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Nach Dem Fall (Gefallener Engel #2)
»Warte, Lash«, sagte sie und setzte sich im Bett auf. »Mir ist gerade etwas eingefallen.«
»Ich beseitige das Durcheinander in der Küche später.« Er zog sie wieder zu sich herab und sagte zwischen seinen Küssen: »Denk weniger, mach mehr.«
Sie setzte sich wieder auf. Irgendetwas an dem Ganzen stimmte nicht. Aber was? Sie hatte dieses merkwürdige Gefühl noch nie zuvor gehabt. Warum jetzt? »Irgendwas stimmt nicht.«
Er seufzte und drehte sich auf den Rücken. »Was soll denn nicht stimmen? Wir sind allein; wir sind zusammen.«
»Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
»Sollten wir zusammen sein?«
Er fuhr hoch, Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. »Hast du Zweifel an uns?«
»Nein, nein! Überhaupt nicht.« Sie fühlte sich sofort schuldig, weil sie diesen Gedanken in ihm wachgerufen hatte. »Das meine ich nicht. Du bist der Einzige für mich. Ich kann niemals ohne dich sein.« Sie beugte sich hinüber und küsste ihn zärtlich.
Er seufzte erleichtert auf. »Was stimmt dann also nicht?«
»Ich meinte nur – sollten wir das… na ja, das hier tun?« Naomi deutete auf seinen nackten, seinen umwerfenden nackten Körper.
Er zog sie an sich und schnupperte an ihrem Hals. »Mmm. Definitiv.«
Naomi erschauerte, als seine Hände ihre Brüste streichelten. Sie ließ sich ins Bett zurückfallen. Ja, das hier war richtig. Es fühlte sich so richtig an. Was dachte sie sich nur?
Ihre Hände streichelten seinen Oberkörper. Er fühlte sich so gut an.
»Oh Gott, Naomi. Ich will dich so sehr.«
Gott!
»Warte, Lash«, keuchte sie und versuchte, zu Atem zu kommen. Langsam tauchten Erinnerungen an lange Nachmittage im Katechismus-Unterricht und an Belitas Ermahnungen über Keuschheit vor ihr auf. »Ich meine, sollten wir auf diese Weise zusammen sein, wenn wir nicht verheiratet sind?«
Er zog sich aus ihrer Umarmung zurück und sah sie erstaunt an. »Verheiratet?«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Sie war nicht sicher, wie sie dieses Thema angehen sollte. Es war schließlich nicht so, als sei sie prüde oder so. Lash war nicht der erste Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Der Gedanke an Sex vor der Ehe hatte sie nie zuvor gestört, trotz der Ermahnungen Belitas und ihres Vaters über das Keusch-Bleiben. Aber jetzt lagen die Dinge anders. Sie war ein Erzengel. Sollte sie nicht eigentlich ein Vorbild sein oder sowas in der Art?
»Naja, ich weiß ja nicht, ob Erzengel heiraten oder irgendeine Art formeller Vereinigung haben. Ich meine, ich habe keine Ahnung, ob solche Dinge wie eine Heirat hier dasselbe bedeuten wie auf der Erde.«
Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Das tun sie. Viele Engelpaare geben sich Versprechen gegenseitiger Hingabe, Uri und Rachel zum Beispiel.« Er schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ist es das, was du willst?«
Sie sah ihm tief in die Augen. »Ja. Ich will mit dir verbunden sein. Für immer.«
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. In seinen Augen stand so viel Liebe, dass es ihr den Atem verschlug. »Es gibt auch nichts, das ich mehr möchte, als mit dir verbunden zu sein. Ich werde morgen mit Michael sprechen und Vorbereitungen treffen.« Er beugte sich vor und küsste sie.
Sie fühlte, wie sie langsam wieder aufs Bett zurücksank und wie seine Hände die Innenseiten ihrer Oberschenkel streichelten.
