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Gemeinsam zum Erfolg
Die Spätentschlossenen
Diese Jugendlichen können sich während der obligatorischen Schulzeit nicht für einen Beruf entscheiden und wählen eine allgemeinbildende, schulische Anschlusslösung oder ein Brückenangebot.
Gesamthaft gesehen, scheint also der Spielraum der Jugendlichen bei der Berufswahl erheblich zu sein. Gleichzeitig stellen sich den Jugendlichen in diesem Prozess aber vier grosse Herausforderungen (Neuenschwander et al., 2012, S. 58 f.). Sie müssen:
1.das Tempo ihres individuellen Berufswahlprozesses mit dem institutionell festgelegten Übergangszeitpunkt am Ende des neunten Schuljahres vereinbaren (Timing);
2.ihre Entscheidung bei unvollständiger Informationslage treffen (kein vollständiger Überblick über das vielfältige Berufsangebot ist möglich, nicht alle Optionen und Ausbildungsmöglichkeiten lassen sich gründlich abklären, die Selbstkonzepte an Fähigkeiten und Interessen sind oft noch wenig ausgebildet usw.);
3.ihre Wahl innerhalb der institutionellen Restriktionen treffen (Lehrstellenzahl, Lehrstellenangebot, Anforderungen an den Schulabschluss auf Sekundarstufe I, usw.);
4.Unsicherheit und Angst meistern, die durch den Übergangsprozess ausgelöst werden können (neue Lebensumgebung im Lehrbetrieb mit der Notwendigkeit, neue Personen kennenzulernen, neuer Tagesrhythmus, erhöhte Leistungsanforderungen, evtl. Verlust von bisherigen Freundschaften usw.).
Weiter zeigt die Studie auf, dass der Übergang zwar von einem grösseren Teil der Jugendlichen erfolgreich gemeistert wird und sie mit ihrer beruflichen Lösung zufrieden sind, dass aber für einen Teil der Jugendlichen, wie schon dargelegt, der Spielraum bei der Berufswahl doch stark eingeschränkt ist. Diese Einschränkung ist vor allem auf drei Gründe zurückzuführen (vgl. auch → Abschnitt 1.1.2):
1.Berufe mit höheren Anforderungen sind für junge Menschen, welche die obligatorische Schulzeit lediglich mit den Grundanforderungen oder mit reduzierten Leistungszielen abschliessen, vorerst nicht zugänglich.
2.Wer – aus welchen Gründen auch immer – die letzten Schuljahre auf der Sekundarstufe I unregelmässig besuchte und sich nicht über genügende Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenzen ausweisen kann, hat bei der Vergabe der Lehrstellen wenig günstige Voraussetzungen.
3.Jugendliche, die im Berufswahlprozess über wenig Ressourcen ( Familie, Schule, Gleichaltrige, professionelle Ressourcen) verfügen oder die vorhandenen Ressourcen nicht zu nutzen wissen, sind im Vergleich zu Gleichaltrigen mit vielen Ressourcen benachteiligt.
Die bedeutende Rolle, die Eltern, Lehrpersonen und Freundeskreis beim Übergang an der «ersten Schwelle» spielen, werden auch von den Ergebnissen aus dem Kinder- und Jugendsurvey COCON bestätigt (Bayard Walpen, 2013, S. 102 ff.).
1.3.4Erfolgreiche Bewältigung des Übergangs von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II
Die Theorie der Passung
Gemäss Eccles (2004) sprechen wir von einem erfolgreichen Übergang, wenn zwischen dem Entwicklungsstand der Jugendlichen und ihrer Ausbildungsumwelt Passung besteht, wenn also die Fähigkeiten und Interessen der jungen Menschen mit den Gegebenheiten ihrer Ausbildungsorte korrespondieren (Neuenschwander, 2011). Gemäss Neuenschwander und seinem Team (2012, S. 145) unterstützen beim Übergang an der «ersten Schwelle» drei Massnahmen eine gute Passung:
1.die Entwicklung vielfältiger Angebote für verschiedene Bedürfnisse;
2.eine Organisation der Lernorte, die so gestaltet ist, dass die Befriedigung alterstypischer Bedürfnisse zugelassen wird;
3.eine Lehrlingsselektion, die darauf ausgerichtet ist, dass Jugendliche die Ausbildungsanforderungen erfüllen und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ausbildungsziele erreichen werden.
