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„Dies ist keine Pedanterie. Es ist Erfahrung. Ich habe zu oft gesehen, wieviel Unheil passieren kann, wenn man Kleinigkeiten vernachlässigt. Und ich weiß zu genau, was Warten heißt, unter Gefahr.“ Ich nahm ihren Arm. „Ohne Pedanterie dieser Art wäre ich nicht mehr am Leben, Helen.“
Sie drückte heftig meinen Arm. „Ich weiß“, murmelte sie. „Siehst du denn nicht, dass ich fürchte, es würde etwas passieren, wenn ich dich jetzt nur noch eine Minute allein lasse?“
Ich spürte alle Wärme der Welt. „Nichts wird passieren, Helen. Auch daran kann man glauben. Mit aller Pedanterie.“
Sie lächelte und hob ihr blasses Gesicht. „Geh nun telefonieren! Aber nicht in einer Kneipe. Drüben ist ein Telefonstand. Man hat ihn hingebaut, während du fort warst. Er ist sicherer als eine Kneipe.“
Ich ging in die Glaskabine. Helen blieb draußen. Ich rief Martens an. Die Nummer war besetzt. Ich wartete einige Zeit und rief wieder an. Das Nickelstück fiel scheppernd zurück; die Nummer war immer noch besetzt. Ich wurde unruhig. Durch das Glas sah ich Helen draußen aufmerksam hin und her gehen. Ich machte ihr ein Zeichen, aber sie sah mich nicht. Sie beobachtete die Straße, den Hals gereckt, spähend, ohne es zu sehr zeigen zu wollen, Wärter und Schutzengel zugleich, in einem sehr gut sitzenden Kostüm, wie ich jetzt bemerkte. Ich sah auch, während ich wartete, dass ihr Mund mit Lippenstift nachgezogen war. Im gelben Licht wirkte er fast schwarz. Mir fiel ein, dass Schminke und Lippenstift im neuen Deutschland unerwünscht waren.
Beim dritten Anruf erreichte ich Martens. „Meine Frau hat telefoniert“, sagte er. „Fast eine halbe Stunde. Ich konnte sie nicht unterbrechen. Über Kleider, Krieg und Kinder.“– „Wo ist sie jetzt?“
„In der Küche. Ich musste sie reden lassen. Du verstehst?“
„Ja. Alles in Ordnung. Ich danke dir, Rudolf. Vergiss alles.“
„Wo bist du?“
„Auf der Straße. Ich danke dir, Rudolf. Ich brauche weiter nichts mehr. Ich habe alles gefunden. Wir sind zusammen.“
Ich sah durch die Scheibe auf Helen und wollte den Hörer niederlegen. „Weißt du, wo du unterkommen wirst?“ fragte Martens.
„Ich glaube, ja. Sorge dich nicht. Vergiss den Abend, als hättest du geträumt.“
„Wenn ich noch etwas tun kann“, sagte er zögernd, „lass es mich wissen. Ich war zuerst zu überrascht. Du verstehst…“
„Ja, Rudolf, ich verstehe. Und wenn ich etwas brauche, werde ich es dich wissen lassen.“
„Wenn du hier übernachten willst – wir könnten dann noch miteinander reden…“
Ich lächelte. „Wir werden sehen. Ich muss jetzt aufhören…“
„Ja, natürlich“, sagte er eilig. „Verzeih. Alles Glück, Josef. Wirklich!“ „Danke, Rudolf.“
Ich trat aus der stickigen Kabine. Ein Windstoß fasste mich und riss mir fast den Hut vom Kopf. Helen kam rasch heran. „Komm nach Hause! Du hast mich mit deiner Vorsicht angesteckt. Es ist plötzlich, als ob hier hundert Augen aus der Dunkelheit starrten.“ „Hast du noch dasselbe Mädchen?“ „Lena? Nein, sie spionierte für meinen Bruder. Er wollte wissen, ob du mir schriebest. Oder ich dir.“ „Und das jetzige?“
„Sie ist dumm und gleichgültig. Ich kann sie wegschicken, und sie wird sich freuen und nicht nachdenken.“
„Du hast sie noch nicht weggeschickt?“
Sie lächelte und war plötzlich sehr schön. „Ich musste doch erst sehen, ob du wirklich hier wärest.“
„Du musst sie wegschicken, ehe ich komme“, sagte ich. „Sie darf uns nicht sehen. Können wir nicht anderswohin gehen?“
„Wohin?“
Ja, wohin? – Helen lachte plötzlich. „Da stehen wir wie Halbwüchsige, die sich heimlich treffen müssen, weil ihre Eltern sie noch für zu jung halten! Wohin können wir gehen? In den Schlosspark? Er wird um acht Uhr geschlossen. Auf eine Bank in den städtischen Anlagen? In eine Konditorei? Schon zu gefährlich!“
Sie hatte recht. Es waren die kleinen Tatsachen, die ich nicht vorausgesehen hatte – man sieht sie nie voraus.
