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Der moderne Knigge
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Der moderne Knigge

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Will man recht vernünftig sein, so mache man sich als Mitglied eines Vereins niemals verdächtig, ein organisatorisches Talent zu besitzen. Dann entgeht man mit ziemlicher Sicherheit jeder Wahl in das Festkomitee. Wird man aber gewählt, so erkranke man und lehne mit großem Bedauern die Wahl ab.

Wenn man kein Redner ist, so weiche man bescheiden, aber energisch der Aufforderung aus, eine Festrede zu halten. Dies geschieht allerdings selten, aber es ist doch zum Gelingen des Festes nützlich, wenn dann und wann eine Rede von einem wirklichen Redner gehalten wird.

An die Festtafel setze man sich so, daß man von den Rednern sehr weit entfernt sitze. Wird dann gesprochen, so hat man sich nur zu erheben, wenn alles zum Hochrufen und Anstoßen sich erhebt, und sich wieder zu setzen. Dies vereinfacht die Tafelpflichten wesentlich.

Aber auch, wenn man die Rede deutlich gehört hat, lobe man sie. Denn jeder Tadel wird dem Redner hinterbracht und vermehrt die Zahl der Feinde um einen. Glaube man nicht, daß der Tadel verschwiegen bleibt. Denn am allerwenigsten schläft der Verräter bei Tisch.

Ist die Tafel sehr groß, so mache man keine Ansprüche an das Menu, sondern halte sich an den Käse, der immer gut ist.

Nehmen Damen an der Tafel teil, so sei man vorsichtig in der Wahl des Unterhaltungsstoffs, namentlich den Damen gegenüber. Ich rate dies aus trüben Erfahrungen an. So beging ich einmal die Unvorsichtigkeit, in einem unbewachten Augenblick den Namen Ulrike v. Levetzow in die Unterhaltung zu werfen und dabei Goethes zu erwähnen. Ich werde dies niemals wieder wagen. Auf das Antlitz meiner Dame lagerte sich alsbald die Furcht vor einem litterarischen Gespräch derart verzerrend und aus den schönen Augen blitzte es derart erschreckt, daß ich sofort über das Vanilleeis sprach, welches gerade herumgereicht wurde, und dadurch einer höchst peinlichen Scene ein Ende machte. Die Dame aber ist meine Gegnerin geblieben. Wie ich neulich hörte, hat sie behauptet, daß man ihr verraten habe, schon mein Großvater väterlicherseits sei ein Trinker gewesen. (Mein Großvater väterlicherseits hat nie getrunken.)

Was den Wein an der Tafel betrifft, so handelt es sich um eine Vertrauenssache, insofern man sicher vertrauen kann, daß er nichts oder wenig taugt. Man bestelle also Wein und trinke ihn nicht, dann richtet er keinen Schaden an. Unter den bei Tisch erscheinenden Getränken pflegen diejenigen Wässer, welche beim Öffnen des Patentverschlusses eine gewisse Unruhe verraten und mit Perlen um sich werfen, das Vertrauen zu verdienen, das man in sie setzt. Kann man aber nicht ohne Wein existieren, so sehe man sich nach einem alten Freund unter den Kellnern um und sage ihm etwas ins Ohr. Dies ist ein gutes Mittel, die Qualität des Weins zu verbessern.

Von den auf der Tafel stehenden Früchten das Folgende: Wer saure Trauben, Kochbirnen, recht trockene Datteln und alte Walnüsse liebt, greife munter zu, und er wird nicht enttäuscht werden.

Man bemühe sich, zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen. Thun dies dann auch andere, so belebt sich die Stimmung und es wird die Unterhaltung derart allgemein und laut, daß kein Toast mehr gehört wird. Diesen Moment benutze man selbst zu einem Toast, wenn man nichts zu sagen weiß.

Beginnt das Auseinanderreißen der Knallbonbons, so erzähle man die Geschichte von einem bei solcher Gelegenheit ausgeschossenen Auge. Es nützt aber nichts. Dagegen kann man die Unsitte und Geschmacklosigkeit dieses Bombardements dadurch mildern, daß man die Damen in der Nähe bittet, die Knallbonbons den lieben Kinderchen mitzubringen, nachdem man zu deren Besten die Patronen aus den Papierhüllen herausgezogen und weggeworfen hat. Nützt auch dieses nicht, sondern wird das Kanonieren verlangt, so füge man sich, verzichte aber darauf, sich die Papierkappe aufzusetzen, die nach dem Schuß zum Vorschein kommt, es sei denn, daß man das dringende Bedürfnis habe, sich lächerlich zu machen.

Erscheint der Kellner mit dem letzten Gang, mit den Zahnstochern, so sei man gentil, lege einen Thaler auf den Teller und lasse sich nicht mehr als zwei Mark fünfzig Pfennig herausgeben. Will man aber sehr vornehm sein, so giebt man gar nichts, sondern dankt herablassend.

