mir fast leid, ihnen gegenüber die Rolle eines beinahe Minderwertigen gespielt zu haben, während sie es doch waren, denen es, mochten sie sein, was sie wollten, an der gewöhnlichsten Intelligenz gebrach. Denn daß ich aus einem Haufen von zwanzig Sätteln grad die fünf besten auszusuchen verstand, mußte ihnen ganz unbedingt sagen, daß ich höchstwahrscheinlich nicht der Tolpatsch sei, für den sie alle mich hielten. Sie aber waren derartig blind dafür, daß mir der eine Peon sogar seine großen Sporen brachte, um sie mir anzuschnallen. Ich ließ das ruhig geschehen.
Pappermann sattelte zunächst die drei Maultiere, sodann die Fliegenschimmel. Diese ließen es sich gefallen, duldeten aber dann nicht, daß sich ihnen jemand von der Seite her näherte. Ich mußte erfahren, ob dies nur die linke, also die Aufsteigeseite, betraf oder auch die rechte. Ich tat also, als ob ich auch von dieser her nahe an sie herantreten wolle, doch wendeten sie sich dabei stets so, daß sie mich vor sich behielten. Auch von hinten ließen sie Niemand heran. Sie flitzten da ganz lebensgefährlich mit den Hufen aus, und zwar alle drei, der eine genauso wie der andere und der dritte. Nun wußte ich genug. Mit diesen drei Hengsten war es viel leichter, über die Mauer zu kommen, als mit den Maultieren, von denen es sich erst zu zeigen hatte, ob sie Schule besaßen oder sich nur zum Lasttragen eigneten.
»Jetzt Anfang, Mr. Burton!« forderte Howe mich auf. »Es wird Zeit! Laßt uns nur erst noch nach dem Garten zurück, damit wir Euch sehen und bewundern können, wenn Ihr angesaust kommt!«
»So helft mir nur erst hinauf!« bat ich, zu einem der Maultiere tretend.
Man hob mich hinauf und eilte dann lachend dem »Garten« zu. Die Peone aber blieben im Freien, Pappermann auch. Er wich ihnen nicht von der Seite und sagte mir durch ein heimliches Nicken, daß ich mich hier auf ihn verlassen könne. Er war der umsichtige, Alles überlegende Mann geblieben, als den ich ihn vor Jahren kennengelernt hatte.
Nun setzte ich das Maultier in Bewegung. Es sah ganz so aus, als ob es aus eigenem Willen vorwärts gehe, erst langsam, dann etwas schneller. Es lief geradeaus, nach links, nach rechts, scheinbar ganz nach Belieben. Es drehte sich um, machte einen Bogen, wendete wieder, trottete weiter und versuchte sogar einen Trab. Ich rutschte hin und her. Ich schuckerte. Ich verlor zuweilen die Zügel, und ich fuhr hier und da aus den Bügeln. Das sah Alles so urgemütlich aus und war doch in Wirklichkeit ein scharfes, sehr scharfes Examen, welches ich mit dem Maultier unternahm. Es geschah kein Schritt, kein einziger, ohne meinen Willen, und ich bemerkte sehr bald, woran ich war. Das prächtige Geschöpf besaß die beste mexikanische Schulung. Als ich es leise, ganz leise zum Sprung zusammennahm, gehorchte es so genau und so schnell, daß ich kaum Zeit fand, diese Aufforderung durch Gegendruck zu widerrufen. So näherten wir uns der Gartenmauer mehr und mehr, bis wir uns nur noch vier oder fünf Schritte von ihr befanden. Drüben gab es ein höhnisches Gelächter. Man war überzeugt, daß das Maultier mit mir nur so spazierengegangen sei.
»Nun, herüber, herüber, Mr. Burton! Herüber!« rief Howe mir zu.
»Ja, soll ich denn wirklich?« fragte ich.
»Natürlich!«
»So nehmt es mir dann aber auch nicht übel!« »Fällt mir nicht ein! Also kommt!«
»Salto! Alto! Elevado!«
Während ich diese drei, beim Sprung gebräuchlichen Worte rief, schnellten wir hoch empor, über die Mauer hinüber und standen dann so unbeweglich und ruhig da drüben, als ob wir uns gar nicht von der Stelle bewegt hätten. Mein erster Blick war auf den Indsman gerichtet. Seine Augen leuchteten.