Sie stöhnte auf und das Gefühl der Schuld stieg wieder in ihr auf. »Lash, vielleicht sollten wir warten, bis das hier offiziell ist.«
Er seufzte und drehte sich wieder auf den Rücken. »Du bringst mich noch um, Naomi.«
»Tut mir leid. Es ist nur, na ja, vielleicht ist es besser, wenn wir es von Anfang an richtig angehen.«
»Wieso jetzt auf einmal? Wir haben das hier ununterbrochen gemacht, seit du hier angekommen bist.« Er setzte sich auf und warf ihr einen glühenden Blick zu. »Und wenn ich mich recht erinnere, war deine laute Begeisterung einer der Gründe, aus denen ich unser Zuhause hoch oben auf diesem Berg hier gebaut habe, fernab von neugierigen Augen und Ohren. Ich glaube, du hast sogar Gabrielles Trommelfelle zum Platzen gebracht, wenn ich mal von den schmutzigen Blicken ausgehen darf, die sie mir in letzter Zeit zuwirft.«
Ihr blieb der Mund offen stehen und ihr Gesicht lief heiß an. Neben verbessertem Sehvermögen und größerer Kraft hatten Engel auch ein besseres Gehör. Die meiste Zeit über war das positiv. Aber wenn man in beengten Räumlichkeiten lebte und Privatsphäre wollte? Dann nicht so sehr.
»Ich… du… na ja...« Sie war ganz verlegen.
Er gluckste leise und küsste ihre Nasenspitze. »Du bist so süß, wenn du verwirrt bist.«
»Ahhh!« Sie sprang aus dem Bett und schlüpfte in einen Bademantel. »Ich meine es ernst.«
Er lehnte sich zurück gegen das Kopfende des Betts und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Sag mal, was ist das eigentliche Problem?«
Sie setzte sich auf die Bettkante. Er las sie wie ein offenes Buch. »Es ist das, was Rachel von sich und Uri erzählt hat. Ich will nicht, dass uns das passiert.«
Sein Blick wurde ernst und er streckte die Hand aus, um ihr die Wange zu streicheln. »Das wird es nicht. Ich bin hier bei dir. Ich gehe nirgendwo hin.«
»Aber was ist, wenn wir durch dieses Vorehelicher-Sex-Zeug in Schwierigkeiten kommen? Ich will kein Risiko eingehen.«
»Naomi, das wird nicht passieren.«
»Ich fühle mich besser, wenn wir es offiziell machen.« Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft.
Er sah sie an und schüttelte lachend den Kopf. »Wenn du dich dann wirklich besser fühlst...«
»Ja, das werde ich.« Sie strahlte. »Erzähl mir, wie die Zeremonie abläuft.«
»Na ja, es ist gar nicht so anders als das, was du wahrscheinlich zu sehen gewohnt bist. Michael führt ein Bindungsritual durch und das Paar gibt sich gegenseitig vor Zeugen ein Gelübde.«
»Bist schon mal dabei gewesen?«
»Uri und Rachel hatten ihre Zeremonie vor einiger Zeit. Das war 1987 oder 1988. Ich weiß es nicht mehr genau. Es war aber definitiv in den 80ern. Er hatte damals diese komische Flock-of-Seagulls-Frisur.«
Sie lachte bei der Vorstellung von Uri mit Haar, das zu einem Paar Flügel gestylt war, passend zu den Schwingen auf seinem Rücken. Diese Frisur war in den 80ern voll in Mode gewesen. Die Vorliebe ihres Vaters für alternative Musikrichtungen und New-Wave-Bands hatte sie mit einer großen Bandbreite an merkwürdig aussehenden Frisuren und Modeerscheinungen vertraut gemacht. »Ja, ich kann mir definitiv vorstellen, dass er das macht.«
Naomis Lachen wurde leiser und sie wurde wieder ernst, als sie an die Zeremonie dachte. Sie hatte sich nie vorgestellt zu heiraten oder sich an jemanden zu binden, nicht, bis sie Lash kennengelernt hatte. Sie wusste, dass es etwas war, das Belita sehr gern miterlebt hätte. Und ihr Vater hätte es geliebt, sie den Mittelgang hinunterzuführen, ihren Arm in seinen eingehakt. Tränen stiegen ihr in die Augen beim Gedanken daran, dass ihre Familie nicht dabei sein würde, um es mitzuerleben.
