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Der Sichelmond
Massimo Longo
Maria Grazia Gullo
Die Welt, in die sich Elio geflüchtet hat, ist möglicherweise nicht seiner Phantasie entsprungen, sondern ein Tuch, das um ihn herum gesponnen wurde. Während der Ferien auf dem Land lernt er eine Hüterin kennen, die ihm die Wahrheit enthüllen wird, und zusammen mit einer fröhlichen Bande von sowohl realen als auch imaginären Freunden kämpft er darum, seine Freiheit zurückzugewinnen In den Abenteuern dieses Jungen lernst du Dämonen, behütete Wesen, Schatten, Bosowe, Jiwon-Wächter und magische Gesänge kennen. Du wirst durch die Welt touren, indem du Ampeln benutzt, dich um einen Affenbrotbaum drehst oder in einer Eiskugel fliegst.
Maria Grazia Gullo - Massimo Longo
Der Sichelmond
Die Hüter von Campoverde
Übersetzt von Firmina Anna Pagano
Copyright © 2018 M.G. Gullo – M. Longo
Titelbild und Illustrationen realisiert und herausgegeben von Massimo Longo
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
„Du wirst schon sehen, es wird alles gut. Du bist jetzt ein großer Junge... Geh wieder zu den anderen Kindern, wir werden uns eines Tages wiedersehen. Versprochen!
Mit Tränen in den Augen, sah der Junge, wie sein Spielgefährte, der, seit er denken konnte, immer bei ihm gewesen war, langsam im Nichts verschwand.
Er rannte in Windeseile zu den Spielgeräten auf dem Spielplatz unter der Sonne zurück, um mit den Kindern aus der Nachbarschaft weiter zu spielen, während die Erinnerung an seinen Fantasiefreund langsam verblasste.
Nach viel Geschiebe und Geschubse stand er endlich oben auf der Rutsche. Ohne einen Moment zu zögern, stieß er sich mit aller Kraft ab und rutschte hinunter. Er war noch nicht unten angekommen, als plötzlich ein kleines blondes Mädchen vor ihm auftauchte, das sich von seiner Mutter losgerissen hatte. Er konnte nicht bremsen und prallte mit voller Wucht gegen das Kind.
Das kleine Mädchen verlor sein Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf auf die Bordsteinkante, die um die Rutsche herum angelegt war.
Er versuchte, zu dem kleinen Mädchen zu gelangen, um sich zu vergewissern, dass ihm nichts geschehen war, wurde aber von der Mutter, die hastig herbeieilte, grob zur Seite gestoßen. In Sekundenschnelle, so schien es ihm, hatte sich eine Schar von Großeltern und Müttern um die arme Frau herum aufgebaut.
Während er versuchte, aus diesem Wald von Erwachsenenbeine heraus zu kommen, hörte er nur den einen Satz:
„Sie ist bewusstlos! Wir brauchen einen Krankenwagen!“
Diese Worte dröhnten in seinen Ohren, Angst stieg in ihm hoch. Er floh in das Waldstück hinter dem Spielplatz.
Plötzlich wurde alles um ihn herum dunkel. Ein eisiger Wind trug eigenartige Laute durch die Luft und zusammen mit den Worten, die er kurz zuvor gehört hatte, erklangen nun auch Verse, die er nur schwer verstehen konnte. Sie kamen aus einer Baumgruppe, aus der ein langer Schatten auftauchte. Die Stimme wurde immer eindringlicher und drang aus verschiedenen Richtungen auf ihn ein. Jetzt war sie nahe und kam immer näher, bis sie ihm schließlich die folgenden Worte in die Ohren flüsterte:
„Damnabilis ies iom, mirdo cavus mirdo, cessa verunt ies iom, mirdo oblivio ement, mors damnabils ies iom, ospes araneus ies iom…“
Er hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest, um es nicht zu hören, aber es war zwecklos. Schließlich fiel er auf die Knie und seine Augen füllten sich mit Leere ...
„Damnabilis ies iom, mirdo cavus mirdo, cessa verunt ies iom, mirdo oblivio ement, mors damnabils ies iom, ospes araneus ies iom…“
Kapitel Eins
Er ist glitschig wie ein Fisch, wenn ich versuche, ihn zu umarmen
„Helios, Helios, beeil dich! Hilf mir mit den Einkaufstüten, bevor das Gewitter losgeht!“
Helios stand regungslos in seinen ewig neuen Schuhen und schaute zu, wie sich seine Mutter abplagte.
