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Verwandte Lügen
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Verwandte Lügen

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Ben presste die Hand auf sein Herz und pfiff. „Das ist das tollste weibliche Wesen, das ich je gesehen habe.“

„Sie gehört mir, halt dich gefälligst zurück. Ich habe sie zuerst gesehen.“ Cooper gelang es nicht, den Frust in seiner Stimme oder die Verärgerung auf seinem Gesicht zu verbergen, als er Ben wütend anstarrte.

„Versuch’s doch, Junge. Die Dame hat die Wahl, und ich werde dafür sorgen, dass diese Wahl auf mich fällt.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln.

Cooper kam der Gedanke, dass Ermorden zu gnädig für ihn wäre. Er sollte auf jede erdenkliche Art leiden. Sie hatten vorher noch nie um eine Frau gekämpft, aber für alles gab es bekanntlich ein erstes Mal. „Gut – möge der Bessere gewinnen. Wir wissen beide, dass ich das bin. Also, wenn du den Schaden in Grenzen halten und das Gesicht wahren willst, dann verstehe ich das.“ Er trat einen Schritt vom Pult zurück und zeigte ein selbstzufriedenes Lächeln.

„Auf keinen Fall, Coop. Das Spiel läuft. Vergiss nicht, Amethyst meine Nummer zu geben. Ich weiß, dass sie mich irgendwann erreichen will.“

„Du bist dir deiner so sicher? Ich glaube es nicht“, antwortete Cooper, erstaunt über seine Arroganz. „Ich bin nicht dein Lakai. Wenn du willst, dass Amethyst deine Nummer hat, dann gib sie ihr selber.“

Ben nickte Coop zu, als er zur Tür ging. Als er sie erreicht hatte, hielt er inne und blickte Coop über die Schulter direkt in die Augen. „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung … Diese Frau ist geradezu dekadent schön. Ich brauche deine Hilfe nicht, um sie zu erobern. Sie gehört mir schon. Bis später, Coop“. Ben lachte und verließ die Pension.

Konnte es noch schlimmer kommen? Da hatte er endlich seine Traumfrau getroffen und sein bester Freund hechelte ihr hinterher. Es musste doch möglich sein, Ben davon abzubringen, sie aufzureißen. Zur Hölle, wem machte er etwas vor? Ben gab nie auf, wenn er sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er würde auch jetzt nicht damit anfangen. Außerdem hatte er in einem recht: Es war Damenwahl. Cooper musste nur sicherstellen, dass sie die richtige Wahl traf und er der Auserwählte war.

Als erstes wollte Cooper alles, was möglich war, über Amethyst S. Keane in Erfahrung bringen. Beim Check-in hatte sie erwähnt, dass ihr Name in einer Zeitschrift zitiert wurde, für die sie irgendwelche Artikel verfasste. Er hoffte, das würde ihm einen ausgedehnten Einblick in ihre Vorlieben und Abneigungen verschaffen. Außerdem, und das war noch wichtiger, könnte es erklären, warum sie für den Urlaub gerade seine Pension gewählt hatte. Er brauchte nicht lange, bis er sie online fand. Er entdeckte etliche Artikel, die in der Zeitschrift ASK von ihr verfasst worden waren … Die meisten beschäftigten sich mit Pop-Kultur, aber jede Ausgabe hatte eine Reiserubrik mit der Beschreibung eines Ortes oder Landes, wo Amethyst gewesen war. In jedem Artikel schrieb sie über die Geschichte eines Ortes und über Dinge, die sie dort faszinierend oder verlockend fand. Den Grund, warum sie sich in North Point und im Trenton-Hill Inn aufhielt, fand er jedoch nicht. Er wusste aber etwas Faszinierendes, was ihn für sie attraktiv machen könnte …

Wenn er was Amethyst anging recht behielt, dann besaß Cooper alle nötigen Hilfsmittel, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Eine schöne Geistergeschichte würde sie auf einen Weg leiten. Einen Weg, der sie, wie Cooper wusste, geradewegs zu ihm zurückführen würde.