Eine hohe Passungswahrnehmung durch die Jugendlichen weist aber nicht nur auf einen gelungenen Einstieg in eine nachobligatorische Ausbildung hin, sondern gilt im dualen bzw. trialen Berufsbildungssystem auch als Prädiktor für Ausbildungserfolg sowie als Indikator für die Qualität der betrieblichen Ausbildung. Dies bestätigen Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt «Familie-Schule-Beruf (FASE B)» (Neuenschwander, 2011). Eine gute Passung zwischen lernender Person und ihren Lernorten ist demnach eine wichtige Grundbedingung für einen erfolgreichen Ausbildungsverlauf.
Die Anpassungsleistungen von Jugendlichen
Durch den Eintritt in eine berufliche Grundbildung verändern sich für die Mehrheit der Lernenden die sozialen Kontexte (Neuenschwander, 2012). Wenn sich die Jugendlichen bisher vor allem zwischen den beiden Kontexten Schule und Familie bewegten, kommt neu der Lernort Betrieb (und in sporadischen Abständen der dritte Lernort, die überbetrieblichen Kurse) hinzu. Die Übergänge zwischen den einzelnen sozialen Kontexten werden dadurch vielfältiger. Dies erfordert von den Jugendlichen erhöhte Anpassungsleistungen an das jeweilige Umfeld. Diese Anpassungsleistungen betreffen einerseits die verschiedenen sozialen Bezugsgruppen: So werden die Lernenden im Lehrbetrieb nun mit Mitarbeitenden, Vorgesetzten und vielleicht auch Kundinnen oder Klienten konfrontiert, während sie sich in Berufsfachschule und überbetrieblichen Kursen in neuen Klassen- und Gruppenkonstellationen wiederfinden.
Andererseits haben sich auch die strukturellen Bedingungen für ihr Lernen verändert: In der Regel befinden sie sich nur noch einmal pro Woche in einem schulischen Lernsetting, während ihre Lernumgebung für die restlichen Tage der Woche der Lehrbetrieb ist. Dies erfordert hohe Anpassungsleistungen im Lernverhalten. Lernende müssen beispielsweise das an einem Lernort erworbene Wissen und Können auf die anderen Lernorte transferieren. Sie müssen zudem ihre zeitliche Planung des Lernens neu organisieren.
Last but not least werden die Lernenden durch die Arbeit im Lehrbetrieb erstmals direkt mit den Werten und Normen der Arbeitswelt konfrontiert; auch hier gilt es, Anpassungsleistungen zu erbringen.
1.4Ausblick
Wie wir in diesem Kapitel gezeigt haben, befinden sich junge Menschen am Anfang ihrer beruflichen Ausbildung in einer für sie neuen, komplexen Situation, die mit vielfältigen Herausforderungen und Anpassungsleistungen auf verschiedenen Ebenen verbunden ist. So sind sie:
•in ihrer Berufswahl bestimmten Restriktionen ausgesetzt, dies sowohl auf institutioneller Ebene (hierarchisch gegliederte Sekundarstufe I, Lehrstellenangebot, Selektionsprozesse der Lehrbetriebe) als auch auf der Ebene der Person und des persönlichen Umfeldes (individuelle Voraussetzungen und Interessen, zur Verfügung stehende soziale Ressourcen);
•konfrontiert mit zahlreichen Veränderungen und Neuorientierungen, dies sowohl auf intrapersonaler Ebene (Suche nach der eigenen Identität und Autonomie) als auch auf der Ebene der Lern- und Arbeitsumgebung (Anpassung an eine neue Ausbildungssituation mit verschiedenen Lernorten und neuen Bezugsgruppen).
