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Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры
Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры
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Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры

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Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры

Dafür war es jetzt an Dora Martin, ein wenig zu lachen, und das tat sie denn auch, besonders heiser und zauberhaft.

«Schwindler!«rief sie, und von dem eigensinnig gedehnten» I «kam sie gar nicht mehr weg.»Sie sind gar nicht im Theater gewesen! Sie haben sich ja versteckt!«Dabei schlug sie ihn leicht mit dem gelben schweinsledernen Handschuh.»Aber das macht nichts«, strahlte sie ihn an.»Sie sollen ja so begabt sein.«

Über diese Feststellung, die überraschend kam, erschrak Höfgen zunächst so stark, daß die helle Röte von seinem Gesicht wich, welches fahl wurde. Dann aber sagte er, mit einer Stimme, die schmelzend klang:»Ich? Begabt? Das ist doch ein ganz unbewiesenes Gerücht…«Die Vokale konnte auch er zerdehnen, nicht nur Dora Martin brachte dies fertig. Seine Sprachkoketterie hatte eigenen Stil, er war keineswegs darauf angewiesen, irgendjemanden zu kopieren. Dora Martin girrte; er aber sang vor Manieriertheit. Dabei zeigte er jenes Lächeln, das er auf den Proben den Damen vorzumachen pflegte, wenn sie verfängliche Szenen zu spielen hatten: es entblößte die Zähne und war ziemlich gemein. Er bezeichnete es als das» aasige «Lächeln. (»Aasiger – verstehst du, meine Liebe? – : aasiger!«mahnte er auf den Proben Rahel Mohrenwitz oder Angelika Siebert, und er machte es vor).

Ihre Zähne zeigte auch Dora Martin; aber während der Mund» babytalk «sprach und der Kopf kokett zwischen den hochgezogenen Schultern steckte, forschten ihre großen, klugen, unbetrügbaren und traurigen Augen in Höfgens Gesicht.»Sie werden es schon noch beweisen, Ihr Talent!«sagte sie leise, und eine Sekunde lang war nicht nur ihr Blick ernst, sondern auch ihr Gesicht. Ernsten Gesichtes, beinah drohend, nickte sie ihm zu. Höfgen, der sich noch vor einer Viertelstunde hinterm Paravent versteckt hatte, hielt ihren Blick aus. Dann lachte die Martin wieder; girrte:»Wir sind viel zu spät!«; winkte und entschwand mit Gefolge. Höfgen war in die Kantine getreten.

Die Begegnung mit Dora Martin hatte ihn auf wunderbare Art aufgeheitert; er schien jetzt in einer geradezu festlichen Laune zu sein. Von seinem Antlitz kam ein gnädiger Glanz. Alle schauten auf ihn, nun beinah ebenso bezwungen, wie sie vorhin auf die Berliner Diva geschaut hatten. – Ehe Höfgen Direktor Kroge und Frau von Herzfeld begrüßte, war er zu Garderobier Böck getreten.»Hör mal, mein Böckchen«, sang er und stand verführerisch da: Hände in die Hosentaschen vergraben, Schultern hochgezogen, und auf den Lippen das aasige Lächeln.»Du mußt mir mindestens sieben Mark fünfzig leihen. Ich will anständig zu Abend essen, und ich habe so ein Gefühl: Väterchen Hansemann verlangt heute Barbezahlung. «Aus den schillernden Edelsteinaugen warf er einen mißtrauisch schiefen Blick auf Hansemann, der mit blauroter Nase unbewegt hinter der Theke saß.

Böck war aufgesprungen; aus Schreck über Höfgens einerseits ehrenvolles, andererseits grausiges Ansinnen waren seine Augen noch wäßriger, seine Wangen dunkelrot geworden. Während er stumm erregt in den Taschen wühlte und Hans Miklas mit gehässig gespanntem Blick den ganzen Vorfall beobachtete, war die kleine Angelika eilig hinzugetreten.»Aber Hendrik!«sagte sie schnell und schüchtern.»Wenn du Geld brauchst – ich kann dir doch fünfzig Mark bis zum Ersten leihen!«Sofort bekam Höfgen fischig kalte Augen. Er sagte hochmütig über die Schulter:»Mische dich nicht in unsere Männergeschäfte, meine Kleine. Böck gibt gerne. «Der Garderobier nickte aufgeregt, während sich die Siebert mit nassen Augen zurückzog. Höfgen ließ, ohne sich zu bedanken, Böcks Silbermünzen nachlässig in seine Tasche gleiten. Miklas, Knurr und die Efeu schauten finster, Böck fassungslos und Angelika weinend hinter ihm drein, während er wiegenden Ganges, immer noch das weiße Seidentuch über den Schultern, das Lokal durchschritt.»Väterchen Schmitz läßt mich nämlich verhungern«, erklärte er, das sieghaft lächelnde Gesicht dem Direktorentisch zugewandt.