Wird ein Tischlied gesungen, so lobe man den Text als geistvoll, der Gelegenheit vortrefflich angemessen und hervorragend gereimt. Erst wenn man festgestellt hat, daß der Dichter nicht nebenan oder gegenüber sitzt und seine Gattin oder andere nahe Verwandte nicht in der Nähe sich befinden, sage man die Wahrheit.

Wenn vor, während oder nach der Tafel ein Festspiel zur Aufführung kommt, so erkundige Dich rechts und links, sowie bei den vor und hinter Dir sitzenden Zuschauern nach dem Sinn der Anspielungen, die Du nicht verstehst. Damit geht die Zeit rascher vorüber. Langweilt Dich das Stück trotzdem und findest Du es schlecht, so unterlasse nicht, Dich an dem Applaus, dem Dacapo- und Hervorruf zu beteiligen, um nicht als Dummkopf oder als Störenfried bezeichnet zu werden. Ist das Stück von Dilettanten gespielt worden, so sage man ihnen aus demselben Grunde, wenn sie nach dem Schluß wieder in der Gesellschaft erscheinen, man habe selten so meisterhaft darstellen sehen, und man frage sie auch, weshalb sie nicht zur Bühne gehen.

Wird die Glocke von Schiller oder ein anderes unterhaltendes längeres Gedicht deklamiert, so beteilige man sich lebhaft an dem Schreien nach Ruhe. Dies macht gewöhnlich solchen Spektakel, daß man das bereits bekannte Gedicht nicht hört.

Ein Tänzchen pflegt den Abend zu beschließen oder, wie es offiziell heißt: das Fest zu krönen. Wenn man nun gewillt ist, nach dem bekannten lateinischen Lehrsatz, statt herumzustehen, tausend Schritte zu gehen, so wähle man eine Dame, welche das gleiche zu unternehmen wünscht, und schließe sich mit ihr der Polonaise an. Beginnen aber die Riesenunternehmen, welche nach Tisch sich besonders für gewissenhaft übende Akrobaten eignen, so namentlich das in gebückter Körperhaltung auszuführende Passieren des von den Paaren gebildeten Tunnels, so sage man seiner Dame, diese Tour mache korpulent, worauf sie sich gern auf einen der an der Wand stehenden Stühle transportieren läßt.

Ist man älter als ein halbes Jahrhundert und hat man das Bedürfnis, sich lächerlich zu machen, so tanze man nach der Polonaise einen Walzer mit einer jungen Dame. Ein einziger Walzer genügt zur Erreichung des angegebenen Zwecks. Dies merkt man sofort, wenn die junge Dame sagt: »Sie tanzen noch sehr gut.« Man soll aber überhaupt nicht tanzen, wenn man noch sehr gut tanzt.

Für den Kotillon engagiere man, wenn man kein Freund oder Meister der Unterhaltung sein sollte, eine Dame, deren Beliebtheit bekannt und die deshalb meist auf Extratouren unterwegs ist.

Ist man jung, in ernährender Position und nicht gerade von abschreckendem Äußeren, so sei man während des ganzen Abends vorsichtig und aufmerksam, sonst ist man bald verlobt. Von Vereinsfesten führt eine elektrische Bahn zu allen Standesämtern. Das junge Mädchen im Ballkostüm, das höchst bescheiden auftritt, nicht bis drei zählen zu können scheint, eine Knospe im Haar und die Augen zu Boden geschlagen trägt, ist mit der größten Vorsicht zu behandeln, weil es auf dem Ball ein ganz anderes Geschöpf zu sein pflegt, als nach demselben. Auf einem Ball hat noch kein Mensch ein junges Mädchen kennen gelernt. Man macht dort nur ihre Bekanntschaft.

Wird man im Tanzgewühl heftig angerannt, so entschuldige man sich. Der Anrenner pflegt dies nicht zu thun, und es ist immer hübsch, wenn wenigstens eine Entschuldigung erfolgt. Keinenfalls benutze man, wenn man ein Paar herantoben sieht, die eigene Dame als Pufferstaat, wie ähnliches in der Politik zu geschehen pflegt, denn in der Politik ist erlaubt, was sich in guter Gesellschaft verbietet.

Hat man sich gelangweilt, so warte man geduldig die Festberichte in den Zeitungen ab, von denen man eines Besseren belehrt wird, indem man erfährt, daß das Fest in ungetrübter Fröhlichkeit verlief und bis in die späte Morgenstunde hinein einen glänzenden Verlauf nahm. Man kann sich also unmöglich gelangweilt haben.