„Ja“, sagte ich. „Wir stehen da wie Halbwüchsige. Als wären wir in unsere Jugend zurückgeworfen.“
Ich blickte sie an. Sie war neunundzwanzig Jahre alt; aber sie wirkte so, wie ich sie früher gekannt hatte. Die fünf Jahre dazwischen schienen abgeglitten zu sein wie Wasser von einem jungen Seehund. „Ich bin auch gekommen wie ein Halbwüchsiger“, sagte ich. „Alle Überlegungen waren dagegen, aber wie ein Halbwüchsiger habe ich nicht weitergedacht. Ich wusste nicht einmal, ob du nicht längst mit jemand anderem lebtest.“
Sie antwortete nicht. Ihr braunes Haar glänzte im Licht der Laterne. „Ich werde vorausgehen und das Mädchen wegschicken“, sagte sie. „Aber ich hasse es, dich allein auf der Straße zu lassen. Du könntest wieder verschwinden – so, wie du aufgetaucht bist. Wo willst du so lange bleiben?“
„Da, wo du mich gefunden hast. In einer Kirche. Ich kann zum Dom zurückgehen. Kirchen sind sicher, Helen. Ich bin ein großer Kenner französischer, schweizer und italienischer Kirchen und Museen geworden.“
„Komm in einer halben Stunde“, flüsterte sie. „Erinnerst du dich noch an die Fenster unserer Wohnung?“
„Ja“, sagte ich.
„Wenn das Eckfenster offen ist, ist alles in Ordnung, und du kannst heraufkommen. Wenn es geschlossen ist, warte, bis ich es öffne.“
Ich musste an Martens und meine Jugend denken, wenn wir Indianer spielten. Damals war es ein Licht im Fenster gewesen: das Zeichen für Lederstrumpf oder Winnetou, der unten wartete. Wiederholte es sich? Gab es das, dass sich etwas wiederholte?
„Gut“, sagte ich und wollte gehen.
„Wohin gehst du?“
„Ich will sehen, ob die Marienkirche noch offen ist. Soweit ich mich erinnere, ist sie ein schönes Beispiel gotischer Baukunst. Ich habe inzwischen gelernt, das zu schätzen.“
„Lass das!“ sagte sie. „Es ist schlimm genug, dass ich dich allein lassen muss.“
„Helen“, erwiderte ich. „Ich habe gelernt, auf mich aufzupassen.“
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht verlor plötzlich jeden Versuch zur Tapferkeit. „Nicht genug“, sagte sie.
„Nicht genug. Was tue ich, wenn du nicht kommst?“
„Du kannst nichts tun. Ist deine Telefonnummer noch dieselbe?“
„Ja“.
Ich berührte ihre Schulter. „Helen“, sagte ich. „Alles wird gut gehen.“
Sie nickte. „Ich bringe dich zur Marienkirche. Ich will wissen, dass du sicher hinkommst.“
Wir gingen schweigend hin. Es war nicht weit. Helen verließ mich, ohne ein Wort zu sagen. Ich sah ihr nach, während sie über den alten Marktplatz ging. Sie ging rasch und blickte sich nicht um.
* * *
Ich blieb im Schatten des Portals stehen. Rechts lag das Rathaus im Schatten; nur auf den steinernen Gesichtern der alten Skulpturen schimmerte ein Streifen Mondlicht. Auf der Freitreppe davor war das Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahre 1648 verkündet worden; ebenso der Beginn des Tausendjährigen Reiches im Jahre 1933. Ich überlegte, ob ich erleben würde, dass auch sein Ende hier gemeldet werden würde. Ich hatte wenig Hoffnung.