KAPITEL DREI

Amethyst schlenderte gedankenverloren den Fußweg entlang. Als sie aus der Pension gekommen war, hatte sie eine Brücke bemerkt, die zu einer Mole führte. Sie schlug diese Richtung ein, ohne lange zu überlegen, wohin genau sie gehen wollte, weil sie den beruhigenden Effekt des Sees brauchte. Aus unerfindlichen Gründen fühlte sie sich immer zu Gewässern hingezogen, wenn sie nachdenken wollte. Nach ihrem Zusammentreffen mit Cooper und Ben spürte sie, dass sie wirklich alles durchdenken musste.

Die Begegnung hatte sie verunsichert, normalerweise konnte sie ein solches Gefühl abschütteln. Ben Anderson sah wunderbar aus, er war von der Erscheinung her das Gegenteil seines Freundes. Cooper war eher der dunkle Typ, während Bens Teint heller, seine Haare blond und die Augen blau waren. Er hatte offenes Interesse an ihr gezeigt, sie brauchte es nur zu erwidern und das Angebot annehmen. Sie hatte jetzt zwei großartige Männer zur Auswahl und keine Ahnung, welchen sie lieber mochte.

Gerade, als sie die Stahldraht-Brücke am Sandstrand erreicht hatte, klingelte ihr Handy. Amethyst fischte es aus dem Beutel und schnitt eine Grimasse, als sie auf die Anruferkennung starrte. Lyoness Keane, ihre Mutter, versuchte, sie zu erreichen. Darüber freute sich Amethyst so gut wie nie. Ihre Mutter konnte so flatterhaft wie ein Taubenschwarm in der Luft sein. Ignorieren konnte man sie auch nicht, weil Lyoness Keane niemals aufgab. Sie würde einfach immer wieder anrufen, bis Amethyst mürbe war und antwortete. Das konnte sie auch gleich tun und herausfinden, was ihre Mutter wollte. Damit könnte sie das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Außerdem wurde es nicht einfacher, sich erst später mit ihr zu beschäftigen. Amethyst drückte die Annahme-Taste und hielt sich das Handy ans Ohr.

„Hallo, Mutter.“ Sie versuchte, die Gereiztheit in ihrer Stimme zu unterdrücken, was ihr misslang. Warum musste ein Gespräch mit Mutter so eine lästige Pflicht sein?

„Schatz, wo treibst du dich denn zurzeit herum?”, drang die schrille Stimme von Lyoness an ihr Ohr.

Was? Warum wollte sie ihren aktuellen Aufenthaltsort wissen? Das war schon wieder ein schlechtes Zeichen, wie sollte sie darauf reagieren? Hm … naja, sie konnte genauso gut ehrlich sein. Richtig? Was schadete es denn? Noch kein Grund zur Panik. Sie bekam Herzklopfen. Jetzt war es etwas zu spät für den Versuch, Ruhe zu bewahren, da ihr bereits alle möglichen Schreckensszenarien durch den Kopf wirbelten. „Ich bin in einem verschlafenen Dorf in Michigan, es heißt North Point.“ Sie versuchte, locker zu klingen und war sich nicht sicher, ob ihr das gelang. „Warum fragst du, Mutter?“

Lyoness ignorierte ihre Frage völlig und fragte: „Liegt das an einem See? Ich liebe die Großen Seen.“

Amethyst hatte Lust, zu schreien, aber sie ließ es sein. Wenn man es mit ihrer Mutter zu tun hatte, blieb man am besten so ruhig wie möglich. Stattdessen versuchte sie, das Thema zu wechseln und fragte ihre Mutter nach ihrer letzten Affäre.

„Wie geht’s Saul?“

Sie konnte fast bildlich sehen, wie ihre Mutter wegwerfende Handbewegungen machte, als sie erwiderte: „Ach, dieser Idiot. Wir haben letzte Woche Schluss gemacht. Zeit für eine Veränderung. Du weißt doch, wie das ist. Jetzt erzähl mir mal von diesem verschlafenen kleinen Dorf. An welchem See liegt es denn?“

Sie hätte sich denken können, dass Mutter und Saul Schluss gemacht hatten. Amethyst hätte nichts dagegen gehabt, wenn man die Liebhaber ihrer Mutter an einer Hand hätte abzählen können, aber das wäre gelogen. Nein, sie brauchte dazu wahrscheinlich einen Taschenrechner oder irgendeine Buchführungs-Software, um den Überblick zu behalten. Jawohl, so umfangreich und durchgeknallt war das. Ihre Mutter und Saul hatten Schluss gemacht. Es war lediglich überraschend, wie schnell es geendet hatte. Das war sogar für ihre Mutter ein Rekord.