Damit Lernende ihre Ausbildung nicht nur mit Elan und Neugierde beginnen, sondern auch mit Motivation und Freude weiterverfolgen und mit Erfolg abschliessen können, ist es wichtig, dass die Ausbildungsverantwortlichen aller Lernorte – nicht nur, aber besonders während der ersten Ausbildungsmonate – die Lernenden aufmerksam und sorgfältig beobachten und begleiten und ihre Erfahrungen mit den Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern der anderen Lernorte austauschen. Empfehlungen, wie dies konkret angegangen werden kann, finden sich in → Kapitel 2 des vorliegenden Buches.
Anna – Erinnerungen an die Schulzeit
Meine Schulzeit von der zweiten bis zur vierten Klasse verlief sehr gut. Aber schon in der ersten Klasse merkte man bei mir, dass ich eine Schwäche in Mathe hatte. Ich verstand nicht, warum ich farbige Holzstäbe brauchen musste, um zu rechnen. Ich baute mit den Holzstäben lieber einen schönen, farbigen Turm. So kam es, dass ich die erste Klasse wiederholen musste. Darüber bin ich nicht böse, sondern dankbar dafür. Die neue Klasse akzeptierte mich, und die neue Lehrerin unterstützte mich auch. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich, bevor ich in die Schule kam, auch Mühe zu sprechen hatte. Ich hatte einen Sprachfehler, und das musste ich bei einem Nachhilfelehrer wieder in Ordnung bringen.
Zurück zur Schule. Ich fühlte mich wohl in meiner Klasse. Doch die Matheschwäche kam immer mehr zum Vorschein. Man schickte mich in die Nachhilfe. Als ich in die fünfte und sechste Klasse kam, ging es ziemlich bergab. Der Lehrer, den wir hatten, war altmodisch. Bei Fehlern musste man aufstehen und die richtige Lösung sagen. Wenn sie falsch war, stand man halt länger vor der Klasse und wusste, alle warten und schauen einen an. (…) Ich weinte viel, und einmal meinte er, es seien ja nur Krokodilstränen.
Einmal musste ich vor der ganzen Klasse aufstehen, weil ich wieder mal nichts verstanden hatte. Der Lehrer schaute mich an und fragte: «Anna, bist du eigentlich blöd?» Ich wusste nicht, was ich auf so eine Frage antworten sollte. Ich sagte nur: «Ich weiss nöd?», und setzte mich wieder hin.
Diese Geschichte schrieb sich Anna während einer Lernberatungssitzung von der Seele – fast ohne Atem zu holen. Die Überzeugung, sie könne nicht rechnen, hatte sich bei ihr also sehr früh festgesetzt und begleitete sie während ihrer restlichen Schulzeit bis in die Ausbildung zur Innendekorationsnäherin. In der Schule hatte sie kaum die Erfahrung gemacht, beim Rechnen selbst etwas bewirken und Lösungen finden zu können, entsprechend gering ausgebildet war ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit in Mathe.
Im Interview sagte Anna rückblickend:
Ich habe ziemlich darunter gelitten, weil mich mein Lehrer oft blossgestellt hat. Das hatte zur Folge, dass ich mir gar nichts mehr zutraute und ich auch nicht mehr rechnen wollte. Trotzdem musste ich den Nachhilfeunterricht im Rechnen besuchen.
Das war dann auch der Grund, dass ich einen Beruf suchte, der nichts mit Mathematik zu tun hat, sondern in dem ich eher kreativ sein konnte – Hauptsache: mit wenig Mathe. Aufgrund meiner Matheschwäche, aber auch, weil ich grundsätzlich Schwierigkeiten hatte mit Lernen – alles in den Kopf reinzubringen –, besuchte ich die Realschule und nicht die Sekundarschule. Ich hatte einfach eine Lernschwäche.