Dort wurde er mit einigem Hallo empfangen; sogar Kroge zwang sich zu einer etwas lärmenden und nicht ganz echten Herzlichkeit.»Na, alter Sünder, wie geht's? Haben Sie den Abend gut überstanden?«Er bekam scharfe Falten um den Katermund, fast wie die Motz, und falsche Augen hinter den Brillengläsern; plötzlich war ihm anzumerken, daß er nicht nur kulturpolitische Essays und hymnische Lyrik schrieb, sondern seit über dreißig Jahren mit dem Theater zu tun hatte. – Höfgen und Otto Ulrichs schüttelten sich vertraut, stumm und ausführlich die Hände. Direktor Schmitz sagte etwas belanglos Scherzhaftes, mit seiner überraschend weichen, angenehmen Stimme; Frau von Herzfeld aber lächelte grundlos ironisch, wobei ihre goldbraunen Augen, feucht vor Innigkeit und fast flehend, auf Hendrik gerichtet waren. Er ließ sich von ihr bei der Auswahl seines Abendessens beraten, was ihr Anlaß gab, an ihn heranzurücken und ihren schweratmenden Busen in seine Nähe zu bringen. Sein aasiges Lächeln schien sie nicht abzuschrecken: sie war es gewohnt, und es gefiel ihr.

Als Väterchen Hansemann die Bestellung entgegengenommen hatte, fing Höfgen an, von seiner» Frühlings-Erwachen«-Inszenierung zu sprechen.»Es wird anständig werden, glaube ich«, sagte er ernst; dabei glitten seine prüfenden Augen durch das Lokal, über die Schauspieler hin, wie die Augen eines Feldherrn über Truppen.»An der Wendla kann die Siebert nichts verderben; Bonetti ist kein idealer Melchior Gabor, aber er schafft es; unsere dämonische Mohrenwitz legt eine erstklassige Ilse hin.«– Es geschah nicht sehr häufig, daß er ohne Mätzchen redete, sondern ernsthaft und um der Sache willen, wie eben jetzt. Kroge lauschte ihm achtungsvoll, nicht ohne Überraschung. Es war die Herzfeld, welche die Stimmung wieder verdarb, indem sie sarkastisch-schmeichlerisch, ihr großes, flaumig-gepudertes Gesicht ziemlich nahe bei Höfgen, bemerkte:»Nun, und was den Moritz Stiefel betrifft – da wurde ja gerade von berufenster Seite, von Dora selber, festgestellt, daß der junge Schauspieler, dem wir diese Rolle anvertraut haben, nicht ganz unbegabt ist…«Kroge runzelte mißbilligend die Stirne; Höfgen seinerseits schien die Neckerei zu überhören.»Und wie werden Sie eigentlich als Frau Gabor, meine Teure?«fragte er die Herzfeld ins Gesicht. Dies war offener und derber Hohn. Daß Frau Hedda eine unbegabte Schauspielerin war, gehörte zu den bekannten Tatsachen; auch wußte jeder, daß sie darunter litt. Man spottete gern darüber, daß die kluge Dame es nicht lassen konnte, aufzutreten, und sei es auch nur in bescheidenen Mütterrollen. Auf Hendriks Ungezogenheit hin, versuchte sie, gleichgültig die Achseln zu zucken; dabei aber zog eine ins Violette spielende Röte über die große Fläche ihres unjungen Gesichts. Kroge sah es, und sein Herz zog sich zusammen in einem Mitleid, das nicht weit von Zärtlichkeit war. Kroge hatte vor vielen Jahren ein Verhältnis mit Frau von Herzfeld gehabt.

Um das Thema zu wechseln, oder um auf das einzige Thema zu kommen, das ihn wirklich beschäftigte, begann Ulrichs ohne Übergang vom Revolutionären Theater zu sprechen.