Seufzend hielt sie das Handy von sich weg und sich selbst den Mund zu, damit sie nicht zu schreien anfing. Sie riss sich zusammen und erwiderte: „Am Michigansee.“

Amethyst hörte einen lauten, schrillen Freudenschrei am anderen Ende.

„Oh, das ist ja absolut perfekt. Wo bist du untergekommen? Ich bin morgen da. Wir können miteinander Zeit verbringen, nur wir Mädels unter uns. Arbeitest du an einer neuen Story? Ich bin sicher, die wird so toll wie alle anderen. Ich kann dir bei deinen Recherchen helfen. Das wird soooo ein Riesenspaß. Ich kann es kaum erwarten, bis ich bei dir bin, Schatz.“ Ihre Mutter plapperte weiter und gab Amethyst keine Chance, sie zu unterbrechen. Was sie sowieso nicht getan hätte. Sie hatte geistig abgeschaltet, sobald ihre Mutter sagte, dass sie herkommen würde.

Genau wie sie befürchtet hatte, wollte Mutter sie besuchen. Besser gesagt, sie zum Wahnsinn treiben. Es war völlig unmöglich, ihr diesen Besuch in North Point auszureden. Lyoness hatte bereits vor ihrem Anruf bei Amethyst Reisepläne geschmiedet. Lyoness Keane machte was sie wollte und wann immer sie wollte. Das einzige, was sie selber tun konnte war, zu grinsen und das Ganze zu ertragen. Bevor sie jedoch endgültig aufgab, versuchte Amethyst noch, ihre Mutter zu überreden, in Florida zu bleiben.

„Ich weiß nicht so recht, Mutter. Willst du dir wirklich die ganze Strecke zumuten? Es ist ziemlich weit weg vom Flughafen. Außerdem bist du in Miami. Da ist es doch wunderschön.“

„Ich habe Florida satt. Ich brauche mal etwas Anderes. Es ist Jahre her, seit ich in Michigan war. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich wieder hinfahre. Wie heißt die Pension, in der du wohnst?“

Ein vergeblicher Versuch, sie hatte es gleich gewusst. Also biss sie die Zähne zusammen, bevor sie etwas sagte, was sie bereuen würde. Ihre Mutter konnte ab und zu so fordernd wie eine Zweijährige sein. Wenn sich Lyoness Keane etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte allein der Vorschlag, etwas anders zu machen in einen lautstarken Streit ausarten. Daher gab ihr Amethyst widerstrebend den Namen der Pension: „Trenton-Hill Inn.“

Jetzt hatte sie alle Informationen, was ja der Grund ihres Anrufs gewesen war. Lyoness rief noch euphorisch: „Prima, Liebling. Bis morgen dann. Küsschen!“, bevor sie das Gespräch abbrach.

Amethyst starrte verblüfft ihr Handy an; ihre Mutter hatte einfach aufgelegt. Nach ein paar Minuten platzierte sie es wieder in den Beutel, drehte sich um und wanderte ziellos in Richtung Pension. Es sah so aus, als müsste sie die morgige Ankunft ihrer Mutter vorbereiten. Sollte sie Cooper warnen? Es wäre ein Grund für ein Gespräch mit ihm. Unsicher, ob das eine gute Idee war, entschloss sie sich dagegen. Andererseits sollte sie die Pension informieren, dass ein zweiter Gast in ihrem Zimmer übernachten würde. Auf keinen Fall würde Mutter ein eigenes Zimmer buchen. Wahrscheinlich war sie kurz davor, völlig abgebrannt zu sein und sie hatte keinerlei persönliche Rücklagen. Das war einer der Gründe, warum sie sich nach dem Ende einer Beziehung bei Amethyst meldete. Die Liebhaber ihrer Mutter bezahlten stets ihre Ausgaben, und wenn eine Beziehung zu Ende war, saß sie auf dem Trockenen.