Ich versuchte nicht, in die Kirche zu gehen. Es war mir auf einmal zuwider, mich zu verstecken. Ich wollte zwar nicht unvorsichtig werden; aber seit ich Helen gesehen hatte, wollte ich nicht mehr ohne Not ein gehetztes Tier sein.
Ich ging weiter, um nicht aufzufallen. Die Stadt, die vorher gefährlich, bekannt und entfremdet gewesen war, fing jetzt an zu leben. Ich spürte, dass es so war, weil ich selbst begonnen hatte zu leben. Das anonyme Dasein der letzten Jahre, das nur ein Überleben gewesen war, ein Wachsen ohne Frucht von einem Tag zum anderen, schien mir auf einmal nicht mehr so unnütz gewesen zu sein. Es hatte mich geformt, und wie eine schwankende Blüte, heimlich aufgebrochen, war plötzlich ein Lebensgefühl da, das ich früher nicht gekannt hatte. Es hatte nichts mit Romantik zu tun; aber es war so neu und erregend, als wäre es eine große, leuchtende, tropische Blüte, hingezaubert auf einen durchschnittlichen Strauch, von dem man höchstens ein paar bescheidene, durchschnittliche, kleine Knospen erwartet hätte. Ich kam an den Fluss und blieb auf der Brücke stehen und blickte über das Geländer auf das Wasser. Links von mir stand ein Wachtturm aus dem Mittelalter, in dem jetzt eine Wäscherei eingerichtet war. Die Fenster waren erleuchtet, und die Mädchen arbeiteten noch. Das Licht wehte in breiten Reflexen über den Fluss darunter. Der schwarze Wall mit den Linden stand vor dem hohen Himmel, und rechts lagen die Gärten mit der Silhouette des Domes darüber.
Ich stand sehr still und war völlig entspannt. Nichts war zu hören als das Plätschern des Wassers und die gedämpften Stimmen der Wäscherinnen hinter den Fenstern. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Was ich hörte, schienen nur menschliche Laute zu sein, die noch nicht zu Worten geworden waren. Sie waren nur Zeichen, dass Menschen nahe waren – aber noch nicht Zeichen der Lüge, des Betrugs, der Dummheit und der höllischen Einsamkeit, die sie als fertige Worte wie hässliche Obertöne einer rein geplanten Melodie gehabt hätten.
Ich atmete, und mir war, als atme ich im selben Rhythmus wie das Wasser. Für einen Augenblick, der ohne Zeit war, war mir sogar, als wäre ich ein Teil der Brücke und das Wasser flösse wie mein Atem und mit ihm durch mich hindurch. Es schien mir selbstverständlich, und ich wunderte mich nicht. Ich dachte nicht; auch meine Gedanken waren so unbewusst geworden wie mein Atem und das Wasser.
Ein abgeschirmtes Licht wanderte rasch durch die schwarze Allee der Linden zu meiner Linken. Meine Augen folgten ihm, und dann hörte ich die Stimmen der Wäscherinnen wieder. Es kam mir zum Bewusstsein, dass ich sie eine Zeitlang nicht gehört hatte. Auch den Geruch der Linden spürte ich jetzt wieder. Ein schwacher Wind trieb ihn über das Wasser.
Das wandernde Licht erlosch, und gleichzeitig wurden die Fenster hinter mir dunkel. Das Wasser lag eine Minute schwarz und teerig da, dann tauchten die schmalen Reflexe des Mondes auf, die vorher durch das stärkere Licht der Wäscherei verdeckt gewesen waren. Sie begannen jetzt, da nur sie allein noch da waren, zarter und vielfältiger zu spielen als das grobe, gelbe Licht vorher. Ich dachte an mein Leben, in dem auch vor Jahren ein Licht ausgelöscht worden war, und ich wunderte mich, ob viele sanfte Lichter, die ich vorher nie gesehen hatte, nicht auch in ihm wieder auftauchen könnten, so wie jetzt der Widerschein des Mondes im Fluss. Bisher war mir immer nur der Verlust fühlbar gewesen – nicht, ob ich nicht auch etwas dadurch gewonnen hätte.
