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Satan und Ischariot III
Satan und Ischariot III
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Satan und Ischariot III

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»Das klingt zwar verlockend, ist aber nicht so leicht, wie du denkst. Erstens, wie wollen wir Winnetou eine solche Erklärung geben, ohne daß unsere Wächter sie auch mit hören? Er versteht ja nur wenig deutsch, und englisch wieder verstehen sie, wenigstens genug, um zu wissen, wovon wir sprechen.«

»Das ist freilich wahr!«

»Und zweitens ist doch die Hauptsache, daß der Umstand nicht auffällt, daß man selbst den ersten Griff bei der Fesselung thut. Bei nur einem wird es jedenfalls übersehen; thun wir aber alle drei den Griff, so muß es nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern vielmehr Verdacht erregen. Ich bin also ganz dafür, daß nur du das Kunststück unternimmst.«

»Was wird aber dann mit euch?«

»Müssen sehen. Es wäre ein Messer vonnöten; man hat uns aber die unserigen mit den übrigen Waffen abgenommen.«

»Was das betrifft, so habe ich eins, ein kleines Einschlagemesserchen mit Nagelfeile; ich pflege es in der inneren Westentasche zu tragen. Man wird uns jedenfalls die Taschen leeren, doch denke ich, daß man das Innentäschchen nicht finden wird.«

»Das paßt ganz vortrefflich. Bekommst du die Hände frei und hast das Messerchen, so kannst du deine Fußschlingen und dann auch unsere Fesseln durchschneiden.«

»Well, sollte mich freuen! Ganz abgesehen von der Größe der Gefahr, in welcher wir uns befinden, wünsche ich herzlich, daß die Befreiung durch mich kommen dürfe, da ich es bin, der die Schuld an unserer Gefangenschaft trägt.«

»Hast du denn, als sie kamen, nichts gehört?«

»Nicht einen Hauch, obwohl ich wirklich scharf und unausgesetzt aufgepaßt hatte. Ich besitze aber leider nicht so empfindliche Ohren wie du und Winnetou. Du kannst dir denken, welche Vorwürfe ich mir mache!«

»Das laß sein! Es ist nicht ungeschehen zu machen, und hätte einer von uns andern Wache gestanden, wäre die Ueberrumpelung auch keine Unmöglichkeit gewesen.«

»Du hast aber selbst gehört, daß sie gewartet haben, bis die Reihe an mich gekommen ist.«

»Das geht mich nichts an. Wir sind gefangen und wollen wieder loskommen. Durch Vorwürfe aber erlangen wir die Freiheit keineswegs.«

Winnetou saß neben uns, verstand nur wenig von dem, was wir sprachen, doch war zu hoffen, daß wir ihm die nötige Mitteilung würden machen können, Zunächst geschah, was wir vorhin vorausgesetzt hatten: Nach dem Essen wurden unsere Taschen untersucht und geleert. Man nahm uns alles ab, doch blieb glücklicherweise Emerys kleines Messerchen unentdeckt.

Dann wurden wir wieder auf die Pferde gebunden, und man brach nach dem Thale des Todes auf.

Damals, als ich mit Winnetou die Komantschen dorthin verfolgte, war das Thal nicht ihr Ziel; sie zogen hin und her, um uns irre zu führen und von ihrer Spur abzubringen; darum dauerte es mehrere Tage, ehe unser Rachewerk in jenem Thale zum Abschlusse kam. Heute aber wollte man direkt nach demselben und konnte es in sieben oder acht Stunden recht gut erreichen.

Die Komantschen waren weit besser beritten, als wir, sie hatten sogar einige Pferde, welche man ausgezeichnet nennen konnte. Der Ritt ging durch eine Art von Furt über den Canadian und dann auf der andern Seite nordwärts. Am Flusse gab es Bäume und Gras. Bald hörten die ersteren auf, und als wir uns dann weiter vom Wasser entfernten, verschwand auch das letztere nach und nach.