Sie blickte auf und merkte, dass sie wieder vor der Pension stand. Amethyst ging hinein, seufzte und fand sich mit der Situation ab. Im Stillen bedankte sie sich beim Schicksal, dass sie eine geräumige Suite mit Ausziehsofa hatte. Als sie in der Pension stand merkte sie, dass Cooper nicht mehr am Empfang war. Eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren, violetten Augen und einem sonnigen Lächeln empfing sie. „Hallo, ich bin Olivia. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Amethyst brauchte eine Minute, um ihre Enttäuschung zu überwinden, dass nicht Cooper da war, um ihr zu helfen. Es war an sich egal, aber es half nichts, sie fand ihn anziehend. Sie freute sich auf ein weiteres Gespräch mit ihm.

„Oh, ich dachte, Cooper hätte Dienst.“

Olivia nickte und lächelte weiter. „Oh, er hat … oder besser, er hatte. Es war irgendetwas Dringendes mit seinem Vater, deswegen hat er mich angerufen, ob ich übernehme. Sind Sie ein Gast?“

„Oh, tut mir leid, ja. Ich bin Amethyst Keane in Zimmer dreizehn. Ich wollte ihm sagen, dass meine Mutter, Lyoness Keane, morgen kommt. Wenn ich bei ihrer Ankunft weg sein sollte, könnten Sie dann bitte dafür sorgen, dass sie einen Schlüssel zu meinem Zimmer bekommt?“

„Klar, kein Problem, ich klebe mir eine Notiz an unseren Computer. Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Olivia notierte sich die Information auf einen gelben Zettel und klebte ihn an den Bildschirm.

Sie wollte wirklich wissen, was mit Cooper und seinem Vater los war, also platzte sie heraus: „Ist alles in Ordnung mit Coopers Vater? Tut mir leid, ich weiß, das ist wohl eine zu persönliche Frage.“ Sie sollte nicht in Coopers Angelegenheiten herumschnüffeln. „Ich bin halt von Natur aus neugierig, manchmal bricht das durch.“

Olivia machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, Herrn Marchant geht es bestimmt gut. Er hat sich vor einem Jahr zur Ruhe gesetzt, als Coopers Mutter gestorben ist. Er lebt draußen bei Ghost Peak alleine in einem Haus. Ich denke mal, er sitzt auf seinem Dach fest und der Wind hat die Leiter umgeweht oder sowas ähnliches. Gott sei Dank war das Handy in seiner Tasche und er hat angerufen, damit Cooper ihm zu Hilfe kommt.“

Ghost Peak? Der Platz klang interessant, daher fragte Amethyst: „Das ist ja ein faszinierender Name. Warum Ghost Peak?“

„Es gibt ein Gerücht, dass dort Easton Hill Marianne Trenton um ihre Hand gebeten hat. Außer in der Pension, so die Sage, spukt er jedes Jahr dort herum und zwar an dem Tag, als er ihr den Antrag machte.“

Amethyst spürte, wie sie in Aufregung geriet. Sie hatte ein paar Gespenstergeschichten über das Dorf gehört. Das war einer der Gründe, warum sie es für ihren nächsten Reisebeitrag ausgesucht hatte. Sie hätte Olivia gerne genauer ausgefragt, aber sie hielt sich zurück. „Toll, wirklich? Glauben Sie, dass Herr Marchant einverstanden ist, wenn ich hingehe?“

Olivia nickte zustimmend. „Ich kann mir nicht denken, warum nicht. Er mag Gesellschaft, vor allem seit er die meiste Zeit alleine ist. Außer Cooper wohnen da nur er und sein Golden Retriever Molly. Wahrscheinlich ist er begeistert, wenn Sie ihn besuchen.“

Amethyst konnte ihre Aufregung kaum verbergen und ihre Fragen überstürzten sich. „Wunderbar. Glauben Sie, heute Nachmittag würde es passen? Soll ich ihn vorher anrufen? Könnten Sie mir eine Wegbeschreibung zu Ghost Peak geben?“

