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Die Unerwünschten
„Wir könnten Touristen einfangen, das Blut von denen in Flaschen absaugen und es im Kühlschrank aufbewahren …“, sagte Den.
„Hier oben gibt es eigentlich nicht viele Touristen, oder, Den?“, meinte seine Mutter und schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Wir könnten eine Mischung aus dem Blut verschiedener Tiere machen und jeder von uns spendet pro Monat einen halben Liter Blut“, steuerte Din bei.
„Also, ich weiß ja nicht, wie viel Blut eine Person im Jahr spenden kann, aber zwölf Mal ein halber Liter klingt schon nach einer Menge Blut – aber eine nette Idee, Liebes. Vielleicht wären ein paar Mitglieder unserer gesamten Sippe bereit, ab und zu Blut zu spenden, euer Vater ist in der Gegend ja recht beliebt …“
„Wir könnten anbieten, all das Blut von Leuten zu kaufen, die sterben“, schlug Den vor.
„Ich glaube, mein Lieber, du musst das Blut aus dem Körper herausbekommen, bevor derjenige stirbt, ansonsten schlägt ja das Herz nicht mehr und kann es auch nicht mehr herauspumpen.“
„Könnten wir sie nicht an den Füßen aufhängen und ihnen einen Zapfhahn in den Hals stecken … oder in ihr Herz … oder beides?“
„Aber sicher, wenn also die alte Mama von jemandem im Sterben liegt und alle deswegen weinen, ist dein Vorschlag, dass wir dorthin rennen, noch bevor sie kalt ist und fragen, ob wir sie an den Füßen aufhängen und ihr Blut in einen Eimer fließen lassen dürfen, damit dein Vater es später trinken kann, richtig? Das kommt bestimmt sehr gut an, ja.“
„Wir könnten anbieten, schon vorher etwas abzusaugen …“
„Denk nicht mal an so etwas Widerliches und Dummes!“
„Was ist mit Babys … naja, eher nicht, oder?“, meinte Den und verfiel in Schweigen, da man bisher all seine Vorschläge abgewiesen hatte.
„Also, fassen wir mal zusammen: erstens, Blut von Familienmitgliedern sammeln und zweitens, eine Mischung aus Tierblut fabrizieren, wobei wir von keiner Idee wissen, ob sie funktioniert. Sonst noch was?“
„Wir könnten … nein, eher nicht”, sagte Den.
„Sag schon, spuck’s aus, dumm oder nicht“, sagte seine Mutter. „Wir sind verzweifelt und müssen jede Möglichkeit prüfen.“
„Naja, ich könnte Moslem werden … dann könnte ich vier Frauen nehmen und damit hätten wir vier Blutspender mehr … und wenn von denen, sagen wir mal, jede vier Kinder hat, dann sind das nochmal sechzehn Spender mehr und…“
„Fein, Den. Danke! Jetzt wünsche ich mir, ich hätte nicht gefragt … als nächstes schlägst du vielleicht vor, dass deine Schwester anschaffen geht und einen Liter pro Nummer verlangt!“
Din lief bei dem Gedanken puterrot an und war schockiert, dass ihre Mutter das sogar ausgesprochen hatte, aber Den nickte gedankenverloren, bis Wan ihm einen Tritt versetzte.
„Soweit ich das sehe gibt es noch zwei Probleme, die wir noch gar nicht bedacht haben“, sagte Din. „Tante Da hat gesagt, dass Papa mit unserem Plan einverstanden sein muss, weil er das Zeug trinken soll und außerdem brauchen wir etwas für morgen.“
„Vielleicht können wir morgen den Ziegenblut-Milchshake verwenden, weil dein Papa den scheinbar lieber mag als den mit Hühnergeschmack. Aber ja, du hast recht, wir müssen uns bald etwas Dauerhaftes einfallen lassen. Wir können später Tante fragen. Und was euren Vater angeht: Er wird eben das trinken, was wir ihm geben und dankbar dafür sein müssen, bis er kräftig genug ist, seine eigenen Nahrungsbedürfnisse auf die Reihe zu bekommen. Aber ich bin sicher, er wäre froh, dass ihr euch Gedanken um ihn gemacht habt.“
Während die Drei ein paar Minuten lang ihren eigenen Gedanken nachhingen, ‚erwachte‘ Da.
