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Der moderne Knigge
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Der moderne Knigge

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Der moderne Knigge
Julius Stettenheim

Julius Stettenheim

DER MODERNE KNIGGE

I. Leitfaden durch den Winter

Längst gefühlten Bedürfnissen abzuhelfen, ist seit undenklichen Zeiten des Schriftstellers angenehmer Beruf gewesen. Ob ihm dies jemals gelungen ist, das kann ich nicht sagen. Der Leser, der überhaupt immer auf der Linken sitzt, bestreitet es, und die Hochschätzung, mit der ich dem Leser, als unserem unentbehrlichsten und nützlichsten Menschen, gegenüberstehe, verbietet mir, ihm entgegenzutreten. Auch ist ein Körnchen Wahrheit in dem, was er sagt. Es giebt viele Schriftsteller, welche mit großem Biereifer nach Bedürfnissen suchen, von denen sie sich nur einbilden, daß es längst gefühlte sind, denn es stellt sich nur zu bald heraus, daß kein Mensch das betreffende Bedürfnis längst gefühlt hat; der Schriftsteller am allerwenigsten längst, meist gar nicht. Er hat nur längst gefühlt, daß er einen Stoff zu einem Feuilleton braucht, und so hat er denn, wenn er den Stoff gefunden hat, ein gar nicht vorhandenes Bedürfnis zu einem längst gefühlten erhoben, um den Leser, der gewöhnlich lesensmüde zu sein pflegt, wachzuhalten, indem er ihm vorgaukelt, daß er etwas Nützliches schreiben wolle. Ich gebe zu, daß dies nicht hübsch von ihm ist. Dies ist der mildeste Ausdruck. Denn eigentlich ist es nicht bloß nicht hübsch. Wenn vor einem Hause, das durchaus nicht in Flammen steht, plötzlich die Feuerwehr erscheint, zu spritzen anfängt und ein Sprungtuch ausbreitet, während die Bewohner des besagten Hauses neugierig lächelnd aus dem Fenster gucken, so kann man doch nicht sagen, daß das Erscheinen der Feuerwehr nicht hübsch sei. Indem die Feuerwehr erscheint und in Thätigkeit tritt, um einem längst gefühlten Bedürfnis abzuhelfen, das durchaus nicht vorhanden ist, macht sie sich lächerlich. Man darf eigentlich von einer städtischen Wohlfahrtseinrichtung, wie es die Feuerwehr ist, nicht sagen, sie mache sich lächerlich, aber ich sage das dennoch, denn ich habe ja keine bestimmte Feuerwehr im Auge, und ich nehme auch gar nicht an, daß es eine Feuerwehr giebt, welche ein Haus, in welchem keine Feuersbrunst wütet, unter Wasser setzt und vor demselben ein Sprungtuch ausbreitet, in das kein Mensch hineinspringen will.

So viel über das Abhelfen längst gefühlter Bedürfnisse, aus welchem viele Schriftsteller ein Geschäft machen.

Man wird mir vielleicht zugeben, daß es mir nicht an Aufrichtigkeit fehlt, indem ich das Obige niederschrieb, während ich die Absicht hatte, einem Bedürfnis und sogar einem längstgefühlten abzuhelfen und in dieser Absicht auch jetzt noch verharre. Man lasse mich eine Weile (keine lange) weiterschreiben und wird sagen, daß ich wenigstens nicht aufdringlich erscheine, daß vielmehr das, was ich vorhabe, wie das Bestreben, abzuhelfen, aussieht.

Der Winter kommt. Das ist ja nichts Außergewöhnliches. Ich will auch nicht etwa den Winter schildern. Ich könnte auch nichts über ihn sagen, was nicht schon gesagt wäre, und selbst, wenn ich ein impressionistischer Maler wäre und zur Darstellung des Schnees die blaue oder rote Farbe verwendete und die Nasen der im Schnee spazierengehenden Menschen grün malte, so wäre dies zwar dumm, aber heute doch nicht mehr auffallend. Der Winter kommt, und mit ihm erwacht das gesellschaftliche Leben.Dieses sogenannte Leben äußert sich durch ein mehr oder weniger arges Gewoge in geheizten Räumen, den Treibhäusern der Geselligkeit, in denen die Abfütterungen, der Ball, der Jour fixe und ähnliche Veranstaltungen stattfinden. Unter solchen leidet nur das Haus und das dieses leitende Ehepaar, sowie ein beträchtlicher Teil der Eingeladenen, unter denen nur wenige das schriftstellerische Talent haben, glaubwürdige Absagen zu verfassen. Außer jenen häuslichen Lebensäußerungen des Saisonlebens giebt es noch die öffentlichen, zu welchen man sich durch Einkauf eines Billets den Eintritt verschafft, auch wenn man eigentlich nicht in die Gesellschaft passen würde. Dies sind: der Bazar, das Vereinsfest, die Jubelfeier und der Maskenball. Jedes dieser Feste, sie mögen nun zwischen den vier Wänden des Familienhauses und außerhalb desselben zu erdulden sein, hat seine besonderen Formen, denen gerecht zu werden eine ebenso schwere Aufgabe ist, als es schwer ist, sich diesen Formen zu entziehen. Gegen diese Formen wird oft gesündigt, teils weil sie lästig, teils nicht allgemein bekannt sind. Ich halte es natürlich nicht für ein Unglück, einen Verstoß zu begehen, oder begangen zu haben, selbst auf die Gefahr hin, dadurch auf die Tagesordnung einer aus älteren Damen zusammenberufenen Kaffeekammersitzung zu geraten. Aber es ist doch nicht jedermann in der Lage, dergleichen ruhig ertragen zu können. Es giebt strenge Festgeber, welche einem Gast den Gehrock jahrelang nachtragen, in welchem er statt in einem Frack erschienen ist, und ich könnte Damen namhaft machen, welche jeden Fehltritt, namentlich ihren eigenen, gern verzeihen, aber einem Mann, der der Wahrheit gemäß versichert hatte, er habe sich an ihrer Seite nicht unterhalten, das Ewig-Männliche aberkennen. Es wäre dies erträglich, wenn ein solcher Mann nicht wieder eingeladen würde, aber ein solches Glück gehört zu den größten Seltenheiten, wie das große Los, oder der weiße Rabe, und wer von einem solchen Glück erreicht wird, läuft Gefahr, daß man von ihm sagt, das könne nur einem sehr Dummen passieren. Daher glaube ich, den vielen Tausenden, welche im Winter Gäste werden, mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen, mit meinen Ratschlägen und Hinweisen, kurz, mit allem, was ich auf meinen Durchquerungen des Gesellschaftslebens in langer Leidenszeit, die allerdings auch manche heitere Station aufzuweisen hat, gesammelt, nützen zu können.

Ich halte also einen Leitfaden durch den Winter für ein längst gefühltes Bedürfnis, namentlich für solche Gäste, die das Gegenteil erklären, um mich in den Glauben zu versetzen, sie hätten einen solchen Leitfaden nicht nötig. Daß ein Leitfaden immer mit Nutzen zu gebrauchen ist, das wissen wir seit der Heldenthat des Theseus, seit er das mit Recht so unbeliebte Labyrinthvieh erlegt hatte und durch Ariadnes Leitfaden Gelegenheit fand, aus dem ohne Zweifel sehr verbauten Gebäude wieder herauszukommen. Ich weiß nicht, ob Theseus später renommierte, daß er auch ohne den Leitfaden das Lokal des Minotauros hätte verlassen können. Ich glaube es nicht. That er es aber, so war er ein sehr undankbarer Jüngling. Jünglinge sind ja unberechenbar. Und so bin ich darauf gefaßt, daß viele, die sich mit meinem Leitfaden bekannt machen, später sagen werden, sie hätten schon alles gewußt. Ich kenne das. Wann hätte ein Leser nicht schon alles gewußt!