Das Revolutionäre Theater war geplant als eine Serie von Sonntag-Vormittag-Veranstaltungen, die unter der Leitung Hendrik Höfgens und dem Protektorat einer kommunistischen Organisation stehen sollten. Ulrichs, für den die Bühne zunächst und vor allem ein politisches Instrument bedeutete, hing mit zäher Leidenschaft an diesem Projekt. Das Stück, das man für die Eröffnungsvorstellung ausgesucht habe, eigne sich glänzend, sagte er nun, er habe es noch einmal genau durchgearbeitet.»Man interessiert sich in der Partei sehr ernsthaft für unsere Sache«, erklärte er und schaute mit einem bedeutungsvollen Verschwörerblick auf Höfgen, an Kroge, Schmitz und der Herzfeld vorbei, aber doch stolz darauf, daß sie es hörten und daß es sie beeindrucken würde. -»Nun, die Partei wird mir keinen Schadenersatz zahlen, wenn die guten Hamburger mir dann mein Haus boykottieren«, brummte Kroge, den der Gedanke an das Revolutionäre Theater immer skeptisch und verdrießlich stimmte.»Ja«, sagte er noch,»1918 – da konnte man sich solche Experimente leisten. Aber heute…«Höfgen und Ulrichs tauschten einen Blick, der ein hochmütiges und geheimes Einverständnis enthielt und viel Geringschätzung für die kleinbürgerlichen Bedenken ihres Direktors. Der Blick dauerte ziemlich lange, Frau von Herzfeld bemerkte ihn und litt. Schließlich wendete sich Höfgen, etwas väterlich herablassend, an Kroge und Schmitz.»Das Revolutionäre Theater wird uns nicht schaden – sicher nicht – glauben Sie es nur, Väterchen Schmitz! Was wirklich gut ist, kompromittiert einen niemals. Das Revolutionäre Theater wird gut, es wird glänzend! Eine Leistung, hinter der ein echter Glaube, ein wirklicher Enthusiasmus steht, überzeugt alle – auch die Feinde werden verstummen vor dieser Manifestation unserer glühenden Gesinnung. «Seine Augen schillerten, schielten ein wenig und schienen verzückt in Fernen zu schauen, wo die großen Entscheidungen fallen. Das Kinn hielt er stolz gereckt; auf dem fahlen, nach hinten geneigten, empfindlichen Antlitz lag ein siegesgewisser Glanz. ›Das ist wirkliche Ergriffenheit‹, dachte Hedda von Herzfeld. ›Das kann er nicht spielen – so begabt er auch ist.‹ Triumphierend sah sie Kroge an, der eine gewisse Bewegtheit nicht verbergen konnte. Ulrichs machte eine feierliche Miene.

Während alle noch gebannt saßen von den Effekten seines rührenden Enthusiasmus, änderte Höfgen plötzlich Haltung und Ausdruck. Er begann überraschend zu lachen und deutete auf die Photographie eines» Heldenvaters«, die über dem Tisch an der Wand hing: die Arme drohend verschränkt, biederer Blick unter finsterer Braue, breiter Vollbart, sorgfältig ausgebreitet auf einem phantastischen Jägerwams. Hendrik konnte sich gar nicht darüber beruhigen, wie drollig er den alten Burschen fand. Unter vielem Gelächter, nachdem Hedda ihm den Rücken geklopft hatte, weil er am Salat zu ersticken drohte, brachte er hervor, daß er selber ganz ähnlich, ja, fast genau so ausgesehen habe – als er nämlich noch die Väterrollen gespielt hatte, an der Norddeutschen Wanderbühne.

«Als ich noch ein Knabe war«, jubelte Hendrik,»da sah ich doch so phantastisch alt aus. Und auf der Bühne ging ich immer gebückt vor lauter Verlegenheit. In den ›Räubern‹ ließ man mich den alten Moor spielen. Ich war ein hervorragend guter alter Moor. Jeder von meinen Söhnen war zwanzig Jahre älter als ich.«