Das Todesthal hatte seinen Namen nicht etwa dem Umstande zu verdanken, daß wir dort den Häuptling erschossen und begraben hatten, sondern weil es in einer wie ausgestorbenen Gegend lag. »Starke Hand« hatte es damals aufgesucht, wohl um sich in der Einsamkeit vor uns versteckt zu halten.

Das Thal hatte die Form und Gestalt eines eingesunkenen Kraters. Die Wände stiegen steil an und bestanden aus festem Gestein. Es gab nur einen Weg, um zu Pferde in den Kessel hinabzukommen; zu Fuße konnte man wohl auch an andern Stellen kletternd hinab- und hinaufgelangen. Die Thalsohle bildete einen Kreis, dessen Umfang man in einer halben Stunde abgehen konnte.

Am nördlichen Rande drang ein kleines Wasser aus dem Boden; es schmeckte aber leicht nach Schwefel und verschwand bald wieder in der Erde, doch reichte es aus, einigen Kräutern und Gräsern das Leben zu fristen.

Um die Mittagszeit wurde unterwegs ausgeruht; und zu unserer Freude erhielten wir dabei wieder eine Portion getrocknetes Fleisch. Da konnte das Kunststück versucht werden. Wir bekamen die Hände frei und aßen. Als wir fertig waren, wurden wir wieder gebunden. Ich achtete mit großer Spannung auf Emery. Er langte mit der unbefangensten Miene nach dem Riemen, mit welchem er gefesselt werden sollte, legte ihn sich auf das linke Handgelenk, ließ dort den Knoten schürzen und legte dann seine beiden Hände auf den Rücken, um nun auch die Rechte binden zu lassen. Der Rote ließ das ganz so geschehen, untersuchte, als er fertig war, die Fessel genau und machte dann ein so zufriedenes Gesicht, daß ich überzeugt war, Emery habe als Hexenmeister Fiasko gemacht. Darum fragte ich ihn:

»Nun, du hast dich getäuscht? Der Rote hat deine Fessel so genau untersucht und nichts gefunden.«

»Und doch ist er betrogen. Ich kann jeden Augenblick mit der Hand heraus. Ich wollte, ich könnte es dir zeigen. Weißt du, was ich möchte?«

»Nun?«

»Heute abend auf das Essen verzichten. Wenn ich nicht essen will, braucht man mir die Arme nicht frei zu geben; dann bleibt der Riemen, wie er jetzt ist, und ich kann in jedem Augenblick los. Esse ich aber, so weiß ich nicht, ob mir das Kunststück wieder so gelingt, wie jetzt.«

»Es kann aber sehr leicht Mißtrauen erwecken, wenn du nicht essen willst; denn wem der Arm so lange Zeit nach hinten gefesselt ist, der ergreift jede Gelegenheit, ihn einmal frei und nach vorn zu bekommen.«

»Das ist sehr richtig. Es könnte wirklich auffallen, und so will ich lieber nicht auf das Essen verzichten.«

Als wir wieder aufgebrochen waren, ritten wir drei nebeneinander. Wir hatten Winnetou in der Mitte, und es gelang uns, ihn in kurzen Worten, welche von den vor und hinter uns reitenden Roten in ihrem Zusammenhange nicht verstanden wurden, mitzuteilen, was wir für eine Absicht hegten. Sein schönes, hellbronzenes Gesicht blieb vollständig unbeweglich, als er die frohe Botschaft hörte; dann sagte er leise:

»Frei, ja, doch nicht ohne meine Silberbüchse!«

»Und auch ich nicht ohne meine Gewehre,« stimmte ich in deutscher Sprache und laut, zu Emery gewendet, bei.

»Und wenn das nicht möglich ist?« fragte dieser.