Abfütterungen, welche unter dem Namen Diner, Souper oder gar Löffelchen Suppe auftreten, sind eine für Wirt und Gast gleich traurige Einrichtung, so erfreulich eine Einladung zum Speisen in kleinem Kreise zu sein pflegt. Zum Speisen wurde immer eingeladen, seit die erste Aufforderung Evas an Adam erfolgt ist, dagegen ist die Abfütterung das Gegenteil. Hier bläst der Wirt alle zusammen, welche zu seinem Hause in irgend eine Beziehung getreten sind, oder gegen die er eine Verpflichtung zu haben glaubt. Das abfütternde Paar hat unter herzbrechenden Flüchen und den Hausfrieden störenden Zänkereien alle Einrichtungen getroffen, daß die Teilnehmer der Tafel zufrieden sein werden. Die bunte Reihe ist mit großer Mühe arrangiert worden. Da treffen die Absagen ein. Einige Lebemänner melden, daß sie zu ihrem großen Bedauern (lies: Vergnügen) eine Reise anzutreten haben, oder so erkältet sind, daß sie auf das Glück (lies: Schicksal) verzichten müssen, in dem lieben Kreis erscheinen zu können. Die Dame des Hauses muß die bunte Reihe umbauen. »Immer sagen die Nettsten ab!« meint sie. Aber den Kommerzienrat kann sie nicht neben die Frau Professor placieren, weil er nur die Dekolletierten vertragen kann, die Frau Professor aber fast bis an die Zähne gegen die Neugier bewaffnet erscheint, und diese verschlossene Frau kann nur essen, wenn sie neben einen Mann gesetzt wird, welcher die Geschichte der Hohenstaufen kennt. Dies ist ihre Spezialität. Wer also eine Abfütterung beizuwohnen hat, thut gut, sich vorher nach dem Thema, welches seine Tischdame anzuregen pflegt, zu erkundigen. Meist wissen dies die Hausfrauen anzugeben, so daß man sich vorbereiten kann. Wird ein wissenschaftliches Thema genannt, so ist die Vorbereitung leichter zu nehmen, weil die betreffende Tischdame sich nur gefürchtet machen will, selbst aber ihren Gegenstand nur oberflächlich kennt. Wenn man daher während der Prüfung, die man als unglücklicher Tischnachbar zu bestehen hat, dann und wann das Wort »bekanntlich« einfügt, so stutzt die Dame und wagt nicht, zu korrigieren, auch wenn man was ganz Dummes gesagt hat. Dagegen muß man über solche Gegenstände, über welche jede Tischnachbarin heute mit großer Sachkenntnis zu sprechen pflegt, namentlich über das Zweirad, den Torpedo, die verrückte Lyrik und die Theorie Schenck[August Schenck (1815-1891) erforschte besonders die Verbreitung und Lebensweise der vorweltlichen Pflanzen.], irgend etwas sagen können, wodurch die Tischnachbarin beruhigt wird. Vor allem vermeide man, praktische Fragen zu berühren. Ist die Dame sehr mager, so spreche man nicht über die zufällig herrschende Fleischnot, und ist sie reichlich korpulent, so sei man sehr erstaunt darüber, daß sie weder Suppe, noch Kartoffeln esse, wodurch man sie in den Glauben versetzt, man halte sie für auffallend schlank.

Beim Einschenken sei man vorsichtig. Gewöhnlich stecken die Damen ihre Handschuhe in eines der Weingläser. Füllt man nun ein solches Glas, so halten dies die Damen mit Recht für schädlich, nicht etwa dem Wein, sondern den Handschuhen, wodurch man als Freund des Weins unangenehm berührt wird.

Hat man das Glück, vor einem der beliebten großen Blumenarrangements placiert zu sein, so ändere man nichts daran. Man ist dadurch von den Gegenübersitzenden getrennt, während man ohne diese Flora-Vogesen mit dem Paar leicht in ein Gespräch geraten könnte. Das Paar will aber vielleicht selbst nicht gestört sein. Andernfalls kann es auch möglich sein, daß das Paar sehr langweilig ist. Ich habe wohl noch nicht festgestellt, daß bei Abfütterungen die langweiligen Paare nicht zu den Seltenheiten gehören.

Ist man verheiratet und sitzt man neben einer jungen Frau, so nehme man Rücksicht auf die gleichfalls anwesende eigene Gattin und mache nicht zu auffallend den Hof. Man flüstere seiner Nachbarin nichts ins Ohr, schon weil diese Verkehrsart etwas sehr verbraucht ist, sondern sage alles wie im Selbstgespräch vor sich hin. Auch lasse man die Hände der Dame in Ruhe und bediene sich lieber zur Bekräftigung seiner Redensarten statt des Hände- des Füßedrucks, falls die Dame auf solche Eidesform einigen Wert legt. Doch sei man in der Wahl des Fußes vorsichtig und erwische nicht etwa einen Männerfuß, wodurch ein Au! oder ein ähnlicher Schmerzensschrei erweckt wird, den die Umgebung sofort richtig auffaßt.

Wenn getoastet wird, zeige man, daß man ein Mann ist. Vor allem schlage man nicht um sich. Man ändert dadurch nichts. Erstens kann der Toast gut sein oder es allmählich werden, und zweitens dauert er andernfalls ja keine Ewigkeit. Duldsamkeit ist überhaupt eine der schönsten Eigenschaften des Gastes. Auch sei man rücksichtsvoll und ergreife nicht selber das Wort. Befindet sich unter den Tischgästen einer, von dem man weiß, daß er regelmäßig stecken bleibt, so animiere man diesen, einige Worte auf die Wirtin, oder deren Schwiegermutter zu sprechen. Das Steckenbleiben belebt die Stimmung ungemein.

Kommen Lieder zur Verteilung und sind diese in Quart gedruckt, so nehme man zwei Exemplare und wickele Bonbons für die Kinder hinein. Das zeugt von väterlicher Zärtlichkeit. Man achte aber darauf, daß man das Packet nicht in die Hintertasche stecke, auf die man sich später gewöhnlich setzt. Dies haben dann die beschenkten Kinder nicht gern. Bei der Wahl der Bonbons sehe man nicht auf die Ausstattung, unter welcher gewöhnlich die Qualität der Näscherei zu leiden hat.

Über den Umgang mit der Serviette möchte ich einige Zeilen sagen. Zu erschöpfen wird dieser Gegenstand nicht sein. Ich finde, daß die Serviette, obwohl sie so etwas von einer Fahne der Kultur hat, eigentlich stehen geblieben ist und heute noch wie vor hundert Jahren die Speisenden mehr ärgert, als ihnen dient. Wer sie nicht zwischen Hals und Binde steckt, oder gar so befestigt, daß sie als Brustschürze dient, – beides trägt nicht zur Hebung der menschlichen Erscheinung bei – wird die Bemerkung machen, daß sie häufiger den Fußboden als den Schooß bedeckt. Stets strebt sie, herabzufallen, und man könnte deshalb von einer Niedertracht der Serviette sprechen. Der Gast wird natürlich immer wieder dies ebenso nützliche als untreue Wäschestück einzufangen suchen und zu diesem Zweck sich seufzend bücken und die Hand unter die Tischdecke verschwinden lassen müssen. Dieser einfache, harmlose und dem Reinen absolut reine Vorgang wird aber häufig mißdeutet, und es ist daher nötig, daß der tauchende Gast seine Tischnachbarin genau abzuschätzen trachtet, bevor er der abgestürzten Serviette nachjagt. Denn es giebt Damen, welche diese Bewegung ihres Tischnachbars mißdeuten und einen Schrei des Entsetzens ausstoßen, so daß sich Männer in der Nähe finden, welche bereit scheinen, die gar nicht gefährdete Ehre der Schreienden energisch zu schützen. Ich habe durch das Aufheben der Serviette schon höchst peinliche Scenen sich entwickeln sehen, und die Chronik der Soupers weiß sogar von der Aufhebung einer Verlobung zu melden, nachdem die allerdings etwas angejahrte Braut in dem Griff nach der Serviette einen Angriff auf ihre Ehre, oder doch in ihrem Verlobten einen höchst aggressiv sinnlichen Charakter entdecken zu müssen glaubte. Es mag hierbei betont werden, daß es meist die mit den Jahren häßlich gewordenen Damen sind, welche in dem Serviettengreifen fortwährend eine untugendhafte Ausschreitung oder den Versuch einer solchen sehen, während junge, schöne Frauen weniger anmaßend sich zu benehmen pflegen. Ängstliche Männer, namentlich solche, welche ungern in einen ungerechtfertigten Verdacht kommen, werden sich also an der Seite einer jungen Schönen sicherer fühlen können, als an der einer alten Häßlichen.

Wirte sind einzuteilen in solche, die nach Tisch eine rauchbare Cigarre opfern, und solche, deren Cigarren nicht rauchbar, sondern höchstens anzustecken und dann fortzuwerfen sind. Der auf dem Gebiete des Rauchens geschulte Gast hat seine eigene Cigarre bei sich, namentlich wenn der Wirt in der Cigarrenbranche nicht stubenrein ist. Die von solchem Gast verschmähte Cigarre fällt später in die Hände irgend eines der anwesenden Havannadiebe, die in keiner anständigen Gesellschaft fehlen, und bildet somit einen Teil der irdischen Gerechtigkeit, welcher der unehrliche Gast nicht entfliehen kann. Viele Gäste betrachten die Cigarren nach Tisch vogelfrei. Es giebt sehr verwegene Cigarrendiebe, welche in wohlverwahrte Kistchen einbrechen, wie es Gewohnheits- und Gelegenheitsdiebe giebt, welche keinen Cigarrenbecher sehen können, ohne zu einem Eingriff verführt zu werden. Es ist wohl noch kein Fall vorgekommen, daß ein solcher Eingriff gerichtlich geahndet worden ist, aber ich möchte doch auch an dieser Stelle auf das Ungehörige des Cigarrenraubes hindeuten. Wenn der Wirt, nachdem er seine Gäste glücklich losgeworden, einen Blick in seine Cigarrenkisten wirft, die Verwüstungen bemerkt, welche durch die Eingriffe der Gäste angerichtet worden sind, und berechnet, daß jeder Gast etwa in einer Stunde sechs oder acht Zigarren geraucht haben müßte, wenn er nicht wenigstens vier oder sechs entwendet hat, so gerät der Nichtraucher, oder der ehrliche Raucher in einen falschen Verdacht, und schon dieser peinliche Umstand sollte eigentlich genügen, das Stehlen von Cigarren als absolut unstatthaft erscheinen zu lassen.