Olivia brach in lautes Gelächter aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, gehen Sie ruhig. Wahrscheinlich ist Cooper sowieso noch da. Einen Moment, ich gebe Ihnen eine Wegbeschreibung. Es ist eine längere Wanderung, aber die Aussicht ist atemberaubend und das allein ist es schon wert.“

Olivia vermerkte genauere Einzelheiten auf der Beschreibung. Der vorherige Spaziergang war nicht so verlaufen, wie Amethyst das geplant hatte, doch manchmal war es besser, keine Pläne zu machen. Mit Olivias Hilfe hatte sie einen Anhaltspunkt für ihre Story gefunden. Vielleicht könnte sie den Aufenthalt sogar abkürzen und wieder heimfahren. Mutter würde ihr sowieso nachfahren …

Sie würde sich dem Problem Mutter nach ihrer Ankunft widmen. Sie musste ja nicht jetzt schon in Stress verfallen. Es gab Wichtigeres zu untersuchen und auszukundschaften. Bald würde sie einen Vorgeschmack auf die Sage über Easton Hill erhalten. Sie konnte es kaum erwarten, den Ort zu sehen, wo er angeblich seiner Frau Marianne einen Heiratsantrag gemacht hatte.

Olivia nahm den Zettel und gab ihn Amethyst. „Bitte schön. Es war nett, Sie kennenzulernen, Amethyst. Viel Glück.“

Amethyst nickte Olivia zu und sagte: „Danke für all die Hilfe. Einen schönen Nachmittag noch.“

Dann drehte sie sich um und verließ die Pension. Es gab nichts, was ihren Enthusiasmus so zum Überschäumen brachte wie der erste Hinweis auf eine Story. In flottem Tempo wanderte sie den Pfad entlang, den Olivia auf der Beschreibung skizziert hatte. Bald schon würde sie alle Details zu dem Dorfgespenst zusammengetragen haben und auch die bewegte Vergangenheit kennenlernen, die für die Sage verantwortlich war.

KAPITEL VIER

Cooper hatte gerade die Leiter wieder verstaut, als er Amethyst entdeckte, die sich dem Haus näherte. Er hielt kurz inne und bewunderte, wie schön sie aussah, wenn der Wind in ihren Haaren spielte. Ihr Versuch, es zusammenzubinden, wurde durch den windigen Tag zunichtegemacht. Feine Strähnen wehten ihr ums Gesicht, als sie den langen Pfad entlangwanderte, der zur Veranda des Hauses führte. Was hatte sie zu seinem Haus geführt? Vielleicht war sie das Mädchen, das er eines Tages zu finden hoffte. Eines wusste er mit Sicherheit: Er war mehr als bereit, es herauszufinden. Cooper war innerlich davon überzeugt, dass Amethyst eine besondere Frau war.

Sie kam bei den Stufen an und klopfte an die Haustür. Sein Vater, Roman Marchant, öffnete und begrüßte sie. Vater ging es endlich wieder gut und vielleicht konnte er eine gewisse Zufriedenheit wiederfinden. Coopers Mutter hatte lange mit Leukämie gekämpft und den Kampf vor einem Jahr verloren. Der Verlust war für seinen Vater verheerend gewesen. Sein ehemals schwarzes Haar war jetzt von grauen Strähnen durchzogen und in seinen blauen Augen lag eine Traurigkeit, die vorher nicht dagewesen war. Es hatte ihn sehr viel Kraft gekostet, ohne seine geliebte Frau weiterzumachen. Es half, dass Vaters bester Freund Nicholas Drake den Sommer über im Dorf sein würde. Nach einem Arbeitsunfall hatte Nicholas einen Ort gesucht, wo er wieder zu Kräften kommen konnte und North Point war dafür so gut geeignet wie jeder andere Platz. Bald würde er ankommen.

