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Das Entwirren
Das Entwirren
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Das Entwirren

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Devrel fauchte, schreckte die Haselmaus auf, so dass diese aufwachte und einen großäugigen Blick auf Devrel warf, dann in Marchys Jackentasche huschte. Marchy tätschelte die Tasche, um sie zu beruhigen.

»Nicht du, das Weiße Kaninchen.«

Während Marchy bei dieser Idee laut lachte, runzelte der Hutmacher seine Stirn. »Niemand spricht einfach mit dem Weißen Kaninchen. Er hat sich nach der Tyrannei der Herzkönigin zur Ruhe gesetzt und taucht nur auf gesellschaftlichen Ereignissen auf, wenn es ihm gefällt.« Die Rote Königin hatte die frühere Monarchin besiegt und für die vielen Verbrechen, die sie begangen hatte, hingerichtet, wovon eines war, dass sie Devrels komplette Familie ausgerottet hatte, weil der Boojum, der sich mit Alice angefreundet hatte, sie zum Gespött gemacht hat. Das Weiße Kaninchen hatte sich seither von allen distanziert und das Geflüster, das sein Verschwinden umgab, behauptete, dass er sich dafür schämte zu viel Angst davor gehabt zu haben seinen Kopf zu verlieren, wenn er die Dienste der Königin verließe. Stattdessen lebte er in Einsamkeit, um für seine Untätigkeit zu büßen.

»Ja, aber er hat dich immer gemocht. Mich nicht so sehr. Wenn ich frage, wird er nicht zuhören. Wenn du es machst, tut er es vielleicht.«

Gemocht war ein starkes Wort. Das Kaninchen tolerierte jemanden lediglich. »Du willst, dass er ein Portal zum Land des Findlings erschafft. Alles kann passieren. Jeder kann eintreten, bevor das Portal sich schließt. Was, wenn du die falsche Person fängst? Was kommt als nächstes, wirst du auch an der Zeit herumpfuschen?« Der Hutmacher konnte verschiedene Arten und Weisen auflisten, auf welche dies schrecklich schieflaufen konnte, aber er würde es nicht.

»Es sollte noch nicht zu viel Zeit vergangen sein, also kein Bedarf daran herumzupfuschen. Nebenbei ist das illegal. Was beliebige Findlinge angeht, die herein purzeln – das ist ein Risiko, das ich eingehen will.« Devrel starrte in seine Tasse, während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit mit einer ausgefahrenen Kralle umrührte. Sein Grinsen schien angespannt.

Marchy nippte ruhig an seinem Tee und blickte zwischen ihnen hin und her, bevor er hinzufügte: »Klingt nach furchtbar vielen Schwierigkeiten, um ein Mädchen hindurchzubringen. Ich sage, lasst die Rote Königin seine Braut auswählen und fertig. Bräute sind nicht wichtig, so lange sie ihre Pflichten erfüllen.«

»Was erklärt, warum kein Weib es wagt mit dir alleine erwischt zu werden, Harold«, sagte Devrel und legte seine Ohren an.

»Es macht mehr Spaß zu riskieren erwischt zu werden als damit davonzukommen.« Marchy gluckste.

Der Hutmacher rollte mit seinen Augen. Sein Freund, zu jeder Zeit ein Flegel, aber ein guter Mann. Unglücklicherweise hatte Devrel nicht ganz Unrecht. Im Wunderland endete es mit einer Heirat, wenn man intim mit einer Frau erwischt wird. Marchy schien es zu genießen seinen Hals zu riskieren, sozusagen. Der Hutmacher war für derartigen Zeitvertreib zu beschäftigt. Er hatte sich zuvor an Frauen zu schaffen gemacht, aber letztendlich hatte es ihm nie gepasst. Er erlaubte es seinem Verstand nicht länger dabei zu verweilen.

Das rapide Zucken von Devrels Schwanz übertönte die übrigen Geräusche, ein Metronom im Takt mit dem beständigen Schlagen des Herzens des Hutmachers. Wenn das Wunderland Cadence nicht wollte, würde sie Gareth bei ihrer Ankunft nur falsche Hoffnungen machen. Es wäre jedoch töricht etwas als unmöglich zu betrachten. Devrel, eine unmögliche Katze mit unmöglichem Grinsen, glaubte, dass Cadence eine zweite Chance verdiente, so unglückselig es auch sein mochte. Verdammt sei sein weiches Herz, aber er würde helfen. Sogar ohne die Knöpfe, Fingerhüte und den Flicken, die er hinterher sammeln würde.