Naht bei Tisch der Diener mit der Schüssel, so sitze man möglichst still. Jede plötzliche Bewegung könnte die Folge haben, daß man einen Stoß mit der Schüssel bekommt, und daß diese ihren Inhalt über das Festgewand verbreitet. Beides verstimmt.

Verläßt man den angenehmen Kreis, so hüte man sich, zur Ersparung des Trinkgeldes das Dienstmädchen leise zu fragen: Wie geht‘s? um mit deren Antwort »Danke« bei den Ohrenzeugen den Glauben zu erwecken, man habe ihr ein Geldstück in die Hand gesteckt. Es ist dies ein Trik, der nur noch in seltensten Fällen gelingt. Die Dienstmädchen sind längst dahintergekommen, geben keine Antwort und öffnen die Hand. Man frage also nicht nach ihrem Befinden, sondern gebe einfach nichts. Dies ist bedeutend gefahrloser, wenn es auch auf das Dienstmädchen einen höchst üblen Eindruck macht.

Ist das Wetter feucht und kalt und ist man ohne Gummischuhe in die Gesellschaft gegangen, so wähle man beim Verlassen des gastlichen Hauses unter den vorhandenen Gummischuhpaaren ein passendes, sende es aber am anderen Morgen prompt zurück. Ebenso verfahre man mit Regenschirmen, auch wenn diese noch fast neu sind. Was ich vorher über die Cigarren gesagt habe, trifft auch hier zu, nur daß der Gastgeber kein Eigentumsrecht an seinen verschwundenen Cigarren geltend machen kann oder mag. Dagegen ließe sich doch an Gummischuhen, wie an Schirmen und Hüten nachweisen, daß man sich solche widerrechtlich angeeignet hat. Es steht wenigstens fest, daß in Gummischuhen geheime Zeichen angebracht worden waren, welche nur der Eigentümer kannte, der denn auch das im Winter mit Recht geschätzte Fußzeug dem Herrn wieder abzog, der sich aus Gesundheitsrücksichten acht Tage vorher an den Schuhen vergriffen hatte.

Wenn man als Eingeladener ein Neuling im gastlichen Hause ist, so hüte man sich, mit Gästen, die man nicht sehr genau kennt, über die Gesellschaft, den Wirt, die Bewirtung &c. zu sprechen, wenn man nicht ein unbedingtes Lob laut werden lassen will. Denn gerade in Salons, in welchen abgefüttert wird, findet man alle Familienmitglieder des Hausherrn und seiner Frau, auch solche, deren Verwandtschaft kaum noch nachzuweisen ist. Selbst wenn diese, wie dies gewöhnlich der Fall ist, sich unzufrieden äußern, stimme man nicht ein. Denn sie hinterbringen natürlich jeden Tadel haarklein, um sich eine Freude zu verschaffen, ohne dabei zu bemerken, daß sie selbst das Schlimmste gesagt haben. Namentlich hüte man sich vor den Verwandten, denen es minder gut geht, als dem Festgeber. Sie sind infolgedessen seine Feinde. Empfangen sie nun gar aus der Kasse des Festgebers regelmäßige Unterstützungen, oder sind sie ihm in anderer Weise dankbar verpflichtet, so versteht es sich von selbst, daß sie auf den Festgeber und sein Fest schlecht zu sprechen sind. Ihnen gegenüber ist die allergrößte Vorsicht geboten. Man wird diese niemals zu bereuen haben. Hat man sich selbst wie niemals vorher gelangweilt, so preist man den Abend, indem man die Hand des Herrn oder der Dame des Hauses ergreift und sie vorläufig nicht wieder losläßt, als den schönsten der gegenwärtigen und der vorigen Saison, und bemeineidige dies auch gegen andere, selbst wenn man nicht wieder eingeladen zu werden wünscht. Immer sage man sich, man könne doch selbst einmal in die Lage kommen, Gesellschaft bei sich zu sehen, die gut abzufüttern und zu unterhalten man sich die größte Mühe giebt, wie dies ja immer geschieht. Noch ist kein Weiser erstanden, welcher sagen konnte, wer mehr zu beklagen sei: der Wirt oder der Gast. Das aber wird jeder sagen, daß es nicht beneidenswert ist, Festgeber zu sein.Über die Form der Absagen etwas Mustergültiges zu sagen, ist schwer. Plötzlich eingetretenes Unwohlsein wird wohl nicht geglaubt, eine nötig gewordene Reise ist deshalb so unbequem, weil man sich wenigstens zwei Tage lang nicht öffentlich sehen lassen dürfte, Zahnweh ist sehr empfehlenswert, weil es sich der Kontrolle entzieht. Von einem Gichtanfall rate ich ab, weil die Gicht eine gewisse Anhänglichkeit besitzt und man so bald nicht glaubt, daß sie sich rasch wieder entfernt hat und daher der Heuchler, der sie vorschützt, monatelang gefragt zu werden pflegt, wie es ihm gehe. Sehr nützlich ist die Angabe, man habe Besuch von Verwandten bekommen, von denen man sich leider an dem betreffenden Abend nicht trennen könne. Doch brauche man die Vorsicht, im letzten Moment damit hervorzutreten, da man sonst Gefahr läuft, daß man die Aufforderung erhält, den oder die Verwandten mitzubringen, wodurch eine neue Verlegenheit entstehen würde.

Eine schöne Kunst ist es, sich gleich nach Tisch entfernen zu können. Aber es ist eine schwierige Kunst. Man darf sich nicht dabei erwischen lassen. Man muß ein scharfes Auge auf die Festgeber werfen und den Moment ausnützen, wo sie sich in einem anderen Raum aufhalten. Jetzt gilt ein rasches Handeln. Man eilt hinaus, greift nach dem Paletot, dessen Schlupfwinkel man sich genau gemerkt hat, und entfernt sich; den Chapeau claque öffne man bei dieser Gelegenheit leise, damit der Knall nicht die Wirtin oder den Wirt herbeilocke, die oder der dann die Flucht vereiteln würde.

Vieles von dem hier Gesagten und Empfohlenen wird sich auch für den

Ball verwenden lassen, besonders da ein solcher immer mit einem Abendessen verbunden zu sein pflegt. Doch steht der Ballbesucher als solcher und nicht als Tischgast ganz anderen Fragen gegenüber, die sich nicht ganz leicht erledigen lassen. Der Ballgast ist vor allem von dem Aberglauben erfüllt, daß er zu seinem Vergnügen eingeladen sei, und er bestreitet sogar, zu denjenigen zu gehören, die lediglich eingeladen werden, weil sie im Tanzgeruch stehen und weil sich die eingeladenen jungen Mädchen austanzen wollen. Er darf aber nicht eitel und muß fest davon überzeugt sein, daß er, wenn er nicht tanzen könnte, überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Natürlich wird ihm das Gegenteil versichert. Die Wirtin, welche selbstverständlich vom lieben Himmel mit mehreren heiratsfähigen Töchtern heimgesucht worden ist, sagt ihm allerlei in diesem Sinne, so z. B. nach dem berühmten Lessingschen Wort, er wäre auch das größte Ballgenie geworden, wenn er unglücklicherweise ohne Beine wäre geboren worden, aber sie sagt ihm das nur, weil sie genau weiß, mit welchem Mißtrauen die Balleinladungen in den Kreisen junger tanzkundiger Männer betrachtet werden.