„Habt ihr es geschafft, neue Ideen zu entwickeln oder sollte ich besser Lösungen sagen?“
„Nein, Tante“, gab Wan zu. „Den hatte ein paar einfallsreiche Vorschläge, aber die waren nicht wirklich umsetzbar. Leider stecken wir immer noch bei denselben Ideen fest, die du vor ein paar Stunden gemacht hast.“
„Ja, ich dachte mir schon, dass du das sagst, aber mal ganz ehrlich, es gibt keine einfache Lösung für das Problem. Bei meinen Meditationen kam auch nichts heraus, aber es ist schon später Nachmittag und ich bin müde. Könnte eines von euch Kindern mich heimbringen und wir überschlafen das Ganze?“
Sie warteten mit dem Essen auf Dens Rückkehr, dann kümmerten sie sich um die Tiere, duschten einer nach dem anderen und verbrachten die letzten Augenblicke des Tages zusammen, bevor sie früh zu Bett gingen, denn sie waren alle emotional erschöpft. In Wahrheit wollte jedoch keiner von ihnen alleine zu dem Vampir nach oben gehen, also gingen sie lieber alle zusammen.
Wan wollte sich nicht einmal neben ihn legen, aber sie fühlte sich dazu verpflichtet. Also ging sie als Älteste mit einer Kerze in der Hand vorneweg und die Kinder versteckten sich zitternd hinter ihr.
Sie blieben am Ehebett stehen und starrten. Heng saß kerzengerade im Bett und seine blasse Hautfarbe zusammen mit den korallenroten Augen leuchteten in der Dunkelheit.
„Guten Abend, Familie!”, sprach er mit tiefer rauer Stimme.
Alle drei legten sich jeweils in ihr Bett, aber sie konnten die Augen nicht von Heng abwenden, der einfach nur reglos vor sich hinstarrte.
1 3 PEE POB HENG
Nachdem sie endlich vor Erschöpfung eingeschlafen waren und in der Früh aufwachten, war Heng komplett von Decken verhüllt und hatte ein Kissen über dem Kopf.
Sie standen auf, liefen rasch an seinem Bett vorbei und so schnell wie möglich nach unten.
„Mensch, Mama, hast du gestern Papa gesehen?“, fragte Den. „Seine Augen und die blasse Haut haben im Zimmer geleuchtet, aber eigentlich waren es seine Augen, oder? Die Pupillen waren doch immer schwarz mit weißer Bindehaut wie bei uns, aber jetzt sind sie rot mit rosa Bindehaut … Das ist doch bestimmt wegen dem ganzen Blut.“
„Ich weiß es nicht, mein Lieber, aber ich nehme an, du hast recht. Hole lieber noch mehr davon und nimm deine Schwester mit, sie soll noch Milch bringen. Hast du dir gemerkt, wie die Tante das Blut abgenommen hat?“
„Ja, Mama, aber ich nehme es von einem anderen Ziegenbock, damit die Wunde von dem Bock gestern heilen kann.“
„Ja, gute Idee, Den. Nimm jeden Tag einen anderen Bock für das Blut und Din kann wie immer das normale Melken übernehmen. Aber vorläufig ist die ganze Ziegenmilch für deinen Vater, ja? Er braucht sie viel nötiger als wir und wir wollen ja nicht, dass er mitten in der Nacht Hunger bekommt.“
„Nein, Mama, wirklich nicht! Ich habe gestern Nacht ewig nicht einschlafen können. Ich war starr vor Angst, dass Papa anfangen könnte herumzuwandern um vielleicht nach etwas zu suchen, was er essen könnte – oder nach jemandem.“
„Jetzt zerbrich dir mal im Moment nicht den Kopf wegen solcher Sachen, Den. Ich bin näher bei ihm, also wird er sich zuerst mich vornehmen, aber wenn du eine verschrumpelte, blutlose Hauthülle in seinem Bett entdeckst, dann zieh aus. Das Gleiche gilt, wenn du eines Morgens siehst, dass dich vier rote Augen unter unserem Moskitonetz anstarren.“
„Da kannst du drauf wetten, Mama! Ich geh jetzt und hole sofort das Blut. Wo ist Din?“
„Ich weiß nicht, vielleicht hat sie schon mit der Milch angefangen. Mach deine Arbeit und ich fahre mit dem Roller zu Tante Da – ich glaube, dass wir immer noch etwas Hilfe mit deinem Vater brauchen. Du und deine Schwester wartet, bis ich zurück bin, bevor ihr zu ihm hinaufgeht, ja?“
„Ja, Mama, das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen, aber was machen wir, wenn er herunterkommt?“
„Ich glaube nicht, dass er das tut … er hat fest geschlafen, als wir aufgestanden sind, aber es dauert ja nicht lange, bis wir wieder da sind. Falls er doch aufsteht, dann lasst euch von ihm keinen Guten-Morgen-Kuss geben.“
Zehn Minuten später kam Wan mit Da zurück, die auf ihrem Tisch gesessen und auf den unausweichlichen Besuch eines Mitglieds des Heng-Haushalts gewartet hatte. Bei ihrer Rückkehr war Heng noch nicht heruntergekommen, Din hatte die Milch beschafft und Den war fast fertig.