1

Meine Schwester ist eine Irre.

Melody Adams saß an einem Tisch im Café des Buchgeschäfts, während Cadence dramatisch durch eine Seite nach der anderen eines übergroßen Hardcovers blätterte. Sie wettete ihren Iced Caramel Macchiato darauf, dass es in diesem Buch um Lewis Carroll und die Romane, die er geschrieben hat, ging. Fiktionale Romane. Für Kinder. Cadence war dreiundzwanzig. Nichts gegen Vorstellungskraft, aber irgendwann musste jeder erwachsen werden und damit aufhören darauf zu warten, dass phantastische Wunder ihre gewöhnlichen Leben durchbrachen, um das Leben einfach oder aufregend zu machen.

Letztes Jahr war Melody auf der anderen Seite des Landes gewesen und hatte daran gearbeitet – na ja, eher mit der Idee geliebäugelt – ernsthaft ein rechtswissenschaftliches Diplom zu verfolgen, aber das lag jetzt auf Eis. Die Familie ging im Moment vor. Ihre Mutter hatte sie nach Hause gerufen, weil sie nicht wusste, wie sie mit der heiklen Situation »des Vorfalls« umgehen sollte. Etwas war Cadence zugestoßen und niemand konnte sie überzeugen die Wahrheit darüber zu erzählen.

Ihre Schwester war vor einem Jahr aufgefunden worden, nach Bier stinkend und mit Blättern bedeckt, behauptend, sie sei einem Drachen-erlegenden Ritter verfallen und hatte aus dem Blauen heraus eine intensive Besessenheit mit allen Dingen entwickelt, die im Zusammenhang mit dem Wunderland standen. In den darauffolgenden Monaten hatte Cadence ihren Job verloren, hatte das Studium hingeschmissen und war zwangsgeräumt aus ihrem Apartment geendet, gezwungen nach Hause zu ziehen.

Sie faselte andauernd etwas davon »einen Weg zurück zu finden.« Warum sonst würde jemand versuchen durch jeden Spiegel zu laufen, auf den man traf? Melody hatte sie letzte Woche mitgenommen, um einen Film anzuschauen, und Cadence hatte sich in der Mitte entschuldigt, um die Toilette zu benutzen. Als sie nicht zurückkam, war Melody ihr hinterhergegangen. Ihre kleine Schwester stand auf der Ablage, beide Hände auf dem Glas, während Tränen ihre Wangen herunterrollten.

Sie hatte es ihrer Mutter nicht erzählt. Wenn Dad herausfand, was sie getan hatte, würde er wahrscheinlich seine Drohung wahr machen nach psychiatrischer Hilfe zu rufen. Cadence besuchte bereits einen Therapeuten, und wenn sie nicht einen Gang runterschaltete, würde sie in einer Anstalt landen. Wobei jeder Tag Melody näher an die Ansicht brachte, dass es das Beste für ihre Schwester sein mochte, dass sie für das, was auch immer in ihr zerbrochen war, eine konstante Fürsorge hatte.

»Wo ist es? Wo ist es!« Cadence schlug das Buch mit einem Schluchzen zu und warf es den Gang herunter mit einem widerhallenden bums. Käufer schauten davon hoch Titel zu durchsuchen, um zu starren, während sie an den Regalen auf den Fußboden sank und ihr Gesicht mit ihren Händen bedeckte.

Melody ließ ihren kaum angerührten Macchiato stehen und eilte hinüber, bevor der Angestellte des Bücherladens, der finster in Cadences Richtung blickte, eine Bewegung machte, um sie zu tadeln. Sie hob das Buch schwungvoll auf und hielt es so fest, dass sie schwor, dass ein Knöchel knackte. Der große Angestellte mit rotbraunem Haar und einem strengen Kiefer starrte sie so an, dass sie wegschauen musste.

»Entschuldigung. Wir werden das kaufen und gehen.« Sie legte rasch einen Arm um ihre zitternde Schwester und führte Cadence zur Kasse.