»Donnerwetter!« fluchte Howe.
Seine Kameraden ergingen sich in ähnlichen Ausrufungen. »Nun?« fragte ich ihn. »Bin ich jetzt hüben oder noch drüben?« »Hol Euch der Teufel!« schrie er mich zornig an. »Wie es scheint, könnt Ihr dennoch reiten?«
»Scheint? Dennoch? – Habe ich etwa behauptet, nicht reiten zu können?«
Ich glitt aus dem Sattel herab, führte das Maultier aus dem »Garten« in den Hof und band es dort an.
»Warum schafft Ihr das Vieh da hinaus?« wurde ich gefragt.
Ich antwortete nicht, nickte dem Herzle fröhlich zu und ging, um das nächste Maultier zu holen. Dieses tat den Sprung ganz ebenso wie das erste.
»Da habt ihr es!« schrie Howe. »Der Kerl kann reiten! Er hat gelogen!«
Ich ließ diese Beleidigung ungerügt und schaffte das Maultier ebenso in den Hof wie das vorige. Dann bat ich das Herzle:
»Bitte, laß, während ich das dritte hole, meinen Koffer herunterbringen, hierher auf unsern Tisch!«
Als ich dann an die Stelle kam, wo die Peone warteten, sagte der eine von ihnen zu mir:
»Sir, es scheint, Ihr wollt Euch einen Spaß mit uns machen?«
»Wenn dies der Fall wäre, so hätte ich nur ganz dieselbe Absicht wie Ihr!« antwortete ich.
»Nehmt Euch in acht, daß nicht etwa Ernst daraus wird!«
»Bei mir wird jeder Spaß zum Ernste. Ist das bei Euch etwa anders?«
Da trat er hart an mich heran und drohte:
»Ich warne Euch!«
»Pshaw!« machte ich wegwerfend
»Ja, ich warne Euch! Aber aus ganz anderem Grund, als Ihr denkt. Pferde sind keine dummen Maultiere. Es werden Euch entweder die Knochen zerschmettert, oder Ihr brecht den Hals!«
»Das wartet ruhig ab!«
Ich hielt es nun nicht mehr für nötig, mich zu verstellen. Ich schwang mich auf das Maultier, welches Pappermann am Zügel hielt.
»Wie wird es mit den Pferden?« fragte er mich leise.
»Ganz ebenso!« antwortete ich.
»Aber sie lassen doch niemand an sich heran!«
»Habt keine Sorge! Ich komme nicht nur hinan, sondern auch hinauf ! »
Nach diesen Worten flog ich über den Platz und über die Mauer hinüber. Als ich den Mulo in den Hof brachte, stand dieser schon fast ganz voller Menschen. Die Sache war publik geworden, und die Leute kamen herbei, ihr beizuwohnen. Dem Wirt war das lieb, weil er dadurch Gäste bekam. Auch die benachbarten Höfe und »Gärten« hatten begonnen, sich mit Zuschauern zu füllen.
Mein Koffer war da. Das Herzle war selbst mit oben gewesen. Sie sagte mir, daß vier Zeugen an unsern Fenstern stünden, drei Polizisten und ein Herr, den man ihr als Corregidor bezeichnet habe.
»Das heißt so viel wie Bürgermeister. Die Leute mexikanischer Abstammung pflegen sich dieses spanischen Ausdrucks zu bedienen«, erklärte ich ihr.
»Er ist erst nachträglich gekommen. Er wurde nämlich von einem der Polizisten geholt, und zwar aus einem mir unbekannten Grund, welcher uns aber, wie er mir versicherte, außerordentlich interessieren wird. Er war sehr höflich. Brauchst du etwas aus dem Koffer?«
»Ja. Zunächst meinen Beratungsrock.«
Ich öffnete den Koffer und entnahm ihm das bezeichnete, aus weißem Leder gefertigte Kleidungsstück, dessen Nähte mit Skalplocken verziert sind.
»Uff!« verwundene sich der Indsman in halblautem Ton. »Das darf nur ein Häuptling tragen! Aber auch nur am Beratungsfeuer und bei Stammesfestlichkeiten!«
Ich zog meinen Rock aus und legte dafür dieses indianische Gewand an.