Cooper betrat das Haus durch die Hintertür und. Er ging durch die Küche zur Vorderseite des Hauses und als er näherkam, konnte er seinen Vater hören. „Nein, es ist schon in Ordnung. Kommen Sie doch bitte herein. Wir haben hier draußen nicht viele Besucher, vor allem keine, die so hübsch sind wie Sie.“

Cooper nahm das als Stichwort und betrat das Zimmer. „Wer ist gekommen, Pa?“

Roman presste die Hand auf seine Brust und täuschte Erschrecken vor. „Cooper, du sollst dich nicht so an einen alten Mann anschleichen. Fast hätte ich einen Herzinfarkt gehabt.“

Cooper verdrehte die Augen und ignorierte den Versuch seines Vaters, witzig zu sein. „Ich bin sicher, dass du völlig in Ordnung bist, Pa.“ Er warf Amethyst einen kurzen Blick zu. „Außerdem bist du noch lange nicht alt.“ Amethyst trat von einem Fuß auf den anderen, während sie den Wortwechsel der beiden verfolgte. Cooper dachte, dass sie einfach bezaubernd aussah, wenn sie sich beim Zuhören auf die Lippen biss. „Hallo, Amethyst, was machst du denn hier?“

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn. „Ich habe gehofft, dass ich mich auf Ghost Peak Island umsehen könnte. Ich, äh, wollte auch wissen, ob du mir genau sagen kannst, wie ich da hinfinde.“

Sein Vater mischte sich in das Gespräch ein, er sah verwirrt aus. „Ich habe nicht gewusst, dass ihr beiden euch kennt.“

Cooper sah seinen Vater an und erwiderte: „Amethyst wohnt in der Pension. Wir haben uns vorhin beim Einchecken kennengelernt.“

Roman strahlte Amethyst stolz an. „Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack, meine Liebe. Trenton-Hill ist der beste Platz für einen Aufenthalt in Michigan.“

Cooper lachte über die Selbstgefälligkeit seines Vaters. „Er ist voreingenommen, weil die Pension seit Generationen unserer Familie gehört.“

Amethyst nickte zustimmend. „Ich nehme es ihm nicht übel. Ich wäre begeistert, wenn meine Familie auch so eine langjährige Geschichte hätte. Es ist wirklich eine wunderschöne Pension. Ich bin schon viel herumgereist, auch ein paar exotische Orte waren dabei, aber eure Pension gehört bisher zu meinen Lieblingsplätzen.“

Roman sah Amethyst verwundert an. „Sie sind noch sehr jung, um so viel gereist zu sein. In welchem Bereich ist Ihre Familie denn tätig?“

Amethyst hasste es, wenn Leute ihr Alter kommentierten. Es war doch unwichtig, wie lange sie schon auf der Welt war. Ihre Mutter pflegte zu sagen, dass in ihr für eine fast Zwanzigjährige eine alte Seele wohnte. „Naja, was mein Vater macht, weiß ich nicht … ich habe ihn nie kennengelernt. Meine Mutter ist eine Art Unternehmerin. Sie probiert ständig neue Ideen aus, aber es ist nie etwas Dauerhaftes.“

Roman nickte, als ob er das begriff, aber sein Blick sagte etwas anderes. „Aha, ich verstehe.“ Er blickte seinen Sohn an und fragte: „Cooper, willst du mit ihr eine Inselführung machen?“

Cooper nickte seinem Vater bejahend zu. Nichts würde ihn glücklicher machen, als Amethyst auf eine Inseltour mitzunehmen. Das war die beste Gelegenheit, die er sich wünschen konnte, besser hätte er es gar nicht organisieren können. Ben war auch nicht da, um dazwischenzufunken, wenn er mit Amethyst allein war. Bisher lag er ganz vorne in dem Wettkampf, den sein Freund angezettelt hatte.

Online hatte er einiges über sie erfahren. Sie hatte ihm nicht viele Informationen geliefert, aber bei der Zeitschrift ASK spielten ihre Artikel eine wichtige Rolle. Sie hatte außerdem die Leitartikel für fast alle Ausgaben geschrieben. Wenn er an ihre Anfangsbuchstaben dachte, kam er zu dem Schluss, dass die Zeitschrift vielleicht eine größere Rolle in ihrem Leben spielte, als sie ihn glauben ließ. Er würde sie ganz genau fragen, wie ihre Stellung dort aussah und ob die Zeitschrift später nach ihr benannt worden war.

In der Zwischenzeit würde Cooper die Zeit nutzen, um ihr über die örtliche Legende des Dorfes zu erzählen. Cooper und Roman waren zufällig die einheimischen Experten. Alle kannten die Geschichten, aber nur die Marchant-Familie besaß alle Tagebücher von Marianne. Sie befanden sich unter den vielen Dingen, die sie in der Pension zurückließ, als sie aus North Point verschwand.

