Читать книгу Im Reiche des silbernen Löwen IV (Karl May) онлайн бесплатно на Bookz (8-ая страница книги)
bannerbanner
Im Reiche des silbernen Löwen IV
Im Reiche des silbernen Löwen IV
Оценить:
Im Reiche des silbernen Löwen IV

3

Полная версия:

Im Reiche des silbernen Löwen IV

»Sihdi, wo – – – wo bist du gewesen?« fragte er leise. »Aus deiner Hand strömt – – – Leben – – – Kraft – – – und Genesung! Warst du vielleicht – – – im Schlafe dort, wo – – wo – – wo – – —«

Er sprach nicht weiter, sondern er schlief ein.

Dann ging ich wieder durch den Garten und nach der Pferdeweide dahinter. Es war etwas in mir, was mich drängte, die dort so nahen Ruinen einmal in größerer Deutlichkeit als bisher vor mir liegen zu haben. Ich ahnte, daß in ihnen der Anfang des Endes liege, dessen Fäden jetzt in meine leider noch so schwache Hand gegeben waren. Das Gehen fiel mir heut schon wieder leichter als noch gestern. Meine kräftige Natur begann, sich geltend zu machen. Die Pferde seitwärts lassend, wendete ich mich der Stelle des alten Mauerwerkes zu, wo die letzten Büsche des Weidelandes standen. Dort war einer der cyklopischen Steine zu irgend einem Zwecke aus den Fugen gehoben und auf die hohe Kante gerichtet worden. Er warf nach Nord den Schatten. Da wollte ich mich niedersetzen und das Gemäuer in Augenschein nehmen. Aber es saß schon jemand da – – Schakara. Meine Schritte waren im Grase unhörbar gewesen. Sie wurde auf mein Kommen erst aufmerksam, als sie meinen Schatten neben dem des Steines erscheinen sah. Da wendete sie den Kopf, wer es wohl sein möge. Als sie mich erblickte, wollte sie aufstehen, aber ich bat sie, ruhig sitzen zu bleiben, und nahm in ihrer Nähe Platz.

Sie zeigte nicht die geringste Spur von Verlegenheit, während ein europäisches Mädchen, in derselben Beschäftigung überrascht, gewiß aufgesprungen und davongelaufen wäre. Sie hatte nämlich ihre langen, schweren, dunklen Flechten geöffnet und war soeben dabei, dieses fast überreiche Haar durch den Kamm zu glätten.

»Laß dich nicht stören, Schakara!« sagte ich. »Hier bin ich Kurde und nicht Europäer.«

»Europäer – – – ?« Sie sah mich fragend an. Dann kam es wie Verständnis über sie: »Ist es bei euch eine Schande für die Frauen, ihr Haar vor euren Augen zu berühren?«

»Zwar keine Schande, aber auch keine Ehre. Unsere Frauen zeigen ihr Haar nur in künstlich geordnetem Zustande.«

»Künstlich geordnet?« lächelte sie. »Also ist bei euch diese Ordnung nicht Natur, sondern Kunst? Vielleicht ist das richtig; ich verstehe es nicht.«

Wie einfach und unbefangen das klang! Wie hell und sorglos sie mich dabei anschaute! Und wie unbedenklich sie dann in ihrer Beschäftigung fortfuhr! Ich richtete mein Auge auf die Ruinen, zunächst ohne weiter zu sprechen. Kein Lufthauch war zu spüren. Es herrschte tiefe Stille, und nur – – – – was war denn das? Während Schakara ihr Haar bewegte, war jenes laut knisternde, ganz eigenartige Geräusch zu hören, welches entsteht, wenn elektrische Fünkchen überspringen. Sie bemerkte meine schnelle Kopfbewegung und fragte:

»Wolltest du mir etwas sagen, Effendi?«

»Eigentlich nicht; aber, knistert dein Haar stets so, wenn du es ordnest?«

»Ja. Oft noch viel lauter.«

»Seit wann?«

»So lange ich mich besinnen kann.«

»Kennst du noch andere Personen, bei denen dasselbe Geräusch entsteht?«

»Nur eine einzige, nämlich Marah Durimeh. So oft ich ihr die langen, weißen Zöpfe flocht, erklang ihr Haar in diesen lieben Tönen, und in den Händen war es mir, als sprängen tausend Funken auf mich über. Sie sagt, das müsse sein, wenn sich nichts Fremdes zwischen Leib und Seele stelle. Hast du es noch nicht gekannt, Effendi?«