Kennt man einen Berichterstatter persönlich, so erfülle man die Bitte der Dame, ihn ihr vorzustellen, auch wenn sie ausdrücklich hinzufügt, sie möchte in dem Ballbericht sich nicht als besonders entzückende Erscheinung erwähnt finden. Unter uns gesagt, sie fürchtet dies gar nicht, sondern wünscht es.

Geht man gern erkältet nach Hause, so verlasse man sich auf den in den Garderobenräumen herrschenden Zug.

Während nun der Stiftungstag oder die Jubelfeier eines Vereins, wenn auch schon ziemlich verschwommen, einen noch immer deutlich erkennbaren intimen Charakter trägt, indem an solchen Veranstaltungen vor allem die Mitglieder und deren Familienmitglieder teilnehmen, welcher Kreis sich durch Nahestehende erweitert und verstärkt, giebt es jetzt eine Reihe von Ballfesten, die zum besten der Unterstützungskassen und anderer wohlthätiger Zwecke von litterarischen, künstlerischen, industriellen und verwandten Korporationen und Genossenschaften arrangiert werden. Hierher gehören das Ballfest der Presse, der Schriftsteller, der Bühnengenossenschaft, des Vereins der Künstler, der Juristen, des Vereins der Kaufleute und Industriellen, der großen Vereine Schlaraffia und Eulenspiegel und anderer Vereinigungen, welche alljährlich das Publikum einladen, seinen oft bewährten Wohlthätigkeitssinn abermals an den Tag zu legen, der bis zum anderen Morgen dauert.

Allen diesen Ballfesten ist es angeboren, daß sie alle anderen bisher gegebenen durch den Glanz der Arrangements, wie durch die Fülle der Überraschungen in den Schatten stellen werden. Auch ist jedesmal der Andrang zu den Einlaßkarten seitens der besten Gesellschaft viel bedeutender als in einem der vorangegangenen Jahre, so daß nur noch eine kleine Anzahl Billets zu haben sein dürfte. Man hat sich deshalb zu beeilen.

Wer dies glaubt, lese keine der vielen Zeitungen, welche diese Notizen verbreiten. Denn da man die gedruckten Nachrichten meist für unwahr hält, so würde man seinen guten Glauben erschüttert sehen.

Eilt man infolge der Ballfestnotiz, daß nur noch wenige Karten übrig seien, in das betreffende Bureau und findet noch viele hundert Billets vorrätig, so erzählt man überall, man habe das letzte Paar Karten gekauft, damit noch viele auf jene Notiz hineinfallen und man also nicht einer der wenigen bleibt.Wenn man das Schriftstellerfest besucht, so sage man sich, daß auch nicht ein einziger namhafter Schriftsteller anwesend sein werde, damit man sich auf das Angenehmste getäuscht sieht, wenn ein Namhafter anwesend sein sollte. Zu diesem Zweck nehme man im Notfall den Titel Namhafter nicht so genau, sondern bezeichne irgend einen Journalisten, von dem man weiß, er führt eine geistvolle Schere und ist ein Ritter aus dem Kleisterreich, als einen namhaften Schriftsteller. Man bitte ihn aber nicht um ein Autograph, denn er würde es geben.

Ähnlich verfahre man auf den Festen des Vereins Berliner Künstler.

Wer um keinen Preis Menzel und Begas sehen möchte, der besuche diese in ihrer Art einzigen Feste.

Auf den Festen der Presse und Schriftsteller bitte man niemals einen Zeitungsverleger um die Gefälligkeit, seine besten Mitarbeiter zu zeigen. Denn er würde dann auf mehrere Inserenten hinweisen, die er allein für seine besten Mitarbeiter hält, weil sie ihre Beiträge zeilenweis bezahlen.

Alle diese Feste besitzen eine reiche Einnahmequelle, welche den Namen Tombola hat. Zu derselben haben, wie die bereits erwähnten sämtlichen Blätter versichern, viele Künstler eine große Anzahl hervorragender Werke beigesteuert. Die Niete kostet nur eine Mark. Dafür kann man die ausgestellten hervorragenden Werke ansehen. So kostet also die Niete nichts.

Wer Glück hat, kaufe ein Los. Der Pechvogel unterlasse es, denn es könnte doch sein, er habe einmal Glück. Alsdann gewinnt er sicher eine größere Photographie, die ihn während des ganzen Festes belästigt, bis sie ihm endlich abhanden kommt.Auf Theaterfesten werden gewöhnlich die Porträts der Künstlerinnen und Künstler verkauft, welche mit eigenhändig unterschriebenen Gedankensplittern geschmückt sind. Meistens findet man den Schillerschen Gedanken: »Ernst ist das Leben heiter ist die Kunst« gesplittert. Am beliebtesten sind Schauspieler und Sänger im Kostüm und Künstlerinnen im Gegenteil.

