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Geister, Frauen Und Andere Einbildungen
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Geister, Frauen Und Andere Einbildungen

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Erinnerte er sich? Wie hätte er Dorothy vergessen können, das erste Mädchen, mit dem er jemals geschlafen hatte? Dorothy mit ihren kleinen aber weiblichen Brüsten, ihrem klingenden Lachen, ihrem lieblichen Willen, ihm zu gefallen....

„Du existierst nicht“, sagte Ryan kalt. „Du bist nicht echt.“

Dorothy verdrehte ihren Kopf in der komischen Art, wie sie es immer getan hatte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand. „Bin ich nicht?“

“Ich bin nicht in der Stimmung für Frage-Antwort-Spielchen. Erst Bael und jetzt du. Was auch immer du bist, du bist nicht Dorothy. Sie ist hundert Parseks weit weg, sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Du bist nur eine Täuschung. Geh weg.“

Dorothy starrte nur auf ihre Füße und bewegte sich nicht. „Du liebst mich nicht mehr.“

„Schau“, sagte Ryan, „Ich gebe zu, du bist ein kluger Schwindel. Aber ich weiß, dass du nicht echt bist. Es ist nicht deine Schuld...du hast es versucht.“

„Nicht echt?“ Dorothy sah auf, ihre Augen rot und verweint, ihre Stimme zitterte. „Du kannst mich sehen und hören, oder? Wenn du ein wenig näher kommen würdest, könntest du mein Parfum riechen. Wenn du deine Hand ausstrecken würdest, würdest du mich berühren. Wenn du mich beißen würdest, würdest du mich schmecken. Wie echt muss ich denn sein?“ Ihr Appell grenzte an Hysterie.

Ryan zögerte. Sie musste eine Halluzination sein. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Der gut ausgebildete Offizier in ihm wollte nach dem Kommunikator in seiner Hosentasche langen. Aber der Mann in ihm sagte nein. Und irgendein dritter Teil seiner Selbst wiederholte immer wieder: „Du bist ein Idiot.“ Aber welcher Teil war der Idiot? Er konnte doch nicht wirklich etwas lieben, was das Produkt seiner Einbildung war, das sich auf irgendeine Weise vor ihm materialisiert hatte. Diese Dorothy war kalt, unecht, ein Schatten-Produkt dieser mysteriösen Stadt.

Und plötzlich war sie in seinen Armen und fühlte sich sehr real an, sehr lebendig. Ihr Gesicht nach oben gedreht suchte seines. Ihre kleinen Brüste waren gegen ihn gedrückt, ihre Beine rieben fest an seinen, mit sanften Bewegungen, die eindeutig sexuell waren. Ryan versuchte, zu widerstehen, versuchte, sich selbst zu versichern, dass dies nicht passierte. Er hatte seine Lügen zur Wahl, aber die Dorothy in seinen Armen war irgendwie überzeugender. Ihre linke Hand streichelte das Haar an der rechten Seite seines Kopfes. Ihre rechte Hand fummelte gierig an den Knöpfen des Kragens seiner Uniform herum. Ihr Mund presste sich auf den seinen, öffnete sich und da schoss ihre kleine, kräftige Zunge heraus und strich über die Spitzen seiner Zähne.

Es gab nun keinen Zweifel mehr, konnte keinen mehr geben. Zur Hölle mit der Logik! Dies war echt. Es war kein Delirium seiner Sinne, sondern die echte Sache aus Fleisch und Blut. Er schwamm in einem Meer aus Gefühlen. Die beiden fielen zu Boden, der irgendwie gummiartig und widerstandsfähig wurde. Aber seine Gedanken hatten keine Chance, sich über diese Sache auszulassen, denn sein Körper ließ ihn nicht. Der Verstand hatte keine Chance gegen die Leidenschaft, wie schon immer, seit Jahrhunderten.

Er war sogar so versunken, dass er das hartnäckige Summen seines Kommunikators nicht einmal bemerkte.

***

Später stand Dorothy wieder auf. „Ich muss gehen”, sagte sie.

„Musst du?“

Sie nickte. „Aber ich komme jederzeit zurück, wenn du mich brauchst. Rufe mich einfach. Ich werde es wissen.“ Und weg war sie.