„Gut“, meinte Da, „erstmal empfehle ich halb und halb Ziegenmilch und Blut mit einem Teelöffel Basilikum, einem halben Teelöffel Koriander und einer Prise von diesem hier. Rührt alles gut um und fertig ist der Shake. Gebt ihm in der Früh einen halben Liter und dasselbe vor dem Schlafengehen. Das sollte vorläufig reichen. Oh ja, gebt ihm niemals Knoblauch, das ist ganz schlecht für Vampire! Jetzt gehen wir mal nach oben und sehen nach ihm.“
„Bevor wir hinaufgehen, Tante, muss ich dir noch erzählen, dass er in der gestrigen Nacht die meiste Zeit kerzengerade im Bett saß. Er sah aus wie ein Leuchtturm mit leichenblasser Haut und rosa Augen mit roten Pupillen. Oh je, und wie er mit uns geredet hat! Oh, Buddha! So etwas habe ich noch nie gehört. Er hat gesagt ‚Guten Abend, Familie‘ mit einer ganz seltsamen, tiefen Stimme … es war wirklich gruselig.“
„Nimm das jetzt nicht so wichtig … Gehen wir und sehen wir mal nach ihm.“
Sie gingen mit der Milchshake-Flasche nach oben und betraten das Zimmer. Alle Fensterläden waren geschlossen und es herrschte tiefe Dunkelheit. Wan ging nochmal hinaus und nahm eine Kerze aus dem Kerzenhalter, zündete sie mit einem Feuerzeug an, das daneben an einer Schnur hing und ging wieder hinein zu Da, die näher ans Bett getreten war, in dem Heng schlief.
Das Kerzenlicht enthüllte nichts Neues, daher banden die Frauen das Moskitonetz nach oben und setzten sich jeweils an eine Bettseite. Wan zog die Decken zurück und da war er: Er lag er auf dem Rücken, die Arme weit ausgebreitet wie Jesus am Kreuz, die offenen Augen wie zwei tiefrote Kreise in rosa Mandeln in einer geisterhaften ausdruckslosen Maske mit Lippen, die zwei dünne Striche um seinen Mund bildeten.
Wan sah Da fragend an, die ihren Patienten studierte. Sie legte ihm den Handrücken auf die Stirn und war nicht überrascht, dass sie Zimmertemperatur hatte.
„Wie geht es dir heute, Heng?“, fragte seine Frau.
„Hungrig … nicht durstig“, sagte er und die Worte fielen ihm aus dem Mund wie Geröll, das bei einem Felsrutsch den Berg herunterpoltert.
„Gut, mein Lieber, setz dich auf jetzt. Wir haben einen feinen Milchshake für dich.“
Die Frauen rückten ihm die Kissen zurecht, halfen ihm sich aufzusetzen und legten ihm dann eine Decke um.