Die Tombola auf Schriftstellerfesten enthält viele Autographen. Auf ein Los, das gleichfalls nur eine Mark kostet, gewinnt man ein Autograph, das, wenn man es in teueren Zeiten in einer Autographen-Apotheke kauft, fünfzig Pfennig kostet. Da der Autor es bereits hundertmal geschrieben hat, so ist es derart unleserlich, daß man es nicht lesen kann. Dies erhöht seinen Wert.

Wird einem ein Künstler oder ein Schriftsteller vorgestellt, der, je häufiger man seinen Namen hört, desto unbekannter wird, so rufe man freudig Ah! um ihn nicht dadurch zu kränken, daß er merken muß, er sei in den weitesten Kreisen gänzlich unberühmt. Er ist durch das Ah! schon vollständig befriedigt. Man lasse sich auch nicht darauf ein, von seinen Werken zu sprechen. Allerdings existieren solche von ihm, aber man nennt ihm doch nur gar zu leicht solche, die von einem andern herrühren, und das würde ihn gleichfalls kränken.

Lernt man einen unbedeutenden Schauspieler kennen, so freue man sich namenlos, endlich dem ersten jetzt lebenden Darsteller gegenüber zu stehen. Statt Darsteller kann man auch Seelenmaler, Schöpfer, Interpret des Dichters und Menschenbildner sagen. Lehnt der Schauspieler die Bezeichnung ab, er sei der erste jetzt lebende, so sehe man sich nach einem Arzt um, denn dann ist er eben verrückt geworden.

Eine ältere Schauspielerin, auch solche, welche so alt ist, daß sie sich jung schminken muß, wenn sie die Hexe im »Faust« spielt, frage man, ob sie dieselbe sei, die man vor etlichen Jahren die Jungfrau von Orleans darstellen sah. Sie wird sich über diese Frage freuen und sie bejahen, obschon sie sie der Wahrheit gemäß verneinen müßte. Dann füge man hinzu, daß man sie noch einige Jahre früher als eines der Kinder der Norma bewundert habe. Auch dies wird für richtig erklärt, und man wird die dankbare Künstlerin den ganzen Abend nicht wieder los.

Tanze nicht mit einer Dame vom Ballet, denn sie kann gewöhnlich nicht tanzen, sondern nur springen, was nun Du wieder nicht kannst.

Sagt man einem mittelmäßigen Schauspieler, sein Wallenstein sei so gut wie der Sonnenthalsche, so denkt er: »Der Esel weiß nichts von mir,« denn er ist überzeugt, daß sein Wallenstein besser sei.

Ist das Künstlerfest ein Kostümfest und hat man den Wunsch, allgemeine Heiterkeit zu erregen, so erscheine man als Wotan, wenn man sehr klein ist. Junge Mädchen, welche Aufsehen erregen wollen, erreichen dies dadurch, daß sie nicht als Rautendelein[Eine Elfengestalt in dem Märchendrama »Die versunkene Glocke« von Gerhart Hauptmann.] kommen. Dies hat sich schon seit einigen Jahren nicht ereignet.

Einem Realisten sage man etwas, was ihn mit Stolz erfüllt. Ist der Realist ein Maler, so teile man ihm mit, man habe sein Bild gesehen und nicht herauskriegen können, ob es ein Porträt, eine Landschaft oder einen gestrandeten Dreimaster darstelle. Ist der Realist ein Dichter, so bedaure man, während man ihm die Hand schüttelt, daß nicht er an Stelle Goethes den Faust geschrieben habe, er hätte doch gewiß in Auerbachs Keller mehr als fünfhundert Säue angebracht.Auf dem Juristenball antworte man, um sich gefällig zu zeigen, auf die Frage nach dem Befinden, man könne nicht klagen. Alsbald fällt auch dem Frager einer seiner ältesten Scherze ein, den anzubringen ihm, um für geistvoll zu gelten, Bedürfnis ist. Erst dann wird er allmählich ruhiger.

Wenn man zufällig einer der größten jetzt lebenden Künstler ist und längst im Verdacht steht, unsterblich zu werden, so bilde man sich nicht ein, daß man einem jungen Mädchen auf einem Ball willkommen sei. Jeder junge Mann, und sei er auch keineswegs einer der größten jetzt lebenden Kommis, ist einem jungen Mädchen willkommener. Tritt der unsterbliche Zeitgenosse trotzdem an das junge Mädchen heran, so schreibe er es sich selbst zu, wenn sie einst ihren Enkeln erzählt, sie erinnere sich, daß er ihr einmal einen Abend gründlich verdorben habe.

Ist man Raucher, so stecke man die Cigarren, welche am Schluß der Tafel herumgereicht werden, für den Portier ein und rauche die eigenen, die man mitgebracht hat.