»Ich dachte, das macht dich glücklich?« Seine Stimme war leise.
Sie sah zu ihm auf und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. »Das bin ich. Ich binde mich an dich.« Sie küsste ihn liebevoll auf die Lippen.
»Sei ehrlich. Wir wollen doch für immer nicht mit Geheimnissen anfangen, oder?«
Sie seufzte. »Es ist nur, dass ich manchmal meine Familie vermisse. Sie werden nicht hier sein, um das zu sehen. Und mein Dad, ich werde das nie mit ihm erleben.«
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Sein Gesicht wurde blass. Ohne ein weiteres Wort stand er schnell vom Bett auf, ging in die Küche und goss sich ein Glas Wasser ein.
Sie beobachtete, wie sich seine Rückenmuskeln anspannten, als er still von ihr abgewandt dastand. »Lash?«
Er stürzte sein Getränk hinunter, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder ihr zuwandte. Seine Lippen waren nass, als er sprach. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um das für dich hinzubiegen.«
»Oh, Lash. Es ist nicht deine Schuld, dass mein Vater tot ist oder dass ich hier bin. Ich muss mich einfach immer wieder daran erinnern, dass ich mich besser um meine Familie kümmern kann, wenn ich hier bin.«
»Äh, Naomi.« Er wischte sich mit dem Handrücken die Feuchtigkeit von den Lippen. »Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«
»Was ist es?«
Er leckte sich nervös über die Lippen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann schloss er ihn wieder.
»Lash?« Sie fühlte Panik in sich aufsteigen. Etwas stimmte nicht. Wieso verhielt er sich so merkwürdig?
Er schüttelte den Kopf. Dann sah er sie mit einem Lächeln an, das seine Augen nicht ganz erreichte. »Du hast völlig recht. Wir werden gemeinsam über Belita und die anderen wachen. Ich sag dir was: Lass uns morgen früh einen Blick auf sie werfen.«
»Das würde ich wirklich gern tun!« Sie strahlte, dann runzelte sie plötzlich die Stirn. »Nein, warte. Ich denke nicht, dass wir das tun sollten. Gabrielle war ziemlich strikt, als es darum ging, dass ich mich für eine Weile von der Brücke fernhalten sollte.«
»Ach, mach dir um sie keine Gedanken. Wir werden einfach schnell sein.«
Sie schwankte zwischen dem Verlangen, Gabrielles Anweisungen zu befolgen und dem Wunsch, Belita zu sehen. Sie wollte ihr so gern von ihrer Bindungszeremonie mit Lash erzählen. Das kam Belitas Anwesenheit dabei am nächsten. »Vielleicht sollte ich allein gehen.«
»Ich will mit dir mitkommen.«
»Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst. Du bist gerade erst zurück!«
»Hörst du endlich mal damit auf, dir Sorgen zu machen? Ich werde okay sein. Außerdem hat man mir nicht gesagt, ich soll mich von der Brücke fernhalten.« Er grinste. »Ich würde sie wirklich gern sehen. Sie werden bald auch meine Familie sein.«
Sie schlang ihre Arme um ihn. »Lash, du hast mich zur glücklichsten Frau der Welt gemacht. Ich liebe dich.«
Er schob sie ein Stück von sich weg und sah ihr in die Augen. »Bedingungslos?«
Sie blinzelte überrascht. »Natürlich. Weshalb fragst du so komisch – «
Sie fuhr zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte. »Wer kann das sein? Die Einzigen, die hierher kommen, sind Uri und Rachel.« Naomi raffte ihren Bademantel enger und stapfte zur Tür.
Er griff nach ihrer Hand. »Nicht.«
Sie lachte. »Was ist den heute mit dir los? Du bist so nervös.«
»Ich mach schon auf«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf, während er sich fieberhaft eine Jeans überzog. »Du benimmst dich, als ob wir mitten im gefährlichsten Viertel Houstons leben würden.«
Er eilte zur Vordertür und und öffnete sie schwungvoll. Sein Unterkiefer spannte sich an und seine Hände verkrampften sich zu Fäusten.