Da er so laut lachte und von der Norddeutschen Wanderbühne sprach, eilten von allen Tischen die Kollegen herbei: man wußte, daß nun Anekdoten kommen würden, und zwar keine abgestandenen alten, sondern neue, und wahrscheinlich ziemlich gute – es geschah selten, daß Hendrik sich wiederholte. Die Motz rieb sich genußsüchtig die Hände, zeigte Gold im Innern ihres Mundes und konstatierte mit einer grimmigen Aufgeräumtheit:»Jetzt wird es lustig!«Gleich darauf mußte sie einen strengen Blick auf Petersen werfen, weil dieser sich einen doppelten Cognac bestellt hatte. Rahel Mohrenwitz, Angelika Siebert und der schöne Bonetti: alle hingen sie an Hendriks beredten Lippen. Sogar Miklas mußte hinhören, ob er es nun wollte oder nicht: die raffinierten Scherze des Verhaßten nötigten ihm brummige und trotzige kleine Gelächter ab. Da ihr böser Liebling sich amüsierte, wurde auch die dicke Efeu munter. Keuchend trug sie ihren Stuhl in die Nähe von Hendriks Sessel, murmelte:»Die Herrschaften haben doch nichts dagegen!«, ließ ihren Strickstrumpf ruhen und legte sich die rechte Hand trichterförmig ans Ohr, auf daß ihrer Schwerhörigkeit nichts entgehe.

Es wurde ein reizender Abend. Höfgen war blendend in Form. Er bezauberte, er brillierte. Als hätte er ein großes Publikum vor sich, anstatt nur die paar geringen Kollegen, verschwendete er, großmütig-übermütig, Witz, Charme und Anekdotenschatz. Was war nicht alles an dieser Wanderbühne passiert, wo er die Väterrollen hatte spielen müssen! Die Motz bekam schon Atemnöte vor Lachen.»Kinder, ich kann nicht mehr!«schrie sie, und da Bonetti ihr drollig-galant mit dem Tüchlein fächelte, übersah sie, daß Petersen sich schon wieder Schnaps bestellte. Als Höfgen aber dazu überging, mit schriller Stimme, flatternden Gesten und unheimlich schielenden Augen, die jugendliche Sentimentale der Wanderbühne nachzuahmen, da verzog sogar Vater Hansemann die starre Miene und Herr Knurr mußte sein Grinsen hinter dem Taschentuch verbergen. Mehr Triumph war nicht herauszuholen aus der Situation. Höfgen brach ab. Auch die Motz wurde ernst, da sie feststellte, wie besoffen Petersen war. Kroge gab das Zeichen zum Aufbruch. Es war zwei Uhr morgens. Zum Abschied schenkte die Mohrenwitz, die immer originelle Einfälle hatte, Hendrik ihre lange Zigarettenspitze, ein dekoratives, übrigens wertloses Stück.»Weil du heute abend so enorm amüsant gewesen bist, Hendrik. «Ihr Monokel blitzte sein Monokel an. Man sah, daß Angelika Siebert, die neben Bonetti stand, vor Eifersucht eine weiße Nase bekam, und dazu Augen, die tränenvoll und gleichzeitig ein wenig tückisch waren.

Frau von Herzfeld hatte Hendrik aufgefordert, noch eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Im leeren Lokal machte Vater Hansemann schon die Lampen aus. Für Hedda war das Halbdunkel vorteilhaft: ihr großes, weiches Gesicht mit den sanften, klug beseelten Augen erschien nun jünger, oder doch alterslos. Dieses war nicht mehr das betrübte Antlitz der alternden, intellektuellen Frau. Die Wangen wirkten nicht mehr flaumig, sondern glatt. Das Lächeln um die orientalisch trägen, halbgeöffneten Lippen war nicht mehr ironisch, sondern fast verführerisch. Still und zärtlich schaute Frau von Herzfeld auf Hendrik Höfgen. Sie dachte nicht daran, daß sie selber reizvoller aussah als sonst; nur daß Hendriks Gesicht mit dem angestrengten Leidenszug an den Schläfen und dem edlen Kinn blaß und deutlich in der Dämmerung stand, merkte sie und genoß sie.

Hendrik hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Fingerspitzen seiner ausgestreckten Hände gegeneinander gelegt. Diese anspruchsvolle Haltung leistete er sich wie einer, der besonders schöne, gotisch spitze Hände hat. Höfgens Hände waren aber keineswegs gotisch; vielmehr schienen sie den Leidenszug der Schläfen durch ihre unschöne Derbheit widerlegen zu wollen. Die Handrücken waren sehr breit und rötlich behaart; breit waren auch die ziemlich langen Finger, die in eckigen, nicht ganz sauberen Nägeln endigten. Gerade diese Nägel waren es wohl, die den Händen ihren unedlen, beinah unappetitlichen Charakter gaben. Sie schienen aus minderwertiger Substanz zu sein: bröckelig, spröde, ohne Glanz, ohne Form und Wölbung.