»Doch!«

»Bei vielen?«

»Nein; nur bei einem, bei mir. Darum konnte ich nicht vergleichen und nach den Ursachen suchen.«

»Die Ursache ist das Leben, ist die Seele. Ist diese ungeschwächt, so hat sie auch die Kraft, zu zeigen, daß sie Ueberschuß an Lebensvermögen besitze.«

»Wie du so sprichst, Schakara!«

»Wie soll ich anders reden? Ich hörte es von Marah Durimeh, die meine Lehrerin gewesen ist, so lange ich lebe. Sie liebt dies Knistern sehr; sie pflegt es sogar; sie wird besorgt, wenn es sich einmal mindert. Sie spricht von ihm, wenn sie aus alter Zeit erzählt, als noch kein Mensch von Krankheit etwas wußte. Hat sie dir nicht gesagt von jenem fremden Dichter, der seine Poesie, die er verloren hatte, an diesem Knistern, als sie dann wiederkam, sofort erkannte? Das war das Roß der Himmelsphantasie, der treue Rappe mit der Funkenmähne, der keinen andern Menschen trug als seinen Herrn, den nach der fernen Heimat suchenden. Sobald sich dieser in den Sattel schwang, gab es für beide nur vereinten Willen. Die Hufe warfen Zeit und Raum zurück; der dunkle Schweif strich die Vergangenheiten. Des Laufes Eile hob den Pfad nach oben. Dem harten Felsen gleich ward Wolke, Dunst und Nebel, und durch den Aether donnerte das Rennen hinauf, hinauf ins klare Sternenland. Dort flog die Mähne durch Kometenbahnen, und jedes Haar klang knisternd nach der Kraft, die von den höchsten aller Sonnen stammt und drum auch nur dem höchsten Können dient. Und thaten sich die Thore wieder auf, die niederwärts zur Erdenstunde führen, so tranken Roß und Reiter von dem Brunnen, der aus der Tiefe jenes Lebens quillt, und kehrten dann im Schein der Sterne wieder. Der Reiter hüllte leicht sich in den Silbermantel, den ihm der Mond um Brust und Schultern warf, und seiner Locken Reichtum wallte ihm vom Haupte. Des Rosses düstre Mähne aber wehte, im Winde flatternd wie zerfetzte Strophen, schwarz auf des Mantels dämmerlichten Grund. Und jene wunderbare Kraft von oben, die aus den höchsten aller Sonnen stammt, sprang in gedankenreichen Funkenschwärmen vom wallenden Behang des Wunderpferdes, hell leuchtend, auf des Dichters Locken über und knisterte versprühend in das All.«

Sie hatte langsam und natürlich, ohne alle künstliche Hebung gesprochen, als ob diese Art der Ausdrucksweise eine ihr keineswegs ungewöhnliche sei. Ich war erstaunt, ja wohl mehr als erstaunt. Weniger über die bilderreiche Ausdrucksweise, weil diese dem Oriente eigen ist, als vielmehr über die Tiefe und den dichterischen Wert der Gedanken, welche sie ausgesprochen hatte. Welch ein Denken, Schauen und Empfinden! Welch eine reiche, seltsame Welt in ihrem Innern! Welche Schätze mochte sie in sich tragen, die doch so anspruchslos hier an der Erde saß! Sie begann jetzt, ihr aufgelöstes Haar wieder in Flechten zusammenzulegen. Sie sah dabei nicht zu mir herüber, fühlte aber dennoch meinen auf ihr ruhenden Blick, denn sie sagte:

»Effendi, du forschest in mir. Frage mich doch lieber, wenn du etwas willst! Ich sage es dir ja gern.«

Da erkundigte ich mich denn auch sogleich:

»Du nanntest Marah Durimeh deine Lehrerin. Was hat sie dich gelehrt, und in welcher Weise that sie es?«

»Als echte Muallima[17], die nichts falsch oder überflüssig tut. Sie lehrte mich zunächst das Lesen und das Schreiben. Dann brachte sie mir nach und nach alle jene Bücher, die das enthielten, was ich lernen sollte.«