Ryan lag auf seinem Rücken und starrte hinauf in den Himmel. Er war viel dunkler als er vorher gewesen war, und schmerzte nicht so sehr in seinen Augen. Es musste später Nachmittag sein. In einigen Minuten würde er aufstehen und seine Erkundungen fortsetzen, aber im Moment war er zu gesättigt um sich zu bewegen. Selbst zu blinzeln erschien ihm wie eine gigantische Anstrengung...

„Amüsierst du dich?“ fragte eine bekannte Stimme.

Ryan drehte ruckartig seinen Kopf herum und sah Bael ein paar Meter entfernt stehen und grinsen. Rot vor Schuld, Scham und entrüstetem Ärger erhob er sich umständlich. „Was fällt dir ein, mir nachzuspionieren?“

„Tu ich nicht“, sagte Bael mit einem noch breiteren Grinsen. „Ich war nur in der Nähe und dachte, ich schaue eben vorbei. Und außerdem, ich könnte dir dieselbe Frage stellen, aber ich kenne die Antwort ja.“

Ryan war nicht sicher, was ihn mehr ärgerte – Baels Wortgewandtheit, oder seine eigene Unzulänglichkeit, wenn es darum ging, mit dem Deserteur fertig zu werden. Bevor ihm etwas einfiel, was er sagen könnte, fuhr Bael fort: „Ich nehme an, es war Sex.“

Ryans Gesichtsausdruck verriet ihn. „Das habe ich mir gedacht“, nickte Bael altklug. „Es scheint das zu sein, was die meisten von uns einsamen, männlichen Kundschafter-Typen am nötigsten brauchen. Es ist die eine Sache, die uns der Schiffscomputer nicht geben kann. Die Stadt weiß es, Jeff. Egal, wie sehr du versuchst, deine Gedanken zu verstecken, die Stadt weiß es.“

„Also glaubst du wirklich, dass sie lebt.“ Das war keine Frage.

„Ich weiß nicht. Es hängt davon ab, was du unter leben verstehst. Wenn du meinst, lebendig und atmend, das glaube ich nicht. Wenn du meinst sich dessen bewusst, was hier vorgeht, ja, das definitiv.“

„Aber wie—”

„Musst du ständig diese verdammten Fragen stellen?“ Nur für einen kurzen Moment gab es einen Riss in Baels Maske, der es Ryan ermöglichte, einen kurzen Blick auf die Unsicherheit unter der Oberfläche zu erhaschen. Dann war die Ausgeglichenheit wieder hergestellt, und Bael war wieder sein ungezwungen lässiges Selbst. „Akzeptiere doch einfach, was du hast, Jeff. Diese Stadt kann dir deine Träume geben. Sie möchte dir helfen. Ich weiß nicht, wie sie es macht; es ist mir egal. Wer auch immer sie erbaut hat, hat es so gemacht, das genügt mir.“

„Und wo sind sie jetzt? Die sie gebaut haben? Was ist mit ihnen passiert?“

Er versuchte, Baels Fassung noch einmal zu durchbrechen, aber diesmal versagte er. „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich haben sie sich an größere, bessere Dinge heran gemacht. Schade eigentlich, denn ich würde mich wirklich gerne bei ihnen bedanken.“

„Bedanken wofür?“, fragte Ryan zynisch. „Dass sie dich in einen Schlappschwanz verwandelt haben? Du sitzt einfach rum und lässt die Stadt alles für dich tun, nicht wahr? Wer will schon ein Mann sein, wenn man ein Schnorrer sein kann—”

„Bist du denn mehr Mann als ich, Jeff?“, antwortete Bael und was auch immer die Unruhe in ihm drinnen war, sie kam näher an die Oberfläche. „Sag mir, wer ist die Marionette hier? Wer springt jederzeit, wenn Java-10 ruft? Wer hält es nicht aus, länger als ein paar Sekunden von seiner Kommunkationseinheit getrennt zu sein? Wer von uns ist auf Befehl in der Stadt, und wer spaziert hier herum wie es ihm gefällt?“

„Du warst einmal ein guter Offizier, Bael“, sagte Ryan leise. Zumindest für einen Moment waren ihre Rollen vertauscht – Bael war in die Enge getrieben und Ryan war es, der ihn irritierte.