Als sie im Auto waren, stieß sie die Einkaufstasche, die das Buch enthielt, in den Schoß ihrer Schwester. »Was ist denn los mit dir?«

Cadence rieb sich ihre Augen, die rot von zuvor vergossenen Tränen waren, und stellte die Tasche neben ihren Füßen ab. »Es muss irgendwo eine Antwort geben. Das muss es. Kaninchenbau, Spiegelglas, verschwindende Insel: Das sind die anderen Wege hinein. Ich muss eines dieser Dinge finden. Aber wo? Wo sind sie verortet?« Sie zog an strähnigen braunen Haare, die seit Tagen nicht gewaschen worden waren. Sie faselte weiter. »Devrel hat mich beim ersten Mal mitgenommen, aber er kam nicht zurück und er ist der Letzte der Boojums. Ich muss einen der anderen Wege finden.«

»Sssch. Ich weiß nicht, aber falls du bestimmt bist einen zu finden, dann wirst du es.« Melody konnte dem Blick ihrer Schwester nicht begegnen, während sie die Beschwichtigung bot, aber schließlich brachte sie die Courage auf hinüberzublicken.

Cadence umarmte ihre Ellbogen und drehte sich zum Fenster, Tränen glitzerten in der Spiegelung im Glas. »Ich war nicht bereit. Zwei Tage sind nicht genug Zeit, um die Liebe über Familie zu wählen. Es ist nicht genug Zeit sich zu verlieben. Ich hatte nicht die Zeit diese Entscheidungen zu treffen oder diese Gefühle zu fühlen. Ich kannte ihn kaum.« Sie zog ihre Knie vor sich auf den Sitz und legte ihre Stirn dagegen. »Wir hätten uns verlieben können, wenn wir die Chance dazu gehabt hätten.« Ihre Stimme brach. »Jetzt werde ich es nie erfahren.«

»Na ja, nein. Ich nehme an, dass es nicht genug Zeit ist.« Sie unterdrückte ein Stöhnen und führte ihren Gedanken laut weiter: »Was, wenn es dir dort elend gehen würde? Sei dankbar, dass du nicht in einem seltsamen Land ohne Familie oder Freunde gefangen bist, die für dich da sein können.«

»Möglicherweise.«

Die Atmosphäre während der Fahrt zurück zum Haus konnte nur als angespannt beschrieben werden. Cadence starrte aus ihrem Fenster, die Wange gegen das Glas gepresst, und beantworte ihre Fragen mit Ein-Wort-Kommentaren, wenn sie überhaupt antwortete.

Melody ergriff das Lenkrad fest und atmete aus. »Cadence, Mom und Dad machen sich wirklich Sorgen. Diese Besessenheit … Sie hat dein Leben übernommen. Sie ziehen in Betracht nach Hilfe zu fragen. Du weißt, was das bedeutet, richtig?«

Die Aussage erhaschte ihre Aufmerksamkeit und sie glotzte Melody an. »Sie wollen mich wegsperren? Ich bin nicht wahnsinnig. Es ist mir wirklich passiert.«

»Ich sage nicht, dass ich dir nicht glaube.« Sie sagte aber auch nicht, dass sie es tat. »Aber du musst die Fakten betrachten. Deine Freunde behaupten, dass du im Wald ohnmächtig geworden bist, und dass du nur ungefähr zehn Minuten außerhalb ihres Sichtfelds warst. Wie hast du zwei Tage weg verbracht und bist zehn Minuten später zurückgekehrt?«

Melody wünschte sich, dass sie ihr glauben könnte, aber das Wunderland war eine erfundene Welt und die Fakten ergaben keinen Sinn. Sie hatte in der Highschool und im College genug Psychologiekurse belegt, um zu wissen, dass traumatische Erfahrungen oftmals zu geistigen Zusammenbrüchen führten. Wenn sie ihr helfen konnte den Schaden zu beheben, würde sie das. Cadence musste zugeben, dass ein Verbrechen vorgefallen war, und erkennen, dass die Fantasie, an die sie sich klammerte, es ihr niemals erlauben würde zu ihrem Leben zurückzukehren. Bis sie das tat, konnte Melody wenig mehr tun, als sie so gut sie konnte zu trösten, aber es war keine Behandlung, die zu Fortschritten bei dem Problem führte.