„Helios!“ Was stehst du da wie angewurzelt rum? Nimm die hier!“ Sie packte ihn und lud ihm eine riesige Tüte mit Gemüse auf den Arm.
Helios machte keinerlei Anstalten, noch irgendetwas tun zu wollen. Er ging die Stufen zum Haus hoch, drehte sich mit dem Rücken zur Haustür, um sie aufzustoßen, und blieb stehen, um dieses verdammte, rot blinkende Licht am Aufzug anzustarren, bevor er machtlos die Treppen bis zur Wohnung hinaufstieg, die Tüte auf dem Küchentisch ablegte und sich schnurstracks in sein Zimmer zurückzog, um ausgestreckt auf seinem Bett Musik zu hören.
Als seine Mutter erschöpft oben ankam, suchte sie nach ihm.
Sie schaute in sein Zimmer und fuhr ihn an: „Was machst du da? Wir sind längst noch nicht fertig. Steh auf und hilf mir!“
„Ja, ja...ich komm ja schon“, antwortete Helios, ohne sich zu rühren, nur damit sie ihn in Ruhe ließ.
Giulia ging fort, in der Hoffnung, es könnte diesmal anders sein. Sie war verzweifelt und hatte keine Kraft mehr, ihren Sohn, der immer apathischer wurde, aufzurütteln.
Von der Wohnungstür konnte man die schnellen, energischen Schritte seiner Schwester hören, die mit fröhlicher Stimme nach ihm rief: „Helios!“ Helios! Beweg deinen Hintern aus dem Bett und komm her, um Mama zu helfen. Sie wartet unten auf dich“, rief sie, obwohl sie wusste, dass es vergebens war und nichts bringen würde.
Helios rührte sich nicht, drehte die Lautstärke seines Players auf und starrte weiter gleichgültig gegen die Decke.
Giulia, die der Zwist mit ihrem Sohn mehr mitnahm als die körperliche Anstrengung, brachte die restlichen Einkäufe zusammen mit ihrer Tochter Gaia in die Wohnung. Sie dachte unentwegt an Helios, während sie die Treppen hinaufstieg. Die Fassade des fünf Stockwerke hohen Gebäudes war weiß und orange, wie die der anderen Häuser in dieser Siedlung, die Gialingua hieß. Der Aufzug funktionierte nur alle zwei Tage mal, und aus unerfindlichen Gründen nie an den Tagen, an denen Giulia den Einkauf nach oben tragen musste. Zwanzig Familien lebten hier in ebenso vielen gegenüberliegenden Wohnungen.
„Das ist das letzte Mal, dass du dir das erlaubst!“, rief sie aus der Küche, „Wir klären die Sache später, wenn dein Vater nach Hause kommt!“
Helios hörte sie nicht einmal, er war ganz in die monotone Musik versunken, die in seine Ohren drang, ohne ihn gefühlsmäßig zu berühren. Nichts und niemand würde dieses leere und paranoide Gefühl verdrängen, das ihn umgab. Er wurde von seiner interessenlosen Welt umhüllt, wie Linus von seiner Decke. Das war nun mal Fakt, und die Welt hatte sich damit abzufinden.
Gaia war ganz anders als er: fünfzehn Jahre alt, schwarzes kurzgeschnittenes Haar und zwei quicklebendige, neugierige Augen. Ein Vierundzwanzigstundentag reichte ihr nicht aus, um allen ihren Interessen nachzugehen.
Auch Giulia war dynamisch. Im Gegensatz zu ihrer Tochter hatte sie blondes lockiges Haar, war leicht übergewichtig aber flott und resolut. Kurz gesagt, eine klassische 42-jährige Mama, die im Spagat zwischen Arbeit und Familie immer tausend Sachen zu erledigen hatte.
Es war Zeit fürs Abendessen, aber aus Helios Zimmer war kein Mucks zu hören, es herrschte absolute Stille. Tatsächlich war Helios, nachdem er sich auf das Bett gestürzt und die Kopfhörer aufgesetzt hatte, regungslos liegen geblieben.
In der Wohnungstür drehte sich ein Schlüssel. Im gleichen Moment, noch bevor die Tür aufging, ergoss sich auch schon Giulias verärgerte und seufzende Stimme über ihren Mann.