„Trink das“, sagte Wan. „Es ist der Geschmack, den du gestern am liebsten gemocht hast.“
Da goss etwas in einen Becher und steckte einen Strohhalm hinein. Heng trank zwei Gläser der rosafarbenen Flüssigkeit mit dem grünen Kräuterschaum und schien aufzuleben. Er setzte sich gerade hin und blickte um sich, als ob er alles zum ersten Mal sähe.
„Das schmeckt dir, Heng, ja?“, fragte Da. „Wie ich sehe, bist du jetzt viel munterer als bei unserer Ankunft. Meinst du, du kannst heute nach unten kommen? Die Sonne tut dir vielleicht gut … Du siehst etwas blass aus … Du bist es nicht gewöhnt, drinnen zu sein.“
Heng sah sie an, als ob er eine Fremdsprache hörte, dann blickte er auf seine Frau.
„Musst du auf die Toilette, Heng? Du warst schon ziemlich lange nicht mehr, ist unten herum alles in Ordnung? Willst du jetzt auf die Toilette oder soll ich dir einen Eimer hochbringen?“
„Ja, gute Idee, ich will unten auf die Toilette, aber erst noch mehr Milchshake.“
Da keine der Frauen wusste, wie viel er trinken sollte, gaben sie ihm so viel er wollte und Heng trank einen ganzen Liter.
Da setzte sich zurück und sah zu, wie Wan ihm half, sich anzuziehen. Als der Milchshake seine Wirkung entfaltete, wurde Heng lebhafter.
„Komm, mein Lieber, jetzt helfe dir, dich fertig anzuziehen, dann gehen wir hinunter.“
Jede Frau nahm einen Arm und sie halfen dem zitternden Mann auf die Beine. Er ähnelte einem Fahrrad mit eiernden Reifen. Als sie mit ihm draußen auf dem Treppenabsatz standen, zuckte er im hellem Tageslicht etwas zusammen, aber das hätte wohl jeder getan, der eineinhalb Tage in einem dunklen Zimmer gelegen war. Den und Din sahen zu, als ihr Vater, unterstützt von der Tante und seiner Frau, wie ein Alkoholiker die Treppe hinunterschwankte.
Sie waren entsetzt, wie gebrechlich und verändert er aussah. Heng war immer schon dünn gewesen, aber jetzt war er hager, schneeweiß und seine Augen ähnelten zwei rote Mandeln. Sie machten Platz, als er sich zu einer Atempause auf den Tisch kauerte.
„Den, hast du noch die alte Sonnenbrille? Ich glaube, dein Vater braucht sie heute, seine Augen sind ein bisschen empfindlich.“
Da sagte: „Wan, schaffst du es alleine, Heng auf die Toilette zu bringen oder soll dir Den helfen?“
„Nein, ich glaube es geht schon.“
Sie führte ihn weg, dabei benutzte Heng seine freie Hand, um die Augen abzuschirmen. Als sie ihm eine Viertelstunde später wieder auf den Tisch halfen, schien er von der Anstrengung erschöpft zu sein.
„Din, lauf doch bitte nach oben und hole ein Betttuch und ein paar Kissen. Dein Vater wird sich heute hier unten ausruhen, damit er ein bisschen an der frischen Luft und in der Sonne ist. Er war noch nie in seinem Leben so lange drinnen, das ist sein Körper nicht gewöhnt. Schau nur, in welchem Zustand er ist …“
Während der ganzen Zeit sah Heng von einer Sprecherin zur anderen, aber er schien die Unterhaltung nicht zu verstehen. Sie machten es ihm mit dem Bettzeug bequem und Den fand die pechschwarze Sonnenbrille mit den verspiegelten Gläsern, auf die er vor zehn Jahren, als sie in Mode war, so stolz gewesen war.
Das Ergebnis war, dass Heng mit Sonnenbrille und eingehüllt in ein weißes Betttuch einem schrägen Vogel ähnelte, den man an eine Dachstütze gelehnt hatte.
„Gut, Kinder, ich glaube ihr geht besser und bereitet mehr Milchshake für euren Vater zu. Heute hat er scheinbar großen Hunger und das ist ein gutes Zeichen. Das heißt, dass wir etwas richtigmachen! Du fühlst dich heute viel besser, nicht wahr, Paw?“
Sie warteten alle auf seine Reaktion und dann nickte er, wobei er auf eindrucksvolle Weise einer Eule ähnelte. Den und Din liefen kichernd davon, sie fanden es schwierig, in dem Wesen, das da auf dem Tisch saß, ihren Vater vor 24 Stunden zu erkennen.
