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Lange noch war das Schwerste nicht überwunden. Es war nicht leicht, einer Frau in passenden Worten die Tatsache mitzuteilen, daß sie der Schah sozusagen als Gastgeschenk begehrte. Der Frau konnte man die ganze Geschichte keineswegs erzählen. Der Polizeipräsident, der sich mit dem Minister des Innern unterhielt, wandte sich dem Rittmeister freundlich zu, und so, als hätte er ihn seit Tagen nicht mehr gesehn. Der Minister bat um Entschuldigung und entfernte sich sofort. Der Rittmeister fragte: »Ist der Sedlacek schon zurück?« Das Angesicht des Polizeipräsidenten verriet höchstes Erstaunen.
Eine Sekunde später begriff Taittinger schon, worum es sich handelte. Der Polizeipräsident wollte von nichts wissen, bis ans Ende seines Lebens würde er von nichts wissen wollen. Der Rittmeister sagte nur: »Ich komme sofort!« und entfernte sich, so schnell es die Umstände erlaubten. Er begriff zwar, daß der Polizeipräsident partout leugnen würde, aber er ahnte noch lange nicht, was für Folgen der ganze Plan haben sollte. Er ging geradewegs auf die Gräfin zu. »Ihr Mann schickt mich«, sagte er.
Nun, es ging vorläufig alles gut. Der Wagen fuhr vor. Die Gräfin W. und ihr Mann stiegen ein. Bevor der Graf noch dem Kutscher etwas sagen konnte, rief Taittinger mit einer verzweifelten Geistesgegenwärtigkeit zum Bock empor: »Nach dem Prater! Die Herrschaften wollen Luft!«
Gleich darauf, als die lautlosen Räder schon im Rollen waren und man lediglich das elegante, sachte Trappeln der beiden Braunen hörte, schämte sich der Rittmeister seines erbärmlichen Zurufs. Ich habe wirklich zuviel getrunken, dachte er, oder ich bin von Sinnen.
Aber er war nicht von Sinnen: er hatte richtig vorausgesehen. Denn es war keineswegs notwendig, dem Geheimen Franz Sedlacek ausführliche Anweisungen zu geben und Einzelheiten zu beschreiben. Er besaß Phantasie genug.
Weder er noch seine Untergebenen hatten im Laufe einer kurzen Stunde ein Frauenzimmer – oder, wie sich Sedlacek ausdrückte: »eine Person« – ausfindig machen können, die man der Majestät statt der von ihr auserkorenen Dame hätte darreichen können. Es blieb Sedlacek nur übrig: die Mizzi Schinagl aus dem bekannten Hause der Josephine Matzner.
Eilig hatte er sie den Armen eines alten Försters entrissen und so, wie sie war, im knallroten Kleidchen, das bis zu den Strumpfbändern reichte, im Fiaker mitgenommen. Unterwegs hatte er Zeit genug, sie zu instruieren. »Du darfst den Mund nicht aufmachen«, sagte er. »Wenn er dich fragt, wie du heißt, so sag: Helene. Stell dich patschen an. Du weißt von nix, eine Dame bist du, verstanden? Kannst dich überhaupt noch erinnern, wie’s mit dem ersten war? Streng deinen dummen Schädel an und denk nach! – Mach’s jetzt gleich vor, aber natürlich! Nur das Benehmen, mein’ ich. Ich bin im Dienst. Also?«
Sedlacek ließ die Kleine im Fiaker, unter aufgeschlagenem Dach. Vor dem einsamen Wagen, der abseitsstand, zehn Meter entfernt von den andern Fiakern, patrouillierte ein Wachmann. Mizzi Schinagl fror.