Diese Schadhaftigkeiten und Mängel aber verbarg die vorteilhafte Dämmerung. Hingegen ließ sie das träumerische Schielen der grünlichen Augen rätselhaft und reizend wirken.

«Woran denken Sie, Hendrik?«fragte die Herzfeld, nach langem Schweigen, mit einer innig gedämpften Stimme.

Ebenso leise antwortete Höfgen:»Ich denke daran – daß Dora Martin unrecht hat…«Hedda ließ ihn, über seine aneinander gelegten Hände hinweg, ins Dunkel reden, ohne zu fragen oder zu widersprechen.»Ich werde mich nicht beweisen«, klagte er in die Dämmerung.»Ich habe nichts zu beweisen. Niemals werde ich erstklassig sein. Ich bin provinziell. «Er verstummte, preßte die Lippen aufeinander, als erschräke er selber vor den Erkenntnissen und Bekenntnissen, zu denen die sonderbare Stunde ihn brachte.

«Und weiter?«fragte Frau von Herzfeld mit sanftem Vorwurf.»Und weiter denken Sie nichts? Immer nur daran?«Da er stumm blieb, dachte sie: ›Ja – dieses ist wohl das Einzige, was ihn wirklich beschäftigt. Das mit dem politischen Theater vorhin und sein Enthusiasmus für die Revolution – das war also auch nur Komödie.‹ Diese Entdeckung erfüllte sie mit Enttäuschung; irgendwo fühlte sie sich aber auch auf eine merkwürdige Art von ihr befriedigt.

Er ließ mysteriös die Augen schillern; eine Antwort hatte er nicht.

«Merken Sie denn nicht, wie Sie die kleine Angelika quälen?«fragte die Frau neben ihm.»Spüren Sie denn nicht, daß Sie – andere leiden machen? Irgendwo müssen Sie doch für all das bezahlen. «Sie ließ den klagenden und suchenden Blick nicht von ihm.»Irgendwo müssen Sie doch büßen – und lieben.«

Nun war es ihr doch peinlich, daß sie dies gesagt hatte. Es war entschieden zu viel, sie hatte sich gehen lassen. Schnell entfernte sie ihr Gesicht von seinem. Zu ihrem Erstaunen bestrafte er sie durch kein böses Grinsen, durch kein höhnisches Wort. Vielmehr blieb sein Blick, schielend, schillernd und starr, ins Dunkel gerichtet, als suchte er dort Antwort auf dringliche Fragen, Stillung seiner Zweifel und das Bild einer Zukunft, deren eigentlicher Sinn es war, ihn groß zu machen.

II

Die Tanzstunde

Für den nächsten Tag hatte Hendrik den Beginn der Probe auf halb zehn Uhr angesetzt. Pünktlich versammelte sich das Ensemble, so weit es in» Frühlings-Erwachen «beschäftigt war, teils auf der zugigen Bühne, teils im spärlich beleuchteten Parkett. Nachdem man etwa eine Viertelstunde lang gewartet hatte, entschloß sich Frau von Herzfeld dazu, Höfgen aus dem Bureau zu holen, wo er sich seit neun Uhr mit den Direktoren Schmitz und Kroge besprach.

Gleich bei seinem Eintritt waren sich alle darüber klar, daß er sich heute in der ungnädigsten Stimmung befand – der strahlende Causeur vom vorigen Abend war nicht wiederzuerkennen. Die Schultern auf nervöse Art hochgezogen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ging er eilig durch das Parkett und bat, mit einer vor Gereiztheit fast tonlosen Stimme, um ein Exemplar des Textbuches.»Ich habe meines zu Hause liegen lassen. «Er hatte einen bitter gekränkten Ton, der gleichsam allen Anwesenden einen leisen aber intensiven Vorwurf aus dem Umstand machte, daß er, Hendrik, beim Weggehen vergeßlich und zerstreut gewesen war.»Nun, darf ich bitten?«Es gelang ihm, zugleich wegwerfend gedämpft und sehr schneidend zu sprechen.»Hat denn niemand so ein Heftchen für mich?«

Die kleine Angelika reichte ihm das ihre.»Ich brauche mein Buch nicht mehr«, sagte sie errötend.»Ich kann meinen Text.«– Hendrik, anstatt sich zu bedanken, bemerkte kurz:»Das will ich auch hoffen!«– und wandte sich von ihr ab.