„So kann es nicht weitergehen!“
„Schatz, lass mich doch wenigstens reinkommen ...“
Giulia gab ihrem Mann einen Kuss und fing sofort wieder an zu jammern.
„Es geht wieder um Helios, nicht wahr?“, erkundigte sich der Mann mit resignierter Stimme.
„Ja, natürlich!“, erwiderte Giulia.
Während sie redeten, nahm Carlo den Lunch-Behälter aus seiner Tasche, um ihn in die Küche zu bringen. Dann verstaute er die Tasche mitsamt Ersatzhemd, das er mit zur Arbeit nahm im Schrank. Denn obwohl es erst Ende Mai war, machte sich die schwüle Hitze bereits bemerkbar.
Er war ein sanftmütiger Mann, im gleichen Alter wie seine Frau, mit einer großen, schlanken Figur. Sein Haar - ehemals genauso pechrabenschwarz wie das seiner Tochter - war inzwischen fast vollständig grau geworden. Er hatte ein längliches Gesicht mit eingefallenen Wangen und auf der Adlernase saß eine runde Metallbrille.
„Können wir nicht nach dem Essen darüber sprechen?“, fragte er liebevoll seine Frau, in der Hoffnung, sie zu beruhigen.
„Du hast recht, Liebling“, antwortete sie, aber ohne es zu merken, fuhr sie mit dem Gejammer fort, bis das Abendessen auf dem Tisch stand.
Zum Glück gab es Gaia, die in einem Atemzug von ihrem Tag erzählte und selbst kleine Missgeschicke mit Humor und heiterer Gelassenheit nahm.
Sie hatte gerade den Tisch fertig gedeckt, als ihre Mutter sie aufforderte:
„Ruf doch bitte Helios!“
„Es ist sinnlos“, erwiderte sie, „du weißt doch, dass er sich nicht rührt, wenn Papa...“
Giulia fiel ihr ins Wort, wendete sich aber nun an ihren Mann:
„Er hat das Zimmer nicht verlassen, seit ich ihn von der Schule abgeholt habe, es wird immer schlimmer.“
„Hatten wir nicht vereinbart, dass er allein nach Hause kommen soll?“
„Ich war gerade in der Gegend, weil ich einkaufen war...“
„Du hast immer eine Ausrede, um ihn in Schutz zu nehmen, und dann beklagst du dich!“
Carlo sah seine Frau an und schüttelte missbilligend den Kopf. Dann stand er von der Couch auf, um den Jungen zum Essen zu rufen.
Ohne an die Tür zu klopfen betrat er das Zimmer und fand Helios genauso vor, wie seine Mutter ihn zurückgelassen hatte. Seine Augen starrten gegen die Decke ins Leere, er trug noch immer die weißen WLAN-Ohrhörer. Nicht einmal seine Schuhe hatte er ausgezogen.
Carlo gelang es nicht, in diesem Jungen das Kind wiederzuerkennen, mit dem er immer auf seinem Fahrrad spazieren gefahren war. Er war inzwischen dreizehn Jahre alt und fast so groß wie er. Seine wallenden blonden Kinderlocken hatte er aus Faulheit herausgeglättet, so brauchte er sie nicht zu kämmen. Seine grünen Augen waren immer noch wunderschön, aber stumpf. In den letzten Jahren hatte er auf keinerlei Anregungen mehr reagiert. Er hatte ihn schon ewig nicht mehr lachen hören und vollkommen vergessen, wie sich sein Lachen anhörte. Es tat ihm leid, nicht mehr so viel Zeit wie früher mit seinem Sohn verbringen zu können, als er noch klein war. Er bezweifelte allerdings, dass seine Aufmerksamkeiten jetzt geschätzt würden.
Durch die Wirtschaftskrise hatte er vor einigen Jahren leider seinen Arbeitsplatz in der Nähe der Wohnung verloren. Ehrlich gesagt war es nicht so sehr die Krise als vielmehr die Profitgier gewesen, die das multinationale Unternehmen, für das er damals arbeitete, veranlasst hatte, den Standort zu verlagern - ein Verhalten, das für viele Unternehmen dieser Art typisch ist.