»Gedruckte Bücher?«

»Nein, zunächst noch nicht. Diese bekam ich erst nach Jahren, als sie glaubte, daß mich fremde oder gar falsche Gedanken nicht mehr beirren könnten. Was ich in der ersten Zeit zu lesen und zu lernen hatte, das schrieb sie alles selbst, nur ganz allein für mich. Sie sagte, das müsse so sein, wenn ich werden solle, was ich zu werden habe. Solche Bücher haben die genaue Mostra[18] zu enthalten, nach welcher die geistige Gestalt zu bilden sei, keinen Strich zu wenig und aber auch keinen zu viel. Weil aber niemals zwei verschiedene Personen ganz dieselbe Begabung besitzen, könne die Form für den einen nicht auch die Form für den andern sein. Darum sei außer der Schule des Lebens jede andere zu eng, die Kleinen in der Weise groß werden zu lassen, daß sich jeder in seiner besondern Eigenart entwickele. – Du siehst mich staunend an, Effendi. Habe ich etwas Törichtes gesagt?«

»Ich staune, ja; aber aus einem ganz andern Grunde, als du denkst. Schakara, ich sage dir: Marah Durimeh ist eine Meisterin! Hat sie noch andere Schülerinnen außer dir?«

»Wer kann das sagen! Sie ist zwar meist verborgen, doch überall geliebt, wo sie erscheint, und jeder lernt von ihr, zu dem sie kommt. Mich aber hat sie einst zu sich geholt; ich war und blieb bei ihr und teilte alles, was sie trug und tat. Sie gab sich wohl mit keiner so viel Mühe wie mit mir, und was ich bin, das habe ich nur ihr allein zu danken.«

»So weiß sie, daß du jetzt hier bei dem Ustad bist?«

»Ja. Ich bin sogar in ihrem Auftrag hergekommen, von dem er allerdings bis jetzt noch nichts erfahren hat. Ich mußte erst studieren.«

»Was oder wen? Darf ich es wissen?«

Da schlug sie ihre klaren Augen groß und voll zu mir auf und antwortete:

»Mir ist, als ob ich vor dir kein Geheimnis haben dürfe, als müsse ich dir alles sagen, was in mir ruht, und auch was mich bewegt. Drum will ich nicht verschweigen, daß ich den Ustad prüfe; weshalb, wozu, das weiß nur Marah Durimeh. Auch ist die Gegend, wo er wohnt, für mich von Wichtigkeit. Es liegt hier in der Nähe viel begraben, was auferstehen will. Er selbst spricht ja von seiner eignen Gruft, doch ist das wohl nicht richtig. Schau diese Mauern an, die hoch und stark sich hier vor uns erheben, als ob sie Heimlichkeiten zu verbergen hätten, die keines Menschen Auge sehen dürfe! Wer baute dies? Warum in dieser Weise? Aus welchem Grund gab man den Bau nicht völlig erdenfrei? So türmt man doch nur Festungen empor, von welchen aus man blutig herrschen will! Wozu Tyrannensitze für den Vater, der liebend zu den Kindern niedersteigt, wenn im Gebete sie ihn zu sich rufen? Indem ich dieses frage, muß ich an jene alte Sage denken, die von »Chodeh, dem Eingemauerten« berichtet. Kennst du sie schon, Effendi?«

»Nein.«

»So laß sie dir erzählen!«

Sie schaute zu den Ruinen hinüber, nickte wie unter einem heimlichen Gedanken vor sich hin und begann sodann:

»Das war zu jener Zeit, als der Teufel auf den Gedanken kam, Baumeister zu werden. Er zeichnete viele tausend Pläne, aber keiner war ihm fromm genug. Da sah er ein, daß man jedes Fach, also auch dieses, erst nach und nach zu erlernen habe, und beschloß darum, zu den Menschen in die Schule zu gehen. Da er von unten zu beginnen hatte, so begab er sich zunächst zu einem Volke, welches nur auf Felsen baute. Als seine Zeit bei diesem vorüber war, suchte er ein anderes auf, welches ungeheure Steine aus dem Felsen brach, um sie zu Mauern aufeinander zu türmen. Bei einem dritten Volke lernte er Ziegel streichen und mit Asphalt zu Gebäuden vereinigen, die von scheinbar ewiger Dauer waren. Bei einem vierten richtete er sich auf riesenhafte Pfeiler und Säulen ein, welche selbst unter den schwersten Lasten nicht zusammenbrachen. Bei einem fünften hörte er zum erstenmal von Schönheit sprechen. Die Säulen bekamen freundlichere Gestalt, und die bisher platten Dächer hoben sich empor. Beim sechsten kam der Schmuck dazu und das Bedürfnis, Licht im Raum zu haben. Ein siebentes sah auf die äußere Gestalt und forderte für jedes Bauwerk andre Formen. So legte er sich also auf den »Stil« und weiter noch auf alles, was sonst noch nötig war. Und als er dann vor seiner Meisterprüfung stand, an was für Bauten hatte er, der Teufel, sich geübt? Was glaubst du wohl, Effendi?«