„Meinst du, dass ich Heng heute Abend etwas zu essen kochen soll, Tante Da?“
„Es wird ihm nichts schaden, wenn er etwas isst, aber es ist kein Ersatz für die Milchmischung.“
„Heng, willst du später mit uns essen?“
Heng legte seinen Kopf von einer Seite auf die andere und starrte seine Frau an.
„Was kochst du heute Abend, Wan?“, fragte Da.
„Huhn oder Schwein … was er möchte.“
Heng blickte weiterhin von einer Sprecherin zur anderen wie jemand in einem Land, dessen Sprache er nicht verstand.
„Warum fragst du ihn nicht? Er ist ja nicht dumm geworden, wenigstens glaube ich es nicht.“
„Was möchtest du heute Abend essen, Heng? Schwein oder Huhn?“
Er sah sie ein paar Sekunden an und dann sagte er:
„Kind …“
„Aha, und welches? Ach Heng, du kannst doch nicht die Kinder essen … das wäre völlig daneben.“
„Nicht unsere Kinder … Ziegenkinder … Wir haben ein paar, oder?“, meinte Heng.
„Ja, wir haben noch ein paar, aber ich dachte, dass wir die behalten und die Herde vergrößern.“
„Nur ein Kind.“
„Na ja, also gut, Heng, weil du krank bist, mache ich dir heute Abend Zicklein-Kotelett und der Rest von uns bekommt Schwein.“
„Ich will meines blutig vom Grill, nicht als Curry, Wan. Ich habe so einen Appetit auf Fleisch, richtig rotes Fleisch.“
Die Kinder waren äußerst erleichtert, dass ihr Vater bis jetzt noch keine Absicht zeigte, sie zu essen.
Als es so aussah, als sei Heng in Erwartung des Abendessens eingeschlafen, fragte Den seine Mutter, ob sie glaubte, dass er sie eines Tages aufessen wollte.
„Oh, ich glaube nicht, Den. Nicht, wenn wir geben, worauf er Appetit hat, obwohl wir noch nicht wissen, was das ist. Tante Da, was hältst du von Hengs Zustand?“
„Ich denke, das Ganze ist sehr interessant … in der Tat äußerst interessant. Wie ihr ja gesehen habt, war Heng gestern praktisch an der Schwelle des Todes, aber jetzt wird er stündlich aktiver, obwohl er scheinbar nicht mehr der Heng ist, den wir alle kennen und so gernhaben.
Wir müssen sehen, was aus diesem neuen Heng wird, vielleicht bekommen wir den alten Heng zurück, wenn er sich an seine neue Diät gewöhnt und sich davon erholt hat, dass kein richtiges Blut mehr in seinem Körper war.
Ich habe vielleicht etwas mehr Ahnung als du, aber ich gebe zu, das hier ist Neuland für mich. Ich muss zusätzlich zu einigen Vorschlägen meiner Geisterfreunde improvisieren, obwohl einer meinte, es wäre gnädiger ihn einfach umzubringen, damit er ein neues Leben anfangen kann. Was hältst du von diesem Vorschlag, Wan?“
„Äh, um ehrlich zu sein, ich glaube, das wäre doch eine etwas drastische Maßnahme, meinst du nicht auch, Tante Da?“
„Doch, das finde ich auch, deswegen habe ich es auch nicht vorgeschlagen, aber es ist immerhin eine Option, wenn alles außer Kontrolle gerät.“
Heng schien während des Gesprächs zwar zu schlafen, aber vergewissert hatten sich die Frauen nicht.