»So hole ich sie mir später. Die Freiheit ist ein kostbares Gut; was thue ich aber hier in solcher Gegend mit ihr, wenn ich keine Waffen habe?«

»Sehr richtig; aber es handelt sich nebenbei auch um das Leben!«

»Das giebt den Ausschlag. Also fort, selbst ohne Waffen! Aber wenn mir das Leben sicher wäre, so würde ich die Gefangenschaft nicht eher verlassen, als bis ich meine Waffen wieder in den Händen hätte.«

Es war vielleicht eine Stunde vor der Dämmerung, als wir an dem Rande des Todesthales anlangten. Wir ritten die steile und schmale Senkung hinab, einer hinter dem andern und langsam wie ein Leichenzug. Wenn wir wirklich da nicht wieder heraufkommen sollten! Ich schüttelte den Gedanken mit den Achseln von mir ab. Nein! Wenn wer bestimmt war, unten zu bleiben, dann die Komantschen, aber nicht wir!

Als wir die Thalsohle erreichten, lenkte der Häuptling nach der Stelle hin, wo das Wasser aus dem Felsen trat. Dort hielt er an und stieg vom Pferde; die andern thaten ebenso, denn hier am Wasser sollte die Nacht zugebracht werden. Als wir abgestiegen waren, wurde der Versuch gemacht, die Pferde zu tränken; sie wollten aber das schwefelhaltige Wasser, welches wie faule Eier roch und schmeckte, nicht nehmen.

Währenddem ließ ich meinen Blick über das Thal hin schweifen. Am nördlichen Rande, da, wo die Felsen am steilsten aufstiegen, befand sich die Spalte, in welcher wir damals den Häuptling begraben hatten. Sie war nicht groß, unten vielleicht nicht ganz sechs Fuß breit, und verjüngte sich so schnell, daß sie in Manneshöhe eine Breite von nur noch zwei Spannen betrug; von da aus ging sie in gleicher Breite in eine beträchtliche Höhe hinauf. Da sie in solcher Höhe unmöglich verschlossen werden konnte, so hatte die Luft Zutritt, und wenn wir wirklich hier eingesperrt werden sollten, so konnten wir zwar verhungern und verdursten, aber doch wenigstens nicht ersticken. Die Steinplatte, welche man vorgelegt hatte, war schwer und unten breiter als der Spalt; ihre Höhe betrug drei Ellen. Trotz ihrer Schwere genügte sie nicht, uns im Grabe festzuhalten, denn wir drei Männer waren stark genug, sie von innen nach außen umzuwerfen und uns dadurch den Weg in die Freiheit zu bahnen. Aber es lagen Steine genug in der Nähe, vor und an der Platte einen so großen Haufen aufzutürmen, daß es uns unmöglich wurde, die Platte auch nur einen Zoll weit zu lüften.

Die Roten führten uns zunächst nach dem Grabe. Sechs von ihnen waren nötig, die Platte zu entfernen. Als dies geschehen war, trat der Häuptling vor die Oeffnung und sagte in feierlichem Tone:

»Hier liegt Atescha-Mu begraben, der große Häuptling der Komantschen. Sein Geist ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen, wo er vergebens auf die Seelen seiner Mörder gewartet hat, die ihn dort bedienen sollen.

Er mag zurückkehren, um zu hören, was ich, sein Sohn und Rächer, ihm zu sagen habe!«

Er wartete eine kleine Weile, jedenfalls um dem Geiste seines Vaters Zeit zu geben, den Weg von den ewigen Jagdgründen bis hierher zurückzulegen, und fuhr dann fort:

»Die »starke Hand« wurde von Winnetou und Old Shatterhand verfolgt und getötet. Die beiden feindlichen Krieger sind jetzt in meine Hand geraten und sollen seinen Tod mit ihrem Leben bezahlen. Jeder Tote geht so in die ewigen Jagdgründe ein, wie er im Augenblicke des Sterbens beschaffen ist. Wollten wir die Mörder quälen und verwunden, so würden sie schwach und blutend zu Atescha-Mu gelangen und ihm nur schlechte Diener sein können; darum werden wir sie nicht beschädigen, sondern sie zu seinen Gebeinen einmauern, damit sie ohne Wunden sterben und er starke Diener bekommt, mit denen er in den ewigen Jagdgründen vor allen Abgeschiedenen prangen kann. Howgh!«