Der Ball hat sich für diese jungen Männer in der Neuzeit dadurch bedeutend milder gestaltet, daß unsere Damen vom Backfisch aufwärts nur noch vom Radeln unterhalten sein wollen und auch eigentlich von nichts anderem reden. Als das Rad das Ewig-Weibliche noch nicht ganz ausfüllte, war die Ballstellung des Ewig-Männlichen dadurch eine etwas strapaziöse, daß der Ballgast mit seiner Dame irgend etwas plaudern mußte, um sich nicht gar zu unrettbar zu blamieren. Er half sich ja oft mit dem Ödesten, mit dem Theater, aber dieses Kunstgebiet war doch häufig sehr abgegrast, und der Plauderer merkte meist, daß eben schon ein anderer dagewesen war, der genau dasselbe gesagt hatte. Da erschien das rettende Rad, und mit dem Augenblick, wo es begann, die Köpfe und Herzen der weiblichen Welt vollständig auszufüllen, war namentlich für den Radler, der gleichfalls nichts als das Rad kannte, nichts leichter als eine fesselnde Unterhaltung mit einem jungen Mädchen, ja, er brauchte kaum noch viel zu reden, sondern nur das intelligente junge Mädchen plaudern zu lassen.

Nachdem der Ballgast eingetreten ist, bedeckt er die Tanzkarten der Damen mit seinen Autographen. Dadurch bekundet er, daß er die Stellung nicht überschätzt, die ihm als Ballgast angewiesen ist, und daß er keinen höheren Wert zu haben glaubt als den, mit den Beinen diejenigen Bewegungen zu machen, aus denen der Tanz besteht. Bildet er sich ein, etwas anderes zu sein als ein Walzer-Gymnastiker und Redowa[Böhm. Tanz im Tripeltakt von ziemlich schneller Bewegung.]-Parterrekünstler und irgend einer anderen Fähigkeit die Einladung zu verdanken, so täuscht er sich bitter und wird im Lauf des Abends in der grausamsten Weise geduckt.

Er bleibe im Tanzsaal und mache keine Versuche, in das Rauch- und Spielzimmer zu entkommen. Gelänge es ihm, so würde es ihm nichts nützen, denn er würde doch alsbald von der Wirtin verfolgt, harpuniert und in den Ballsaal zurücktransportiert werden, woselbst er dann nach einem Moment des Genusses zügelloser Freiheit die Gefangenschaft um so drückender empfinden wird.

Stürzt man im Tanze mit seiner Dame nieder, so fühle man sich nicht blamiert, sondern sei im Gegenteil überzeugt, daß man einige Tage lang in den Kreisen des Ballgebers einen interessanten Gegenstand des Gesprächs bildet, was man ohne den Sturz wahrscheinlich niemals werden würde. Man beute auch deshalb den Sturz nicht egoistisch dahin aus, daß man angiebt, man müsse ausspannen und könne den ganzen Abend nicht wieder tanzen. Dies wäre nach dem Gesagten überaus undankbar.Im Zusammentreffen mit älteren und energisch aussehenden Frauen sei man von Vorsicht beseelt, wenn auch Goethe sehr richtig sagt, der Umgang mit Frauen sei das Element guter Sitten. Es giebt eine große Anzahl Frauen, die nur eine gute Sitte kennen: das Stiften von Ehen, und die hierin schon die glänzendsten Erfolge aufzuweisen haben. Sehr viele Ehen sind auf Bällen angestiftet worden, und wenn Eheleute mit guten Gedächtnissen auf den Ursprung ihres so schönen Bundes zurückgehen, so werden sie wahrscheinlich auf einen Ball stoßen, auf welchem eine gewohnheitsmäßige Heiratsstifterin irgend ein Herz baldowerte, das noch frei war und dessen sie sich sofort annahm. Wer also Lust verspürt, unverlobt den Ball zu verlassen, sei, wie gesagt, älteren Frauen gegenüber vorsichtig. Sie haben entweder selbst Töchter, oder haben eine Freundin, die vor Töchtern nicht schlafen kann, und ein junger Mann hat doch keinen Begriff davon, wie rasch er mit der Mutter sprechen und verlobt sein kann. Die Hand eines jungen Mädchens ist im Handumdrehen vergeben, und wenn dann am anderen Morgen der Ballgast im verlobten Zustand aufwacht und es nicht gewesen sein will, so nützt dies in den allerseltensten Fällen.

Den Dienern und Mädchen, welche in den Tanzpausen Getränke herumreichen, weiche man aus. Es sind mandelmilchgebende Gestalten, und wenn sie trinkbare Erfrischungen bieten, so sind dies entweder völlig beruhigte Wässer, oder lammfromme Weine, die zwar den Durst löschen, aber dem Trinker gleichzeitig die Fähigkeit nehmen, die an der späteren Tafel erscheinenden besseren Jahrgänge zu genießen. Sollte man aber dann noch Durst haben und finden, daß der Wein knapp sei, so freue man sich. Denn nicht nur ist der Kater am anderen Morgen eine große Last, sondern bei scharfem Trinken kommt man leicht in die Lage, über alte Anekdoten zu lachen, die von einem beliebten Gast erzählt werden, und von solchem Lachen bis zum Selbsterzählen ähnlicher antiquarischer Scherze ist nur ein Schritt, und beides ist ein Beweis dafür, daß man an einem empfindlichen Mangel eigenen Witzes leidet.

Es kommt auf Bällen vor, daß irgend ein junger Mann dem Klavierspieler die Tasten entreißen und sich zum Gesang begleiten läßt. Dies ist für Nervöse und Kluge das Signal zur Flucht. Sie gehen dann in die Räume, wo sich Skatspieler, Bier und Cigarren vorfinden, und versäumen mit Vergnügen mehrere Lieder und Arien, welche sie schon bedeutend schlechter haben singen hören, obschon man sie wohl kaum bedeutend schlechter hat singen hören können. Dasselbe gilt auch meist von den Liedern und Arien, welche von den Primadonnen der Familie vorgetragen werden. Man kann sich also auch diesen entziehen, besonders wenn man von dem Glück, das ohne Reu ist, und von Vorfällen wie einst im Mai bereits seit Jahren unterrichtet ist. Auch kennt wohl schon jeder den weltberühmten Hymnus auf den Wiener Fiaker auswendig, auf den Droschkenkutscher, welcher, ein echtes Wiener Kind, mit seinem Zeugl am Graben hält, die Fahrgäste übers Ohr haut und dem Fremden den Aufenthalt in der liebenswürdigen Kaiserstadt so ungemein verleidet. Auch das Lied, welches einen Einblick in das, was kein Goethe geschrieben und kein Schiller gemacht hat, gerne verschafft, dürfte bereits von jedem Ballgast vom Blatt gepfiffen und kann also ohne Schaden versäumt werden. Aber selbst wenn die Ballgeber Sängerinnen und Sänger von Beruf für die Ballpause gewonnen haben, kann man sich getrost in einen Raum begeben, in welchen ihr Gesang nur dann dringt, wenn die Thür unvorsichtig weit geöffnet wird. Denn ihr Repertoire ist gleichfalls aus höchst bekannten Nummern zusammengesetzt, und was sie dem holden Abendstern zu sagen und über die im Zigeunerstamm übliche Art zu lieben warnend zu bemerken haben, ist bereits in die Ohren aller Schichten der Bevölkerung eingedrungen. Tritt aber trotzdem der ungeheuer sensationelle Fall ein, daß einmal eine neue Gesangsnummer vorgetragen wird, die man also nicht hören würde, so ist dieser Verlust doch gewöhnlich sehr rasch verschmerzt, ganz abgesehen davon, daß man ihr in der nächsten Woche ohne Zweifel wieder begegnet.

Ganz dasselbe gilt von den Vorträgen derjenigen Gäste, welche ein Instrument spielen.

Ich ziehe sie aber allen vor, denen, um mich gebildet auszudrücken, Apoll der Lieder süßen Mund geschenkt hat, denn diese musikalischen Herrschaften brauchen nur ihren süßen Mund in die gesellschaftlichen Veranstaltungen mitzunehmen, um etwas vorzutragen, während der Instrumental-Virtuose nicht immer sein Instrument bei sich haben kann. Eine Ausnahme machen nur die Pianistin und der Pianist, da sich ein Klavier selbst in solchen Häusern findet, an deren Wänden Stuck fehlt, jeder andere Virtuos muß besonders ersucht werden, Geige, Cello oder Flöte mitzubringen, was aber dadurch erschwert wird, daß damit meist eine Aussicht auf Honorar eröffnet zu sein pflegt. Musiker, deren Instrumente eo ipso ausgeschlossen sind, habe ich besonders lieb. Ich nenne den Kontrebaßspieler, den Bombardonbläser, den Pauken-, Trommel- und Beckenschläger, sowie den Fagottisten.