»Zeit bewegt sich dort anders. Gareth sagte dies bei mehr als einer Gelegenheit.« Cadence verschränkte ihre Arme. »Ich habe es mir nicht eingebildet. Ich habe mich kaum an Zeug aus den Alice-Geschichten erinnert, als es geschehen ist. Wie baut man eine ganze Fantasie um Material auf, mit dem man nicht völlig vertraut ist? Du hattest das Buch, als du aufgewachsen bist, aber ich hatte es nie gelesen. Ich denke, ich habe den Cartoon ein- oder zweimal gesehen, aber ich dachte, dass es wirklich schräg war und mochte es nicht einmal.«

»Okay, okay.« Melody stellte ihren Blinker an und bog auf die lange Erdauffahrt ein. Dass ihre Eltern am Stadtrand lebten, bot ihnen weniger Nachbarn und ein riesiges Grundstück. Der Wald blockierte ihr Zuhause vor der Hauptstraße. Ihre Eltern hatten gehofft, dass abgeschieden zu sein Cadence dabei helfen würde zu heilen. Aber das hat es nicht.

»Gareth war real. Die Ärzte haben den Beweis unserer gemeinsamen Zeit gefunden.«

Melody zuckte jedes Mal zusammen, wenn dieses spezielle Thema aufkam. Es war eine heikle Situation und das Letzte, was sie wollte, war dem Trauma, welches Cadence auch immer erfahren hatte, etwas hinzuzufügen. »Süße, Grinsekatzen und Jabberwockys, sie sind erfunden. Ich wünschte, du hättest dem Arzt erlaubt ausführlichere Tests –«

Nachdem er Cadences bizarre Geschichte gehört hat, hatte einer ihrer Freunde sie schnell ins Krankenhaus gebracht, da er dachte, dass sie sich den Kopf gestoßen hatte. Was sie gefunden hatten, war viel, viel schlimmer gewesen. Es hatte einen Beweis gegeben, dass sie nicht lange zuvor Geschlechtsverkehr gehabt hatte, aber der DNS-Test des Samens war fehlerhaft vom Labor zurückgekommen, aber ihre Blutproben waren völlig normal. Sie hatten keine Spuren von einer Vergewaltigungsdroge gefunden, trotz dass die Polizei überzeugt war, dass die »Wunderland-Halluzinationen« von Drogen gemischt mit dem Alkohol in ihrem System kamen.

»Diese Tests waren evasiv und unnötig, weil es nicht einmal ein Verbrechen gegeben hat«, biss sie harsch heraus.

Cadence leugnete, dass irgendeiner ihrer Freunde Schindluder mit ihr getrieben hatte, und hatte ihre offizielle Aussage abgegeben: Sie war von einer sprechenden Katze entführt worden und sollte einen drachenerschlagenden Ritter heiraten. Ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt prompt benachrichtigt worden und sie hatte die Nacht in der Psychiatrischen des Krankenhauses verbracht.

Es war wahrscheinlich das Beste, dass sie das College verlassen hatte und nach Hause gekommen war. Wer auch immer ihr das angetan hatte, war noch immer dort draußen, aber sie war sicher. Sie konnten ihr nicht noch einmal wehtun. Unglücklicherweise glaubte Cadence die Halluzination und ließ sie nicht fallen. Der Therapeut nahm an, dass sie die Wahrheit mit der Fantasie unterdrückte, weil sie zu schrecklich war, um sie zu verarbeiten.

»Ich wurde nicht unter Drogen gesetzt oder vergewaltigt«, sagte Cadence leise. »Vertrau mir. Ich würde nicht jemanden beschützen, der mir das angetan hat, indem ich eine Geschichte erfinde. Der Beweis kam als fehlerhaft aussehend heraus, weil es keine DNS aus unserer Welt war. Ganz gleich wie viel sie stochern und stupsen, die Resultate würden jedes Mal uneindeutig aussehen.«

Das Auto kam zum Stehen und Melody schielt in Parken. Als sie die Zündung ausmachte und den Schlüssel abzog, legte sie ihren strengen, ältere-Schwester-ist-weiser-Gesichtsausdruck auf. »Ich will nicht mit dir streiten, aber du musst einsehen, dass du niemals Eingänge in eine andere Welt finden wirst, weil sie nicht existieren. Du machst alle wahnsinnig und ich will dich nicht in einer Anstalt sehen. Dad wird dich übergeben.« Sie öffnete die Autotür und schlug sie hinter sich zu, wartete nicht darauf zu sehen, ob Cadence ihr folgte. Sie konnte mit der Unterhaltung nicht mehr länger umgehen. Wenn jemand ihrer Schwester wehgetan hatte, würde er frei herumlaufen und es wieder tun, weil Cadence die Wahnvorstellung nicht fallen lassen konnte. Es brach ihr das Herz.