Die Platte wurde wieder vorgelegt, ohne daß es mir möglich gewesen war, einen Blick in das Grab zu werfen. Man führte uns nach dem Wasser zurück, doch durften wir nicht dort bleiben. Ungefähr fünfundzwanzig Schritte davon befand sich ein schmaler Einschnitt in den Felsen, in welchen wir gebracht wurden. Wir mußten uns da niedersetzen, und nachdem man uns an den Füßen gefesselt hatte, blieben zwei Mann zurück, um uns zu bewachen. Die andern gingen wieder zum Wasser, nachdem der Häuptling den beiden Wächtern die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit eingeschärft hatte.

Diese Vorsichtsmaßregel hatte man getroffen, weil der Felseneinschnitt sich außerordentlich gut zur Aufnahme von uns eignete. Wir hatten von drei Seiten Felsen, und auf der vierten saßen die bis an die Zähne bewaffneten Wächter; da waren wir den Roten viel sicherer, als wenn sie uns mit draußen am Wasser behalten hätten.

»Ein verwünschter Einfall, uns hier hereinzustecken!« brummte Emery in deutscher Sprache. »Höchst unangenehm, daß sie auf diesen Gedanken gekommen sind!«

»Warum?« fragte ich.

»Weil wir hier eingesperrt sind und schwerlich herauskommen werden.«

»Meinst du? Mir ist es im Gegenteile sehr lieb, daß sie es gethan haben.«

»Das begreife ich nicht.– Hier sehen wir nichts. Draußen hätten wir alles hübsch beobachten können und hatten nach allen Seiten Raum.«

»Aber wir konnten auch selbst besser beobachtet werden. Laß es erst dunkel werden; dann können uns die Wächter nicht mehr sehen, und wir machen uns frei, ohne daß sie es bemerken. Hier sind nur vier Augen auf uns gerichtet; draußen am Wasser aber wären wir allen Blicken ausgesetzt gewesen.«

»Hm, mag sein! Du hast eben die Eigenschaft, allem Schlechten eine gute Seite abzugewinnen.«

Es wurde dunkel, und man brannte ein kleines Feuer an, doch leider nicht am Wasser, wo die Indianer lagen, sondern vor unserer Spalte. Zu einem großen Feuer, an welchem Fleisch gebraten werden konnte, war kein genügendes Material vorhanden; die dürren Abfälle der Pflanzen, welche es hier gab, reichten aber hin, eine kleine Flamme zu nähren, die unsere Bewachung erleichterte.

Das war freilich höchst unangenehm. Der Felseneinschnitt, in welchem wir uns befanden, bot Raum für nur drei Personen. Das Feuerchen brannte vor demselben, und ungefähr vier Schritte davor saßen die Wächter. Wollten wir sie überwältigen, so mußten wir über das Feuer hinweg, und da fanden sie jedenfalls Zeit, die Waffen zu ergreifen oder wenigstens Hilferufe auszustoßen, durch welche die andern herbeigerufen wurden. Dazu leuchtete der Schein des Feuers, so klein es war, zu uns herein, sodaß es leicht war, uns zu beobachten.