»Erlaube mir, zu hören, nicht zu raten!« antwortete ich.

»An lauter frommen Werken, die nur zur Ehre dessen errichtet worden waren, für den der Teufel nichts als Haß besitzt. Zwar hatte wohl auch er die Frömmigkeit gewollt, denn fromm erscheinen, fördert selbst den Teufel, doch wirklich fromm zu sein, daran geht er zu Grunde. Drum war sein Haß jetzt gar zum Grimm, zur stillen Wut geworden, weil alle diese Bauten der Wahrheit dienten, aber nicht dem Scheine, und er beschloß, in seinem Meisterstück ein Werk zu schaffen, bei welchem alles Schein, nichts aber Wahrheit sei. Er ging in jenes Felsenland zurück, wo er die Lehre einst begonnen hatte, denn dort war Gott ein lieber Himmelsgast und ließ sich oft bei seinen Menschen nieder. Er saß so gern bei ihnen, licht und hehr, im offnen Alabasterberg, sich seiner Sonne freuend. Da kamen sie herbei, die er geschaffen, sie alle, groß und klein, von seiner eignen Hand den Segen zu empfangen. Sie liebten ihn; sie gönnten ihn auch andern; die Eifersucht auf Gott und auf die Seligkeit war ihnen unbekannt. In diesen Menschheitsfrieden trat der Andre, den es gelüstete, sein Meisterstück zu machen. Er brachte seine Scharen, die ihm dienen, und ließ den Neid der Hölle rings verbreiten. Als dann der Herr im Morgenrot erschien, um wieder einen Erdentag zu weilen, da drangen alle, alle auf ihn ein, nur hier bei ihnen noch, sonst nirgends zu erscheinen; die andern Menschen seien es nicht wert. Da neigte er das Haupt und ging betrübt von dannen. Er sprach den Segen nicht, sprach überhaupt kein Wort. Der Andre aber sprach: »Wißt ihr noch nicht, daß Gott sich zwingen läßt? Was ist die Bitte wert, wenn sie nicht zeigt, daß sie auch wirklich will! Beweist ihm euern Ernst, so muß und wird er tun, was ihr begehrt. Ich will euch euern wahren Gott verschaffen; die andre Welt mag andre Götter haben!« Nun sandte er den Neid in Scharen aus, herbeizuschleppen, was er vorbereitet. Und als das nächste Morgenrot erschien, nahm er die göttliche Gestalt des Höchsten an und kam, den frommen Schein ins Werk zu setzen. Er ließ sich licht und hehr im Berge nieder und lächelte voll Huld den Menschen zu. Und als sie ihre Bitte wiederholten und ernsten Nachdruck auf die Worte legten, sprach er im Tone väterlicher Güte: »Ich prüfte euch; drum war ich gestern still; heut aber sag ich euch, ihr habt bestanden. Die Macht der Frömmigkeit ist größer als die meine. Drum nehmt mich hin als euer Eigentum. Ich will nun euch und niemand sonst gehören!« Da flogen die Quader herbei, die Säulen, die Steine, die Ziegel. Der Felsen gab das Fundament; die Mauer klammerte sich fest; sie wuchs empor. Der Teufel saß als Gott im Heiligtume. Doch seine Scharen regten sich, ihn eiligst für das Volk hier einzumauern. Das Bauwerk stieg ihm immer höher, bis an den Leib – – – bis an die Brust – – – bis an den Hals! Und betend lag dabei die Andacht auf den Knieen! Der Kopf verschwand nun auch. Fast war der Berg verschlossen. Da schwang ein dunkler Flederhäuter sich aus der letzten Oeffnung und flatterte in das Verschwundensein. Und in demselben Augenblick erschien der Architekt vor seinem Werke und lobte laut, daß er zufrieden sei. – – – Was war es für ein Bau? Kein Mensch vermags zu sagen. Wo liegt der Berg? Ich weiß es nicht, doch möchte ich ihn finden. Und wenn ich mich nicht irre, bist du bereit, mit mir nach ihm zu suchen, Effendi.«