„Klar, war ich das“, schnappte Bael. „Ich habe Befehle befolgt und mein Leben für die liebe, alte Erde riskiert. Und was habe ich dafür bekommen? Eine Handvoll Medaillen, einen kleinen Zuschlag zu meinem Weihnachtsgeld jedes Jahr, eine schnell wachsende Rente. Nach einer Weile wird das alles bedeutungslos, Jeff. Aber nicht hier. Die Stadt will mich, braucht mich. Sie wurde gebaut, um Menschen zu dienen, um ihnen zu geben, was sie wollen. Sie möchte nur helfen. Ist das so schrecklich?“

„Ja ist es – wenn sie tun kann, was sie mit dir gemacht hat.“

Bael versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Kämpfe nicht dagegen an, Jeff. Dies ist nur eine gut gemeinte Warnung. Die Stadt kann sich vor dir mühelos schützen. Sie kann dir deine Träume geben, klar; aber Albträume sind auch Träume. Glaub nicht, dass du alle deine Albträume auf einmal bekämpfen kannst.“ Bael drehte sich um, und ging weg.

Ryan stand da und sah ihm nach. Auch noch, als der Deserteur schon hinter einem Gebäude verschwunden war, stand Ryan regungslos. Drohte Bael nur, oder konnte die Stadt Albträume genauso wie Träume ausgraben? Er neigte dazu, Letzteres zu glauben. Wieder dachte er daran, wie sehr echt Dorothy gewesen war, und er erschauerte. Er hatte schon lange Zeit keine Albträume mehr gehabt, aber dennoch...dennoch.

Er holte den Kommunikator aus seiner Tasche und rief wieder Java-10. „Wieso hast du den letzten Anruf nicht angenommen?“ war die sofortige Antwort des Schiffs.

Vage erinnerte sich Ryan an das Summen, das von dem Kästchen gekommen war, während er mit Dorothy beschäftigt gewesen war. „Ich...Es tut mir leid“, stammelte er. Dann fand er sich, wie ein schuldiges Kind im Angesicht seiner strengen und wissenden Eltern, alle Details bezüglich allem, was geschehen war, seit er zuletzt mit dem Schiff gesprochen hatte, ausplappernd.

Java-10 hörte allen seinen Offenbarungen ungerührt zu. „Du hast bei diesem Spielchen deine Pflichten vernachlässigt“, rügte er ihn, als er fertig war.

„Ich weiß. Es wird nicht wieder passieren.“

„Sehr schön, aber das ist auch keine Entschuldigung dafür, dass es das erste Mal passierte.“ Dann wechselte die Maschine das Thema komplett. „Ein kohärentes Bild der Arbeitsweise der Stadt beginnt sich abzuzeichnen. Es scheint eine automatische Kraft oder Kräfte zu geben, die hinter den Kulissen arbeitet und sich dessen bewusst ist, was vor sich geht. Wir können offenbar annehmen, dass diese kontrollierende Kraft irgendeine Art von telepathischen Fähigkeiten besitzt, die es ihr ermöglichen, deine Wünsche zu erkennen, und dir Illusionen in deine Gedanken zu projizieren.“

„Es muss noch mehr geben. Der Stuhl, auf dem ich saß, war echt. Er hielt mein ganzes Gewicht aus. Die Frau war echt. Dies waren bestimmt keine Illusionen.“

Java-10 zögerte. Dann: „Es könnte auch angebracht sein, ein System für Materie-Energie-Transformation zu postulieren, das es den Kräften, die in der Stadt zugange sind, ermöglicht, Materie in jeglicher Form, die sie wünschen, zu erzeugen. Alle diese vorläufigen Schlüsse setzen unglaublich große technische Fähigkeiten seitens der Erbauer der Stadt voraus. Es scheint nun absolut notwendig, dass wir das Geheimnis der Stadt lüften.