Will man eine Dame umarmen, so warte man, bis das elektrische oder Gaslicht zur Vorführung von Schattenbildern oder eines Kinematographen abgedreht wird. Man ist dies dem anwesenden Gatten oder Bruder der Dame schuldig. Wird man trotzdem bei dem allgemein beliebten Umarmen erwischt, so spiele man den wilden Mann. Nützt dies nichts, so wisse man, wo die nächste Sanitätswache ist.

Findet man im Saal eine Bühne aufgeschlagen, so daß ein Festspiel zu erwarten ist, so beruhige man sich. Das Festspiel kann ja vielleicht beinahe kurzweilig sein.

Ist man an eine sehr unterhaltende Tischnachbarin geraten, so gehe man nach Tisch in eine Restauration nebenan und erhole sich dort von dem Glück, das man gehabt hat.

Da die stark bevölkerten Feste in sehr großen Lokalitäten stattfinden, in welchen die Verwaltung mit großem schwarzem Finger auf den Weg zum Tunnel weist, so möchte ich, indem mir dies einfällt, auf einen verzeihlichen Irrtum belehrend aufmerksam machen, der leicht vermieden werden kann. Man sieht oft Paare auf diesem Wege hinabgehen. Bei diesen handelt es sich aber um eine Verwechslung mit dem Tunnel aus Eisenbahnfahrten. Im Gegenteil ist der Tunnel der großen Festlokalitäten sehr hell erleuchtet. Man trinkt daselbst Bier und raucht. Die Paare können sich daselbst sehr angenehm unterhalten, aber, wie gesagt, einen Tunnel im Reisesinne finden sie hier nicht.

Man gehe dann und wann an einem flirtenden Paare dicht vorüber, um sicher die Worte »Fishing for compliments« zu hören. Es sind dies zwar keine ganz neuen Worte, aber man vernimmt sie doch zuweilen gern, weil sie bekunden, daß einmal wieder einer Dame oder einem Herrn absolut nichts besseres eingefallen ist.

Ist man Schriftsteller, so wird man häufig dadurch von einem Gast hervorragend ausgezeichnet, daß er wohlwollend ersucht, oder fordert, ihm die Bücher, die man herausgegeben hat, auf einige Tage zu leihen. In solchem Fall sei man nicht kleinlich, sondern nenne dem Gast eine Buchhandlung, in welcher die Bücher käuflich zu erwerben sind.

Wird einem jungen Manne von einem bedeutend jüngeren Fräulein versichert, ihre Mutter würde sich sehr freuen, wenn er sich ihr vorstellte, so habe er dies nicht gehört. Nicht jeder ist einer Mutter gewachsen.

Ist man Gatte, hat seine Frau am häuslichen Herd gelassen und ist allein auf dem Fest erschienen, so wird man am anderen Morgen nach besonders eleganten Ballkostümen gefragt. Für diesen Fall erleichtert es die Antwort, wenn man besonders gründlich diejenigen Damen betrachtet, welche ziemlich wenig bedeckt sind. Das ziemlich Wenige behält man leichter im Gedächtnis.

Hat man sich mit solchen Gastinnen sehr eingehend und gut unterhalten, so berichte man seiner Frau das Gegenteil.

Man schnupfe weder bei Tisch, noch beim Tanz, es sei denn, man ist ein Knote.

Tanzmeister und solche Gäste, welche eine Quadrille kommandieren, schreien immer, als stäken sie am Spieß oder bildeten sich zu Extrablatt-Verkäufern aus. Über solche Brüller beklage man sich nicht, weil dies absolut nichts nützt. Man behandle sie im Gegenteil mit Schonung, weil sie sonst noch ärger brüllen. Höchstens frage man sie: Sagten Sie was? oder: Wie meinten Sie?

Man sei, wenn irgend möglich, Reserveleutnant, verheimliche dies aber nicht, um nicht aufzufallen.

Alle Drucksachen, Albums, die Tischkarte und andere zur Verteilung gekommene Festgaben gebe man sorgfältig in der Garderobe ab, nachdem man den daselbst angestellten Frauen die Nummer angegeben hat. Da man die bezeichneten Sachen später nicht wiederfindet, so ist man sie los und braucht sich nicht mit ihnen den Heimweg zu erschweren.

Hierher gehört auch der alljährlich im Opernhaus stattfindende Subskriptionsball obschon wenige Hinweise genügen. Dieser Ball ist kaum ein Ball und dauert nicht lange. Somit ist er einer der beliebtesten Bälle der Saison. Man besuche ihn nur, wenn man gut herumstehen kann.Es giebt sehr wenige öffentliche Bälle, an die so gar keine Anforderungen gestellt werden, wie an den Subskriptionsball. Der Besucher behauptet, der Blick in den Saal beim Eintritt sei entzückend, um sich zu entschuldigen. Ist man aber aus der Provinz, so kann man sich überhaupt nichts Schöneres denken.