Über dem roten Seidenschal, den er statt eines Hemdes trug – oder der doch das Hemd, falls er ein solches anhatte, versteckte – wirkte sein Gesicht besonders fahl. Das eine Auge schaute, unter halb gesenktem Lid, verächtlich und böse; vor dem anderen blitzte das Monokel. Als er mit einer plötzlich ganz hellen, durchdringenden und etwas klirrenden Kommandostimme rief:»Anfangen, Herrschaften!«– zuckte alles zusammen.

Er rannte im Zuschauerraum umher, während auf der Bühne gearbeitet wurde. Den Moritz Stiefel – die Rolle, welche er sich selber vorbehalten hatte – ließ er von Miklas, dem seine eigene Partie nur sehr wenig zu tun gab, markieren. Darin konnte man eine besondere Bosheit sehen, da der arme Miklas doch seinerseits den Moritz für sein Leben gerne gespielt hätte. Übrigens schien Höfgen, mit provokantem Hochmut, den Kollegen andeuten zu wollen, daß er seinerseits es keineswegs nötig habe, irgendetwas zu probieren oder vorzubereiten: er war der Regisseur, stand über dem Ganzen; seine Routine war so groß wie sein Genie, die eigene Rolle erledigte er nebenbei; erst auf der Generalprobe würde man es von ihm zu sehen und zu hören bekommen, wie Moritz Stiefel, der düstere Gymnasiast, der verzweifelt Liebende, der Selbstmörder aufzufassen und zu spielen sei.

Hingegen bekam man es jetzt schon von ihm gezeigt, was man aus dem Mädchen Wendla, dem Knaben Melchior, der mütterlichen Frau Gabor machen konnte. Hendrik sprang, mit einer überraschenden Behendigkeit, auf die Bühne, und wirklich: er verwandelte sich in das zarte Mädchen, das in den morgendlichen Garten tritt und die ganze Welt umarmen möchte, da sie an den Geliebten denkt; in den lebenshungrigen und stolzen Knaben; in die kluge, sorgenvolle Mutter. Seine Stimme konnte zärtlich, übermütig oder gedankenvoll klingen. Es gelang ihm, in diesem Augenblick kindlich jung auszusehen, im nächsten aber uralt. Er war ein glänzender Schauspieler.

Wenn er es dem schönen Bonetti, der die Brauen halb verärgert halb achtungsvoll hochzog, oder der demütigen Angelika, die gegen Tränen kämpfte, eindrucksvoll demonstriert hatte, was man mit ihren Rollen eigentlich anfangen könnte, wenn man nur das Zeug dazu hätte, schnitt er eine müde und verächtliche Grimasse, klemmte sich das Monokel vors Auge und stieg ins Parkett zurück. Von dort aus erklärte, arrangierte und kritisierte er weiter. Keiner blieb verschont von seinen höhnisch herabsetzenden Worten, sogar Frau von Herzfeld wurde abgekanzelt – was sie mit einem verzerrt-ironischen Lächeln hinnahm – ; die kleine Angelika hatte sich schon mehrmals tränenüberströmt in die Kulisse zurückgezogen; auf Bonettis Stirne zeigten sich Zornesadern; am tiefsten und leidenschaftlichsten aber ärgerte sich Hans Miklas, dessen Gesicht vor Zorn zu verfallen und schwarze Löcher zu bekommen schien.

Da alle litten, wurde Hendrik zusehends besserer Laune. Während der Mittagspause, in der Kantine, unterhielt er sich recht angeregt mit Frau von Herzfeld. Um halb drei Uhr ließ er die Gesellschaft wieder zur Arbeit antreten. Es war gegen halb vier Uhr, als der schöne Bonetti seinen angewiderten Zug um den Mund bekam, die Hände in die Hosentaschen steckte und gnauzend wie ein verwöhntes Kind sagte:»Ist denn noch nicht bald Schluß mit der Schinderei?«Daraufhin warf Höfgen ihm einen vernichtenden Blick zu aus seinen weichen und eiskalten Augen. Er sagte:»Wann aufgehört wird, das bestimme allein ich!«und hielt das schöne Kinn besonders hoch gereckt. Dem eingeschüchterten Ensemble zeigte er das Antlitz eines edlen und nervösen Tyrannen, welches aber gleichzeitig an das fahle Gesicht einer älteren, gereizten Gouvernante erinnert. Alle fürchteten sich; besonders der kleinen Angelika liefen süße und heftige Schauer über den Rücken. Einige Sekunden lang verblieb man in demütiger Regungslosigkeit; das Aufatmen war hörbar, mit dem die verängstigte Gruppe auf die nächste, befreiende Geste ihres Herrn reagierte. Hendrik geruhte in die Hände zu klatschen und das Haupt mit einer gnädigen Munterkeit in den Nacken zu werfen.»Weitermachen, Herrschaften'. «rief er, wobei seine Stimme den hellen Metallton hatte, dem fast niemand widerstehen konnte.»Wo haben wir unterbrochen?«