»Bro!«, rief Jeremy, als er eintrat und ihm im Vorbeigehen auf den Rücken klopfte. »Bin ich zu spät zum Bingo?«
4
Ein Sturm aus Gefühlen tobte in Lash, als er Jeremy ins Zimmer treten sah. Er holte tief Luft und erinnerte sich selbst daran, das dies sein Bruder war – und sein langjähriger bester Freund. Er tat sein Bestes, um die Vision – nein, die Erinnerung, die er von Jeremy und Naomi hatte – abzuschütteln.
Es war eine Erinnerung, die sich wieder und wieder in seinem Kopf abspielte, selbst, nachdem Jeremy in seiner sogenannten Auszeit fortgegangen und Lash mit Naomi in ihr Zuhause am Berg gezogen war. Es war die Erinnerung daran, wie Jeremy Naomis Vater einen Trauring überreichte, ein Symbol aus vergangenen Zeiten, als der Erstgeborene einer Familie direkt beim Vater der Frau um ihre Hand anhielt. Raphael hatte nicht abgestritten, dass es sich um eine Erinnerung handelte.
Und Jeremy? Er musste gar nichts sagen – der Ausdruck auf seinem Gesicht sagte schon alles. Lash erinnerte sich an diesen Gesichtsausdruck, als er Naomi zum ersten Mal gesehen hatte. Lash konnte diesen Ausdruck nicht aus seinen Gedanken vertreiben. Da stand er nun und tat, als ob sich nichts verändert hätte.
Obwohl Naomi darauf beharrte, dass alle ihre Erinnerungen von Lash handelten, konnte er nicht anders, er fragte sich ob sie in der Vergangenheit – einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnern konnte – Jeremy geliebt hatte. Würde sich das jetzt ändern, jetzt, da Jeremy zurück war und sie ihn besser kennenlernte? Es schien, als ob alle ihn mochten, selbst Gabrielle.
Nein. Er musste daran glauben, dass Naomi zu ihm halten würde, egal, was passieren mochte.
Als er gerade etwas sagen wollte, schwebe Raphael durch die Tür. Sein Lächeln verschwand, als ihm Lashs Gesichtsausdruck auffiel.
»Sind wir in einem ungünstigen Moment gekommen?«
Das kann man wohl sagen, dachte Lash. Seine Blicke folgten Jeremy, während der goldhaarige Engel auf die einzige Person zuging, die er ganz für sich allein haben wollte. Als Naomi zu ihm hoch lächelte, musste er gegen den Instinkt ankämpfen, sie zu packen und sie so weit von seinem Bruder wegzubringen wie möglich.
»Natürlich nicht«, antwortete Naomi und wandte sich dann an Jeremy. »Na, nun sag schon.«
Jeremy wurde blass und ein merkwürdiger Ausdruck flackerte über sein Gesicht. »Äh, sag was?«
»Die Stiefel«, entgegnete sie. »Rachel hat erzählt, dass du dir ein Paar zugelegt hast.« Sie sah erwartungsvoll auf seine Füße.
Jeremy stieß den angehaltenen Atem aus und sein immerwährendes Grinsen kehrte zurück. »Worauf du dich verlassen kannst.« Er streckte seinen Fuß vor. »Sind die hier nicht ziemlich cool?«
Sie lachte. »Du hast definitiv ein paar Veränderungen vorgenommen, als du weg warst. Ich vermisse dein Anzüge, obwohl mir deine Lederjacke gefällt. Bist du deshalb so lange weg gewesen? Zum Shoppen?«
»Wieso? Hast du mich vermisst?« Jeremy zwinkerte.
Lash machte einen Schritt nach vorn. Er mochte die Richtung nicht, in die das Ganze sich entwickelte – ganz und gar nicht.
Sofort trat Raphael vor Lash und versperrte ihm den Weg. »Wir haben dich alle vermisst, Jeremiel«, sagte er.