»Was würde ich ohne dich tun, Sunny?« Melody kratzte die orangene, gefleckte Katze hinter ihren Ohren. Sunny schnurrte vor Zustimmung. Der Katze schien die lange Fahrt nach Hause nicht zu viel ausgemacht zu haben, wenn man die Menge an Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten bedachte, die sie von der Familie bekam.

Schwere dunkle Wolken füllten den Nachmittagshimmel und die Vorhersage zeigte Gewitter während der restlichen Woche. Eine Menge Regen bedeutete, dass Cadence tagelang Zuhause festsitzen würde, da das Gebiet überflutet wurde, und es gäbe keine Wiederholung des Vorfalls zuvor im Laden. Der Gedanke erleichterte sie und machte sie zur selben Zeit traurig.

Ganz gleich wie sehr Melody versuchte sich auf den Krimi zu konzentrieren, der geöffnet auf ihrem Schoß lag, sie konnte nicht aufhören über Cadences Aussage nachzudenken, warum die DNS niemals als schlüssig erscheinen würde. Grotesk. Sunny blinzelte mit großen grünen Augen zu ihr hoch und Melody schnaubte. »Ich kauf’ es ihr auch nicht ab. Nichts ergibt Sinn.«

Sunnys Ohren legten sich an ihren Kopf und sie duckte sich tief hinter Melodys auf den Stufen der ums Gebäude verlaufenden Veranda ausgestreckten Beine. Sie blickten dem hinteren Teil des Grundstücks entgegen, wo der Wald am dichtesten wuchs. Sie hatten vor Jahren durch dessen Herz einen Radwanderweg ausgeräumt. An der Öffnung des Wegs rutschte ein weißer Klecks durch das dunkelgrüne Gras. Ein Kaninchen.

Bevor Melody reagieren konnte, machte Sunny einen Satz über ihre Beine, die Stufen herunter und schoss auf halbem Weg durch den Garten. »Tu dem Häschen nicht weh!« Sie beeilte sich aufzustehen, fluchte, als das Buch sich schloss und die Seite schluckte, als es auf die Veranda bumste, und jagte dann der Katze hinterher.

Das Kaninchen wartete nicht, um zu entdecken, was die Quelle des Tumults war, und hüpfte den Weg entlang, wobei Sunny ihm heiß auf den Fersen war. Bitte bring das Häschen nicht um. Sie würde weinen. Es war ihr egal, wenn die Katze Käfer fing, aber alles Größere ließ sie sich schrecklich fühlen, sogar Mäuse. Einmal hatte sie einen Vogel auf ihrer Türschwelle gefunden, dank Sunnys Freiluftexpeditionen, und sie war so deprimiert geworden, dass sie vom Unterricht zuhause bleiben musste.

Beide Tiere waren außer Sichtweite und Melodys Besorgnis wuchs. Sie wusste nicht, was sie finden würde, wenn sie um die Biegung bog, aber sie bereitete sich mental auf das Schlimmste vor. Stattdessen fand sie Sunny inmitten auf dem Weg stehen, ihr Schwanz sauste langsam hin und her, während sie ein kleines Loch im Boden studierte und herumrutschte, um aus einem neuen Winkel hineinzuspähen. Erleichtert, dass sie nicht über ein Gemetzel gestolpert war, lachte Melody so stark, dass sie sich vornüberbeugen und ihre Hände auf ihre Knie stützen musste.

»Schau uns an, wie wir weiße Kaninchen in ihre Kaninchenbauten jagen und Cadence für eine solche Vorstellung ausschimpfen.« Dann prustete Melody, als sie bemerkte, dass sie ein blaues knielanges Kleid trug und ihre langen blonden Haare um ihre Schultern fließen lassen hat. Sie warf sich in einen weiteren Kicheranfall. Sie hätte fast Lust dazu ihre Schwester aus dem Haus zu zerren und ihr einen Versuch zu erlauben in den Bau zu tauchen. Dann würde Cadence ein für alle Mal sehen, wie irrational sie klang.

Melody hob die Katze schwungvoll auf und umarmte sie eng. Solch ein wildes kleines Biestchen für etwas so Kleines. Sunny ergriff ihre Schulter, ihre Klauen bissen in ihr Fleisch. »Autsch, was ist los mit …«

Der Boden erbebte. Ein Erdbeben? Ein lautes Krachen und dann ein wusch und die Erde um den Kaninchenbau herum stürzte um einige Fuß nach innen zusammen. Sie drehte sich um, um zu rennen, aber es war zu spät. Die verdichtete Erde unter ihr senkte sich, sackte zusammen und sackte ab, zerrte sie und Sunny in die Dunkelheit.