„Wenn du mitkommst, kann ich dir alles zeigen. Es gibt hier viele interessante Attraktionen.“

Amethyst trat mit begeistertem Blick auf Cooper zu. „Ich kann es kaum erwarten. Ich bin sofort bereit!“

Der Nachmittag versprach, der beste seines Lebens zu werden. Er lächelte ihr zu und winkte ihr, ihm zu folgen. Sie schlenderten den Pfad hinunter, der zur Rückseite des Hauses und bis zum Rand einer steilen Klippe führte. Die Wellen des Sees schlugen gegen eine Seite der Felsformation unter ihnen. Wenn man über den See blickte, sah man in geringer Entfernung vor den Felsen unter ihnen eine winzige Insel mit einer kleinen steinigen Spitze in grauschwarz und weiß. Von ihrem Standpunkt aus schien es, als könnte man sie mit ausgestrecktem Arm berühren.

Cooper tippte ihr auf die Schulter und zeigte auf die kleine Insel. „Das ist Ghost Peak. Es ist kein richtiger Berg und wir tun gerne so, als ob er uns allein gehört. Das Wasser hatte über die Jahre hinweg eine eigenartige Auswirkung und diese Insel mit dem winzigen Berg geformt. Die Formation selbst war immer schon da – jedenfalls schon lange bevor das Dorf zu dem wurde, was es heute ist. Die Insel wurde erst nach dem Tod von Easton Hill Ghost Peak Island genannt.“

Amethyst wandte sich vom See ab und sah ihn an. „Warum hat man sie so genannt? Warum hat das etwas mit Easton Hills Tod zu tun?“ Sie legte den Kopf zur Seite und starrte auf Ghost Peak.

Cooper verbarg ein Lächeln. Jetzt konnte er ihr alles erzählen, wozu er Lust hatte. Er hatte ihre volle Aufmerksamkeit und das würde er sich nicht entgehen lassen.

„Die Legende besagt, dass Easton Hill mit Marianne Trenton im Boot zu einem Picknick zur Insel ruderte. Dort machte er ihr einen Antrag und kurz darauf heirateten sie. Die Insel wurde zu einem ihrer romantischen Lieblingsplätze. Das ist auch bei den Einheimischen so geblieben. Viele von uns verbringen bei Gelegenheit gerne Zeit auf der Insel.“

Amethyst schüttelte den Kopf, als sie sagte: „Aber dann sollte sie Love Peak heißen, nicht Ghost Peak. Das passt doch nicht. Er hat ihr dort einen Heiratsantrag gemacht? Warum sollte es dann auf der Insel spuken?“

Sie war so liebenswert, dass er sie gerne umarmt hätte. „Ja, so sollte sie heißen, tut sie aber nicht.“

Amethyst neigte den Kopf zur Seite, als ob sie über den Sinn nachgrübelte. „Ich verstehe es nicht. Erkläre mir das bitte.”

„Eine einfache Erklärung ist, dass er dort nach seiner Frau sucht. Er hat sie verloren oder sie ihn, je nachdem, wie man es sieht. Also sucht er die Insel einmal im Jahr heim und hofft, dass er sie findet. Bisher hat er nicht viel Glück gehabt, der arme Kerl.“ Das war wirklich eine düstere Geschichte …

„Das ist unglaublich traurig. An welchem Tag im Jahr kommt er auf die kleine Insel?“ Sie knabberte an ihrer Unterlippe. Er wünschte sich, dass er näher wäre und sie küssen könnte. Sie hatte einen reizenden Mund und das Knabbern machte ihre Lippen noch voller.

Cooper zuckte mit den Achseln und meinte: „Ich bin mir nicht sicher. Es ist von unterschiedlichen Tagen die Rede. Ich könnte dir sagen, wann sie geheiratet haben und raten … aber nicht mal in Mariannes Tagebuch steht, wann genau sie auf die Insel gerudert sind. Sie haben am 1. April 1953 geheiratet.