Man mußte ihr eine Ballrobe beschaffen, blaßblau, Seide, tief ausgeschnitten, ein Korsett, Perlen und ein Diadem. An alles dachte Sedlacek. Seit einer Viertelstunde schon stöberten seine Leute, vier begabte Männer, im Garderoberaum des Burgtheaters herum. Der Nachtwächter leuchtete ihnen mit der Laterne. Vier nobel gekleidete Gespenster in Fräcken, Stöcke in der Hand, Zylinder auf den Köpfen, rumorten sie mitten zwischen dem nächtlichen, verschlafenen Wirrwarr der theatralischen Requisiten. Alles, was seiden zu sein schien und blaßblauer Farbe war, rafften sie zusammen. Sie hatten die Hosentaschen voll falscher Perlen, funkelnder, feuriger Diademe, künstlicher Blumen, vergißmeinnichtblauer Strumpfbänder, glitzernder Agraffen. Es ging alles sehr schnell, wie sonst nur sehr wenige Angelegenheiten im Staat und in den Ländern zu gehn pflegten. Nur noch eine kurze Weile – und das gefällige Mädchen Schinagl sah für fremde und orientalische Augen beinahe so aus wie eine Dame. Sie wartete in der Garderobe des Hofbeamten zweiter Klasse, Anton Wessely, dessen Tochter Taittinger vor kurzem erst so brüsk hatte verlassen müssen.
Alles weitere vollzog sich unter Sedlaceks geradezu nobler Leitung und mit Hilfe des wendigen Adjutanten Kirilida Pajidzani. In einem geschlossenen Wagen, dem Sedlacek im Fiaker folgte, brachte man die persische Majestät in das Haus der Frau Matzner. Wenn einer der Stammgäste in jener Stunde zufällig vorbeigekommen wäre, hätte er denken müssen, das Haus, ja die ganze Gasse seien verzaubert. Es schlief das Haus, und es schlief die Gasse, und ausgelöscht waren die Laternen, und ausgelöscht schien die Welt. Nur der teilnahmslose, schmale Ausschnitt des Himmels über den Dächern war wach, und seine silbernen Sterne glitzerten.
Auch das Innere des Hauses Matzner war nicht wiederzuerkennen. Alle Pensionärinnen saßen eingesperrt in ihren Zimmern. Frau Matzner bewahrte die Schlüssel. In ihrem aschgrauen, hochund festverschlossenen Kleid, mitten in dem Zwielicht, das sie selbst so mühsam hergestellt hatte, dank allerhand Schleiern und Tüchern, damit das allzu gewöhnliche Dekor nicht deutlich zum Vorschein komme, erinnerte sie an ein nach langen Jahren, Jahrhunderten des Todes wieder aufgescheuchtes Gespenst einer verschwiegenen Kammerzofe. Mit einer tiefen Verbeugung empfing sie das ankommende Paar, die Mizzi und die Majestät. Kein Laut war hörbar, und nichts war deutlich sichtbar. Seine Majestät, der Schah, mußte glauben, daß er in eines jener verzauberten okzidentalen Schlösser geraten sei, von denen ihm seine wunschselige Phantasie seit Jahren schon in Teheran so viel versprochen hatte. Der Schah glaubte es in der Tat. Weitaus kindischer noch als etwa ein beliebiger europäischer Christ, der in jenen Jahren nach Persien kam und der die Geheimnisse des sogenannten Orients entdeckt zu haben glaubte, wenn es ihm nur gelungen war, eine der aller Welt offenstehenden Freudenstätten zu sehn, war Seine Majestät in dieser Nacht begeistert von den Geheimnissen des Abendlandes, die er endgültig entschleiert zu haben glaubte. – Es ist also nicht so – sagte er sich in seiner bezauberten Einfalt –, daß hierzulande diese großartigen Frauen lediglich ihren Männern gehören! Zwar gibt es – so sagte er sich weiter – hierzulande keine Harems; aber um wieviel schöner, zauberischer, reizvoller ist die Liebe ohne Harem! … Man kauft die Frau nicht – man bekommt sie sogar geschenkt! Während sie, diese Abendländer, die Tugend predigen, die Monogamie, entschleiern sie ihre Weiber nicht nur – – nein, sie verleihen sie auch!!