»Da hast du es!« sagte Emery. »Oder giebst du mir auch jetzt noch nicht recht?«

»Nein. Mir ist die Beleuchtung ebenso unangenehm, wie dir; aber es ist trotzdem besser, wir befinden uns hier als draußen. Draußen lägen wir gewiß inmitten der Roten, hier haben wir es nur mit zweien zu thun. Und denkst du etwa, daß das Feuer die ganze Nacht brennen wird?«

»Natürlich! Sie werden sich hüten, es ausgehen zu lassen.«

»Wenn sie genug Holz haben, ja. Aber bis es Tag wird, müssen wenigstens acht Stunden vergehen, und ich glaube nicht, daß das Feuerungsmaterial bis dahin reichen wird. Sieh nur, wie schnell die kleinen Pflänzchen verbrennen, und wie winzig der Haufen ist, den sie davon gesammelt haben!«

Aber man sammelte, wie wir bald sahen, noch weiter; der Haufen wurde größer und größer, doch nicht so groß, daß er bis zum Anbruch des Tages reichen konnte.

Wir bekamen das Abendbrot sehr spät; es bestand wieder aus einem Stück Fleisch. Man nahm uns dazu die Handfesseln ab, welche dann wieder angelegt wurden. Zu unserer Freude glückte es dabei Emery, den, der ihn band, abermals zu täuschen; er konnte auch nun die Hände aus den Riemen bringen.

Die beiden Wächter wurden in zweistündigen Zwischenräumen abgelöst, und stets untersuchten die Neuangetretenen genau, ob unsere Banden noch in Ordnung seien. Keiner von ihnen merkte, daß Emerys Riemen gelockert werden konnte.

Die Roten waren sehr lange wach. Wir hörten ihre Stimmen bis nach Mitternacht. Jedenfalls sprachen sie von uns, und das war allerdings ein Gesprächsstoff, den sie noch viel länger hätten ausspinnen können. Endlich wurde es ruhig; sie schienen sich schlafen gelegt zu haben.

Wir aber schliefen natürlich nicht; wir lagen mit den Köpfen nahe bei einander und unterhielten uns im Flüstertone, sodaß unsere Wächter nichts hören konnten. Das Feuerchen brannte noch, doch war der Holzhaufen jetzt so klein geworden, daß er in einer Stunde zu Ende sein mußte. Wir bedienten uns jetzt der englischen Sprache, damit Winnetou sich mit beteiligen könne.

»Verwünschte Geschichte!« knurrte Emery. »Selbst wenn es uns gelingt, hinauszukommen, ist es nun beinahe zu spät geworden!«

»Wieso zu spät?« fragte ich.

»Das versteht sich doch ganz von selbst! Es ist draußen zwar still, aber wir wissen doch nicht, ob sie alle schlafen; darum müssen wir noch warten, wenigstens noch eine Stunde. Und dann ist die Ablösung nahe, welche sofort bemerkt, was geschehen ist.«

»So warten wir eben, bis diese vorüber ist.«

»Das ist eine kostbare Zeit, die wir nicht wieder einholen können. Und wenn wir hier hinaus sind, können wir noch nicht gleich fort; denn wir müssen doch Pferde haben. Wer weiß, wie lange es dauert, ehe es uns gelingt, in den Sattel zu kommen. Leicht werden wir dabei erwischt!«

»Man wird uns nicht dabei erwischen, weil es uns nicht einfallen wird, uns bei den Pferden aufzuhalten.«

»Wie? Du willst, daß wir zu Fuße fliehen?«

»Ja.«

»Zu Fuße fort! Da kannst du darauf schwören, daß sie uns einholen werden!«

»Gewiß nicht. Wir fliehen zu Fuße, aber nicht weit, denn wir werden das Thal gar nicht verlassen.«

»Nicht? Erkläre dich deutlicher!«

»Es handelt sich vor allen Dingen um unsere Waffen. Es ist anzunehmen, daß wir dieselben jetzt nicht erwischen können. Fliehen wir weit fort, so büßen wir sie ein. Wir bleiben also hier, um den Augenblick zu erwarten, an welchem wir sie uns nehmen können.«

»Wie ist es möglich, hier zu bleiben? Giebt es denn ein Versteck, in welchem wir sicher sein könnten?«