2

Der Hutmacher und Devrel standen auf einer Klippe, welche die Schiffbruch Bucht und das Verschwindende Meer überblickte. Blaue Wellen krachten gegen die Küste, die Strömung neckte mit flüchtigen Blicken auf versunkene Schiffe, die zerbrochen und verlassen auf den Felsen lagen. Ein verwitterter hölzerner Mast stach aus dem Wasser heraus, präsentierte ein von der Sonne ausgebleichtes, in Lumpen gekleidetes Skelett innerhalb einer fassähnlichen Struktur des Krähennests. Die verlorene Seele hatte sich dorthin gebunden, um nicht während eines Sturms herauszufallen, aber er war nichtsdestotrotz gestorben.

Das Weiße Kaninchen purzelte aus der Öffnung in einem ausgehölten Baumstumpf und hoppelte herüber, wo sie im Schatten des Walds hinter ihnen warteten. Er setzte sich auf seine Hinterbeine und hechelte laut. »Ich wurde beinahe von einem mörderischen Biest gemeuchelt. Und ich habe meine Uhr verloren! Du schuldest mir etwas, Hutmacher. Wenn ich komme, um zu kassieren, erwarte ich vollständige Bezahlung.«

Solcher Unsinn. Er wollte das Kaninchen nicht einmal um irgendwelche Gefallen bitten, dennoch war er derjenige, der gezwungen war die Bemühung zu finanzieren. »Was auch immer du dir wünschst, Kaninchen.«

»Dir einen guten Tag und bitte … versuch nicht mich zu besuchen.« Er schnappte seine Brille aus der offenen Handfläche des Hutmachers – hatte sie ihm zur sicheren Aufbewahrung gegeben – positionierte diese oben auf seiner rosa Nase und hoppelte dann davon, währenddessen er die ganze Zeit murrte.

Devrel tauchte zur Rechten des Hutmachers auf, federte praktisch auf seinen Pfoten in seinem Eifer, dass der Findling erschien. »Ich kann es nicht erwarten den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen, wenn sie erkennt, dass sie zurückgekehrt ist. Sie wird so überra –« Sein Mund klappte auf und er hustete, als eine Schaukelpferdfliege hineintaumelte, knapp all den scharfen Zähnen unversehrt entkam, als sie auf dem entgegengesetzten Weg wieder hinausflitzte.

Eine blonde Frau gekleidet in einem allzu einfachen blauen Kleid, dass nicht über ihre Knie reichte, von Schmutz befleckt, tauchte aus dem Baum aus. Sie umklammerte eine orangene Katze mit großen Augen in ihren Armen, während sie gegen das Sonnenlicht blinzelte. Blutrote Flecken auf einer Schulter ihrer Kleidung enthüllten eine Verletzung durch das Tier, das sie trug, oder vom Fall. Der Hutmacher war sich nicht sicher. Schmutzflecke verunstalteten ihre Haut, aber sie war dennoch ziemlich hübsch. Sie hatte die symmetrischsten Gesichtszüge, die er jemals gesehen hatte. Tatsächlich hatte er das ernsthafte Bedürfnis einen Hut für sie zu kreieren, um zu betrachten, wie er auf ihrem Kopf ruhte. Seine Finger zuckten.

»Äh, Hutmacher«, flüsterte Devrel, als er etwas seiner Fassung wiedererlangt hatte. »Vielleicht sind wir betrogen worden. Bezahl dem hoppelnden Haufen Eintopf nicht mehr als einen Faden.«

»Mich dünkt, dass sie sich verbessert hat«, bemerkte der Hutmacher und rieb sich über sein Kinn. Abgesehen von den schrecklichen Kleidungsgewohnheiten, aber das konnte in kurzer Zeit behoben werden. Der Stil passte überhaupt nicht zu ihr.

Der Boojum ließ ein Ausdruck der Irritation zu ihm aufblitzen, bevor er sein charakteristisches Lächeln wieder aufnahm. »Bist du verrückt? Das ist sie nicht.«

»Selbstverständlich ist sie es. Das Weiße Kaninchen findet immer, was er sucht.«

»Etwas hat ihn zurück zu seinem Loch gejagt. Er wollte nicht auf das richtige Mädchen warten. Kannst du nicht sehen, dass sie anders ist? Sie hat nicht einmal dieselbe Haarfarbe!«

Der Hutmacher hatte es bemerkt, aber er mochte die Veränderungen. Dasselbe Mädchen, anderes Mädchen – es war egal. Seine Finger zuckten wieder.