In dieser Nacht war Seine Majestät, der Schah von Persien, überzeugt, daß die Liebeskunst des Abendlandes weitaus raffinierter war als die seiner Heimat. In dieser Nacht genoß er alle jene Wonnen, die einem begierigen Mann die gewohnte, heimische Art der Liebe niemals gewähren kann, sondern die ungewohnte, ungewöhnliche, fremdartige. Die Methoden, die Sedlacek, der Geheime, der Mizzi Schinagl angeraten hatte, kamen dem Herrscher von Persien exotisch vor. Er war eben kein Europäer, er hatte einen Harem, gefüllt von dreihundertfünfundsechzig Frauen. So viele Nächte hat das Jahr. Hier aber im Hause der Josephine Matzner, besaß er nur eine einzige.
Die ganze Nacht wartete der Sedlacek im Fiaker. Oh! Er war nicht einer von jenen unzuverlässigen, schwachen Charakteren, die imstande waren, etwa einzuschlafen, bevor noch ihr Dienst vollendet war. Im Gegenteil, niemals noch war ihm der Schlaf so fern, niemals noch war sein Auge so wach gewesen! Es war das Gebot seiner Natur. Er hatte keinerlei Rekompensation zu erwarten; keine Auszeichnungen; und kein Avancement. Dunkle Dinge hatte er zu vollbringen, ewig im Geheimen sollten sie bleiben! Nicht auf irgendeinen Lohn wartete er!
Als der Schah am nächsten Morgen erwachte, fand er neben sich niemanden mehr im Bett. Er sah sich erstaunt, beinahe erschrocken um. Vom dunkelgrünen Baldachin, unter dem er lag, hing an einer geflochtenen Schnur eine Quaste. Sie war sehr schäbig – abgenützt. Er zog an ihr, in der vagen Hoffnung, sie würde wohl irgendwo ein Geräusch verursachen. Er hatte sich keineswegs getäuscht; es war eine Klingel.
Viele andere Männer hatten sich ihrer schon bedient.
XI
Ein gütiger, blauer Morgenhimmel wölbte sich über der Stadt. Der Tau in den Gärten verströmte einen frischen, munteren Duft, der sich mit dem warmen und herben der jungen, neugeborenen Brote und Semmeln in den Körben der Bäckerjungen vermischte.
Es war ein Frühlingsmorgen von strahlender Lieblichkeit. Der arme Schah sah nichts davon. Er rollte, eher bewacht als begleitet, von zwei aufmerksamen Herren seiner Suite, in einem geschlossenen Wagen durch die lächelnden Straßen. Er war schlechter Laune. Das Abenteuer der letzten Nacht hinterließ in ihm zwar eine angenehme Erinnerung, aber er hatte in seiner gesunden Einfalt an ein feierlich-großes Erlebnis gedacht; geradezu eine Veränderung seines Herzens; seiner Art, zu sehen, zu hören und zu fühlen. Es war, die Wahrheit zu sagen: die Enttäuschung seines Lebens. Er hatte sich eine Art großartiger Feier vorgestellt, und es war nur ein kleines Fest gewesen. Was wußte er jetzt mehr von der europäischen Liebe als vorher? Er liebte die Stadt nicht mehr, wie noch gestern abend. Überhaupt erschien ihm der vergangene Abend wie ein glänzendes Blendwerk. Je länger die Fahrt dauerte, je strahlender der Tag heranreifte, desto stärker verdüsterte sich die Seele der Majestät, und desto größer wurde ihre Bitterkeit. Er erinnerte sich an die weisen Worte seines Obereunuchen, der ihm gesagt hatte, daß die Lust und die Neugier nur Täuschung seien. Er hatte sehr viel Bitterkeit im Herzen und auch eine Art Sehnsucht nach Reue. Es ist ihm ähnlich zumute wie einem Knaben, der vor einer Stunde sein neuestes Spielzeug zerbrochen hat.
Zu seinen Begleitern sprach er kein Wort. Wenn überhaupt irgend etwas, so hätte er am liebsten sagen mögen, daß zum Beispiel die Welt, die vor einigen Stunden noch so reich gewesen war, jetzt plötzlich leer geworden sei. Aber schickte sich das für ihn, den Herrn und den Schah?