»Du bist so schnell verschwunden, nachdem du und Lash...« Naomi biss sich auf die Unterlippe und warf Lash einen nervösen Blick zu. »Na ja, ich hatte gehofft, ihr beide würdet euch aussprechen.«
»Deswegen sind wir hier«, warf Raphael ein. »Ich habe die Erlaubnis erhalten, euch einiges aus eurer Vergangenheit zu enthüllen. Wollen wir uns hinsetzen?«
Als sie im Wohnzimmer zusammenkamen, ergriff Lash fest Naomis Hand. Er sah Jeremy an, der ihnen gegenüber neben Raphael saß. Etwas stimmte an Jeremy nicht. Obwohl er lächelte, wirkte er nicht glücklich. Der besondere Funke, der sonst jeden zu ihm hinzog, war verschwunden. In all den Jahren, in denen er ihn gekannt hatte, hatte Jeremy noch nie so ausgesehen wie jetzt. Es war immer umgekehrt gewesen: Er war der Nachdenkliche gewesen und Jeremy war an seiner Seite, um ihn von dem abzulenken, was ihn bedrückte. Er schwankte zwischen dem Verlangen, seinen alten Freund aufzubauen und dem Wunsch, wütend auf ihn zu bleiben.
Er sah, wie Jeremys Blick sich auf Naomis Hand richtete, die seine festhielt. Dann, als er bemerkte, dass Lash ihn beim Starren erwischt hatte, sah er schnell woanders hin.
Es ist leichter, wütend auf ihn zu sein, dachte er.
»Bevor Jeremiel zu seinem« – Raphael sah zu Jeremy und räusperte sich – »verlängerten Auftrag aufgebrochen ist, habe ich ihm die gleichen Informationen gegeben, die ich dir auch gab, Lahash.«
»Hermano!« Jeremy streckte ihm grinsend eine Faust entgegen. »Lass mich nicht länger zappeln, Bro.«
Lash fühlte, wie Naomi ihm in die Rippen stieß. Seit wann hat sie einen derart spitzen Ellbogen?
Er seufzte und streckte seine Hand für einen Fist-Bump aus.
Naomi strahlte. »Das würde erklären, weshalb ihr zwei über all die Jahre so gute Freunde wart.«
»Waren«, murmelte Lash leise.
Jeremy runzelte leicht die Stirn und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Du weißt, dass ich dir von meinem Auftrag erzählt hätte, wenn es mir erlaubt gewesen wäre.«
»Ja, klar. Wie auch immer.«
»Lash«, sagte Naomi warnend.
Er ließ ihre Hand los und sein Blick verfinsterte sich. »Ich dachte, du traust ihm nicht, und jetzt auf einmal findest du, wir sollen alle eine glückliche Familie sein. Ich weiß nicht. Vielleicht ist es für mich besser, wenn ich mich nicht an die Vergangenheit erinnere.«
»Wie kann es besser sein, keine Erinnerung an deine Familie zu haben?«, erwiderte sie. »Sie ist ein Teil von dem, was du bist«
»Das sind weise Worte, Naomi«, pflichtete Raphael ihr bei. Seine Stimme war leise und strahlte Autorität aus. Er wandte sich an Lash und sah im direkt in die Augen. »Der, der du heute bist, stammt von dem, der du gestern warst. Deine Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart und es ist die Familie, die dein Wachstum lenkt.«
»Seht ihr, das ist genau das, was ich meine. Wir wissen alle, dass ich ein schwarzes Schaf bin.« Lash stand auf und schritt auf und ab. »Ich habe nur wenige Erinnerungen zu sehen bekommen, aber das war für mich genug, um zu wissen – um selbst damals zu erkennen – dass ich der Zweitbeste war – nach dir.« Er deute auf Jeremy.