Nachdem der Hof seinen Umgang beendet hat, beginnt die Gesellschaft, nicht zu tanzen, weil kein Platz dazu vorhanden ist. Diese angenehme Gelegenheit benutzt man, um in die Logen des ersten Ranges zu starren, in welchem die Diplomaten und andere Würdenträger mit ihren Damen sitzen. Will man wissen, wer sie seien, so frage man niemand. Niemand weiß es nämlich.

Will man sich angenehm und den Eindruck machen, daß man in den hohen und höchsten Kreisen der Gesellschaft zu Hause ist, so antworte man, wenn man nach den Insassen der Logen befragt wird: Der Herr rechts ist der österreichische, der links der englische Botschafter. Es ist nicht richtig, aber der Fragende ist sichtlich erfreut. Nur die Herren, welche einen Fez tragen, bezeichne man nicht als Mitglieder des deutschen Reichstages. Es pflegen Türken zu sein. Auch nehme man sich in Acht, einen großen starken Herrn als den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe zu bezeichnen, da der Reichskanzler Fürst Hohenlohe unter Lebensgröße ist.

Hat man den sehnlichsten Wunsch, von Seiner Majestät dem Kaiser angesprochen zu werden, so stelle man sich in die erste Reihe der sich in der Nähe des Kaisers sammelnden Gesellschaft und warte das weitere ab. Es nützt allerdings nichts.

Wird man gefragt, wie man sich unterhalte, so antworte man: Ausgezeichnet. Man gähne aber nicht dabei.

Wird man von einem aufgeregten Herrn für einen Lohndiener gehalten und für eine Dame um eine Haarnadel gebeten, so finde man darin keine beleidigende Absicht. Dann sieht man im Frack und mit der weißen Binde wirklich wie ein Lohndiener aus.

Man amüsiere sich. Dies ist leicht, wenn man, nachdem man einen Tritt auf den Fuß erhalten hat, sich darüber freut, daß man mit einem einzigen Tritt davongekommen ist.

Weitere Vergnügungen, über die man sich als über Kurzweil freuen muß: Man verliert im Gedränge einen Onkel und dessen Frau. Man hat immer noch die Uhr. Man wird von einem guten Unbekannten begrüßt, dessen Namen einem einfällt. Man wird einer merkwürdig steilen Dame vorgestellt, die nicht dekolletiert ist. Man fühlt, daß man die Garderobenummer noch hat. Man wird zu einem Glas Sekt von einem Herrn eingeladen, der selbst mit Geld versehen ist. Man trifft einen gefürchteten Anekdotenerzähler, dem nichts einfällt. Man sieht Herrn v. Lucanus und ist nicht Minister. Man sieht eine in Diamanten strahlende Künstlerin und ist nicht ihr Geliebter. Man denkt daran, daß man keine Zahnschmerzen hat.

Wenn man in dieser Weise den beliebten Freudenbecher bis auf die Nagelprobe geleert hat, so begiebt man sich in den Speisesaal, wo jeder, der jahrelang den vornehmsten Ball der Residenz mitmachen oder wenigstens sich einmal im Leben in dessen Strudel stürzen wollte, sich seit Beginn des Balles niedergelassen hat, um zu Abend zu essen und alles zu versäumen. Hier ist die Gesellschaft in der fröhlichsten Stimmung, so daß man überall, wo man, auf einen leeren Stuhl mit der Frage deutend, ob er besetzt sei, kurz abgewiesen wird. Hat man aber endlich einen Stuhl gefunden und sich mit ihm entfernt, so wird er sofort von einem vergnügten Ballgast requiriert und man ist ihn wieder los. Dann geht man in ein Restaurant in der Nähe des Opernhauses.

War man nicht so, wie geschildert, vom glücklichen Zufall begünstigt, keinen Platz zu finden, sondern hat im Gegenteil im Speisesaal des Opernhauses eine Stelle gefunden, wo man ruhig warten kann und nichts zu essen bekommt, so sei man nicht unglücklich, wenn einem der Kellner die Sauce über den Frack schüttet. Man beklage sich auch nicht bei einem Tischnachbar, denn er wird sagen: Der Sauce schadet es nichts.

Nachdem man nichts zu essen bekommen hat, gehe man wieder in den Ballsaal, wo mittlerweile Raum für die Tanzenden geschaffen worden ist, und sehe die Leutnants tanzen. Ein schönerer Anblick ist wohl nicht denkbar. Diesem Schauspiel wohnt man eine halbe Stunde bei, worauf man das Zeichen zum Aufbruch gähnt.

Wenn man noch unverheiratet ist, so lasse man sich die anwesenden Amerikanerinnen zeigen. Ist eine mit mehr als zehn Millionen Dollars Mitgift darunter, so greife man zu. Nur in dem Fall, daß man adlig und sehr verschuldet sein sollte, unterlasse man es, denn dann greift die reiche Amerikanerin zu.