Mein grösster Berufswunsch war, Floristin zu werden. Ich habe viel geschnuppert und gesehen, dass Mathe an letzter Stelle kommt. In der Zwischenzeit weiss ich allerdings, auch eine Floristin muss rechnen können. Floristin war ein begehrter Beruf, und aufgrund meiner Schüchternheit brauchte ich lange, bis ich mich überhaupt um Schnupperstellen bewarb. Ich hatte einfach Angst, mit fremden Leuten zu telefonieren. In der Schule machte die Lehrerin Druck auf uns, machte uns Angst, dass wir nichts finden würden und dann auf der Strasse stünden. Dieser Druck war für uns alle belastend, weil wir ja genau davor, keine Ausbildungsstelle zu finden, Angst hatten. Das machte mich traurig. Als ich dann dank der Unterstützung meiner Eltern doch endlich den Mut zum Telefonieren fand und in verschiedenen Betrieben schnuppern konnte, waren die Lehrstellen schon vergeben. Also musste ich etwas anderes suchen.
Ich hätte damals eine Person gebraucht, die einfühlsam ist, die mir Mut gemacht hätte, statt Angst eingeflösst, eine Person, mit der ich meine Sorgen und Probleme hätte besprechen können, die mich verstanden hätte.
Als Zwischenlösung absolvierte ich ein Sozialjahr und lernte dabei viel fürs Leben. Gleichzeitig musste ich eine zweite Chance suchen und ging ins BIZ. Dabei entschied ich mich für den Beruf der Innendekorationsnäherin. Ich bekam auch sehr schnell eine Chance zu schnuppern und erhielt die Lehrstelle.
Ich war sehr glücklich da, ich habe gerne genäht.
Annas Geschichte zeigt, wie anspruchsvoll der Prozess der Berufswahl und der Lehrstellensuche für Schülerinnen und Schüler aus Klassen der Sekundarstufe I mit tiefem Anforderungsniveau (Niveaustufe Grundansprüche) ist und wie schwierig der Einstieg in eine berufliche Grundbildung im Wunschberuf für sie sein kann.
Vor allem zeigt die Geschichte, dass manchmal weder strukturelle Bedingungen noch psychosoziale Probleme verantwortlich sind, wenn der Start in die Berufswelt schwierig wird. In Annas Fall waren es die Haltungen einzelner Lehrpersonen in der Volksschule, die sie über lange Zeit an ihrem Selbstwirksamkeitsgefühl zweifeln liessen.
2Stellwerk ist ein standardisiertes, webbasiertes Instrument der Leistungsmessung für die Fächer Mathematik, Deutsch, Natur und Technik, Französisch und Englisch für das achte und das neunte Schuljahr (vgl. www.stellwerk-check.ch).
3Der nationale Jugendlängsschnitt TREE «TRansitionen von der Erstausbildung in die Erwerbstätigkeit» begleitet rund 6000 junge Menschen, die im Jahr 2000 an der PISA-Erhebung (Programme for International Student Assessment) teilgenommen haben, und zeichnet ihre Ausbildungs- und Erwerbsverläufe seit ihrem Austritt aus der obligatorischen Schule im Jahr 2000 auf. Als einzige schweizerische Längsschnittstudie liefert TREE nationale, sprachregionale sowie auch für einzelne Kantone repräsentative Daten.
4Der sozioökonomische Status ist ein Begriff aus den Sozialwissenschaften und bezeichnet ein Bündel von Merkmalen menschlicher Lebensumstände. Dazu gehören beispielsweise formale Bildung und Schulabschluss, Ausbildung und Studium, Beruf und Einkommen.
5PISA-Lesekompetenz ist ein dynamisches Konzept, das fünf Kompetenzniveaus definiert: von 1 = Informationen aus einfachen Texten finden und mit Alltagswissen verknüpfen bis 5 = einen komplexen Text im Detail verstehen, relevante Informationen lokalisieren, Hypothesen formulieren und ihre Gültigkeit testen.
6Verbreitet sind Eignungstests wie Multicheck und basic-check sowie branchen- oder betriebsspezifische Tests. Eignungstests wird generell ein geringer prognostischer Wert zugeschrieben; wissenschaftliche Untersuchungen zu Eignungstests in der Schweiz fehlen jedoch weitgehend (Imdorf, 2005, S. 104).
7Eine Übersicht über die intellektuellen Anforderungsniveaus der verschiedenen beruflichen Grundbildungen findet sich bei Stalder (2011).
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