Den Obereunuchen ließ er – kaum war er angekommen – zu sich rufen. Wie es ihm hier gefalle, fragte der Schah, während er gemächlich eine halbe Orange auslöffelte. Es war ein warmer, heimischer, fast konnte man sagen, persischer Geruch im Zimmer, von dem starken Kaffee, den die Majestät eine Weile vorher getrunken hatte. Man kochte ihn auf einem kleinen, lieblichen, offenen Flämmchen, in einer besonderen, tönernen Schale. Das Feuerchen brannte noch; es sah aus wie ein Opferfeuer.
Der Obereunuch sagte, ihm gefalle es hier, wie überall, wenn er nur in der Nähe seines Herrn sein könne. Alter Lügner, dachte der Schah. Es tat ihm dennoch wohl, Schmeicheleien zu hören. Er sagte: »Ich hätte Lust, dir zur Strafe für deine Lügen von nun ab das Leben zu verbittern.« – »Der Herr ist immer gnädig«, sagte der Eunuch, »auch seine Strafe verbittert mir das Leben nicht!« – »Wie befinden sich meine Frauen?« fragte der Schah. »Herr«, antwortete der Eunuch, »sie essen gut, sind gesund, schlafen bequem, in geräumigen und bequemen Betten. Nur eines macht sie unglücklich: daß ihr Gebieter sie nicht besucht!« – »Ich will keine Frau mehr sehn, ein Jahr nicht mehr. Ich bin auch mit der Europäerin nicht glücklich geworden. Du allein hast es vorausgesagt. Muß man verschnitten sein, um klug zu werden?« – »Herr«, erwiderte der Verschnittene, »ich kenne auch törichte Eunuchen und weise normale Männer.« Es war eine Beleidigung, der Schah spürte es wohl. »Was tätest du, wenn du enttäuscht wärest?« fragte die Majestät. »Ich würde mich kränken, und ich würde zahlen, Herr. Enttäuschungen sind kostspielig.«
»Gewiß, ja!« sagte die Majestät und ließ sich die Wasserpfeife geben und blieb eine lange Weile still.
Innerhalb dieser langen Weile hatte er sich schon entschlossen, wieder heimzureisen. Es paßte ihm nicht mehr. Er fühlte sich durch das Abendland gekränkt. Es hielt nicht, was er sich davon versprochen hatte. Düsterkeit breitete sich über sein weiches, gelbliches Gesicht, und es erschien, eine Sekunde lang, greisenhaft, trotz der jugendlich glänzenden Schwärze des Barts.
»Wenn du nicht verschnitten wärest, hätte ich vielleicht mit dir tauschen mögen«, sagte der Schah. Der Eunuch verneigte sich tief. »Du kannst gehen!« sagte der Herrscher; rief aber gleich darauf: »Nein, bleiben!«
»Bleib!« wiederholte er noch einmal, als fürchtete er, selbst sein Verschnittener könnte ihm entgleiten. Dieser allein und kein anderer aus der Suite des Schahs war fähig, die delikateste und zugleich prächtigste aller Auszeichnungen zu verleihen. Eunuchen sind ritterlich.
»Dir obliegt es«, sagte der Schah, »der Dame dieser Nacht ein Geschenk zu überbringen. Achte darauf, daß es würdig sei unserer Majestät, aber auch deines bewährten Geschmacks. Achte darauf, daß keiner von unserer Begleitung dich sieht. Das Haus und den Namen mußt du ausfindig machen. Ich will nichts mehr von der Sache wissen. Ich verlasse mich auf dich!«
»Mein Herr darf es!« sagte der Obereunuch.
Er hatte schon delikatere und diffizilere Dinge in seinem Leben vollbracht. Seit seiner Ankunft lebte er in gutem Einvernehmen mit Dienern und Lakaien, und längst wußte er zwischen Geldsüchtigen und Bestechlichen, Klugen und Brauchbaren und Dummen zu unterscheiden. Er konnte die Sprache des Landes nicht, aber alle Welt verstand seine Sprache: es war die Sprache des Goldes und die der Zeichen. Man verstand den Obereunuchen vortrefflich.