„Es muss eine zentrale Steuereinheit geben, einen Ort, wo die höheren Gehirnfunktionen der Stadt sitzen. Du musst diese Stelle finden, und sie lahmlegen, ohne sie zu zerstören, sodass sie gefahrlos untersucht werden kann.“

„Aber wie soll ich das tun?“ protestierte Ryan.

„Im Moment gibt es nicht genug Daten, um eine solche Frage zu beantworten“, antwortete Java-10. „Du musst erst mehr über das System herausfinden.“

„Es könnte gefährlich werden.“ Ryan wiederholte Baels Drohung bezüglich der Albträume. „Kannst du nicht noch ein paar Männer herunter schicken, um mir zu helfen?“

Die Antwort war unmittelbar, und grausam in ihrer Unverblümtheit. „Nein. Wenn ein Mann das nicht schafft, dann sind die Chancen zu gering, dass eine Gruppe es schaffen könnte. Wenn die Stadt dich besiegt, dann wird sie auch jeden anderen besiegen, den wir hinunter schicken könnten. Wir können keine weiteren Leben riskieren. Wenn du versagst, dann muss die Stadt zerstört werden, egal wie wertvoll sie ist.“ Und ohne ihm auch nur viel Glück zu wünschen, unterbrach Java-10 die Verbindung.

***

Es war spät am Nachmittag. Der rote Stern, der für diese Welt die Sonne darstellte, ging unter und wurde zu einem aufgedunsenen Ball aus Blut, als er sich dem Horizont näherte. Sein Licht änderte die Färbung der gesamten Stadt und die Art, wie die Gebäude die makabren Farbtöne mit einem Gefühl von gruseliger Freude reflektierten, wirkte Unheil verkündend. Die ständig anwesende Brise wurde kühler, und Ryan, der im offenen Gelände stand, zitterte unwillkürlich.

Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und wurde nach den ungewöhnlichen Ereignissen des Tages recht hungrig. Er griff nach seiner Nahrungsdose in seiner Überlebens-Tasche

und bemerkte hinten zu seiner Rechten eine große Tafel, scheinbar gedeckt für den Smörgåsbord eines reichen Mannes. Die verschiedenen angenehmen Düfte von geröstetem Schinken, Brathähnchen, gekochtem Hummer und gegrilltem Steak nahmen seine Nase in Beschlag. Hinter dem Fleisch konnte er als Beilagen Berge von Kartoffelpüree mit Butter sehen, Erbsen und

„Nein!“, sagte er laut. „Nein, du wirst mir das nicht mehr antun. Du hast mich einmal verführt, aber jetzt lasse ich mich nicht mehr hereinlegen.“ Er ging von der Tafel weg.

Die Tafel, auf Rädern, folgte ihm.

„Diesmal nicht“, wiederholte er. Er holte eine ungeöffnete Essensrationsdose hervor und winkte damit. „Ich habe diesmal mein eigenes Essen. Es ist vielleicht nicht so lecker wie deines, aber wenigstens hat es keine Klauseln.“

Ryan zog an der Lasche, um die Dose zu öffnen. Drinnen krabbelten auf dem Fleisch mehrere große, hässliche, schwarze Insekten. Instinktiv schleuderte er die Dose von sich. Die Tafel, beladen mit Essen, kam näher.

„Ist gut“, sagte Ryan dickköpfig, „dann bleibe ich eben hungrig für ein paar Stunden. So einfach gebe ich nicht auf. Lass Bael und die anderen deine Sklaven sein, aber auf mich brauchst du nicht zu zählen.“ Durch diese Ansage fühlte er sich sehr stolz auf seine eigene Integrität. Leider half das nicht, um seinen knurrenden Magen zu beruhigen.

Finde das Gehirnzentrum der Stadt, hatte Java-10 ihm aufgetragen. Einfacher gesagt als getan. Wo sollte er suchen? Das geographische Zentrum könnte ein logischer Ort sein, aber wie sollte er das finden? Er hatte keine Ahnung, wo er im Moment war, und selbst wenn er eine hätte, so hatte er keine Richtungsangaben. Es konnte keine Anhaltspunkte geben, in einer Stadt, die sich ständig veränderte, wo Gebäude sowohl ihre Form, wie auch ihre Farbe von Minute zu Minute veränderten.