In dem Moment, in welchem sie die beiden bemerkte, ahmte sie Devrels vorigen Gesichtsausdruck des Schocks nach.

»Ach herrje«, murmelte er. »Sie ist verdattert. Hast du Borogove-Federn zur Hand, Hutmacher?«

»Wo bin ich?« Das Mädchen musterte Devrels unheimliches bezahntes Grinsen. Der Hutmacher erinnerte sich, als er zum ersten Mal einen Boojum gesehen hatte und konnte ihre Besorgnis nachempfinden. Obwohl Devrel dem Tier, das sie hielt, ähnelte, war sein abschreckendes Grinsen der Stoff, aus dem Alpträume waren. Boojums waren einst eine Rasse der Schwindler, die beliebig verschwanden und erschienen, entfernten manchmal zum Scherz Menschen von einem Reich und setzten sie im nächsten aus. Das Grinsen war der letzte Anblick gewesen, den ihre Opfer erblickten.

Devrel spazierte auf sie zu. »Du bist im Wunderland. Wir haben jedoch jemand anderen erwartet. Wie versiert bist du darin verdichtete Erde und die Substanz zwischen den Reichen hochzuklettern? Ich bin sicher, dass es Wurzeln gibt, an die man sich hängen kann. Der Hutmacher kann dir Schwung mitgeben.«

»Äh …« Das Mädchen gaffte ihn an und ihre Haut wurde aschfahl.

Der Hutmacher rollte mit seinen Augen himmelwärts. »Sie klettert das Loch nicht hoch, Devrel. So funktioniert das nicht. Sie kann nicht wieder gehen, außer das Wunderland sondert sie aus.« Was er wissen sollte, wenn man bedenkt, dass er selbst den letzten Findling hindurchgebracht hatte.

Die Katze neigte seinen Kopf nach hinten. »Aber ich sondere sie aus. Ich wollte Cadence für Gareth. Nicht diese blonde Blenderin.«

»Moment … Cadence ist meine Schwester.« Ihre Augen waren groß und sie schüttelte fassungslos ihren Kopf. »Wenn du … wenn ich … oh süße Muttergottes, sie hat nicht halluziniert, oder?«

»Nein«, sagte Devrel und trat näher zu ihr. »Du wirst herausfinden, dass es zu wundervoll ist, um wahr zu sein, die meisten wählen lediglich es nicht zu glauben. Deshalb ist alles so düster, wo du herkommst.«

»Und wenn sie nicht halluziniert hat, bedeutete es, dass sie wirklich hierherkam und irgendeine heiße Affäre mit diesem Gareth-Typen gehabt hat?«

»Augenscheinlich«, sagte der Hutmacher aus. »Sie schienen mir jedoch ziemlich langweilig.«

Sie zerknautschte ihr Gesicht und zeigte ihm einen eigenartigen Gesichtsausdruck und schüttelte dann ihren Kopf. »Ich bin die schlechteste Schwester überhaupt.«

Devrel umkreiste ihre Beine, ließ seinen Schwanz an ihre Knie schnellen. »Ich kann mir vorstellen, dass sie bei ihrer Rückkehr eine ziemliche Geschichte erzählt hat. Ich habe sogar versucht ein paar Mal nach ihr zu sehen, nachdem sie nach Hause gegangen ist, aber da sie mich weder sehen noch hören konnte, habe ich aufgegeben. Das ist jedoch nicht, was wichtig ist. Ich brauche deine Schwester wieder hier. Jetzt.« Er hielt inne und wickelte seinen Schwanz um sich selbst, als er sich setzte. »Oh, nun ja. Ich schätze, dass du genügen müssen wirst, obwohl er sich wahrscheinlich nicht mit einem Ableger begnügen wird.«

»Ich bin kein Ableger –«

»Bist du eingeladen worden?«, fragte er, hob eine Pfote und bog seine Krallen, seine Stimme troff vor Frechheit.

Der Hutmacher stupste Devrel mit einem gestiefelten Zeh an. »Genug, Katze. Du wirst sie Gareth nicht geben.«

Wenn der falsche Findling durchkam, gab es keinen Grund sie dem Schlächter zuzustoßen und von ihm zu erwarten deshalb etwas zu tun. Die Vorstellung war absurd. Das einzige Problem war zu beschließen, was sie mit ihr tun würden, wenn sie sie nicht Gareth gaben.