»Es wäre wohl der Mühe wert, sich hiermit zu beschäftigen,« antwortete ich. »Es steckt in jedem Märchen und in jeder Sage ein Kern, um dessen willen die Dichtung entstanden ist. Jedenfalls enthält auch diese Erzählung von »Chodeh, dem Eingemauerten«, eine Wahrheit, welche in dieser Form gesagt worden ist, um jedermann zugänglich zu werden. Nur meine ich, daß dieser Gottesberg mit seiner zugemauerten Alabasternische nicht an irgend einem geographischen Ort, sondern nur auf rein geistigem Gebiete zu suchen sei.«

»Ich nicht.«

»Wie?« fragte ich überrascht. »Du denkst dir einen wirklichen Berg, auf den ich mit diesen meinen Füßen hier steigen könnte?«

Da flog ein unbeschreiblich schalkhaftes Lächeln über ihr schönes Angesicht, und es klang beinahe wie von oben herab, als sie erwiderte:

»Effendi, Effendi! Willst du mich etwa glauben machen, daß ein Kurmangdschimädchen klüger sein könne als ein Gelehrter aus dem Abendlande? Was meinst du, wenn du von »Wirklichkeiten« sprichst? Ist nur das wirklich, was ich sehe, höre, fühle? Und muß das, was du als »geistiges Gebiet« bezeichnest, von unsern Sinnen niemals wahrzunehmen sein? Sind wir Menschen nicht unendlich verschieden begabt? Der Eine sieht, hört, riecht, fühlt oder schmeckt etwas, wofür der Andere nicht einen einzigen Empfängnisnerven besitzt. Und diesem Andern werden dafür viel tiefere und verborgenere Dinge offenbar, welche der Vorige für unbegreiflich hält. Ich bin nicht wie du, und du bist nicht wie ich; aber indem wir uns gegenseitig vertrauen und ergänzen, können wir uns zu einer Persönlichkeit vereinigen, welcher zu erreichen möglich ist, was wir vereinzelt nie erreichen würden. Das ist so leicht zu begreifen; aber schau um dich und sag, ob man es beherzigt! Der Sonderstolz, Effendi, der Sonderstolz! Du magst meinen, noch so hoch zu stehen, so hast du herabzusteigen, um zu lernen und dich fördern zu lassen. Willst du aber keinem Niederen etwas zu verdanken haben, so stehst du unter ihm, bist niedriger als er! Ich wollte, ich dürfte dir die Berge zeigen, die es für mich giebt, obgleich du sie nicht siehst!«

»Und ich dir auch die meinen!« fiel ich da schnell ein.

»Wo stehen sie?« fragte sie ebenso schnell.

»Da oben an der Grenze, in stiller Einsamkeit. Nur selten kommt ein Mensch, um dort emporzusteigen und heimzukehren in das Wunderland.«

»An der Grenze? Heimkehr? Wunderland? Effendi, du siehst, ich bin überrascht! Meinst du etwa dasselbe wie ich? Dieselben Felsenkronen, die mir so oft im Abendrot erglühten? Dieselben Pfade durch die heil‘ge Stille, in welcher jede Blume und jeder Lufthauch betet? Dasselbe Wasserrauschen, von welchem meine Seele trinkt, noch durst‘ger als die Lippe, die ich kühle? Warst du vielleicht in jenem Tal der Sternenblüten, wo unsichtbar die Seelen wandeln gehen, doch ihrer Füße Spur im grünen Moose lassen? Ich war einst dort mit Marah Durimeh! Wir hörten süßes Flüstern um uns her und leises Wehen, wie von himmlischen Gewändern. Ein Veilchen stand am Quell, das einzige im ganzen, weiten Tale, soeben erst gepflanzt, die Wurzel zärtlich sorgsam eingebettet und dann befeuchtet, daß sie trinken könne. Da kniete Marah Durimeh sich nieder, schloß es mit ihren lieben Händen ein und sprach: »So war er also hier! Ich kenne seine Weise und auch die namenlos Verehrte, die er mit seiner Lieblingsblume grüßt!« Ich wagte nicht, zu fragen, wen sie meine. Jetzt aber denk‘ ich an die Lagerstätte, die ich mit deinen Lieblingsblumen schmückte, damit ihr Duft die Seele dir erhalte. – Nun sag‘, Effendi, kennst du meine Berge? Warst du schon dort? Bist du die Seele, die mit Veilchen grüßt?«