Man probierte folgsam die nächste Szene, war aber kaum mit ihr zu Ende gekommen, als Hendrik seinerseits einen Blick auf die Armbanduhr warf. Sie zeigte ein Viertel vor vier Uhr: während er es feststellte, erschrak er, und zwar so heftig, daß es weh im Magen tat. Ihm war eingefallen, daß er um vier Uhr eine Verabredung mit Juliette in seiner Wohnung hatte. Sein Lächeln war etwas krampfhaft, als er dem Ensemble mit hastig-freundlichen Worten mitteilte, nun müsse Schluß gemacht werden. Dem jungen Miklas, der sich ihm mürrischen Gesichtes nahte, um irgendeine Frage zu stellen, winkte er eilig ab. Er rannte durch das dunkle Parkett dem Ausgang zu; legte das steile Stück Weges, das zwischen dem Theaterportal und der Kantine lag, laufend zurück; langte atemlos im H. K. an; riß dort seinen braunen Ledermantel und den weichen grauen Hut vom Nagel, und war schon davon.

In den Überzieher schlüpfte er erst auf der Straße. Gleichzeitig dachte er nach. ›Wenn ich zu Fuße gehe, werde ich ein paar Minuten zu spät kommen, so sehr ich mich auch beeile. Juliettchen wird mir einen furchtbaren Empfang bereiten. Mit dem Taxi käme ich zurecht, mit der Trambahn auch beinah noch. Aber ich habe nur ein Fünfmarkstück in der Tasche: dies ist das Geringste, was ich Juliette anbieten darf. An ein Taxi ist also überhaupt nicht zu denken; an die Trambahn aber auch eigentlich nicht, denn es blieben nur vier Mark fünfundachtzig – was zu wenig für Juliettchen ist – , und auch diese Summe in kleiner Münze – was sie sich doch ein für alle Mal verbeten hat.‹

Während er diese Überlegung anstellte, war er auch schon weitergetrabt; im Grunde hatte er wohl überhaupt nicht ernsthaft daran gedacht, sich einen Wagen oder auch nur die Trambahn zu leisten; denn über die angebrochenen fünf Mark würde seine Freundin sich wirklich geärgert haben, während ihr scheinbar so heftiger Zorn über seine kleine Verspätung zu den beinah unvermeidlichen Riten ihres Zusammenseins gehörte.

Der Wintertag war klar und sehr kalt; Hendrik fror in seinem leichten Ledermantel, den zu schließen er obendrein noch vergessen hatte. Besonders an den Händen und Füßen spürte er den Frost: Handschuhe besaß er nicht, und die sandalenartigen Spangenschuhe, die seine Fußbekleidung ausmachten, waren entschieden nicht das Passende für die Jahreszeit. Um wärmer zu werden und um Zeit zu sparen, machte er große Schritte, die eine Neigung hatten, in recht kuriose Sprünge und Hüpfer auszuarten. Viele Passanten schauten dem merkwürdigen jungen Mann mit Lächeln oder mit Mißbilligung nach: auf seinem leichten und originellen Schuhwerk bewegte er sich mit einer Behendigkeit, die halb närrischen, halb göttlichen Charakters schien. Übrigens sprang und hüpfte er nicht nur, sondern sang auch dazu, und zwar abwechselnd Mozart-Melodien und Operettenschlager. Singen und Hüpfen begleitete der Laufende mit allerlei Gesten, wie man sie auch nicht alle Tage sieht. Jetzt eben spielte er Fangball mit einem Veilchenstrauß. Diesen hatte er im obersten Knopfloch seines Mantels befestigt gefunden, er mußte das Geschenk einer Verehrerin aus dem Ensemble sein, wahrscheinlich kam die zarte Gabe von der kleinen Angelika.

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