Es war einfach, den Weg zu Mizzi Schinagl zu finden. Alle Leute vom Gesinde wußten, wo der Schah die Nacht zugebracht hatte. Schwieriger aber war es, ein Geschenk zu finden, das, wie dem Obereunuchen befohlen war, würdig sein sollte der Macht des Herrschers und seines eigenen Geschmacks. Er überlegte lange. Er kannte die Dame nicht. Nach seinen Vorstellungen mußte sie einen hohen Rang haben. Er entschloß sich für drei schwere Perlenketten. Ihr Wert schien ihm angemessen als Preis. In Begleitung des Hoflakaien Stephan Lackner fuhr er am nächsten Nachmittag vor das Haus der Matzner.
Man war hier auf diesen Besuch nicht vorbereitet. Frau Matzner selbst war noch im Schlafrock und der Klavierspieler Pollak in langen, flauschigen Unterhosen und Pantoffeln. Der Obereunuch, im europäischen Anzug, dunkelblau und dermaßen zurückhaltend gekleidet, daß seine Diskretion schon beinahe aussah wie ein Versuch sich zu verbergen, war keineswegs töricht genug, um nicht sofort zu erkennen, wo er sich befinde. Es bedurfte weder europäischer Erfahrungen noch auch eines ausgesprochenen Geschlechts, um das Gewerbe der Frau Matzner zu erkennen. Es tat ihm leid um die köstlichen Perlen in der silbernen Kassette.
Man holte die Mizzi. Sie kam, noch unfrisiert, mit flüchtig aufgestecktem Haar, das wie zerfranst aussah, das Gesicht stark gepudert und schon im flüchtig angezogenen, roten Kleid. Ein paar Hafteln rückwärts standen offen. Das veranlaßte sie, hart an der Tür zu stehn, durch die sie eingetreten war; wie ein Verurteilter stand sie da, der die erlösenden Schüsse erwartet.
In dieser Haltung nahm sie den Orchideenstrauß entgegen, die silberne Kassette und den langen, unverständlichen Spruch des dicken, dunkelblauen Herrn. Sie nickte, sie schluckte ein paarmal. Nicht einmal die Matzner war da, deren Blick sie vielleicht ermuntert hätte. Frau Josephine wollte sich schnell umziehn. Als sie endlich eintrat, gewappnet und zu allen Abenteuern bereit, war die ganze Zeremonie leider schon beendet, der dunkelblaue Herr bereits im Rückzug begriffen. Er erkannte Josephine Matzner trotz ihrer Verwandlung sofort, und er zog seine Börse und reichte sie mit einer leichten Verneigung der Hausfrau. Die Börse wog leicht. Kein Wunder: sie enthielt lediglich Goldmünzen.
Als der Obereunuch am nächsten Tage seinem Herrn den Vollzug des Befehls meldete, fragte der Schah, ob die Dame etwas gesagt habe. »Herr«, erwiderte der Diener, »sie wird Euch nie vergessen. Dies war ersichtlich, obwohl ich ihre Sprache nicht verstanden habe.«
XII
Viele Menschen dachten noch lange an den Schah, Glückliche und Unzufriedene. Denn er hatte seine Orden und Geschenke nach eigener Willkür verteilt, ohne auf den Gesandten zu hören und ohne auf den Rang und die Würde der Beschenkten und Ausgezeichneten zu achten. Der einzige wirklich Unglückliche war der Rittmeister Taittinger. Er wurde nämlich einen Tag nach der Abreise des hohen Gastes von der »besonderen Verwendung« dispensiert und zu seinem Regiment zurückbeordert.
Die ganz fatale Geschichte versank in der Vergessenheit; das heißt: in den Geheimarchiven der Polizei. Es wird also niemals mehr zu erfahren sein, warum der arme Taittinger so schnell in seine Garnison zurückmußte.