»Lahash.« Raphael stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Luzifer hat dir nur gezeigt, was für ihn von Vorteil war.«
Lash schüttelte seine Hand ab. »Nein, Raphael. Es war mehr als das. Selbst vor den Erinnerungen habe ich es gefühlt. Ich weiß, dass du enttäuscht warst, weil ich ein Seraph geblieben bin und nach fast jedem Auftrag verwarnt wurde. Jeremy und ich haben beide als Seraphim angefangen und innerhalb eines Jahres hat er eine Position als Erzengel erhalten. Und ich, na ja...«
»Bleib aber fair, Lash«, warf Jeremy ein. »Du hast in Gabrielle von Anfang an eine Feindin gesehen.«
Lash fuhr herum. »Halte du die Klappe!«
Naomi keuchte auf. »Lash«!
»Nein, Naomi. Du warst nicht dabei, du weißt es nicht.« Er atmete schwer. Er war es leid, dass alle für Jeremy Partei ergriffen. »Damals habe ich es nicht erkannt. Aber jetzt tue ich es. Jeder Schritt, den ich tat, wurde hinterfragt. Und Jeremy? Niemals. Wir haben dieselben Dinge gemacht, aber Jeremy kam immer davon. Und ich? Ich war derjenige, der in Schwierigkeiten geriet. Es war immer, als könnte er nichts falsch machen.«
»Das ist nicht wahr!« Jeremy war aufgesprungen.
»Du hast vermutlich recht.«, sagte Raphael sanft.
Jeremy erstarrte und Lash klappte der Unterkiefer herunter.
Einen Moment lang herrschte eine angespannte Stille im Raum, bevor Raphael fortfuhr. »Bitte setzt euch hin und lasst es mich erklären.«
Naomi zog an Lashs Arm. Er brauchte nur einen Blick auf die Tränen zu werfen, die in ihren Augen schimmerten, und schmolz dahin. Er hatte nicht vorgehabt, sie anzuherrschen. »Tut mir leid. Vergibst du mir?«
Sie nickte.
Er setzte sich wieder neben sie, legte einen Arm um sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Raphael zu.
»Wie du weißt ist Jeremiel dein älterer Bruder. Wie es damals üblich war, hatte der Erstgeborene mehr Rechte, als alle anderen Familienmitglieder. Er war der Erbe dessen, was unsere Familie besaß. Sein Recht als Erstgeborener erlaubte ihm vor Lash zu heiraten – und hier kommt deine Familie ins Spiel.« Er sah Naomi an, als er das sagte.
Sie presste sich eine Hand an die Brust. »Meine Familie?«
»Naomi.« Raphael streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. »Deine Familie ist aus der Stadt Ai. Dein Vater besaß ein Gasthaus und war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Man sagte von ihm, dass er als einer der Räte der Stadt geschätzt wurde.« Er ließ ihre Hand los und sah Jeremy und Lash an. »Ihr beide seid Sprösslinge einer menschlichen Mutter mit einem Engel als Vater.«
»Rebecca«, sagte Lash.
Raphael nickte und beim Klang des Namens wurde sein Gesicht traurig.
»Also sind wir Nephilim« sagte Jeremy und setzte sich wieder hin.
»Was?« Naomi verschlug es den Atem. »Sind Nephilim nicht bösartige Riesen?«
»Manche der Geschichten, die über die Zeiten hinweg erzählt wurde, sind nicht ganz zutreffend.«, erklärte Raphael. »Genau, wie es bösartige Menschen gibt, gab es auch Nephilim, die ihr Erbe ausnutzten. Meinen Söhnen brachte ich Bescheidenheit und Respekt gegenüber allen anderen in ihrem Umfeld bei. Und damals wussten sie noch nicht, dass sie geborene Halbengel waren.«
»Ich dachte, alle Nephilim seien ausgelöscht worden.«, wandte Naomi ein.
Raphael lächelte. »Du bist mit der Bibel gut vertraut.«
»Katechismus-Unterricht jeden Mittwoch. Ich habe einmal geschwänzt, aber Chuy hat mich bei Belita verpetzt. Ich konnte eine Woche lang nicht sitzen.« Mit einem Lächeln auf dem Gesicht seufzte Naomi, als sie sich daran erinnerte.