»Ja, im Grabe des Häuptlings.«

»Ah! Das ist ein kühner, ein verwegener Gedanke!«

»Bei weitem nicht so verwegen, wie du denkst. Es wäre viel gewagter, wenn wir das Todesthal verlassen und über die weite Ebene fliehen wollten, wo wir auf große Entfernung hin gesehen werden können. Wir hätten die Verfolger gleich beim Beginn des Tages hinter uns und würden gewiß eingeholt. Was das zu bedeuten hat, wenn wir weder Pferde noch Waffen besitzen, das brauche ich dir nicht erst zu sagen.«

»Aber ist es denn so gewiß, daß wir nicht zu den Pferden können und auch die Waffen zurücklassen müssen?«

»Beinahe gewiß. Auch handelt es sich nicht nur um die Waffen, sondern auch um die andern Gegenstände, welche man uns abgenommen hat.«

»Können wir nicht hinschleichen und sie heimlich nehmen?«

»Wahrscheinlich nicht. Es ist vorauszusehen, daß wir dabei ertappt würden.«

»So mögen sie uns ertappen! Alle Wetter, wenn ich nur erst meine Glieder frei habe, dann will ich den Roten sehen, der mich wieder fangen soll!«

»Meinst du, daß ich weniger entschlossen bin, als du? Aber ich habe keine Lust, mich, wenn ich einmal frei bin, wieder fangen zu lassen. Ich sage auch gar nicht, daß mein Gedanke, uns im Grabe des Häuptlings zu verstecken, unbedingt ausgeführt werden soll. Wenn wir uns von den Fesseln befreit haben, werden wir erst sehen, ob die Roten alle schlafen und wie es mit unsern Sachen steht. Dann wissen wir, wie wir uns zu entscheiden haben.«

»Ja!« flüsterte jetzt Winnetou, welcher bisher geschwiegen hatte. »Der Plan meines Bruders Shatterhand ist sehr gut. Die Komantschen werden nicht alle fortreiten, denn sie wissen, daß wir laufen müssen und unbewaffnet sind, uns also nicht wehren können. Sie werden denken, es sei sehr leicht, uns wieder festzunehmen. Darum wird der Häuptling nicht alle fortschicken, zumal doch jemand unsere Sachen bewachen muß.«

»Wieso unsere Sachen bewachen?« fragte Emery.

»Mein Bruder weiß doch, daß wir unverletzt in die ewigen Jagdgründe gesandt werden sollen. Wenn dies geschieht, so giebt man uns auch alles mit, was wir besessen haben. Winnetou kennt die Gebräuche der roten Männer sehr genau. Unsere Körper und Glieder sollen nicht beschädigt werden, damit wir in den ewigen Jagdgründen tüchtige und starke Sklaven des toten Häuptlings sein können. Da giebt man uns auch unsere Waffen und alles andere mit, damit die Gegenstände jenseits in das Eigentum der »starken Hand« gelangen. Durch unsere Gewehre wird der tote Komantsche in den ewigen Jagdgründen der berühmteste Krieger werden.«

»Ah, so! Die Komantschen glauben also, daß alles, was man mit uns begräbt, mit uns ins jenseitige Leben gelangt?«

»Ja. Wir werden dem Toten geopfert und also drüben seine Diener sein; folglich wird ihm alles gehören, was wir mit hinüber bringen. Doch still, die Ablösung kommt!«

Unsere Wächter standen auf, um den beiden, welche jetzt kamen, Platz zu machen. Letztere untersuchten ebenso, wie es die vorigen gethan hatten, unsere Riemen und setzten sich dann nieder. Dabei schob der eine von ihnen die letzten Pflanzenstengel, welche es gab, in das Feuer, das nur noch einige Minuten brannte und dann verlöschte.

Jetzt, da das Feuer nicht mehr brannte, wurde der Himmel für uns sichtbar. Es zogen Wolken darüber hin, zwischen denen nur einzelne Sterne herniederschimmerten. Es war draußen vor unserm Felseneinschnitte so dunkel, daß wir die beiden Komantschen, obgleich sie höchstens drei Meter von uns entfernt lagen, kaum sehen konnten.