»Warum?« fragte das Herzle. »Hörst du, wie deine Kontrahenten darüber lachen und spotten?«
»Laß sie es tun. Es kommt sogar noch der Häuptlingsschmuck dazu. Es ist der Pferde wegen. Sie haben indianische Dressur. Sie lassen außer ihrem Herrn kein Bleichgesicht zu sich heran, und auch ich käme, ohne mich umzukleiden, gewiß nicht in den Sattel.«
»Ah! Darum die Bedingung, dich aus- und anziehen zu können, ganz wie es dir beliebt?«
»Ja. Du siehst, daß jedes Wort erwogen war, obgleich auch du selbst nicht wußtest, warum und wozu.«
Als ich den Häuptlingsschmuck aus seiner Hülle rollte, stieß der Indsman einen zweiten Ruf der Verwunderung aus:
»Uff, uff! Das echte, wirklich echte Gefieder des Kriegsadlers, den es jetzt nicht mehr gibt! Sind es fünfmal zehn Federn?«
»Noch mehr«, antwortete ich.
Da stand er ehrerbietig auf und sprach:
»So muß ich meinen Gruß und meine Bitte um Verzeihung – – – »
»Still, still!« unterbrach ich ihn. »Wir sind hier nicht am Beratungsfeuer, und nur um zu den köstlichen Pferden zu gelangen, enthülle ich diese Heimlichkeit, deren Bedeutung man glücklicherweise hier wohl nicht kennt.«
Zu der Art von Schmuck, um die es sich hier handelt, durften nur die zwei äußersten Schwungfedern des Kriegsadlers genommen werden. Der meinige reicht hinten vom Kopf bis auf die Erde herab, ist von sorgfältigster, indianischer Arbeit und hat seine eigene, sehr ergreifende Geschichte. Als ich ihn auf setzte, begannen zwei oder drei von den sechs von neuem zu lachen. Da aber fuhr Howe sie zornig an:
»Schweigt! Seht ihr denn nicht, was es nun geben wird! Er kennt das Geheimnis der drei Hengste! Da gibt es nichts zu lachen! Aber ich hoffe, er bricht trotzdem noch den Hals!«
Ich ging mitten zwischen ihnen hindurch, hinaus zu den Pferden. Da standen die Peone. Keiner von ihnen sagte ein Wort – aber wenn Blicke die Wirkung von Büchsenkugeln besäßen, so wäre ich unter den ihren sofort zusammengebrochen. Die Fliegenschimmel hielten sich noch eng beisammen. Ich schritt langsam auf sie zu. Sie betrachteten mich, ohne sich zu bewegen. Ihre rötlichen Nüstern blähten sich. Ihre kleinen Ohren begannen, zu spielen. In ihre langen, prächtigen Schwänze kam Bewegung. Zwei von ihnen ließen mich heran; der dritte aber schnaubte. Er wich zurück, doch ohne nach mir zu schlagen oder zu beißen. Der war der Klügste. Den hob ich mir auf bis zuletzt. Er hatte eine kleine, hellweiße Mouche grad über der Nase, kaum so groß wie ein Pfennig, ein tiefklares und gesundes Auge, ein charaktervolles, trockenes Köpfchen, eine seidenglänzende Haut und einen so tadellosen Bau, daß ich schon jetzt, wo er mir noch gar nicht gehörte, beschloß, ihn für mich selbst zu nehmen. jetzt aber schwang ich mich auf einen der beiden andern. Er ließ sich das ohne jeden Widerstand gefallen, trug mich zweimal im Galopp und im Kreis herum und flog dann mit mir über die Mauer, als ob sie nur eine niedrige Stufe sei. Lauter Beifall erscholl in den Höfen. Die sechs »Künstler« aber waren still. Ich brachte das Pferd bei den Maultieren unter und ging dann hinaus, um das zweite zu holen. Auch das gelang. Als ich dann zum letzten Male hinaus zu den Peonen kam, trat der von ihnen, welcher mich schon einmal angesprochen hatte, auf mich zu und sagte:
»Sir, Ihr gebt doch wohl zu, daß Ihr darauf ausgegangen seid – – »
»Euch eine Lektion zu erteilen?« unterbrach ich ihn. »ja, das wollte ich allerdings.«
»Nun gut! Es ist geschehen. Dabei soll und muß es aber nun sein Bewenden haben! Wir machen nicht mehr mit!«
»Ich auch nicht! Ist überhaupt gar nicht nötig! Wir werden ja gleich fertig sein!«
»Noch nicht ganz. Denn auf dieses Pferd kommt Ihr nicht!«
Er ging von vorn auf den Hengst zu, um ihn am Zügel zu fassen; ich aber war schneller als er. Das Pferd, welches ihn kommen sah, dachte, er wolle in den Sattel. Es wendete ihm Kopf und Brust zu und schnaubte ihm drohend entgegen. Das benutzte ich. Mit einigen schnellen Schritten kam ich von hinten – – ein kräftiger Ansatz, ein Sprung, ein Schwung, und ich saß oben. Nun aber schnell in die Bügel und an die Zügel! Da ging der Schimmel auch schon mit allen Vieren in die Luft. Der Peon war gezwungen, auf die Seite zu springen, um nicht von den Hufen getroffen zu werden.