Mit Mühe war es ihm gelungen, eine neue Stelle zu finden, allerdings musste er jetzt jeden Tag viele Kilometer weit mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, um zu seinem neuen Arbeitsplatz zu kommen, sodass er weniger Zeit für seine Familie hatte. Er kam abends immer müde nach Hause, dass es ihm schwer fiel, selbst dann anwesend zu sein, wenn er da war. Nach dem Essen legte er sich auf die Couch und schlief unweigerlich ein, obwohl er sich bemühte, wach zu bleiben.
Carlo bedeutete seinem Sohn, die Kopfhörer abzunehmen, Helios gehorchte, um sich nicht einen langen Vortrag anhören zu müssen, der seinen Kopf zu sehr anstrengen würde.
„Komm, das Abendessen ist fertig“, forderte er ihn verärgert auf. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du seit vier Uhr heute Nachmittag hier herumliegst!“
Helios stand auf und ging mit gesenktem Kopf an seinem Vater vorbei in die Küche, ohne sich die Mühe zu machen, mit ihm zu sprechen.
Gaia saß bereits an einer Seite am Tisch, den sie gedeckt hatte. Sie tauschte mit dem Smartphone Nachrichten mit ihren Freundinnen aus, um die kommenden Ereignisse zu organisieren.
Helios setzte sich seiner Schwester gegenüber und sprach während des ganzen Abendessens kein Wort mit ihr.
Das Abendessen verlief ruhig, alle plauderten über die Geschehnisse des Tages, außer Helios – er biss ein paarmal in sein Brötchen und verschwand so schnell er konnte wieder in sein Zimmer, sehr zur Enttäuschung seiner Mutter, was sich wiederum im düsteren Gesichtsausdruck seines Vaters widerspiegelte.
Als Giulia und Carlo allein waren und den Tisch zu Ende abräumten, sprachen sie wie gewohnt über das immer gleiche Thema der letzten Jahre: ihre Sorge über das Verhalten ihres Sohnes.
„Was machen wir nur falsch? Ich kann es nicht verstehen! Gaia ist so dynamisch, fröhlich und lebhaft!“, sagte Giulia.
„Ich vernachlässige ihn zu sehr!“, beschuldigte sich Carlo wie immer selbst.
„Du bist ganz sicher nicht der einzige Vater, der wegen seiner Arbeit so viele Stunden außer Haus ist. Und ich bin doch jeden Nachmittag zu Hause“, wiederholte Giulia zum x-ten Mal, weil sie nicht wollte, dass Carlo auch die Sorge auf sich nahm, womöglich die Ursache für die Probleme ihres Sohnes zu sein.
„Es ist keine Frage des Charakters, Giulia, Helios war nicht immer so, und das weißt du genau!“
„Ich wünschte, es wäre so, Carlo, aber man verändert sich, wenn man größer wird und wie du selbst siehst, es wird immer schlimmer. Auch in der Schule ist er eine Katastrophe. Ich hoffe nur, dass er keine Nachprüfungen machen muss und wir ihn womöglich nicht wie sonst in den letzten Jahren, in ein Ferienlager schicken können. Im Sommercamp in der Stadt würde er vollkommen phlegmatisch werden!“
„Giulia, ich bitte dich, die anderen Kinder haben Spaß im Sommercamp. Francescas und Giuseppes Kinder lieben es. Du weißt genau, dass er auch im Sommerlager völlig teilnahmslos ist! Wir müssen eine Alternative finden, etwas, das ihn zwingt, zu reagieren. Er scheint völlig leblos, erinnerst du dich, wie wir in seinem Alter waren?“
„Natürlich! Meine Mutter stand abends draußen vor der Haustür, um mich zum Abendessen zu rufen, meistens hörte ich sie nicht einmal, so beschäftigt war ich, wenn ich über die Felder rannte und mich im Gras wälzte. Wir waren frei und glücklich. Das können wir ihm in der Stadt nicht bieten, aber im Sommerlager weiß er die Gelegenheit auch nicht zu schätzen. Er hat keinen einzigen Freund, niemanden, den er nach Hause einladen könnte, um diese monotone Existenz, die er sich selbst aufgebaut hat, zu durchbrechen. Er lässt niemanden zu nahe an sich rankommen, manchmal frage ich mich, was er für uns empfindet. Er ist glitschig wie ein Fisch, wenn ich versuche, ihn zu umarmen...