„Glaubst du, dass er leidet, Tante Da?“
„Er scheint doch ganz friedlich zu sein, oder? Er spricht jetzt wieder und hat nicht über Unwohlsein geklagt. Ich würde mir an deiner Stelle nicht so viele Sorgen um seine körperliche Verfassung machen, aber du kennst ihn besser als alle anderen. Achte also auf irgendwelche Anzeichen geistiger Veränderung und gib mir Bescheid, damit wir das bereden können.“
„Gut, Tante Da, mache ich. Hör zu, wenn du andere Dinge zu tun hast, dann lass dich von uns nicht aufhalten. Die Kinder sind großartig – sie haben alle Hausarbeiten übernommen, damit ich bei Heng sitzen kann, aber wenn du willst, dass man dich heimbringt, lässt sich das machen. Wir sind dir alle sehr dankbar für deine Hilfe. Ohne dich wäre Heng gestorben, das wissen wir genau. Wenn es jemals etwas gibt, was wir für dich tun können, dann brauchst du es nur zu sagen.“
„Ja, danke, Wan, vielleicht gehe ich jetzt ein paar Stunden nach Hause, aber ich möchte sehen, wie Heng sein Zicklein isst. Es wäre also sehr gut, wenn ich heute Abend mit euch Schwein essen könnte. Mach dir wegen der Bezahlung vorläufig keine Gedanken. Heng ist mein Lieblingsneffe und ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt, wenn es in meiner Macht steht, es zu verhindern. Ich kann zu Fuß heimgehen und auch wieder herkommen … Um wie viel Uhr gibt es Essen, was meinst du?“
„Zwischen sieben und halb acht, wie immer. Du bist herzlich eingeladen.“
„Gut, ich bin dann mal weg, wir sehen uns gegen sieben. Bis dann.“
„Wiedersehen, Tante Da und nochmal danke für all deine Hilfe.“
Als Da weg war, überfiel Wan ein seltsames Gefühl, mit ihrem Mann allein zu sein. Es war das erste Mal, seit Heng ‚krank‘ geworden war, Den hatte die Ziegen an den Fluss geführt und Din kümmerte sich um das Gemüsebeet der Familie. Wan musste Den noch sagen, dass er eines der Zicklein schlachten sollte, die mit ihren Müttern in der Herde mitliefen, aber sie wagte es nicht, Heng alleine zu lassen. Din war die einzige, die gehen konnte, daher hoffte sie, dass sie bald zum Mittagessen zurückkäme. Normalerweise tat sie das, Wan war also ganz zuversichtlich, dass Heng sein Zicklein-Kotelett bekommen würde.
Sie versuchte, mit ihm zu reden und da sonst niemand da war um mitzuhören, benutzte sie Kosenamen.
„Heng, Schatz, bist du wach, mein Lieber? Wir alle … haben uns solche Sorgen gemacht … bitte antworte mir, wenn du mich hören kannst.“
„Natürlich kann ich dich hören, wenn ich wach bin, aber ab und zu döse ich ein, Mud“, sagte er mit seiner neuen, leisen und grollenden Stimme. „Ich vermute, dass ich ein paar Sachen verpasst habe. Insgesamt fühle ich mich viel besser, wenn auch ein bisschen komisch. Ich freue mich aber auf das Abendessen. Wie viel Uhr ist es jetzt?“
„Viertel vor zwölf und bald gibt es ein kleines Mittagessen, magst du auch was?“
„Was gibt es denn?“
„Ach, einen Salat …“
„Bäh, Kaninchenfutter!“
„Aber grüner Salat hat dir immer so geschmeckt, Heng …“
„Wirklich? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich erinnere mich auch nicht, dass mir das jemals geschmeckt hat.“
„Wie steht’s mit einem Omelett?“
„Ja, das klingt besser. Kannst du etwas Milchshake dazugeben?“
„Natürlich, mein Lieber, warum nicht, ich nehme etwas von dem, den ich später für das Abendessen vorbereitet habe. Geben wir Din noch eine halbe Stunde und schauen, ob sie zurückkommt. Sie muss Den Bescheid sagen, dass er eines der Zicklein für dich schlachtet.“
Nach dem Mittagessen brachte Din ihrem Bruder ein paar Messer, einen Beutel für das Fleisch und einen Behälter für das Blut, damit er seine grausige Tat vollbringen konnte, dann ging sie zurück zum Gemüsebeet.