»Hund!« brüllte er mich an. »Das sollst du mir büßen!« Und zu seinen Kameraden gewendet, fügte er hinzu: »Kommt schnell hinein in den Hof! Die Abmachung darf nichts gelten! Er muß sie alle wieder herausgeben, sie alle!«
Er rannte mit ihnen fort. Da ich nun einmal auf dem Pferd saß, konnten sie mich nicht mehr daran hindern, nun auch den letzten Sprung noch auszuführen. Es galt also nur noch, mich um den wohlverdienten Ertrag meiner Mühe zu bringen. Darum beeilten sie sich, mir womöglich noch vorauszukommen. Sie waren nämlich überzeugt, daß dieses letzte Pferd mir nicht so willig gehorchen werde wie die beiden vorangehenden. Aber da irrten sie sich. Nun ich einmal fest im Sattel saß, unternahm es keinen Versuch, mich abzuwerfen. Das war die Wirkung der indianischen Kleidungsstücke. Aber es hatte mich trotz derselben doch wiedererkannt. Es wußte, daß ich kein Roter, sondern ein Weißer sei, und darum zögerte es. Ich hütete mich, es durch die Sporen zu zwingen. Ich gab vielmehr gute Worte. Weil ich der Ansicht war, daß es einer Dakotakreuzung entstamme, versuchte ich es erst in dieser Sprache, und zwar mit den bei den Dakotastämmen gebräuchlichen Anfeuerungsworten für Pferde:
»Schuktanka waschteh, waschteh! Tokiya, tokiya – sei gut, sei gut, liebes Pferd! Lauf, lauf; geh weiter!«
Diese Aufforderung war ohne allen Erfolg. Ich setzte den Versuch also im Apatsche fort:
»Yato, yato! Tatischah, tatischah – – sei lieb; sei gut! Lauf, lauf!«
Es spitzte die Ohren und wehte mit dem Schwanz. Es kannte als diese Worte, die aber noch nicht die richtigen waren. Darum probierte ich es nun mit dem Komantsche:
»Ena, ena! Galak – – geh weiter; geh —
Ich hielt mitten in diesem Zuruf inne. Ich hatte nicht nötig, ihn zu vollenden, denn der Hengst stieß einen tiefen Ton der Freude aus und begann sofort, mit allen Hufen zu spielen. Und da kam mir eine Idee, die eigentlich weit hergeholt erschien, sich aber dann später als wahr erwies. Es fiel mir nämlich der edle, dunkle Rotschimmel ein, den mein Freund Apanatschka, damals noch Häuptling der Naiini-Komantschen, mit großer Vorliebe geritten hatte. Ich habe dieses Pferd in »Old Surehand« Band 3 Seite 51 erwähnt und beschrieben. Und ich wußte, daß sowohl Apanatschka als auch Old Surehand sich große Mühe gegeben hatten, diesen schönen Komantschenschlag mit Winnetous Lieblingen und besten Dakotatrabern zu vereinen, um Pferde zu ziehen, in denen die Vorzüge dieser drei Rassen zusammenflossen. Dieses Vorhaben war gelungen. Sie besaßen nun Beide mehrere große Züchtereien, deren bedeutendste drüben am Bijou-Creek liegt, der ein Nebenfluß des südlichen Platte ist. Dort hatte Old Surehand sich zu den Wirtschaftsgebäuden ein Wohnhaus bauen lassen, in dem er einige Monate des Jahres zuzubringen pflegte. Dieser mit sehr gutem Geschmack eingerichtete Landsitz war gemeint, als er mir in seiner Mitteilung schrieb: »Betrachte mein Haus als das Deinige, auch wenn wir nicht daheim sind.« Sollten die drei Fliegenschimmel von dorther kommen? Vielleicht auch die Maultiere? Sollten die sechs sogenannten »Künstler« samt ihren Peonen Pferdediebe sein? Unmöglich war das keineswegs. Trinidad ist seines Pferdehandels wegen weithin bekannt und für derartiges Gesindel ein ebenso bequemer wie gesuchter Ort, die geraubte Ware an den Mann zu bringen.