Unter den Musikern sind solche, welche dem Gast, welcher aus irgend einem Grunde nicht davonzukommen wußte, sehr schroff entgegentreten, wenn er es wagen sollte, während des Spiels einige Worte zu einer Nachbarin oder zu einem Nachbar zu sprechen. Der animierte Gast ist nur zu leicht verführt, zu glauben, daß er zu seinem Vergnügen anwesend sei, was ja gewöhnlich auf Täuschung beruht, und nun nimmt er an, es gehöre dazu auch eine gewisse Freiheit in der Bewegung, namentlich aber die Unmöglichkeit jeder Tyrannei. Der Musiker wird, wenn er ein peinlich tiefes Schweigen verlangt, einen Bruch desselben nicht sofort rügen, aber er wird doch den Gast, wenn er ihm wieder begegnet, mit Vorwürfen überschütten und ihm strenge sagen, wie er sich bei dem nächsten Wiegenlied oder Trauermarsch zu verhalten habe. Das ist nicht angenehm. Zur Vermeidung einer solchen peinlichen Belehrung möchte ich mir erlauben, allen Mitschuldigen die Form zu schildern, in welcher ich vor einiger Zeit den Angriff eines verstimmten und belehrenden Künstlers abgewehrt habe.

An nichts Böses und somit auch nicht an Tischmusik denkend, flanierte ich Unter den Linden, als ein Musiker auf mich zutrat, dessen ersten Worten ich sofort anmerkte, daß er sich zu einem Hühnchenpflücken anschickte. Ich nahm also das Wort: »Mein lieber Freund, vor einigen Tagen war ich in einer Gesellschaft, in welcher ich nach einem langen und sehr ermüdenden Diner das Glück hatte, einen mir sehr lieben Kollegen mit seiner Tochter, einer jungen, sehr schönen und geistvollen Dame, zu treffen. Eine heitere Unterhaltung entspann sich, aber sie war eben im besten Entspinnen, als Sie anfingen, fortwährend ziemlich laut Klavier dazwischen zu spielen, so daß wir kaum unser eigenes Wort zu hören vermochten. Das finde ich doch, um einen ganz milden Ausdruck zu wählen, nicht nett von Ihnen. Unsere Plauderei war wirklich interessant, aber gerade bei Gelegenheit der feinsten Pointen wurden wir durch Ihr Spielen gestört. Sie sahen uns scharf an, ich merkte es wohl. Sie können also nicht zu Ihrer Entschuldigung behaupten, Sie hätten nicht gewußt, daß wir uns vortrefflich unterhielten, wie Sie es unserer lebhaften Art zu sprechen anmerken mußten. Ich kann Ihnen auch nebenbei versichern, daß der Gegenstand unseres Gedankenaustauschs ein mindestens so erfreulicher war wie der berühmte Danse macabre, mit dem Sie uns fortgesetzt unterbrachen. Während einer lebhaften Unterhaltung sollte überhaupt nicht Klavier gespielt werden. Das ist höchst unpassend, und ein gebildeter Pianist wird sich auch nicht so ungehörig benehmen. Mein Gott, wenn man Klavier spielen will, so braucht man sich doch nicht gerade den Saal, in dem geplaudert wird, dazu auszusuchen, man unterläßt es entweder, oder geht, wenn man die Tasten nicht halten kann, bescheiden in einen anderen Raum des Hauses und spielt sich dort aus. Es ist merkwürdig, daß gerade die Musiker so rücksichtslos zu sein pflegen und immer, wenn sich die Gesellschaft eben zum Plaudern niedergesetzt hat, dazwischen musizieren. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich, während Sie mit einem alten Freunde etwas besprechen, plötzlich die Trommel rührte oder ins Waldhorn stieße!«

Man muß nicht glauben, daß ich diese Rede ohne Unterbrechung hielt. Im Gegenteil, mein Musiker versuchte, in jeder zweiten oder dritten Zeile mit einem »Erlauben Sie« zu Wort zu kommen, um mir, wie ursprünglich beabsichtigt war, die bittersten Vorwürfe darüber zu machen, daß ich es gewagt hatte, während seines musikalischen Vortrags mit einem interessanten Menschenpaar zu plaudern. Man thäte gut, gegen derlei anmaßende Künstler allgemein in meiner Weise vorzugehen und so die Gleichberechtigung aller Gäste zu wahren. Dann wird die Unterhaltung der Gäste wenigstens nicht häufiger von den Musikern, als die Musik von der Unterhaltung gestört werden.Ziemlich mühelos, dagegen sehr dankbar ist die Kunst, auf einem Ball interessant zu erscheinen. Man stehe in einer Ecke und sei stumm. Das wird im allgemeinen für Philosophie oder unglückliche Liebe, häufig wohl auch für beides gehalten. Wird man aber zum Reden gezwungen, so erkläre man alle durchgefallenen Stücke für Meisterwerke und behaupte auch sonst immer das Gegenteil von dem, was allgemein, namentlich von Gebildeteren, gesagt wird. Man wird infolgedessen sehr bald als Charakter gelten, aber man entferne sich dann ziemlich früh, besonders wenn eigentlich nichts mehr kommen kann. Denn der Balltitel-Charakter hat keine rechte Festigkeit und wird nur zu leicht in Hansnarr oder dergleichen umgewandelt.

Wenn man das Unglück hat, einer Dame den Saum des Kleides abzutreten, so sei man nicht untröstlich. Das wird ja doch nicht geglaubt. Sagt aber die betreffende Dame mit bezauberndem Lächeln: »O bitte, das macht nichts, das ist rasch repariert«, so meint sie: Sie sind ein ganz gemeingefährlicher Tölpel!

Man rede eine Dame nicht an, während sie ihren Fächer graziös vor dem Gesicht hält, so daß man nur ihre Augen sieht. Sie gähnt nämlich in diesem Augenblick. Auf Bällen ist Gähnen eines der unveräußerlichsten Menschenrechte, und ihm verdankt der Fächer einen großen Teil seiner Existenz. Gäbe es eine wirkliche Fächersprache, so würde dies noch deutlicher ausgesprochen werden.

Man mache einer schönen Frau keine Komplimente, denn sie wird doch immer behaupten, daß man ihr nichts neues sagt. Sie hat schon alles gehört. Läßt sie dies merken, so revanchiere man sich dadurch, daß man von der Schönheit einer andern Frau spricht.

Einmal tanze man mit der Schwiegermutter des Ballgebers. Das ist die Gewerbesteuer.Während der Ruhepausen im Kotillon suche man seine Dame bestens zu unterhalten. Von den Gegenständen, welche dabei thunlichst zu vermeiden sind, nenne ich den Käse, den Lustmord, den Zinsfuß, die ägyptische Augenkrankheit, die Müllabfuhr, die Klauenseuche und das Hühnerauge. Auch die Wanderraupe berühre man nur flüchtig.

Beim Dessert strenge man sich an, dem Vielliebchenessen[die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, Vielliebchen« zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.] auszuweichen. Die Damen gewinnen immer, und dann weiß man nicht, was man nicht schenken soll.

Wenn man eine größere Reise anzutreten gedenkt, so verschweige man dies namentlich den Damen, weil diese bekanntlich bitten würden, ihnen von allen Stationen eine bunte Postkarte zu senden. Da man dies natürlich verspräche und sicher nicht thäte, so ärgert man sich später, daß man es versprochen hat.

Die Ballmutter soll man in Ehren halten. Es verkörpern sich in ihr die Mutterliebe, die Sorge und die Selbstlosigkeit. Keiner Parteien Gunst und Haß vermochte ihr Charakterbild in der Geschichte der Menschheit ins Schwanken zu bringen. Sie mag vielleicht auf den Bällen häufig in die Notwendigkeit versetzt werden, Verkehrsstörungen herbeizuführen, indem sie sich hier und dort in den Weg stellt, um sich zur Geltung zu bringen und allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nicht zum Vergnügen erschienen sei, am allerwenigsten zum Vergnügen der jungen Männer, aber das erhöht ihre Würde. Selbst wenn sie, noch in den Jahren unter dem Äquator des Lebens, tanzt, so soll sich der Ballgast sagen, daß sie dies nur aus Liebe zu ihren Töchtern thut. Sie mischt sich gewissermaßen in der Maske der Tänzerin unter die Menge wie ein Kriminalbeamter, der sich auf der Jagd nach einem Gesuchten vermummt hat, um auf die Spur desselben zu kommen. Der junge Mann, der sich über sie beklagt oder lustig macht, verrät dadurch einen gänzlichen Mangel an Gemüt, denn er trifft nicht nur damit vielleicht seine eigene Mutter, er bekundet auch den Mangel an Talent, das Ballleben von seiner ernsten Seite zu betrachten. Die Ballmutter ist der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Während alles um sie wechselt, bleibt sie unverändert. Sie ist ewig. Die jungen Männer werden älter, entfremden sich dem Tanz, verheiraten sich, werden den Frauen uninteressant und werden Philister, die jungen Mädchen werden durch die Ehe vom Ballboden rasiert, verschwinden in irgend einen Beruf, blühen zu Mauerblümchen heran und verstecken endlich Hals und Arme in die diskretesten Fabrikate der Textilindustrie, jede Ballsaison bringt neue Menschen, wie sie neue Walzer und neue Eisnamen bringt, Tanzgeschlechter kommen und verschwinden, Assessorenfluten wälzen sich durch die Säle, neue Schwärme von Backfischen tauchen auf und werden von der Zeit wieder verschlungen, aber die Ballmutter bleibt, unberührt von Hitze und Langeweile, im Sturm der Pflicht wetterfest geworden, achtunggebietend durch die Patina der Erfahrung, die sich in jedem ihrer Blicke bemerkbar macht, stolz im Bewußtsein erfüllter Pflicht, ängstlich durch ihre Kenntnis von der Verruchtheit des männlichen Geschlechts und immer Mutter, zu jedem Opfer und zu jeder Liebesthat bereit. Deshalb soll man sie in Ehren halten. Dies soll in erster Linie der junge Mann, der nur zu gern geneigt ist, bei diesem ehrenvollen Titel dumm zu lächeln. Er soll wenigstens aus Klugheit den Respekt nicht vernachlässigen. Denn die Ballmutter kann auch furchtbar werden, wie jedes Geschöpf, das ein Junges zu verteidigen gezwungen ist. Ein junger Mann hat gar keinen Begriff davon, wie er von einer Ballmutter durchschaut wird, die mit ganz besonders scharfen Röntgenstrahlen sieht. Wird er von einer Ballmutter vernichtet, so ist es seine eigene Schuld, ich habe ihn gewarnt.