„Das Omelett hat dir scheinbar geschmeckt, Heng, oder?“
„Ja, es war sehr gesund, sehr gehaltvoll, viel Protein.“
Wan wich Heng den ganzen Nachmittag nicht von der Seite, sie schnitt Gemüse klein und bereitete Naam Prik Chili-Sauce zu. Heng sprach jedoch kein einziges Wort mehr. Er hielt offenbar einen Mittagsschlaf oder vielleicht auch ein nachmittägliches Genesungs-Nickerchen nach der ersten festen Nahrung seit zwei Tagen.
Din kam am späten Nachmittag als Erste zurück mit einem Korb voll Gemüse und Kräutern für die nächsten 24 Stunden. Nur wenig später traf Den ein und gab seiner Mutter einen Beutel mit sauber geschlachtetem Fleisch und einen Behälter voll Blut von der toten Ziege.
„Ich gehe nur schnell und reibe Salz auf die Haut, Mama. Ich habe sie schon abgeschabt, so wie Papa es mir gezeigt hat. In zwanzig Minuten bin ich wieder da.“
„Kein Grund zur Eile, wir haben viel Zeit. Vergiss nicht, dich nach der ganzen Ziegenschlachterei zu duschen, bevor du dich auf den Tisch setzt.“
„Ja, Mama …“
„Hmm, Milchshake, ich rieche feinen Milchshake …“ Heng regte sich und murmelte vor sich hin.
„Ja, Heng, Milchshake … Mud macht dir später Milchshake, aber zuerst essen wir zu Abend, sobald deine Tante kommt.“
Wan wisperte Din zu: „Ich glaube, er kann das Ziegenblut oder das Fleisch riechen. Schau mal, wie seine Nase zuckt, wie bei einer Hexe. Wer hätte vor einer Woche geglaubt, dass wir mal so leben würden?“
Wan gab das überschüssige Fleisch in die Gefriertruhe, dann legte sie Hengs Fleischportion in ausreichende Entfernung, damit ihn der Blutgeruch nicht reizte und ging weiter ihren Hausarbeiten nach. Heng schlief wieder ein wie ein Aufziehspielzeug, das abgelaufen war.
Um Viertel vor sieben holte Wan das gehackte Gemüse zum Abtropfen aus dem Wasser, machte ein offenes Feuer in einem Behälter, den man auf einem alten Betonblock auf dem Tisch zum Kochen benutzte und gab noch ein paar Kohlestücke dazu. Heute Abend gab es das Lieblingsessen der Kinder – gegrilltes Schwein.
Die Vorrichtung zum Grillen war einfach, aber effektiv. Man nahm eine Metall-‚Schüssel‘, die an eine altmodische Orangenpresse erinnerte. In der Mulde befand sich Wasser, um das Gemüse und Reisnudeln zu kochen, der obere Teil war dazu gedacht, Fleisch zu grillen. Faktisch bereitete jeder sein eigenes Essen zu und füllte die Mulde für alle anderen wieder auf, damit es trotzdem eine gemeinsame Mahlzeit blieb.
Als Da, wie es sich gehörte, nicht zu früh kam, sondern um zehn nach sieben, schickte Wan Din zum Kühlschrank, der unter dem Haus stand, um das Fleisch zu holen. Als sie noch etwa zehn Meter vom Tisch entfernt war, wurde Heng wieder ‚lebendig‘, seine Nase zuckte.
„Hmm, Milchshake!“
„Nein Heng, Milchshake später, jetzt gibt’s Ziegenkotelett.“
„Mmm, Kotelett vom Zicklein, herrlich, blutig…“
Da war fasziniert und merkte sich alles.
Als Wan das Fleisch auf den Grill legte, nahm Heng die Sonnenbrille ab, um im schnell abnehmenden Tageslicht besser sehen zu können. Seine Augen glühten wie leuchtend rotes Signalfeuer und die Kinder schauderten vor Angst und Unverständnis.
Alle waren der Meinung, dass das köchelnde Gemüse und das bratende Fleisch herrlich rochen, aber Heng ergriff das Wort zuerst.
„Zicklein riecht jetzt köstlich! Nicht das Blut verbrennen. Heng will sein Fleisch blutig … kein Gemüse, riecht furchtbar.“
„Ja, Heng, ich weiß, blutig, aber nicht roh. Es ist noch roh, es braucht noch ein paar Minuten.“