Das alles fuhr mir jetzt blitzschnell durch den Kopf, ohne daß ich aber Zeit hatte, den Gedanken festzuhalten und weiterzubewegen. Der Fliegenschimmel begann, wie bereits gesagt, mit allen vier Hufen zu tänzeln und zu spielen. Seine beiden Freunde und Verwandten waren fort. Er wollte ihnen nach, wollte zu ihnen. ich nahm ihn fest zusammen und legte ihn dann in Galopp, aber nur bis an die Mauer. Da blieb ich halten. Er bat in tiefknurrenden Tönen, ihn doch hinüber zu lassen. Das hatte ich hören wollen. Er war nicht stumm; er sprach! Nun erfüllte ich seinen Wunsch. Die Mauer wurde, wie der Reiter vorn Fach sich auszudrücken pflegt, von dem Hengst »mit höchster Eleganz genommen«.
»Gewonnen, gewonnen! Die Pferde sind sein, sind sein!« ertönte ein vielstimmiger Ruf.
Pappermann war schleunigst hinter mir hergerannt. Ich übergab ihm das Pferd, um es zu den anderen in den Hof zu schaffen.
»Halt! Dableiben!« rief Howe ihm befehlshaberisch zu. »Der Hengst gehört uns, und die anderen alle auch. Sie müssen wieder herein, hierher, zu uns!«
Er griff nach den Zügeln. Da trat ich zu ihm heran und antwortete:
»Hand ab vom Gaul! Ich zähle bis drei: Eins – – zwei – – drei – —! »
Er ließ nicht los. Darum stieg ich ihm bei »drei« die Faust in die Seite, daß er mitten unter seine Kameraden hineinflog und dann zur Erde stürzte. Er wollte sich augenblicklich aufraffen, um mir diesen Stoß schleunigst zu vergelten brachte dies aber nicht fertig. Er konnte sich nur langsam wieder erheben, und ehe dies geschah, hatte sich schon ein Anderer seiner Sache angenommen, nämlich der Peon, von dem ich ein »Hund« genannt worden war. Er kam mit geballten Fäusten auf mich zu und schrie:
»Schlagen, schlagen willst du auch? Das soll dir wohl nicht gut – – —«
Er kam nicht weiter. Er wurde von dem neuen Wirt unterbrochen, welcher soeben in den »Garten« trat, gefolgt von einigen robusten, muskelstarken Männern, die er sich schnell zusammengewinkt hatte, um grad im entscheidenden Augenblick mit ihnen dazwischen zu treten.
»Still, still! Haltet den Schnabel!« überschrie er den Peon. »Hier kommt das Essen! Die Suppe! Macht eure Sache aus, wenn gegessen worden ist! In meinem Hotel ist es nicht erlaubt, sofort mit allen Fäusten dreinzuschlagen! Sondern hier heißt es, erst die Henne und dann das Geschäft!«
Der Mann war pfiffig. Um den Peon zu beruhigen, warf er die Schuld zunächst auf mich, winkte mir dabei aber mit den Augen die Bitte zu, mir das »sofort mit allen Fäusten dreinschlagen« nicht etwa zu Herzen zu nehmen. Während die anderen hinter ihm die Teller und Bestecke brachten, trug er die Terrine mit der Hühnersuppe. Er griff während seiner Worte hinein, zog die alte, ausgekochte Henne an einem Beine heraus und hob sie so hoch empor, daß jedermann sie sehen könnte. Was er so klug berechnet hatte, das geschah. Aus den anliegenden Höfen und »Gärten« scholl ein lautes Gelächter zu uns herüber, und eine Menge von lustigen Stimmen rief durcheinander:
»Ganz richtig! Ganz richtig! Erst die Henne und dann das Geschäft! Vivat die Henne! Sie lebe hoch!«
Das wirkte.