„Giulia, die Kinder sind aus dem Alter raus, in dem sie mit ihrer Mutter schmusen. Aber ich bin sicher, dass er uns noch immer liebt. Wir finden nur nicht mehr den richtigen Zugang zu ihm. Wir müssen einen Weg finden. Wir müssen einen Weg finden, um ihn aufzurütteln. Ich wollte mit Ida darüber reden, sie hat zwei Jungs, vielleicht kann sie uns einen Rat geben.“
„Befürchtest du, er könnte nach Libero kommen? Meinst du, er könnte eine psychische Störung geerbt haben?“, fragte Giulia.
„Nein, Libero hatte andere Probleme, die hingen mit dem Tod seines Vaters zusammen. Aber es gibt eine gemeinsame Basis und Idas Erfahrung kann uns von Nutzen sein. Seit sie aufs Land gezogen ist, hat sie wahre Wunder an diesem Jungen vollbracht. Und das als allein erziehende Mutter! Und mit einem Bauernhof, den sie aufbauen musste.“
„Ja, rede mit ihr, ich vertraue deiner Schwester. Mir gefällt ihre Art, die Dinge zu sehen.“
„Wann gibt es Zeugnisse?“, fragte Carlo seine Frau.
„Am 19. Juni...“
„Das ist zu spät, um eine Entscheidung zu treffen! Versuch doch mit der Italienischlehrerin zu sprechen. Wir müssen entscheiden, wo wir die Kinder hinschicken wollen und ob Sommerlager oder ein Sommercamp in der Stadt, die warten mit den Anmeldungen nicht bis zu den Schulzeugnissen“, meinte Carlo.
„Ja, du hast recht. Besser, wir wissen, woran wir sind, obwohl Helios in der Schule ja so schlecht auch wieder nicht ist. Es ist nur, dass er alles immer ohne jede Begeisterung tut. Heute sind übrigens die neuen Nachbarn aus dem zweiten Stock eingezogen! Sie scheinen ganz nett zu sein. Frau Giovanna hat mir erzählt, dass sie aus Potenza hergezogen sind. Das ist ziemlich weit weg! Die erste Zeit wird bestimmt nicht einfach für sie sein. Sie haben einen Sohn in Helios Alter, ich könnte ihn doch an einem der kommenden Nachmittage mal zu uns einladen...“
Giulia bemerkte, dass Carlo, der auf der Couch lag, bereits eingeschlafen war.
„Komm, lass uns ins Bett gehen, Liebling“, weckte sie ihn sanft auf.
Kapitel Zwei
Er setzte ihm mit einem eisigen Geflüster nach
Helios stand wie angewurzelt auf dem großen Bürgersteig vor der Schule. Alle wirbelten um ihn herum, sprangen zu ihren Eltern in die Autos oder jagten sich gegenseitig hinterher, während sie in Gruppen nach Hause liefen. Er hatte gehofft, dass seine Mutter nach dem Gespräch mit seiner Italienischlehrerin auf ihn warten würde. Verwirrt schaute er nach rechts und links, auf der Suche nach dem rettenden Auto seiner Mutter.
In Windeseile war der Schulhof leergefegt und Helios musste sich damit abfinden, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er hasste es, sich zu bewegen und noch mehr hasste er es, durch diese verdammte Lindenallee zu laufen, die zwischen der Schule und seinem Zuhause lag.
Er wartete noch ein paar Minuten, dann machte er sich langsam auf den Heimweg. Er befahl seinem Fuß, sich zu heben, was manchen Menschen einfach erscheinen mag, aber für Helios, der seit Jahren nur wenig mit seinen Gliedmaßen kommunizierte, war es ein gewaltiger Akt.
Als erstes bog er nach links in die Allee ab, kaum war er um die Ecke gebogen, sah er auch schon die so verhasste Strecke vor sich. Auf beiden Seiten der Allee standen frisch blühende Linden, die wohl jeder Mensch als wunderschön empfunden hätte, und deren Duft vom Wind durch die ganze Nachbarschaft getragen wurde. Schritt für Schritt lief er unter großer Anstrengung die Baumreihe entlang, wobei ihn das unangenehme Gefühl nicht losließ, verfolgt zu werden.
Er drehte sich schnell um und meinte, ein pechschwarzes Tier zu sehen, das hinter einen Baum zurückwich.