In der kleinen schlesischen Garnison blieb dem Baron nichts anderes übrig, als über seine fatale Geschichte nachzudenken. Er hatte Einsicht genug: er kam sozusagen zu einer Art oberflächlicher Einkehr und fällte über sich ein, seiner Meinung nach, äußerst hartes Urteil: er fand, daß er durchaus nicht mehr »charmant« war.
Von nun ab begann er auch zu trinken. Er dachte ein paarmal daran, der Gräfin W. zu schreiben und sie um Verzeihung zu bitten, weil er sie dem Perser verraten hatte. Aber er zerriß den ersten, den zweiten, den dritten Brief. Hierauf trank er noch mehr.
Sehr oft träumte er von jener Stunde, in der er die Stiege hinuntergegangen und dem Spitzel mit dem gelüfteten Zylinder begegnet war. Zugleich sah er sich auch die glatte, steinerne Rampe hinuntergleiten. Die Frauen freuten ihn nicht mehr, der Dienst langweilte ihn, die Kameraden liebte er nicht, der Oberst war fad. Die Stadt war fad, das Leben war noch schlimmer als fad. Es gab im Vokabular Taittingers dafür keinen Ausdruck.
Er glitt und sank. Er fühlte sich auch gleiten und sinken. Er hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, mit Mizzi Schinagl zum Beispiel, von der er auch manchmal träumte. Aber es war ihm, als sei er zu stumm und zu stumpf, um das Richtige und Wahre sagen zu können. Er schwieg also. Und er trank.
Indessen dauerte der große Rausch der Mizzi Schinagl kaum drei Wochen. Berauscht war übrigens auch das ganze Haus der Frau Josephine Matzner. Berauscht war ganz Sievering, als es vom alten Pfeifenhändler Schinagl erfuhr, daß seine Tochter zum Gefolge des Schahs von Persien nunmehr gehörte und nach Teheran zu fahren gedenke. Denn dermaßen umgeformt kam die Kunde von dem morgenländischen Abenteuer der Mizzi nach Sievering. Der Zwischenträger und Gerüchteträger gab es viele. Die erste Nachricht brachte der Friseur Xandl. Zuerst glaubte man ihm nicht; er kränkte sich darüber so sehr, daß er die Mizzi anflehte, selber zu ihrem Vater zu gehn. Sie tat es endlich. Sie fuhr im Zweispänner vor. Als sie einstieg, setzte sich der Friseur Xandl an ihre Seite, und er blieb auch längere Zeit auf seinem Platze. Aber als sie sich Sievering näherten, wechselte er den Platz: er setzte sich Mizzi gegenüber auf den Rücksitz.
Das Wiedersehen war herzlich, ja herzerschütternd. Der alte Schinagl weinte. Es waren kaum sechs Monate seit dem Tage vergangen, an dem er ganz Sievering versichert hatte, daß er seine Tochter verstoßen habe und daß er entschlossen sei, sie nie mehr im Leben wiederzusehn. Aber was kann der Mensch gegen die Gewalt des Goldes? Man sah den alten Schinagl die verstoßene Tochter umarmen.
Als Mizzi Schinagl den Laden ihres Vaters verließ, bildeten die Leute draußen eine kleine Gasse. Die Schinagl war lieblich und rührend anzusehn, in ihrem dunkelgrauen Kostüm, mit ihrem großen Hut aus blauem Tuch und dem hellgrauen Sonnenschirm in der Hand. Keine andere Herrscherin hätten die Leute aus Sievering dem befreundeten persischen Lande wünschen können. Sie lächelte, sie grüßte, sie stieg ein, und ihr gegenüber nahm wieder der Friseur Xandl auf dem Rücksitz Platz. Die Peitsche des Kutschers knallte diskret und munter. Dahin, dahin, in die Stadt zurück rollte der Fiaker, und Mizzi winkte mit einem weißen Handschuh. Der alte Schinagl stand vor der Tür und weinte.
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