„Am 1. April? Das ist interessant … “ Sie unterbrach sich und sah zu ihm auf. Ihre Augen weiteten sich, als sie sagte: „Warte mal, hast du ein paar ihrer Tagebücher? Kann ich sie lesen?“ Ihre Stimme wurde ganz aufgeregt, ihr Blick war beinahe flehend.

Es war wirklich einfach gewesen, sie auf die Spur zu führen, wo er sie haben wollte. Sie merkte nicht einmal, dass er sie manipuliert hatte. Alles lief ganz wunderbar und bald würde er herausfinden, ob sie wirklich eine so besondere Frau war, wie er annahm. Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, umso mehr stieg seine Chance, ihr näherzukommen.“ „Ich weiß nicht. Das sind sozusagen Familienerbstücke und über ein halbes Jahrhundert alt.“

„Oh, ich verspreche, dass ich ganz vorsichtig damit umgehen werde. Wenn ich sie lesen darf, meine ich.“ Ihre Stimme war voller Eifer, als sie sprach.

Er tat so, als wäre die Erlaubnis dafür eine schwere Entscheidung. „Naja, die Sache ist die, ich kenne dich nicht besonders gut. Wie kann ich sicher sein, dass du dich nicht mit ihnen aus dem Staub machst?“

Sie legte wieder den Kopf schief, als ob sie überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. „Na, wenn es dir lieber ist, könntest du ja dabeibleiben, während ich sie durchlese. Dann siehst du, dass ich nichts kaputtmache, was mir nicht gehört.“

Ja, wunderbar. Er musste es nicht einmal vorschlagen. Sie machte es wirklich etwas zu einfach für ihn. Nicht, dass er sich deswegen beschwert hätte. „Hm … naja, ich denke, das wäre in Ordnung. Warum interessieren dich Marianne und Easton denn überhaupt?“

„Ich schreibe … “ Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich denke mal, das weißt du schon. Ich habe es ja schon gesagt, als wir uns getroffen haben.“ Amethyst seufzte. „Mir gefällt es einfach, interessante Sachen über Plätze zu entdecken, die ich besuche. Ich gebe zu, dass ich mir Orte aussuche, die mich von Anfang an faszinieren und dann hoffe ich darauf, die Geschichte einer Stadt aufzudröseln und in meinen Artikeln zu verwenden. Ich bin über mögliche Gespenster in diesem Dorf gestolpert und dachte, das wäre ein wunderbarer Beitrag. Ich schreibe gerne die Wahrheit und keine Artikel, in denen über Gespenster nur spekuliert wird. Hilfst du mir dabei?“

„Das könnte ich vielleicht machen. Hast du schon etwas geschrieben? Zeigst du es mir?“

„Ich weiß nicht so recht – ich mag es eigentlich nicht, jemanden etwas lesen zu lassen, bevor ich nicht fertig bin. Vielleicht kann ich dir eine Kopie schicken, wenn der Text steht?“

Ja, das war eine gute Idee. Damit hätte sie einen Grund, mit ihm in Kontakt zu bleiben, wenn sie die Stadt verlassen hatte. Er hoffte, er könnte eine Beziehung aufbauen und sie würde bleiben, aber im Fall, dass es nicht so lief wie gewünscht, brauchte er einen Ersatzplan. „Das wäre fantastisch. Ich freue mich schon darauf, deine Story zu lesen.”

Ein strahlendes Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Prima, dann sorge ich dafür, dass du sie bekommst. Lässt du mich jetzt diese Tagebücher anschauen?“

„Ich denke, das lässt sich machen. Komm mit zurück zum Haus. Ich muss meinem Vater sagen, dass wir in die Pension gehen.“

Amethyst hüpfte fast neben ihm her, als sie zum Haus wanderten. „Vielen Dank, dass ich sie sehen darf. Das ist mehr, als ich je zu finden gehofft habe.“

Er selber hoffte, dass die Tagebücher all ihren Erwartungen entsprachen. Seine eigenen hatten sich mit diesem wunderschönen Mädchen bereits erfüllt. Sie besaß alle Qualitäten, die Cooper bei einer Frau suchte. Er musste die Angelegenheit jetzt nur richtig angehen, damit sie seine Gefühle erwiderte.


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