Da stand ich auf und ging zum nahen Erlenstrauch; dort blühten einige Veilchen. Ich pflückte sie und reichte sie der Fragenden. Auch sie stand auf, steckte die Blumen in das Haar, welches nun wieder in vollen Zöpfen niederhing und sagte:

»Ich kenne seine Weise, sprach Marah Durimeh. Effendi, wenn du ins Tal der Sternenblumen kommst und dort ein zweites Veilchen stehen siehst, begieße es, wie ich das deine tränken werde! Es sei fortan auch meine Lieblingsblume. Und nun sag‘ mir: Warum kamst du hierher an diesen Stein! Zwei Menschen, welche gleiche Pfade gehen, die pflegen gegenseitig sich zu ahnen. Dich zogen die Ruinen her zu mir?«

»Ja, Schakara. Dir will ich offen sagen, daß ich sie durchforschen werde, heimlich, bis in ihren tiefsten Winkel. Niemand soll jetzt davon erfahren, außer du.«

»Also treffen wir uns auch hier auf gleichem Wege! Ich war schon oftmals dort, ganz unbemerkt, des Nachts.«

»Warum?«

»Warum? Du weißt ja, was ich suche! Den Berg, die Alabastergrotte, das Meisterstück des Architekten, der Schein auf Schein anstatt der Wahrheit baute. Er kam zuletzt als Flattertier heraus. Was also kann die Grotte nun enthalten? Doch nichts! Leer muß sie sein! Es wurde weder Gott noch Teufel eingemauert. Und doch, und doch bin ich noch nicht am Schlusse; ich muß vielmehr noch weiter, weiter denken. Wo Gott von dem Teufel verdrängt wurde, da kann das Resultat doch wohl in keinem Nichts bestehen. Ich bin nur Weib, und du wirst wahrscheinlich über diese meine Mantyk[19] lächeln; aber es handelt sich hier doch nicht um zwei Körper, welche zusammentreffen und sich wieder trennen können, ohne etwas zurückzulassen, sondern um die Frage, was entstehe, wenn das Gute von dem Bösen verdrängt wird und – – —«

Sie hielt inne. Es ist eben nicht leicht, Göttliches und Teuflisches durch menschliches Denken zu ergründen.

»Schakara, ich bitte dich, laß Mantyk Mantyk sein,« sagte ich. »Du fühlst das Richtige; aber es in Worten auszudrücken, das würde ich nicht wagen. Wenn der Teufel Schein auf Schein getürmt hat, so liegt hinter diesem Scheine sicher etwas Wahres verborgen. Was das ist, das können wir nicht wissen. Gelänge es aber, den Berg zu finden und die Grotte zu öffnen, so würde es sich zeigen. Ahnest du vielleicht einen gewissen Zusammenhang zwischen diesem Berge und dem alten Gemäuer hier im Gebiete der Dschamikun?«

»Ich ahne ihn nicht nur, ich fühle ihn ganz deutlich.«

»Hast du dich nicht gefürchtet, des Nachts so allein in den Ruinen herumzusteigen?«

»Vor Menschen, ja, doch sonst vor nichts.«

»Fandest du Spuren, daß Menschen dort verkehren?«

»Ja. Solche Spuren könnten eigentlich nicht befremden, weil die Neugierde doch gewiß so manchen Dschamiki und auch wohl manchen Andern hinunter in die alten Bauten treibt. Aber ich sah Einiges, was auf keine guten Absichten schließen läßt.«

»Was war das, Schakara?«

»Ich halte es für besser, es dir zu zeigen, statt jetzt davon zu plaudern, ohne daß es Nutzen bringt. Jetzt bist du noch zu schwach für solche Anstrengung, doch wird sich das schnell bessern. Dann steigen wir hinab, und du wirst alles sehen, was ich entdeckte. Man sagte mir, daß du heut‘ den ganzen Tag zu schlafen haben werdest. Effendi, thue es! Es kommen schwere Tage, und du hast stark zu sein. Die Kraft, welche du heut‘ verschwendest, kann dir schon morgen fehlen. Glaube mir, ich meine es gut!«