Bekommt man beim Tanz einen derben Tritt auf den Fuß, so habe man keine Hühneraugen.

Schreibt eine Kotillontour Damenwahl vor und wird man von keiner Dame aufgefordert, so ist dies kein Kompliment, aber man bemerke es nicht. Man ist vielleicht, wie es in höheren Töchterschulen heißt, ein Ekel. Wird man von dieser seiner Unbeliebtheit überzeugt, so verlasse man vor Beginn der Damenwahl, indem man Schwindel vorschützt, der es ja auch ist, den Salon, und komme erst nach Schluß der Tour zurück.

Ist man ein Ekel, so gebe man sich keine Mühe, ein liebenswürdiger Mensch zu werden. Es nützt absolut nichts. Ein Ekel bleibt ein Ekel.

Fast auf jedem Ball finden sich einige alleinstehende weibliche Familienmitglieder älterer Zeitrechnung vor, welche in der Voraussicht eingeladen werden, daß sich im Laufe des Abends eine Familie findet, welche in ihrer Nähe wohnt und sie bis zur Ecke mitnimmt. Von der Ecke bis zu ihrer Thür gehen sie schon allein, da sie bis dahin von ihrem Alter vollständig vor jeder Gefahr, angesprochen zu werden, geschützt sind. Diesen ehrenwerten Familienmitgliedern des gastlichen Hauses bleibe man sorgfältig fern, sonst muß man selbst die beschriebene Begleitung leisten, die von einer ganzen Familie leichter getragen wird. Fällt also im Lauf des Abends die Frage: »Wo wohnen Sie?« so höre man vorbei und antworte: »O ich danke, ich kann nicht klagen,« oder ähnlich. Ein anderes Mittel ist noch nicht erfunden.

Ein großer Übelstand ist auch die große Achtung und Verehrung, die man in vielen Kreisen genießt. Findet in einem dieser Kreise ein Ball statt, an den sich ein Souper schließt, und man ist eingeladen, so wird man dadurch ganz besonders ausgezeichnet, daß man neben eine der Großmütter des Hauses placiert wird. Solche Damen pflegen sich das schöne Vorrecht des Alters, die Schwerhörigkeit, ungetrübt bewahrt zu haben, und die Unterhaltung gestaltet sich dadurch nicht besonders kurzweiliger. Weil der betreffende Platz nur zu dem Zweck gewählt worden ist, dem Gast ein Zeichen unbegrenzter Verehrung zu liefern und ihn an die Spitze der Gesellschaft zu stellen, so wird man das Herbe, das mit dieser Verehrung verbunden ist, leicht überwinden, aber man begreift doch nicht, weshalb jemand, der keinen Anspruch auf Achtung und Verehrung zu erheben hat, neben ein junges, blühendes, weibliches Geschöpf gesetzt wird, während man denjenigen, den man auszeichnen will, gar nicht vorher fragt, ob er nicht vielleicht bereit wäre, auf die Großmutter des Hauses zu verzichten und dafür vielleicht mit drei Damen, deren Jahre zusammengerechnet die der Großmutter ausmachen, zu soupieren, nur um in bescheidener Weise die öffentliche Huldigung abzulehnen.

Ist die Schwerhörigkeit der verliehenen Dame noch nicht weit vorgeschritten, so verliere man indes nicht den Mut, dann kann im Laufe des Abends noch alles gut werden, und man wird sich leichter trösten, wenn ich mitteile: Ich wurde eines Abends derart unverdient glänzend ausgestattet, daß ich an die Seite einer Dame gesetzt wurde, mit der nur ein schriftlicher Verkehr möglich war. Als ich mich ihr vorstellte, überreichte sie mir zu einem Bleistift einen ziemlich blätterreichen Block, den ich dann auch gewissenhaft aufplauderte. Sie las und gab mir dann eine Antwort, die mir aber stets den Bleistift wieder in die Hand trieb. Im Nachlaß der Dame muß sich denn auch eines der größten Manuskripte meines Lebens gefunden haben, denn ich habe selten anhaltender gearbeitet, als infolge der mir zu teil gewordenen Auszeichnung. Fürchtet man solche, so bringe man für alle Fälle ein Heftpflaster mit auf den Ball und lege es auf den Zeigefinger der rechten Hand, wenn Block und Bleistift zu erwarten sind. Zum Schreiben mit krankem Finger kann man von keiner Großmutter gezwungen werden. Übrigens ist das schriftliche Verfahren in der Unterhaltung bei Tisch noch nicht die schlimmste Form. Als ich eines Tages einer Tischgreisin, welche mich durch ihre Nachbarschaft auszeichnen sollte, vorgestellt wurde, reichte sie mir ein schlankes Instrument entgegen, welches ich im ersten Augenblick für eine Flöte hielt, so daß ich in meiner Verlegenheit nichts als die Worte hervorzubringen vermochte: »Bitte, nach Ihnen.« Dann erst bemerkte ich, daß es ein Kabel war, welches unsere Unterhaltung vermitteln sollte. Ich weiß seit jenem Abend nicht, welches die angenehmere Form der Unterhaltung ist: die durch die Vermittelung des Bleistifts oder der Hörflinte.

Wenn man von einem Ballgast um einen Thaler angepumpt wird, so wird dieser nicht ganz als Trinkgeld gebraucht. Der Thaler ist von jenem Ballgast entweder völlig oder bis auf eine Mark rein verdient.

Man gehe niemals ohne kleines Geld auf einen Ball. Das bei der Steuer angestellte Dienstpersonal kann niemals wechseln, obschon es ja das ganze kleine Geld hat.

Daß im Laufe des Abends musiziert wird, ist leider zu erwarten. So ein Klavier ist rasch geöffnet, und die Dame, welche es pauken gelernt hat, ist immer in der Nähe. Sträubt sie sich, so traue man ihr nicht. Es ist eine nur zu kurze Täuschung. Sieh, da sitzt sie schon und streift die Handschuhe ab, die unsere letzte Hoffnung waren. Auch eine Meistersingerin oder ein Meistersinger ist bald gefunden. Der Umstand, daß diese sich nicht einmal der Handschuhe zu entledigen haben, macht sie bedeutend gefährlicher als die Tastenhandwerker.