Seit einigen Jahren ist auch ein Kostümfest der Künstlerinnen, ein Fest, das ausschließlich von Damen besucht wird, in Mode gekommen. Die folgenden Fingerzeige gelten also nur den Damen.

Es versteht sich wohl von selbst, daß, wie Herrenfeste, auch Damenfeste langweilig sind. Eine Dame, die ein solches Fest besucht und darauf gefaßt ist, sich zu langweilen, wird sich sehr langweilen. Das aber ist die Garantie für den Bestand dieser Damenfeste, da jede Dame, welche sich gelangweilt hat, behauptet, das nächste Fest könnte unmöglich ebenso langweilig werden und es daher besucht.

Man wähle kein Kostüm, in welchem man glänzend aussieht, denn dadurch bestimmt man alle Damen zu der Äußerung, daß man sehr miserabel aussehe. Um sich allgemein beliebt zu machen, erscheine man also höchst unvorteilhaft gekleidet. Das beste ist, man wählt die Maske als Mephisto, als Hexe, als Zeitungsfrau oder als Froschkönig, weil man dadurch Gelegenheit hat, auch das Gesicht zu verhäßlichen. Das gefällt den anderen Damen.

Mancher Mann, der sich, als Dame verkleidet, eingeschlichen hatte, ist von den Besucherinnen beneidet worden, weil er hinausgeworfen wurde.

Solche Damen, welche Sekt trinken und dazu rauchen, meinen es nicht so. Diejenigen Damen, welche Thee genießen und das Rauchen verabscheuen, meinen es auch nicht so.

Verheiratete Damen, welche ungemein sanft sind und kein lautes Wort sprechen, würden von den Gatten, wenn sie anwesend wären, nicht wiedererkannt werden.

Giebt eine Dame verschwenderisch Geld aus, so hat sie es durch große Sparsamkeit gesammelt, was die Familie seit Wochen bei Tisch gemerkt hat.

Gehört eine der anwesenden Malerinnen der realistischen Richtung an und kann nicht tanzen, so tanzt sie jedenfalls besser, als sie malt.

Damen, welche als Gretchen erscheinen, sind vor denen zu warnen, welche als Faust erscheinen, denn sie werden sicher betrogen und gehen mit den Worten: Kein Vergnügen mit Damen! nach Hause.

Hier sind auch die Herrenfeste zu erwähnen. Sie sind die Zote im Dienste der Wohlthätigkeit, ohne daß die Zote dadurch das Recht zu existieren erreicht.Alle Männer verstehen die Zote. Wenn aber die Zote Geist hätte, so würde sie die Männer nicht verstehen.

Man bestelle vertrauensvoll Speisen und Getränke. Im Vergleich mit den Vorträgen ist alles genießbar.

Man lache immer, denn wer nur über neue Zoten lachen wollte, würde nie lachen.

Wenn man sich vor den Kellnern geniert, so freue man sich, denn dies ist ein Beweis dafür, daß man anständig ist. Aus demselben Grunde applaudiere man, wenn ein Vortrag harmloser Natur an die Reihe kommen sollte.

Will man originell sein, so bringe man einen Toast auf den abwesenden Staatsanwalt aus. Aber man wird sich dadurch nicht beliebt machen, was man sofort merkt, wenn man vom Festkomitee hinausgewiesen wird.

Während der scenischen Darstellungen schimpfe man über den auf der Bühne herrschenden Ton, um nicht aufzufallen, denn das Publikum der Herrenfeste ist ein anständiges, und man schimpft allgemein.

Nach den folgenden Gesangsvorträgen der eingeladenen Sänger verlasse man das Fest, da sie immer anständig zu sein pflegen und man daher mit einem freundlichen Eindruck davonkommt.

Das Herrendiner ist und bleibt immer eine der liebenswürdigsten Formen, Eingeladene, die nicht gern ohne Damen speisen, zu langweilen, und schon darum verzeihlich. Auch kann der Herr des Hauses oft nicht anders, und es ist ihm schon darum nicht übel zu deuten, weil er sich dabei selbst nach Kräften langweilt.

In der Reihe der häuslichen gesellschaftlichen Veranstaltungen nimmt das Herrendiner diejenige Stelle ein, die das Spezialitäten-Theater in der Reihe der Bühnen einnimmt. Wer ein Herrendiner giebt, hat für Spezialitäten hervorragender Art zu sorgen, um sein verwöhntes Publikum zu befriedigen. Er hat Gänge und Weine zu liefern, die den Rang vielgenannter Namen der Gesangs-, Tanz-, Drahtseil-, Trapez- und Athletenkunst einnehmen.