Ich verließ die Brücke und ging in der dunklen Allee der Bäume auf dem Wall auf und ab, bis die halbe Stunde vorbei war, die ich warten musste. Der Geruch der Linden wurde stärker in der wachsenden Nacht, und der Mond überschüttete die Dächer und die Türme mit Silber. Es war, als wolle die Stadt alles tun, um mir zu zeigen, dass ich mir eine Lüge aufgebaut habe; dass nirgendwo eine Gefahr auf mich lauere; dass ich heimkehren könne, getrost, nach einem langen Irrweg, um wieder ich selbst zu sein.
Es war nicht nötig, mich dagegen zu wehren. Etwas in mir wachte automatisch und sicherte nach allen Seiten. Ich war zu oft gerade so in Paris, in Rom und in anderen Städten verhaftet worden – hingegeben an die Schönheit und in Sicherheit gewiegt durch ihre betrügerische Illusion der Liebe, des Verstehens und des Vergessens. Polizisten vergaßen nicht. Und Denunzianten wurden nicht durch Mondlicht und Lindenduft zu Heiligen.
Ich ging zum Hitler-Platz, vorsichtig, meine Sinne ausgespannt wie Fledermausflügel. Das Haus stand an einer Ecke, wo eine Straße in den Platz mündete. Die Straße hatte noch den alten Namen.
Das Fenster war offen. Mir fiel die Geschichte von Hero und Leander
ein und das Märchen von den Königskindern, wo eine Nonne das Licht auslöschte und der Königssohn ertrank – ich war kein Königssohn, dachte ich, und die Deutschen hatten viele sehr schöne Märchen und trotzdem, oder deshalb vielleicht, auch die grausamsten Konzentrationslager der Welt. Ruhig überschritt ich die Straße, und es war nicht der Hellespont
und nicht die nordische See.
Im Hausflur kam mir jemand entgegen. Ich konnte nicht mehr zurück und ging weiter auf die Treppe zu, als wüsste ich, wohin ich wollte. Es war eine ältere Frau, die ich nicht von früher kannte. Das Herz krampfte sich mir zusammen…“ Schwarz lächelte – „da ist wieder so ein Klischee, an das man erst glaubt, wenn man es erfahren hat. Ich sah mich nicht um, ich hörte die Haustür zuklinken und lief rasch die Treppen hinauf. Die Tür war einen Zentimeter offen. Ich stieß sie auf und stand Helen gegenüber. „Hat dich jemand gesehen?“ fragte sie. „Ja. Eine ältere Frau.“ „Ohne Hut?“ „Ja, ohne Hut.“
„Es muss das Mädchen gewesen sein. Sie hat ihr Zimmer unter dem Dach. Ich habe ihr gesagt, sie könne bis Montag nachmittag frei haben; da muss sie herumge trödelt haben. Diese Mädchen glauben, jeder Mensch habe nichts weiter im Kopf, als ihre Kleider zu kritisieren, wenn sie auf der Straße sind.“
„Zum Teufel mit dem Mädchen“, sagte ich. „Sie hat mich nicht erkannt, ob sie es war oder nicht. Ich weiß, wenn jemand mich erkennt.“
Helen nahm mir den Regenmantel und den Hut aus den Händen und wollte beides weghängen. „Nicht hierher“, sagte ich. „In einen Schrank. Wenn jemand käme, könnte er sie sehen.“
„Niemand kommt“, sagte Helen und ging mir voran.
Ich wandte mich um und drehte den Schlüssel in der Tür um. Dann folgte ich ihr.
Ich hatte in den ersten Jahren meines Exils oft an meine Wohnung gedacht; dann hatte ich sie zu vergessen gesucht. Jetzt, als ich in ihr war, fühlte ich wenig. Sie war da wie ein Bild, das ich einmal besessen hatte und das mich an eine bestimmte Zeit meines Lebens erinnerte. Ich stand in der Tür und blickte mich um. Fast nichts war geändert worden. Das Sofa und die Sessel waren neu bezogen.
„Waren sie nicht früher grün?“ fragte ich.
„Blau“, sagte Helen.
Schwarz wendete sich mir zu. „Dinge haben ihr eigenes Leben, und es wird entsetzlich, wenn man sie mit dem eigenen vergleicht.“
„Wozu vergleichen?“ fragte ich.