Nachdem er schließlich beschlossen hatte, dass jede Richtung gleich gut oder schlecht war, begann Ryan zu gehen. Die Bankett-Tafel folgte ihm wie ein aufgeregter kleiner Hund. Er ignorierte sie und konzentrierte seinen Blick auf das was vor ihm lag.

Als die Dämmerung zur Dunkelheit wurde, gingen die Lichter der Stadt an. Nicht die weißen, sterilen, eintönigen Lichter von Metropolen auf der Erde, sondern Trugbilder von Helligkeit und Farbe, als wäre die Stadt zu einer einzigen großen Feuerwerksshow geworden. Lichter aller Farbtöne blinkten und leuchteten in einer Mischung aus geordneten und zufälligen Mustern. Hypnotisierende Wirbel und Kombinationen strichen in unendlicher Abfolge entlang der Seite eines Gebäudes hinauf und entlang eines anderen hinunter. Es gab keine Ecken, in denen sich die Dunkelheit hätte verstecken können, und so floh sie, und überließ die Stadt einer Helligkeit wie am Tage.

Ryan ignorierte die Lichter und lief weiter.

Schließlich gab der Tisch hinter ihm auf, und verschwand. Einer der früheren Erkunder der Stadt erschien aus einem Gebäude, mit einer Flasche in der Hand. Als er Ryan sah, winkte er freundlich und lud ihn ein, sich zu ihm zu gesellen.

Ryan ging an ihm vorbei.

“Jeffrey!”

Er konnte nicht anders, als sich bei diesem Ruf umzudrehen. Da, im Eingang eines der Gebäude, stand seine Mutter, die seit vier Jahren tot war. Sie trug ihre Haare lang, wie es modern gewesen war, als Ryan drei Jahre alt war, aber ihr Gesicht war das, das sie im Alter gehabt hatte. Sie streckte eine Hand nach ihm aus. „Komm zu mir, mein Sohn“, bat sie leise.

Sie ist nicht echt. Mutter ist tot. Dies ist eine Täuschung. Gefälscht. Illusion. Betrug.

Er drehte sich langsam um, um weiter zu gehen.

„Jeffrey! Jeffrey, mein Sohn, kennst du nicht einmal mehr deine eigene Mutter?“

Ryan blieb stehen und biss sich auf die Lippe, aber er sah sie nicht mehr an. Er wagte es nicht.

„Jeffrey, sieh mich an. Bitte!“

„Nein. Du bist eine Täuschung. Eine Täuschung, wie alles andere an diesem gottverdammten Ort. Geh weg und lass mich alleine!“

Sie rannte auf ihn zu, so gut sie konnte, ihr linkes Bein stärker belastend, wie sie es immer getan hatte, wegen ihrer Arthritis. Sie warf sich ihm zu Füßen wobei sie seinen Ärmel umklammerte. „Ich bin deine Mutter, Jeffrey“, weinte sie. „Sag, dass du mich kennst. Bitte! Du kennst deine Mutter.“ Ihre feuchten Augen sahen zu seinem Gesicht auf, und er wandte schnell seinen Blick ab.

„Lass LOS!“ rief er. Er schob sie von sich weg. Sie fiel hintenüber und ihr Kopf schlug hart am Boden auf. Es gab ein knackendes Geräusch, und Blut begann aus ihrem Kopf zu fließen, wo er aufgeschlagen war. Sie war völlig still, ihre Augen sahen zu ihm auf, wie ein toter Fisch. Er würgte, aber sein Magen war leer und nichts als der bittere Geschmack von Säure kam hoch.

Als seine Magenkrämpfe aufgehört hatten, richtete er sich auf und ging weiter, trotz der Tatsache, dass er ihre toten, starren Augen in seinem Rücken spüren konnte. Wenn er sich umdrehen würde, das wusste er, würde sie ihn ansehen. Dieses Wissen machte es schwer, sich nicht umzudrehen.

Ryan lief weiter.

***

Sie warteten auf ihn, als er um die Ecke bog. Bael und sieben der anderen Kundschafter, standen aufgereiht und blockierten den Weg. „Wenn du dich nicht an die Regeln hältst, darfst du nicht weiterspielen, Jeff“, sagte Bael ruhig.