Wer lange keinen Kater und keine Magenbeschwerden hatte und sich danach sehnt, lehne die Einladung zu einem Herrendiner nicht ab.

Ist man eine hervorragende Persönlichkeit, so sei man rücksichtslos, so daß die Gesellschaft etwas lange warten muß, bis zu Tisch gegangen wird. Denn es macht dem Wirt Vergnügen, daß die hervorragende Persönlichkeit oft und sei dies auch in feindseliger Stimmung genannt wird, wodurch der bedeutende Mann recht hervortritt.

Wenn man selbst dieser bedeutende Mann sein sollte, so entschuldige man sich nicht, wenn man endlich erscheint, um anzudeuten, daß man mehr ist, als die anderen. Man höre auch nicht, daß man als ungezogen und rücksichtslos bezeichnet wird, und sei überzeugt, daß jeder Gast frägt, was man sich denn eigentlich einbilde.

Ist kein so hoher Gast geladen, sondern gehören die Gäste derselben Gesellschaftsklasse an, so erscheine man pünktlich, um noch eine Weile vor Beginn der Tafel herumzustehen, sich die Hände zu reiben und »Wie geht‘s?« zu fragen. Auf diese Weise trainiert man sich für die meist folgende Langeweile.

Sind die Plätze schon belegt, weil der Wirt gern zwei Männer, die sich nicht ausstehen können, nicht zusammen oder einander gegenübersetzt, so zittere man, bis man die Gewißheit hat, daß man nicht neben einem Zuckerkranken placiert worden ist. Nur wenn man mit Vergnügen von körperlichen Leiden und nötiger Diät reden hört, freue man sich.

Da die Tafelrunde gewöhnlich aus älteren Herren besteht, so sage man jedem, er sehe vortrefflich aus, besonders wenn es nicht wahr ist. Ist man ein Vierziger und spricht mit einem Sechziger, so frage man, ob man nicht mit diesem in einem Alter sei. Dies macht Beiden Vergnügen.

Sind angenehme Mitbürger anwesend, so erwarte man mit Sicherheit, gefragt zu werden: »Leben Sie auch noch?« Man verneine, damit der Frager meint, man sei angenehm berührt, und damit er nicht merke, daß man ihn für einen Dummkopf halte.

Wenn nach der Suppe das Anekdotenerzählen ausbricht, so erzähle man gleichfalls eine alte Schnurre. Man muß sich nicht freihalten lassen. Muß man eine Anekdote zum sechsten oder achten Mal erzählen hören, so grolle man dem Erzähler nicht. Er weiß, daß er ein Wiederkäuer ist, und verläßt sich auf die Engelsgeduld seiner Opfer.

Man sehe sein Hemd nicht an, so weit es sichtbar ist, denn es sind einige Rotweinflecke zu entdecken. Aber man betrachte die Mitglieder der Tafelrunde, die Rotweinflecke haben sich bei allen schon eingestellt, und es macht den Eindruck, als sei dies Mode.

Man trinke mehr, als dem Wirt angenehm ist, aber nicht mehr, als man vertragen kann. Kommt ein herber Sekt, so bitte man um süßen. Kommt ein süßer Sekt, so bitte man um herben. Dann hat man beide Sorten. Ich habe dies von einem Tischnachbar in einer Herrengesellschaft gelernt. Er hieß – ich werde seinen Namen nie vergessen – Müller.

Man thue alles, was möglich ist, um die Umgebung in angenehmer Laune zu erhalten. Hat man einen Nachbar, der sehr undeutlich spricht und den man deshalb nicht versteht, so sage man dies nicht, sondern nicke immer mit dem Kopf als Zeichen, daß man kein Wort aus seinem Munde verloren habe. Erzählt ein Nachbar eine Anekdote, so lache man, selbst wenn sie durchaus pointenlos und schlecht vorgetragen sein sollte. Hat der Erzähler die Pointe ganz vergessen, so lache man noch herzlicher und nenne ihn einen Tausendsassa und unerschöpflichen Causeur. Hat ein Nachbar allerlei an einem Gang auszusetzen, der tadellos ist, so schließe man sich seinem Tadel an und verbeuge sich vor der feinen Zunge des Nörglers. Dies und ähnliches thue man im eigenen Interesse, um ungestört die Tafelfreuden genießen zu können.

Ist man verheiratet und bekommt von dem galanten Wirt ein Bouquet für die Gattin mit auf den Weg, so betrachte man dies als einen Wink des Schicksals, noch in ein Café zu gehen, wo man das Bouquet vergessen kann. Beachtet man diesen Wink nicht, sondern geht direkt nach Hause, so sage man der Gattin die Wahrheit über den Ursprung des Bouquets, da sie ja doch nicht glaubt, daß man es auf dem Heimweg gekauft hat. Für die Gattin scheue man kein Opfer.