„Tun Sie das nicht?“
„Ja, aber nicht auf verschiedenen Ebenen. Ich beschränke mich auf mich selbst. Wenn ich hungrig am Hafen stehe, vergleiche ich mich mit einem imaginären Ich, das außerdem noch an Krebs leidet. Das macht mich dann für eine Minute glücklich, weil ich keinen
Krebs habe und nur hungrig bin.“
„Krebs, sagte Schwarz und starrte mich an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Ich könnte auch Syphilis sagen. Oder Tuberkulose. Krebs ist das nächste.“
„Das nächste?“ Schwarz starrte mich immer noch an. „Ich sage Ihnen, es ist das fernste! Das fernste!“ wiederholte er.
„Gut“, erwiderte ich nachgiebig. „Das fernste. Ich habe es nur so als Beispiel gebraucht.“
„Es ist so fern, dass es unbegreiflich ist.“
„Das ist jede tödliche Krankheit, Herr Schwarz. Immer.“
Er nickte und schwieg. „Haben Sie noch Hunger?“ fragte er dann.
„Nein. Warum?“
„Sie sagten etwas davon.“
„Das war auch nur ein Beispiel. Ich habe heute bei Ihnen schon zweimal zu Abend gegessen.“
Er blickte auf. „Wie das klingt! Zu Abend essen! Wie tröstlich! Wie unerreichbar, wenn alles vorbei ist!“
Ich schwieg. Nach einer Weile sagte er ruhiger: „Die gelben Sessel. Sie waren neu bezogen worden, das war alles, in den fünf Jahren, in denen mein Dasein ein Dutzend Saltos der Ironie geschlagen hatte. Es scheint manchmal nicht zusammenzupassen, das war es, was ich meinte.“
„Ja. Der Mensch stirbt, aber das Bett bleibt. Das Haus bleibt. Die Dinge bleiben. Man möchte sie auch zerstören.“
„Nicht, wenn sie einem gleichgültig sind.“
„Man soll sie nicht zerstören“, sagte ich. „Man ist nicht so wichtig.“
„Nein?“ erwiderte Schwarz und hob mir ein plötzlich verstörtes Gesicht entgegen. „Nicht wichtig? Natürlich nicht! Aber sagen Sie mir – was sonst ist wichtig, wenn ein Leben nicht wichtig ist?“
„Nichts“, erwiderte ich und wusste, dass es wahr war und doch nicht wahr. „Nur wir machen es wichtig.“
Schwarz trank hastig von dem dunklen Wein. „Und warum nicht?“ fragte er laut. „Wollen Sie mir sagen, warum wir es nicht wichtig machen sollen?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es war auch nur eine dumme Redensart. Ich nehme es selbst wichtig genug.“
Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Das Orchester spielte Tanzmusik; einen Tango, in dem kurze, gedämpfte Hornstöße mich an die fernen Sirenen eines abfahrenden Schiffes erinnerten. Nur noch ein paar Stunden, dachte ich, bis zur Dämmerung, dann kann ich gehen. Ich fühlte nach den Fahrscheinen in meiner Tasche. Sie waren da. Fast hätte ich es nicht mehr geglaubt; die ungewohnte Musik, der Wein, die verhängten Räume und die Stimme von Schwarz hatten etwas Einschläferndes und Unwirkliches.
„Ich stand noch immer in der Tür zum Wohnzimmer“, fuhr Schwarz fort. „Helen sah mich an und fragte: „Ist dir deine Wohnung so fremd geworden?“
Ich schüttelte den Kopf und machte ein paar Schritte vorwärts. Eine merkwürdige Verlegenheit hatte mich erfasst. Die Dinge schienen nach mir greifen zu wollen; aber ich gehörte nicht mehr zu ihnen. Ein Schreck durchzuckte mich: dass ich vielleicht auch nicht mehr zu Helen gehöre. „Es ist alles, wie es war“, sagte ich rasch und heiß und verzweifelt. „Alles, wie es war, Helen.“
„Nein“, erwiderte sie. „Nichts ist mehr so. Weshalb bist du zurückgekommen? Deshalb? Damit alles so sei, wie es war?“
„Nein“, sagte ich. „Ich weiß, dass es das nicht gibt. Aber haben wir nicht hier gelebt? Wo ist das geblieben?“
„Nicht hier. Es ist auch nicht in den alten Kleidern geblieben, die wir weggeworfen haben. Meinst du das?“
„Nein. Ich frage nicht für mich. Aber du warst immer hier. Ich frage für dich.“
Helen sah mich seltsam an. „Warum hast du nie früh er gefragt?“ sagte sie dann.