Als eine Viertelstunde vergangen war, zog Emery die Hände aus dem Riemen und machte dann mit Hilfe seines kleinen Messerchens auch seine Füße frei. Dann knüpfte er unsere Riemen auf, was einige Zeit erforderte. Es wäre weit schneller gegangen, wenn er sie durchschnitten hätte, aber wir brauchten sie für unsere Wächter. Das wollte ihm freilich nicht in den Kopf. Er flüsterte uns zu:

»Es wäre viel besser, sie zu töten, anstatt sie nur zu betäuben. Ein einziger Ruf von ihnen kann uns gefährlich werden.«

»Die Möglichkeit, daß sie Zeit zu einem Hilferufe bekommen, ist in beiden Fällen vorhanden,« antwortete ich ihm, »und man tötet einen Menschen nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist.«

»Well, wie du willst! Wer macht sich über sie her? Wir drei?«

»Nein, nur Winnetou und ich. Wir haben den Griff besser weg, als du. Ich nehme den rechts, und Winnetou faßt den linken.«

Unsere Hände hatten von den Riemen gelitten; wir rieben und kneteten die Gelenke, um den Umlauf des Blutes zu unterstützen; dann gingen wir an das Werk, bei welchem es galt, außerordentlich vorsichtig zu sein, denn die beiden Roten saßen draußen so, daß sie uns die Gesichter zukehrten. Wir mußten auf sie zukriechen. Wenn sie uns nur einen einzigen Augenblick eher bemerkten, als wir ihre Kehlen zwischen unsern Händen hatten, war unser ganzer Plan zunichte.

Glücklicherweise war es bei uns noch dunkler, als draußen bei ihnen. Wir erhoben uns auf die Kniee und rutschten auf sie zu. Dabei schlossen wir die Augen soweit, daß wir eben nur noch unter den Lidern hervorblicken konnten, denn ein offenes Auge ist selbst in solcher Finsternis, wenn es durch eine seelische Erregung erleuchtet wird, zu erkennen. Es galt zweierlei: erstens mußten wir so schnell und sicher zugreifen, daß keine Zeit zu einem Ausrufe, selbst nicht zu einem Röcheln oder Stöhnen blieb, und zweitens mußte dies vollständig geräuschlos geschehen, weil jeder hörbare Stoß oder Fall die andern Roten aufmerksam machen konnte. Ganz von selbst verstand es sich, daß wir zu gleicher Zeit zugreifen mußten, wenn der Coup gelingen sollte.

Wir kamen ihnen näher und näher. Da berührte Winnetou meinen Arm; das war das Zeichen. Ich schnellte mich sofort vorwärts und hatte im nächsten Augenblick den einen Komantschen mit beiden Händen am Halse. Von vorn ist der Griff viel schwerer, als von hinten; er gelang uns aber dennoch, Winnetou ebenso wie mir. Die Wächter sanken unter unserm Gewicht hintenüber; es war nichts zu hören, als nur ein leises, leises Gurgeln, welches nicht bis hinüber zu dem Lagerplatz am Wasser dringen konnte. Dann kam der bekannte Hieb gegen die Schläfe, um sie zu betäuben, worauf wir ihnen die Kehlen vorsichtig und nach und nach freigeben konnten, damit sie nicht ersticken möchten.

Ein Teil unserer Aufgabe war also glücklich gelöst. Die Roten hatten keine Waffen, als nur ihre Messer bei sich gehabt; wir nahmen dieselben an uns und hatten nun wenigstens etwas, womit wir uns wehren konnten. Sie bekamen Knebel in den Mund und wurden fest gebunden, worauf wir ihre bewegungslosen Gestalten dorthin schoben, wo wir vorher gelegen hatten.