Raphael atmete tief ein, als ob das, was er als nächstes sagen musste, ihm schwer fiel. »Unter den Menschen zeichneten sich die Nephilim durch ihre Schönheit und Stärke aus. Viele Menschen in der Stadt verehrten sie, als seien sie Götter. Jeremiel« – er warf Lash einen vorsichtigen Blick zu – »war wegen seiner Kraft und Geschicklichkeit sowohl bei den Menschen als auch bei den Nephilim besonders beliebt. Es gab viele Familien, die ihre Töchter mit ihm verloben wollten, einschließlich deiner Familie, Naomi.«
»Das passt«, murmelte Lash.
Naomi tätschelte sein Bein. »Das liegt alles in der Vergangenheit. Ich bin jetzt hier bei dir.«
Lash sah zu ihr hoch und strich ihr mit einem Finger über die Wange. »Ja, das bist du.« Er wandte sich wieder Raphael zu und nahm wieder einen merkwürdigen Ausdruck auf Jeremys Gesicht wahr. Er ignorierte es, weil er Naomi nicht erneut verärgern wollte.
»Es war nicht so, als ob du ungeschickt gewesen wärst oder es dir an Kraft gefehlt hätte, mein Sohn. Ich fürchte, ich habe die Aufmerksamkeit der Leute auf Jeremiel verstärkt und von dir abgelenkt. Von dem Tag an, an dem ihr beide euch begegnet seid, war es klar, dass Naomi nur dich wollte. Und ich...« Er schluckte schwer. »Ich tat alles in meiner Macht Stehende, um Naomi von dir abzuwenden.«
Er sah Lash mit gequältem Blick an. »Das ist eine Erinnerung, von der ich wünschte, ich könnte sie vergessen. Glaub mir, wenn ich es dir sage, Lahash – es vergeht kein Tag, an dem ich mein Handeln nicht bereue.«
»Wieso hast du das getan?«, fragte Naomi. Ihre stimme klang heiser vor Schmerz. »Wieso hättest du deinem eigenen Sohn so wehtun sollen?«
Rapahel warf einen Blick auf Jeremy und wandte sich dann ihr zu. »Weil ich… weil ich Jeremiel besonders liebte.« Er hielt inne, seine Augen starr zu Boden gerichtet. Die Worte kamen langsam, vorsichtig. »Und er… liebte dich besonders.«
Lash sprang auf und brüllte Jeremy an: »Raus!«
»Komm schon, Lash«, sagte Jeremy mit leiser Stimme und sah zu ihm hoch. »Das war vor langer Zeit.«
Lash machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und sah auf den goldenen Engel herab, der ihm alles, was er liebte, zu nehmen drohte. Er hatte es in der Vergangenheit getan. Was sollte ihn davon abhalten, es noch einmal zu tun? »Seit du dieses Haus betreten hast, verhältst du dich merkwürdig. Wieso?«
Jeremy schluckte. »Wir sind nicht gerade in bestem Einvernehmen auseinander gegangen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich war mir nicht sicher, was ich zu erwarten hatte.«
Mit festem Blick sah er Lash an und gab sich alle Mühe, ihn zu überzeugen.
Lash sah ihm forschend ins Gesicht und versuchte, darin zu lesen. Jeremy hatte seine Pokermiene aufgesetzt. Verflucht nochmal! Er verbirgt etwas.
»Was verschweigst du mir?«
»Bitte, Lash. Das alles ist doch nicht mehr wichtig.« Naomis sanfte Hände berührten seinen angespannten Arm und drehten ihn um, so dass er sie ansah. »Hat er in der ganzen Zeit, in der du ihn gekannt hast, soweit du dich erinnern kannst, jemals versucht, dir etwas wegzunehmen?«
»Ja. Er hat dich sterben lassen. Er hätte dich retten können.«
»Das war was anderes. Seine Aufgabe war, mich hierher zu bringen. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, hast zu mir gesagt, er sei dein Freund. Und wenn du dich mal erinnerst, wollte ich ihn mit einer Eisenstange erschlagen.«
Lash grinste. »Die guten alten Zeiten.«
Naomi sah ihn erwartungsvoll an.
Er seufzte. »Oh, schon gut. Nein, Jeremy hat mir nie irgendwas weggenommen.«