»Well!« rief der Peon. »Es sei! Erst die Henne und dann die Pferde! Setzt euch! Wir essen! Dieser Mr. Burton kann warten, bis wir fertig sind!«
»Nein! Er soll nicht warten!« entgegnete Howe, der nach seinem Stuhl hinkte, um sich zu setzen. »Er soll uns Musik machen! Tafelmusik! Er bläst die Ziehharmonika, und Mrs. Burton spielt Gitarre!«
»Ja, das soll er, das soll er!« stimmte der Peon ihm bei, indem er mir gebieterisch winkte. »Her mit der Ziehharmonika! Und her mit der Gitarre!«
»Sogleich!« antwortete ich. »Sogleich!«
Ich trat zum Herzle, nahm die zwei Revolver aus den beiden Außentaschen des vorhin abgelegten Rockes und fragte sie:
»Kannst du dir denken, was jetzt kommen muß?«
»Ja«, antwortete sie.
»Und hast du Mut?«
»Ich denke es!«
»So komm!«
Ich spannte beide Revolver und gab ihr den einen in die Hand. Bis jetzt hatte ich so gestanden, daß man die Waffen nicht sehen konnte. Nun aber drehte ich mich um und ging auf die Tafel zu, das Herzle folgte mir sogleich. Die rechte Hand mit dem Revolver hebend, sagte ich:
»Hier meine Ziehharmonika!«
»Hier meine Gitarre!« drohte das Herzle.
»Das Spiel beginnt!« fuhr ich fort. »Wer von euch etwa auch nach der Waffe greift, bekommt auf der Stelle eine Kugel! War unser Essen vorhin für euch, so ist das eure nun für uns! Bitte, Mr. Pappermann, greift zu! Hinüber zu uns mit dem Tafeltuch! Hinüber mit Besteck und Geschirr! Und hinüber mit der Henne!«
Einige Augenblicke lang herrschte rundum tiefes Schweigen. Ich sah, daß der Revolver in der Hand meines Herzle leise bebte. Sie griff mit der anderen Hand nach meinem Arm, um fest zu sein. Aber die Drohung wirkte. Keiner der »Künstler« und Peone wagte, sich zu rühren. Und nun brach rundum ein jubelnder Beifall los.
»Hinüber auch mit der Henne!« rief, schrie, lachte und spottete Alles, was eine Stimme besaß. »Hinüber, hinüber! Mit der Henne, mit der Henne!«
Pappermann griff zu, meine Weisung auszufahren, und Niemand hinderte ihn, es zu tun. Da entstand ein Gedränge draußen im Hof. Es wollte jemand von dort heraus in den »Garten«.
»Der Corregidor kommt!« hörte ich sagen. »Der Corregidor!«
Also der Herr Bürgermeister selbst! Und hinter ihm die drei Polizisten. Also unsere Zeugen. Aber sie kamen nicht nur als Zeugen, sondern aus einem noch ganz anderen, viel gefährlicheren Grund. Der Corregidor wendete sich, als er uns erreichte, zunächst an mich:
»Steckt die Revolver ein, Mr. Burton! Sie haben ihren Dienst getan und sind nun, da ich mich der Angelegenheit selbst annehme, nicht mehr nötig. Die Pferde und Maultiere sind Euer. Kein Mensch kann sie Euch nehmen. Und auch Euer Geld gehört Euch wieder!«
»Oho!« rief der schon wiederholt erwähnte Peon, der unsere Waffen nicht mehr auf sich gerichtet sah. »Dazu gehören wir wohl auch!«
»Allerdings gehört Ihr auch dazu! Gerad Ihr! Besonders Ihr! Es verlangt mich sehr, Euern Namen zu erfahren! Aber nicht etwa einen falschen, sondern nur den richtigen!«
»Meinen Namen!« fragte der Peon. »Warum? Wozu? Falsche Namen führe ich überhaupt nicht!«
»Ich kenne wenigstens zehn bis elf, die Ihr bisher brauchtet, um Euch zu verstecken. Euer wirklicher Name ist Corner. Unter dem letzten falschen Namen wurdet Ihr wegen Raub und Pferdediebstahl unten in Springfield verurteilt, seid aber ausgerissen!«
»Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge! Das ist eine Schändlichkeit! Ich bin ein ehrlicher Mann und habe niemals einen anderen Menschen auch nur um den Wert eines Cent gebracht!«