Das klang so besorgt, so mütterlich, daß ich antwortete:

»Ich werde diesen deinen Rat befolgen, doch nicht sofort, erst nach der Mittagszeit, wenn Pekala – – —«

»Pekala?« fiel sie da rasch ein. »Du wolltest sagen, daß sie dir das Essen bringen werde. Du irrst. Von jetzt an werde ich es sein, die für dich sorgt. Ich lasse dich in keiner andern Hand.«

Ich wollte das nicht acceptieren und brachte meine Gründe dagegen vor. Da öffnete sie das kleine Dschasaltäschchen, welches an ihrem Gürtel hing, nahm ein Pergamentkärtchen heraus, gab es mir und sagte:

»Am Tage nach der Nacht, in welcher man dich und Halef zu uns brachte, sandte ich einen Boten an Marah Durimeh, denn ich hielt es für nötig, daß sie wisse, wie es um euer Leben stand. Ich habe ihr seitdem wiederholt berichtet und Antwort von ihr erhalten. Das Letzte, was sie schrieb, sind diese Worte.«

Ich las:

»Er sei der Geist; du aber sei die Seele, seine Schwester. Das zeige ihm und grüße ihn von mir.

Marah Durimeh.«

Da gab ich ihr das Pergament zurück, legte die Hand auf ihr Haupt und sprach:

»Was meine Freundin sagt, ist immer richtig. Ich will dein Bruder sein; so sorge denn für mich! Jetzt muß ich hinauf zu mir, um den Brief nach Bagdad zu schreiben. In einer halben Stunde wird er fertig sein.

Dann esse ich mit dir und Hanneh in der Halle, und da du es so willst, versuche ich hierauf, mich auszuschlafen.«

Dieses Programm wurde ausgeführt. Die Boten nach Bagdad hatten sich unten im Dorfe schon bereitgehalten. Sie gingen ab, sobald sie den Brief bekommen hatten, und nahmen eine Kamelsänfte für den dicken Kepek mit. Halef schlief noch fest, als wir uns zum Essen setzten. Ich bin ein mäßiger Esser; heut‘ aber aß ich doppelt so viel als gewöhnlich. Ich wurde von zwei Seiten hart bedrängt und hatte mich zu fügen. Als ich dann nach oben ging, nahm ich die noch immer im Hausgange liegenden Kleidungsstücke des Bluträchers mit, um sie in der »Rumpelkammer« aufzubewahren. Oben bei mir angekommen, trat ich auf die Plattform hinaus, um nach dem Stande der Sonne zu sehen. Es war eine Stunde nach Mittag. Da legte ich mich nieder.

Eigentlich war ich gar nicht müde. Es kamen mancherlei Gedanken, welche Audienz begehrten, und ich gab sie ihnen. Dann nickte ich ein bißchen ein, wachte aber sehr bald wieder auf. Nun griff ich zu künstlichen Mitteln. Ich sagte das ganze große und kleine Einmaleins rück- und vorwärts her, rezitierte in Gedanken Schillers Glocke und noch andere Gedichte, doch alles war vergebens. Dann stand ich wieder auf, zog mich an und schaute nach der Sonne. Es war seit dem Essen kaum eine Stunde vergangen. Was nun thun? In den Werken des Ustad lesen? Seine Zeitungen verbrennen? Ja. Aber da fiel mir ein, daß es doch meine Pflicht sei, einmal nach dem kranken Scheik der Kalhuran zu sehen. Das konnte sofort geschehen. Ich ging also hinab.

In der Halle saßen Hanneh und Schakara noch beisammen. Das Serir[20] aber war fortgetragen worden.

»Es ist mir heut unmöglich, einzuschlafen,« sagte ich. »Darum kann ich mein Versprechen leider nicht halten. Hoffentlich bin ich heut abend müde.«

Da sahen sie einander an. Schakara blieb ernst. Hanneh aber lachte am ganzen Gesicht und sagte:

»Du kannst nicht einschlafen, Sihdi? Was hast du denn da während der ganzen, langen Zeit getrieben?«

bannerbanner