„Lasst ihr mich durch?“

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Nein, wir können dich nicht weiter gehen lassen.“

„Was soll ich dann jetzt tun?“

„Du hast die Wahl: entweder du kehrst um, oder du schließt dich uns an.“

„Und was ist mit meiner Mission hier?“

„Hör auf Zinnsoldat zu spielen, Jeff. Du kannst es besser.“

„Ich denke, ich möchte sehen, was hinter euch ist.“

„Wir sind zu acht, Jeff, du bist alleine.“

„Ja, aber ich habe eine Waffe.“

„Sie wird nicht funktionieren“, sagte Bael ruhig. „Nicht gegen uns. Die Stadt würde es nicht zulassen.“

Und Ryan wusste, dass er Recht hatte. Welche Macht auch immer die Kontrolle hatte, würde ihm nicht erlauben, etwas Wichtiges zu zerstören. Aber er musste sich irgendetwas nähern, sonst hätte man nicht so viel daran gesetzt, ihn aufzuhalten.

„Nun“, begann er langsam. Dann, mit einem kurzen Sprint, bewegte er sich auf die Männer zu. Der nächste Mann stellte sich ihm in den Weg. Ryan gab ihm einen schnellen Tritt in die Leiste und der Mann sank in die Knie, sodass Ryan Platz hatte, an ihm vorbei zu rennen. Ryan rannte und rannte weiter, die Gasse zwischen den Gebäuden entlang.

„Ihm nach!“ rief Bael – unnötiger Weise, denn die anderen hatten schon die Verfolgung aufgenommen. Erst konnten sie mithilfe ihrer Kenntnis des Grundrisses der Stadt mit ihm mithalten, aber die Verzweiflung verlieh Ryans Füßen Schnelligkeit. Er hörte für den Moment auf zu denken, und überließ es seinem Instinkt, ihn um die spitzen Ecken zu lotsen, die sein Vorstellungsvermögen überschritten. Er sah sich selbst auf eine solide Mauer zu rennen, nur damit, einen Moment bevor er hinein krachte, eine Öffnung erschien. Er raste durch Gebäude, über Treppen, überquerte schmale, gebogene Brücken hundert Meter in der Luft, und dann nach unten und hinaus. Hinein, hinaus, rund herum, vorbei; seine Schlangenlinien waren so willkürlich und so schnell wie er nur konnte. Seine Verfolger fielen weiter zurück, bis er sie schließlich nicht mehr sehen konnte. Dann waren auch ihre Schritte nicht mehr zu hören. Ryan blieb stehen.

Die Stille brach wieder herein, die Stille, die ihn anfangs in der Stadt willkommen geheißen hatte. Das einzige Geräusch war sein eigenes angestrengtes Luft Schnappen. Er sank auf die Knie, seine zitternden Beine konnten sein Gewicht nicht länger tragen. Dann lag er auf der Seite, als große Mengen Luft sich ihren Weg in seine Brust brannten.

Seine Hand glitt wieder in seine Hosentasche, und berührte den Kommunikator. Das kalte Metall-Kästchen hatte ihren beruhigenden Effekt auf seine mitgenommene Psyche. Es gab eine Erde. Es gab noch das Schiff im Orbit über der Stadt, bereit, ihm zu helfen. Er war nicht alleine gelassen in dieser Tortur, er war nur hier allein.

„Du hast noch kein Blut geleckt, Bael“, keuchte er leise.

„Ich habe es auch nicht versucht“, hörte er Baels Stimme. Ryan sah erschrocken auf. Über seinem Kopf hing, in der Luft, eine großer 3D-Bildschirm, der von Baels Gesicht ausgefüllt wurde. „Du brauchst nicht zu rennen, Jeff. Die Stadt kann mich jederzeit über deinen Aufenthaltsort informieren. Ich kann dich immer finden, wenn ich will. Aber wenn du alleine sein willst, dann ist das deine Entscheidung. Wir haben versucht, dich zu retten. Was immer jetzt passiert ist deine eigene Schuld. Tschüss.“ Der Bildschirm wurde schwarz.


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