Man beklage sich nicht über die Wahl der Musik- und Gesangsnummern, so wenig sie zu der dem Zeitvertreib gewidmeten Ballnacht passen mögen. So viel ich mich erinnere, habe ich in unzähligen mitternächtlichen Stunden den Vater durch Nacht und Wind mit seinem Kinde reiten hören müssen. Ich bin in großen Gesellschaften immer etwas ängstlich, und es ist mir daher um Mitternacht ein heiteres Lied viel angenehmer als eine Gespenstergeschichte. Es ist aber merkwürdig, mit welcher Schadenfreude meist kleine oder größere Lieder gesungen werden, die mit irgend einem Tode enden. Dagegen im Nebenzimmer anzurauchen, ist schon schwer, aber wenn man im Saal in der Nähe des Flügels sich befindet und das in Musik gesetzte Ableben angesichts des mit gefurchter Stirn und weit aufgerissenen Augen Vortragenden mitmachen muß, so fühlt man so was wie eine Gänsehaut, es fällt einem ein, daß man irgend ein körperliches Leiden hat, und man möchte, wie der Hirsch nach dem Wasser, nach Udel schreien. Man glaube aber nicht, daß mein absichtlich herzloses Urteil über die Wahl der traurigen Liedertexte irgend etwas nützen wird. Nach wie vor werden die Gäste rücksichtslos in eine ernste Stimmung versetzt und mit der Macht der Töne auf die Nichtigkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht. Alle Sänger und Sängerinnen scheinen sich einzubilden, oder uns einreden zu wollen, daß nur durch den Tod Leben in die Bude komme. Erst vor einiger Zeit war ich genötigt, eine Dame, welche am Flügel schon fast eine Stunde lang Tote in allen Tonarten hatte singen lassen, zu fragen, ob sie nicht vielleicht auch eine Geburt auswendig wisse, da dies die Gesellschaft erheitern würde. Nein, sie hatte in ihrer Notenmappe nur Selbstmord, Stimmen aus dem Jenseits, Tod an gebrochenem Herzen, langsames Hinsiechen in der Verlassenheit und die beliebtesten Arten des Ruhefindens im Grabe. Sonst war die Dame sehr umgänglich und lebenslustig, nur suchte sie gern ganze Gesellschaften zu verstimmen und zwar meist mit glänzendem Erfolg. Hier ist noch viel zu thun, die Diners und Ballkreise vor musikalischen Hausfriedensbrüchen zu schützen. Auch sollten namentlich Damen nur solche Lieder und Arien singen, welche ihnen der Gast wenigstens halbwegs glaubt. Ich habe aber nur zu häufig in der bekannten Meyerbeerschen Arie von Damen um Gnade flehen hören, deren Erscheinung auch nicht im entferntesten den Gedanken aufkommen ließ, daß ihr irgend jemand zu nahe getreten sein konnte. Ihr Schreien um Gnade machte vielmehr den Eindruck, als wäre sie einer Bedrängung gegenüber durchaus geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Und es war, als antworte ihr nach ihrer Gnadenarie der Applaus nichts als: Gewiß doch!

Man applaudiere immer, wenn gesungen ist, denn wenn nicht applaudiert wird, so hat dies nur die Folge, daß weiter versucht wird, durch Gesang den Applaus zu erzwingen, und es wird auch gewöhnlich durchgesetzt.

Keinenfalls bleibe man bis zum letzten Tanz, da später alle Garderobe bis auf einen Hohenzollernmantel und Helm fort zu sein pflegt.

Im Saale behalte man immer den Chapeau claque unter dem Arm, bis dies lästig wird und man ihn fortlegt. In diesem Augenblick verschwindet er, aber man vermißt ihn erst, wenn man den Paletot angezogen hat und fortgehen will. Dann ziehe man den Paletot wieder aus und suche im Speise- und Tanzsaal. Wird noch getanzt, so werfe man einen Blick auf jeden Sessel, von dem sich eine Dame erhoben hat. Auf einem dieser Sessel pflegt man den Hut zu finden. Da die Dame längere Zeit auf dem Hut gesessen haben kann, so untersuche man den Mechanismus des Hutes nicht im Saal, da man ein zu dummes Gesicht macht, wenn der Hut nicht mehr springen kann, und ausgelacht wird, sondern man gehe hinaus und versuche, ihn im Vorzimmer oder im Korridor hutartig zu gestalten. Gelingt dies, so verlasse man trällernd das gastliche Haus. Um die Dame, welche wieder Platz genommen und der nun der Hut, auf dem sie so mollig gesessen, fehlt, bekümmere man sich nicht weiter. Die beiden in Gold gestickten Initialen, welche sich in deinem Hut befinden, können in dem neuen, den man kauft, wieder verwendet werden, wodurch eine Kleinigkeit erspart wird.

Weniger Vorteile und weniger Nachteile bietet der Jour fixe.

Er hat vor allem das Gute, daß man nicht zu erscheinen braucht, oder, wenn man erscheint, sich bald wieder entfernen kann. Die Anzeige, daß eine Dame an einem bestimmten Tag zu gewissen Stunden zu Hause sein wird, verpflichtet nur die Dame, zu Hause zu sein, was ihr allein unangenehm zu sein pflegt. Man macht von der Anzeige nur dann Gebrauch, wenn man gern erscheint, und auf eine Viertelstunde erscheint man auch da gern, wo man auf längere Zeit nicht gern erschiene.

In Häusern, wo der Jour noch nicht entartet ist, geht auch die Verpflegung nicht über eine leichte Anfeuchtung und kurzes Kuchenknabbern hinaus. Da aber das Trinkgeld fortfällt, so sieht man daran, daß es auf der Welt keine reine Freude giebt.

Da man stets Gäste anwesend findet, so mische man sich sofort nach dem Händeschütteln ins Gespräch über das Radeln. Selbst über das rauhe Wetter, obschon bereits das nötigste darüber gesagt ist, lasse man einige bedeutungsvolle Worte fallen. Denn es schickt sich nicht, ausschließlich Erfrischungen zu nehmen und wieder fortzugehen, obschon dies das Einfachste ist.

Auf die Frage: Thee oder Cognak? entscheide man sich für beides.

Auf die Frage: Wie geht‘s? antworte man nicht: Wie man‘s treibt. Man suche nicht mit diesem alten Scherz zu beweisen, das einem nichts einfällt. Das wissen die Anwesenden ohnedies.

Der Frau des Hauses sage man, sie sehe sehr vortrefflich aus, selbst wenn dies wirklich der Fall ist. Man braucht einen Jour fixe nicht für eine Gesellschaft zu halten und deshalb zu lügen.

Wird über Kunst und Litteratur gesprochen, so beteilige man sich an dieser Unterhaltung, auch wenn man etwas davon versteht. Es ist dies allerdings nicht allgemein gebräuchlich.

Werden die anwesenden Gäste vorgestellt, so merke man sich die Namen nicht. Dann braucht man sie nachher nicht zu vergessen. Nur die Namen Müller und Meier behalte man im Gedächtnis.

Man esse von den angebotenen Kleinigkeiten nicht viel, denn es sieht erstens nicht gut aus und zweitens sehr schlecht. Auch vermehrt es nicht die Sättigung, wenn man schon gegessen hat, und verdirbt den Appetit, wenn man erst zu Tisch gehen will.

Wird man einem dekorierten Herrn vorgestellt, so nenne man ihn Exzellenz. Er ist es nicht, aber er nimmt den Titel nicht übel. Er ist überhaupt liebenswürdig.

Dies sei man auch. Man höre alles mit lebhaftem Interesse an, namentlich das Gleichgültige, das erzählt wird. Wird eine Verlobung gemeldet, so gebärde man sich, als habe man endlich ein langerstrebtes Glück gefunden, auch wenn man die Verlobten nicht kennt. Stößt man unverschuldet auf eine Dame, welche eine halbe Stunde lang ohne Pause sprechen kann, so sage man sich: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er, und lasse die Dame über sich ergehen. Lautes Murren ist unschicklich und wird von der Dame auch als ein Zeichen des Wohlbehagens aufgefaßt. Im übrigen ist nach meinen Beobachtungen das Geschlecht der Rasch- und Vielsprecherinnen in Berlin im Aussterben begriffen. Es existieren nur noch einige guterhaltene Exemplare, wie von den echten Möpsen. Das Telephon und die bunten Postkarten, welche die Menschen zwangen, sich kurz zu fassen, haben unter den Plaudertaschen furchtbar aufgeräumt.

Man bleibt nur ganz kurze Zeit. Das ist das Bezaubernde des Jour fixe. Alle anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen könnten von ihm lernen, thun es aber nicht. Ein halbwegs beweglicher Jourfixer kann in einigen Nachmittagstunden rund ein halbes Dutzend solcher Besuche zurücklegen. Allerdings giebt es Besucher, welche den Jour fixe bis zur Nagelprobe auskosten und nicht wanken und weichen, bis das letzte Kaviarbrötchen verschwunden ist. Solche Besucher gehen mit dem Fluch der Gesellschaft beladen umher, sind auf das Tiefste verabscheut, können nach der allgemeinen Ansicht kein gutes Ende nehmen und merken es nicht. Sie sind in Jour fixe-Kreisen schon deshalb sehr gefürchtet, weil sie niemals fehlen. Alle Hoffnung auf eine starke Erkältung, die sie ans Bett fesseln würde, ist eitel, es sind auffallend starke, gesunde Leute. Andeutungen, daß der Jour fixe nur eine Station des gesellschaftlichen Lebens sei, verstehen sie nicht. Werden sie in der kommenden Saison nicht wieder aufgefordert, so halten sie dies für ein dem Hause sehr unangenehmes Versehen, das sie durch ihr Wiedererscheinen auszugleichen suchen. Bei dieser Gelegenheit wird ihnen voll Abscheu die Hand gedrückt, was sie für große Beliebtheit halten. Diese dauerhaften Besucher sprechen sich gewöhnlich sehr wegwerfend über den Jour fixe aus und lassen durchschimmern, daß sie ihn nur aus Gefälligkeit mitmachen, um dem Hause ein angenehmes Gesellschaftsmitglied zuzuführen. Sie werden es dahin bringen, daß der Zutritt zum Jour fixe nur gegen Vorzeigung der Einladung gestattet wird. Völlige Sicherheit vor ihnen wird dies aber auch nicht gewähren. »Herr,« würden sie den Portier anschreien, »sehe ich aus wie ein Mensch, den man nicht einlädt?« Hui, und sie sind drinnen, und herausgeworfen wird nicht. Diese Mitteilungen werden genügen, jedem Besucher eine kurze Anwesenheit zur Pflicht zu machen.