»Wirklich? – Wollt Ihr eine Person sehen, welche das Gegenteil nicht nur behauptet, sondern dasselbe auch beweist?«
»Bringt sie mir!«
»Da ist sie!«
Der Beamte tat bei diesen Worten einen Schritt zur Seite, damit der bisher hinter ihm stehende Polizist zu sehen sei. Dieser nickte dem Peon ironisch zu und sagte:
»Ihr kennt mich wohl, Mr. Corner? Ich war es, der Euch in Springfield arretierte, und wiederhole das nun heute mit großem Vergnügen. Bin inzwischen hier in Trinidad angestellt worden!«
Kaum hatte der Peon diesen Polizisten gesehen und seine Worte gehört, so rief er aus:
»Dieser Schurke ist hier, dieser Schurke! Hole Euch alle der Teufel – der Teufel! Kommt, kommt!«
Indem er diese letzte Aufforderung an seine Kumpane richtete, tat er einen Sprung, der ihn aus unserer Nähe brachte, und rannte spornstreichs davon, aus dem Garten auf das Ödland hinaus und nach der Stelle zu, auf welcher die Pferde standen.
»Ihm nach, ihm nach! Er will fliehen!« befahl der Corregidor, indem er gleich in eigener Person hinter ihm herrannte. Aber der Peon floh nicht allein. Seine sämtlichen Komplizen waren aufgesprungen und folgten seinem Beispiel mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, aus welcher zu sehen war, daß sie in Beziehung auf derartige Vorkommnisse bedeutende Uebung besaßen. Auch ich bin gewohnt, sehr schnell zu handeln, wenn es einmal zu handeln gilt. Ich griff also so rasch wie möglich zu, aber es gelang mir nur, gerad den letzten von ihnen noch zu erwischen und festzuhalten. Er wollte sich zwar wehren und losreißen, aber Pappermann, der überaus kräftig war, nahm ihn mir aus den Händen, warf ihn zu Boden und kniete ihm derart auf die Brust, daß er sich nicht mehr rühren konnte.
Nun sah man sie laufen, alle, alle. Voran die Fliehenden, hinter ihnen her ihre Verfolger. Die Ersteren erreichten ihre Pferde, schwangen sich auf und jagten davon, indem sie das vierte Maultier und auch das Pferd ihres von uns überwältigten Kameraden mitnahmen.
»Schurken!« rief dieser zornig aus, als er das sah. »Was wird nun aus mir!«
»Das kommt auf dich an«, antwortete ich.
»Wieso?« fragte er.
»Warte!«
Meine Aufmerksamkeit wurde nämlich durch die fast drollige Szene, die sich jetzt da draußen entwickelte, angezogen. Es hatten sich nicht etwa nur einige, sondern alle Anwesenden an der Verfolgung beteiligt. Ausgenommen waren nur Pappermann, der Wirt mit seinen Leuten, der Indianer, meine Frau und ich. Auch die Nachbarn mit ihren Zaun- oder vielmehr Mauergästen waren herübergesprungen und den Flüchtlingen nachgerannt. Es fiel ihnen jetzt, da diese davonritten, gar nicht etwa ein, stehenzubleiben oder gar umzukehren, sondern wir hörten den Corregidor rufen:
»Schnell nach den Corrals! Und dann hinter ihnen her!«
Corrals sind umzäunte, freie Plätze, in denen man die Pferde unterbringt. Solcher Plätze gab es für die Bewohner von Trinidad mehrere. Ihnen eilte man jetzt zu, um sich schleunigst auch beritten zu machen und dann den Spuren der so schnell Verschwundenen zu folgen. Nun waren wir allein, und ich wendete mich an den Gefangenen, der von Pappermann noch immer festgehalten wurde:
»Steh auf, Bursche! Und höre, was ich dir sage!«
Da ließ Pappermann ihn halb los, so daß er sich erheben konnte. Ich fuhr fort: »Wenn du mir meine Fragen aufrichtig und wahr beantwortest, geben wir dich frei.«