Melody wurde von zwei erschreckenden Gedanken auf einmal bombardiert. Der Erste: Ihre Schwester hatte nicht gelogen und würde zwangsläufig dafür weggesperrt werden. Der Zweite: Eine Katze saß dort und grinste sie mit ihren scharfen Zähnen und riesigen blauen Augen an. Sunnys vordere Krallen waren in ihrem Bizeps verankert und Melody klammerte sich fest an sie, weigerte sich es zu riskieren, dass die gruselige Katze ihr Fellbaby verletzen würde.

Momente zuvor war sie auf einem Radwanderweg hinter ihrem Elternhaus gestanden und jetzt war sie auf einer Klippe, die einen Ozean überblickte, mit …

Ist das ein Skelett?

»Unabhängig davon, was wir mit ihr tun, sie ist definitiv verdattert. Siehst du den glasigen Blick, die verblüffte Stille?« Die weiche, tiefe Stimme der Katze zog ihren Fokus von dem echt toten Typen auf dem gesunkenen Schiff weg. Das ist eine Filmrequisite. Richtig? Das muss es sein. Auf keinen Fall würde der Körper lange genug dort oben sein, um zu einem Skelett zu werden, das aufrecht blieb, in einem Stück, durch die Elemente und krachenden Gezeiten. Richtig?

Oh, Gott.

»Sie ist nicht verdattert. Gib ihr einen Moment«, sagte jemand anderes. Der Mann mit der Katze.

Sein Outfit war ein Flickwerk aus Stilen und Farben. Mehrere goldene Taschenuhren hingen von seiner Weste und er hatte einen Zylinder, der aus einem glänzenden marineblauen Material gemacht war, der seine leuchtend grünen Iris beinahe petrolfarben scheinen ließ. Mit seinem schwarzen Haar – nicht lang, aber bedurfte eines guten Schnitts –, das um seine Augen herumhing, war dieser Mann der Traum einer jeden Frau. Als sie seinem Blick begegnete, teilten sich ihre Lippen. Wow. Sie entließ scharf ihren Atem und fummelte herum.

Die Katze nannte ihn Hutmacher, war er der Hutmacher? Nostalgie der Kindheitsverwunderung verursachte diese unangenehme Aufregung, die man hatte, wenn man in der Gegenwart einer Berühmtheit seines liebsten Autors war. Ein aufgeregtes Schwindelgefühl davon jemanden zu treffen, den man jahrelang verehrt hatte.

»Zu starren wird als unhöflich angesehen«, sagte er leise.

»Entschuldigung!« Ihre Wangen erwärmten sich. »Ich bin nur, äh, habe nicht erwartet hier zu stehen, und na ja, ich habe mich gefragt, ob Sie, ähm …«

»Ob ich ähm?« Er betrachtete die grinsende Katze. »Wie ähmt man denn?«

Die Katze legte ihren Kopf schief. »Keine Ahnung.«

»Das meinte ich nicht. Ähm ist nicht einmal ein Wort –«, mühte sie sich ab.

»Warum es dann sprechen?«, fragte der Mann.

»– es ist ein Geräusch, das man macht, wenn man sich wegen etwas nicht sicher ist oder darum kämpft die richtige Wendung zu finden, die man meint.«

»Normalerweise sollte man nicht sprechen, bis die Worte vorzeitig bekannt sind.«

Okay, er war ein bisschen ein Arschloch. Das waren die Attraktiven immer, zumindest ihrer Erfahrung nach, aber sie konnte nichts gegen das Ziepen von Enttäuschung tun, das sich einschlich. Sie verlagerte sich, um das Skelett wieder zu beäugen und es zu vermeiden ihn anzuschauen. »Ich wollte nur eine höfliche Art und Weise finden, um zu fragen, ob Sie der verrückte Hutmacher sind, ohne Sie zu beleidigen, aber tut mir leid, dass ich es versucht habe.«

Als Kind war der verrückte Hutmacher immer ihr liebster Wunderland-Charakter gewesen. Er war exzentrisch, aber irgendwie verletzlich gewesen, hatte sich mit so viel Verdrehtheit umgeben, dass es den Fokus von ihm genommen und auf die Szenerie um ihn herum gelassen hat.