Man nehme keine Cigarre an. Die Jour fixe-Cigarre gehört zu den menschenfeindlichen Sorten, da das Rauchen am Jour fixe nicht Sitte ist und der Hausherr, der nicht anwesend zu sein pflegt, jede Verantwortlichkeit für die Cigarre ablehnt.

Es kommt vor, daß die Dame des Hauses ein ganz kleines Töchterchen in die Arena sprengen läßt. Man sei entzückt. Ist das Kind ein Affe, so nenne man es eine künftige Venus von Milo. Giebt die Mutter Zeichen der Unzufriedenheit, so lege man noch eine der drei Grazien zu, man gehe aber nicht höher. Wird das Kind dann wieder hinausgeführt, so gebe man seiner Freude durch bedauernde Worte Ausdruck.

Zu anderen häuslichen Gesellschafts-Episoden ist nur wenig zu bemerken.

Die Geburtstage vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.

Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.

Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.

Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort: Gartula! Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.

Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.

Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.

Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch gestern wurde davon gesprochen. So möchte man selber aussehen. Auch könnte man das Geburtstagskind, wenn es Frau und Mutter ist, für eine Schwester der Tochter halten. Hat das Geburtstagskind keine Tochter, so bearbeite man den Satz passend durch Heranziehung ihres Sohnes oder ihrer jüngsten Schwägerin. »Eine jüngere Schwester ihres Mannes« aber sage man nur im äußersten Notfall.

Vorsichtig sei man bei älteren Geburtstagskindern mit dem Wunsch: bis zum hundertsten Wiegenfest. Manchen ist dies zu wenig, da sie nicht weit genug von demselben entfernt sind.

Alle auf dem Geburtstagstisch ausgestellten Geschenke finde man blendend, selbst die fürchterlichen gestickten Sofakissen. Sind die aus guten Delikatessenhandlungen abgesandten »Stillleben« mit dem ganzen Komfort der Friandise ausgestattet, so nehme man vertrauensvoll die Einladung zum morgigen Mittagessen an.

Als Gatte des Geburtstagskindes esse man möglichst viele von den auf den Schüsseln ausliegenden belegten Butterbrötchen, sonst muß man sie am anderen Tage essen. Dann sind sie aber vertrocknet.

Von den öffentlichen festlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen sind etliche zu betrachten, welche mancherlei Gefahren und Unbequemlichkeiten bergen, auf die warnend und ratend hinzuweisen ist. Hier ist in erster Linie der Bazar zu nennen.

Der Bazar ist eine Wohlthätigkeits-Unthat, welche sich bis jetzt der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen gewußt hat, obschon die beliebte Frage bei jeder bekannt werdenden Unthat: Où est la femme? jedesmal sofort keine Frage ist. In jeder Bude, an jedem Tisch, hinter jedem Buffet des Bazars stehen zwei bis mehrere.

Man nähere sich ihnen vorsichtig. Nur wer gewöhnt ist, für eine Cigarette, eine Rose, oder ein Glas Bier bis zu zehn Mark zu bezahlen, trete vertrauensvoll näher.

Man unterlasse das Flirten. Jede Artigkeit, und sei sie auch ehrlich gemeint, treibt die Preise in die Höhe.

Man zeige keine Hundertmarkscheine. Die blaue Papierfarbe reizt die Damen.

Wenn man verheiratet ist und hat etwas billig gekauft, so nehme man den Gegenstand nicht mit nach Hause. Die Gattin pflegt ihn ärgerlich hinauszuwerfen und den unglücklichen Käufer vorwurfsvoll daran zu erinnern, daß er Familienvater sei. Ist dieser vorsichtig, so giebt er den Gegenstand dem Taxameterkutscher als Trinkgeld und verschweigt seiner Gattin, daß er den Bazar besucht habe.

Man bestimme vor dem Bazarbesuch genau eine größere Summe, die man verausgaben will, damit man nachher bestimmen kann, wieviel mehr man losgeworden ist.Man nehme von den Verkäuferinnen keinen Kredit, denn sie geben keinen.

Giebt man für einen Gegenstand aus dem Fünfzigpfennigladen der schönen Verkäuferin eine Mark und sie sagt: »Danke bestens,« so heißt dies: »Mein Herr, das ist sehr lumpig!« Hieraus mache man sich nichts.

Läßt man sich ein Gläschen deutschen Sekt für fünf oder zehn Mark einschenken, so kann man überzeugt sein, nicht betrogen zu werden. Es ist dann sicher kein französischer.

Rosen sind sehr teuer. Man stecke also eine ins Knopfloch, bevor man den Bazar betritt.

Wenn man in einem Bazar von den Damen sehr liebenswürdig behandelt wird, so daß man allgemein beneidet wird, so sei man Millionär, je mehrfacher, desto besser.

Bei Einkäufen und Zahlungen hat man zu wählen, ob man als Knauser oder als Potsdamer (wienerisch: Wurzen) gelten will. Das erstere ist billiger.

Ist mit dem Bazar eine Lotterie verbunden, so kaufe man Lose und verschenke sie. Man kennt ja immer den Einen und die Andere, denen man gern einen Schabernack spielt. Denn die Gewinne, welche solche Lotterie bringt, erschrecken selbst den Anspruchslosen. Es sind Ladenhüter von ehrwürdigem Aussehen, die einer längst verschwundenen Epoche der Industrie angehören und selbst nicht mehr die Kraft haben, die bescheidene Stellung eines Ladenhüters auszufüllen. Auch Abreißkalender eines verflossenen Jahres werden gewonnen, oder man gewinnt im Glücksfall einen solchen Kalender vom laufenden Jahr im Dezember, so daß man, um ihn noch ausnützen zu können, erst etwa 350 Tage abreißen muß. Allgemein gefürchtet werden auch Partituren durchgefallener Opern, welche von solchen Damen für die Verlosung gestiftet worden sind, die sich nicht sicher fühlen, daß sie sie dennoch eines Tages wieder durchspielen. Auch Bücher werden gewonnen, deren Titel lautet: »Tisch für Diabetiker«, oder »Der Klumpfuß heilbar«. Ja, ich habe sogar einen Herrn gekannt, der von einem Makartbouquet[Einer allgemeinen, aber nicht lange andauernden Beliebtheit erfreute sich der nach dem Wiener Maler Hans Makart benannte Makartstrauß aus getrockneten Gräsern, Palmwedeln und Blüten- wie Fruchtständen mancher Kompositen, die man schließlich auch noch färbte, vergoldete und versilberte.] erreicht worden ist. Er hat lange daran gelitten. Verlassen wir dies düstere Bild!

Selbst nehme man natürlich kein Bazarlos geschenkt. Niemals gewinnt man etwas Brauchbares, denn unter den größeren Gewinnen befindet sich weder eine Zehnpfennigmarke, noch ein Pferdebahnbillet.

Bedeutend weniger tumultuarisch und gefahrvoll gestaltet sich das in irgend einem städtischen Prunk-, Pracht- oder Festsaal stattfindende Vereinsfest.

Wer Mitglied eines Vereins ist, hat auch schon eines der Gründungs- und Jubiläumsfeste dieses Vereins mitgemacht, und es giebt wohl heute keinen Deutschen, der nicht Mitglied eines oder mehrerer Vereine ist.

Man hüte sich, in das Festkomitee gewählt zu werden. Es ist dies das einzige Mittel, vor dem Vorwurf bewahrt zu bleiben, daß man nichts gethan, aber alle vorkommenden Fehler verschuldet habe.

Ist man aber Mitglied des Festkomitees geworden, so versäume man deshalb alle Geschäfte, widme sich ganz den Aufgaben des Festes, arbeite unausgesetzt, komme nicht zu Atem, stürze sich in Unkosten und thue, was man kann. Man wird dennoch nicht das Wohlgefallen des Vereins erringen.

Im Festkomitee befinden sich einige Mitglieder, welche absolut nichts thun. Vor diesen nehme man sich in Acht, denn sie haben an der Thätigkeit der Eifrigen immer etwas auszusetzen Man zeige ihnen nicht, daß man thätig ist, denn man wird sonst von ihnen als ein aufdringlicher Streber und als ein Mensch bezeichnet, der sich fortwährend vordrängt.